Der Krieg der Reichen (Douglas Rushkoff) / #Apokalypse #Dystopie #Rushkoff #Cyberpunk #Digitalisierung

Kommentar 67

Montag war früher immer SPIEGEL-Tag, jetzt ist Samstag Rubikon-Tag, was den Vorteil hat, dass man sonntags ungehindert weiter nachdenken kann – vor allem, wenn man der eigenen Entmaterialisierung nah ist, die wir laut Douglas Rushkoff ja im Allgemeinen anstreben. Wer aber ist Douglas Rushkoff, der hier vom deutschen Alternativmedium Rubikon übersetzt wurde?

In Deutschland ist der Medienwissenschaftler und -philosoph nicht so bekannt, aber die US-Wikipedia belegt das, was am Ende des Rubikon-Beitrags steht, nämlich dass er ein einflussreicher Theoretiker ist und mit führenden Persönlichkeiten der Szene wie Naomi Klein gearbeitet hat. Jedenfalls hat er fast alles beackert, was die digitale Welt ausmacht und das ist auch das  Schöne an Rubikon – es gibt Beiträge, die ich in anderen Gegenöffentlichkeitspublikationen ebenfalls finde, dann aber solche wie diesen, die mehr ins Philosophische oder Psychologische gehen.

Aber der Beitrag ist doch im Grunde sehr simpel: Leute, hört auf utilitaristisch zu denken, werdet Genossen und scheißt auf die Allmacht der Maschinen.

Wer wollte bestreiten, dass dies ein gangbarer Weg wäre, die Tendenzen zur Digitalisierung selbst der eigenen Persönlichkeit aufzuhalten? Außerdem erfahren wir, dass die Superreichen auch keinen Plan haben und Rushkoff nehme ich auch ab, dass die Story von den fünf Personen, die ihm für einen kleinen Talk ein halbes Jahresgehalt angeboten haben, keine nette Pointierung mit stark fiktionalem Anstrich ist. Wir erfahren also, die Reichen haben auch keinen Plan. Und gegenüber den niederdrückenden Verschwörungstheorien, die uns Normalmenschen ja im Grunde suggerieren, dass wir viel zu schwach sind, um etwas entscheiden oder ändern zu können, hat dieses Szenario den Vorteil, dass wir merken, wir müssen genau das tun und es ist möglich, denn wenn Milliardäre als Egoisten keinen Plan B haben, dann sind sie eben nicht eine hoch überlegene Schwarmintelligenz von Supermächtigen, sondern manche sind mit einem einzigen Ideechen super reich geworden, wie Mark Zuckerberg, der im Beitrag selbstverständlich genannt wird. Seitdem betreiben wir einen Ablasshandel mit ihm: Teilhabe gegen Datenfreigabe. 2013 schloss Rushkoff seinen Facebook-Account. Je mehr Kapazitäten man hat, desto leichter wird das. Und andere, sie Jeff Bezos, bauen ihre Imperien mit der üblichen Grausamkeit auf, die das Kapital immer schon auszeichnete, wenn man es ungehindert agieren ließ, nur eben jetzt auf Plattformökonomie-Ebene. Amazon ist im Grunde nichts weiter als eine Handelsplattform, nur eben die größte. Es stellt selbst nichts her und beschäftigt nur wenige Menschen, im Vergleich zum Umsatz.

Aber es geht ja über den Utilitarismus hinaus: Banal gesprochen, wollen wir uns  abschaffen, weil wir ein miserables Selbstbild haben. Ist das religiös bedingt?

Rushkoff hatte tatsächlich versucht, das Judentum zu humanisieren, dabei aber festgestellt, als Open-Source-Modul für Spiritualität funktioniert es nicht. Ich glaube nicht, dass das am theoretischen Teil lag, sondern daran, dass seine Protagonisten es als etwas verteidigen, das besser ist, weshalb sie selbst besser sind. Auserwählt sein und das, woraus man dies ableitet, als Open Source zur Verfügung stellen, verträgt sich nicht miteinander. Ich finde das sehr schade, denn das Judentum hat eine Menge tolle Ansätze. Die hat das Christentum aber auch, plus einen Schuss Pazifismus. Und es ist Open Source. Niemandem wird der Zugang dazu verwehrt. Aber ich nehme an, Rushkoff ist Jude und wollte von dieser Position aus etwas dazu beitragen, dass wir zugewandter miteinander umgehen können.

Rushkoff hat sich vom Open-Source-Denken abgewendet.

Schade, die Religion betreffend dass er zu negativen Schlüssen diesbezüglich kam, aber richtig, was die Monetarisierung von geistigen Leistungen angeht. Rückständige Piraten-Pappnasen glauben noch an Open Source oder tun so und wollen schauen, dass sie zu den Privilegierten gehören, indem sie politische Karriere machen und den Rest hinter sich lassen. Open Source für alle, denen immer schon fast alle Ressourcen offen standen. Auch in meiner Partei habe ich da ein paar besondere Früchtchen im Auge.  Links sollte heißen: gute Arbeit und die Menschen in die Lage zu versetzen, diese Arbeit zu entlohnen, nicht genau umgekehrt. Niemand kriegt mehr was für irgendwas und die Roboter erwirtschaften die Steuern und kein Mensch kann mehr vernünftig festlegen, welchen Wert eigentlich welche Arbeit oder geistige Leistung noch haben soll.

Wenn man das liest, müsste man doch Rushkoff – und auch dem Autor – widersprechen: Dieses Denken zeugt doch von Kurzsichtigkeit und einem Mangel an sozialem Bewusstsein.

Wenn wir Module wie CRISPR wirklich flächendeckend einsetzen und dabei keine ethischen Grenzen wahren, brauchen wir uns über die eigene Marginalisierung nicht zu beschweren und genau das ist eine unserer großen Schwächen: Dass wir unsere Fehler nicht schätzen und als Quelle der Kreativität und des Humors verstehen können. Die meisten Apologeten der Fortschreibung der binären Welt in uns hinein und durch uns hindurch sind humorfreie Nerds, die jeden überraschenden Moment, das Staunen, die Erkenntnis des unerschöpflichen Potenzials an Spezifika, über das wir verfügen und die einzigartigen Geschichten, die daraus entstehen – die das alles in die Tonne treten wollen für einen verzweifelten Versuch, die Welt perfekt zu machen. Natürlich ist nichts gegen technische Erleichterungen zu sagen, die schwere Arbeit überflüssig machen, aber der Aufwand für jeden kleinen digitalen Fortschritt steht schon längst nicht mehr im Verhältnis zum Nutzen. Und daher rühren zu einem Teil die massiven Allokationsprobleme des postindustriellen Kapitalismus – und diese machen ihn immer aggressiver. Eine Implikation oder ein Rückschluss ergibt sich: Der digitale Fortschritt, wie er gerade stattfindet, steht nicht dafür, wegen der sozialen Verwüstung, die er mit sich bringt. Aber man macht eben immer weiter. Menschen sind keine Globalsteuerer, sondern Lemminge, und das ist das Problem und auf diese Weise setzen sie die Digitalisierung ein und nicht, um ein besseres Leben für die Mehrheit von uns allen zu ermöglichen.

Niemals werden die bösen USA uns einen Fingerbreit Raum zur Abnabelung von diesen Typen geben, die technisch versiert und mit großen Mitteln ausgestattet, aber sozial, so legt des Rushkoff dar, ziemliche Idioten sind. 

Wer hätte das auch nicht vermutet? Um richtig reich zu werden, muss man so sein. Aber die USA und niemand sonst kann uns daran hindern, in unserem Kiez oder mit ein paar wirklich links denkenden Menschen aus unserer politischen Blase einfach mal was zu versuchen. Man will uns das Bargeld wegnehmen, beispielsweise? Dann machen wir eine Guerilla-Währung. Man will die Menschen ewig in Hartz knechten? Dann bauen wir eine Sub-Ökonomie auf und orientieren uns dabei bisschen am überragenden Zusammengehörigkeitsgefühl der Freunde aus der OK. Aber wir bleiben natürlich legal. Niemand kann Menschen daran hindern, eine ideelle Tauschwert-Tauschwirtschaft zu initiieren und sie Nachbarschaftshilfe zu nennen. Das ist jetzt grob, klar. Ich lerne ja gerade erst, das bestehende System tiefer zu erfassen und jede neue Idee wird in unserer komplexen Welt auch ziemlich schnell komplex und außerdem sind wir ja fehlerhafte Menschen. Es kommt eben vor allem auf unsere Einstellung an. Die zählt viel mehr als Perfektion. Vielleicht sind die Reichen dann doch mal die Dummen, auch wenn sie natürlich die Reichen bleiben.

So, jetzt aber mal zu dem obigen Beispiel mit der Nachbarschaftshilfe, die ja im Grunde doch eine Umgehung ist. Wir haben doch heute den Beitrag über China und die totale Überwachung gesehen und die sozialen Punkte und was sich alles an Horrorszenarien damit verbindet. Horror für uns Freiheitsdenker aber bloß. 

Wir haben hier in Europa etwas, das hat niemand sonst. Eine aus kultureller Vielfalt und besonderen Erfahrungen mit Totalitarismus begründete Liebe zur geistigen Freiheit – zumindest diejenigen, die noch so etwas wie Universalbildung genießen durften. In Deutschland müsste die sogar besonders stark ausgeprägt sein. Wir müssen eh aufhören, unsere Maßstäbe auf andere Weltregionen übertragen zu wollen, das ist vergebliche Liebesmüh, weil einfach der Einfluss Europas immer geringer wird, aber wir haben hier noch Möglichkeiten, ein kulturelles Erbe, das Individualismus und Gemeinsinn gleichermaßen beinhaltet, aus dem wir schöpfen können.

Wir sollten uns nicht denen beugen, die uns mit Alternativlosigkeitsgeschwätz niederdrücken wollen. Aber wir müssen dann auch bereit sein, Digitalisierung neu zu denken und nicht froh zu sein, wenn wir immer weiter durch sie entmündigt werden. Natürlich, jeder der irgendeinen Content ins Netz stellt und nicht bloß alles von anderen absaugt, trägt genau zu dieser Selbstentmündigung bei, anstatt dass wir uns zunehmend selbst ermächtigen.

Und da kommt wieder die menschliche Eigenschaft, sich abzuspalten, ins Spiel: Anerkennung, in diesem medialen Grundrauschen wahrgenommen zu werden stehen gegen die Vernunft, die uns dringend Begrenzung auferlegen sollte und stattdessen da draußen ein Arbeiten mit denen, die verstanden haben. Wenn man also bemerkt hat, dass man zwar irgendwie vielleicht richtig denkt, aber es nicht umsetzt, dann kommt das Narrativ ins Spiel, das jeden echten Fortschritt eh verhindert: Dies ist ja alles noch Vorbereitungszeit. Ich weiß noch viel zu wenig und, verdammt, ich könnte da draußen Fehler machen und andere könnten dann denken: OMG! Klar, ein dummer Reicher hätte den Job auch nicht hingekriegt – aber jede mittelmäßig begabte KI hätte ihn besser erledigt!

© 2018 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

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