Frontpage | Klima Umwelt | FFF und Greta Thunberg
Liebe Leser:innen, hat die Klimadiskussion uns (endlich) wieder? Das wird auch vom weiteren Verlauf dieses Sommers abhängen, denn die meisten bewegen sich tatsächlich erst dann, wenn sie persönlich betroffen sind. Und was halten Sie von Greta Thunberg, die sich vor vier Jahren vor ihre Schule setzte, demonstrierte und damit eine weltweite Bewegung auslöste?
Haben Sie insgesamt eher eine positive oder negative Meinung zur Klimaaktivistin Greta Thunberg?
Der Begleittext aus dem Civey-Newsletter:
Greta Thunberg wurde bekannt als Symbolfigur der globalen Klimabewegung Fridays for Future. Vorletztes Jahr erhielt sie den Alternativen Nobelpreis aufgrund ihres aufklärerischen Einsatzes für das Klima. Seither ist es ruhiger um die mittlerweile 19-Jährige geworden. Letzte Woche kommentierte sie besorgt die Hitzewelle in Europa, die auch in Deutschland Rekordtemperaturen von über 40 Grad verursachte.
„Die Klimakrise wird weiter eskalieren und sich verschlimmern, solange wir den Kopf in den Sand stecken und Profit und Gier über Menschen und den Planeten stellen. Wir schlafwandeln noch immer dem Abgrund entgegen.“ Das schrieb Thunberg am Dienstag auf Twitter. Frankreich, Italien und Griechenland kämpfen derzeit mit zahlreichen Waldbränden. Auch hierzulande herrscht laut Deutschem Wetterdienst teils hohe Waldbrandgefahr.
Thunberg erntet durch ihre Aussagen auch Kritik und Spott. Aufgrund ihres Alters und ihres Asperger-Syndroms hinterfragten etwa Politiker wie Friedrich Merz (CDU) oder Florian Post (SPD) früher ihre politischen Auftritte und ihre Kompetenz. Als Thunberg 2018 zwei Wochen zur UN-Klimakonferenz in New York segelte, warfen Kritiker ihr Heuchelei vor, da etwa eine Fahrt auf einem Containerschiff klimafreundlicher gewesen wäre.
Wir finden es sehr bedauerlich, dass aktuell nur 21 Prozent der Abstimmenden eine sehr positive Meinung von Greta Thunberg haben. Uns ist dabei nicht ganz klar, ob die Person gemeint ist oder Klimawandelleugner:innen am Werk sind. Vermutlich etwas von beidem. Man kann durchaus den Klimawandel als Tatsache akzeptieren und sich sogar klimafreundlich verhalten, ohne Fan einer damals 16-Jährigen sein zu müssen, die natürlich auch viele Neider hat.
Wir schrieben, als Thunberg die Weltbühne betrat, sie ist genau der richtige Mensch zu richtigen Zeit. Und wer hätte schon gedacht, dass sie zwei Jahre später durch Corona und nun durch eine niederträchtige, rückwärtsgewandte Weltpolitik ausgebremst werden würde, mitsamt den vielen jungen Menschen, die freitags demonstrierten. Sicher war an und mit FFF nicht alles perfekt, deshalb hatten wir immer ein Ohr darauf, wie sich die Bewegung in sozialen Fragen stellte. Aber wir konnten nichts Schreckliches feststellen, anders als zum Beispiel bei den Grünen, die nicht mit der Wimper zucken, wenn es darum geht, Ökologie gegen Armut auszuspielen. Für uns war es zum Beispiel wichtig, dass FFF in Berlin sich hinter die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ gestellt hat. So wurde der Schulterschluss derer symbolisiert, die in der Tat gemeinsame Interessen haben, nämlich sich dem Raubbau durch das Kapital entgegenzustellen.
Wir hatten in der Folge festgehalten: Wir sind bei der nächsten FFF-Demo dabei. Im September 2021 war es so weit. Die deutsche Führungselite von FFF sehen wir um einige Grade kritischer als Greta Thunberg, ohne die es die einzige echte weltweite Bewegung der letzten Jahre nicht geben würde. Vor allem, weil der weibliche Teil der Spitze aus Verhältnissen kommt, die sich jeden ökologischen Umbau leisten kann, was immer er auch kostet und gleichzeitig aus Häusern, die durch Ausbeutung und sogar durch Suchtförderung groß geworden sind. Das ist aber ein hiesiges FFF-Phänomen, typisch deutsch in gewisser Weise, welches man Greta Thunberg nicht anlasten kann.
Wir hoffen, dass die Krisenhäufung nicht dafür sorgt, dass dieses Metathema der Erderwärmung wieder einmal außer Blick gerät. Während der Corona-Lockdowns sank der CO₂-Ausstoß, alles hat auch sein Gutes, könnte man sagen. Wirklich? Aufgrund vieler Fehler, die Greta Thunberg der deutschen Politik zu Recht vorwirft, sind wir gerade in einer Zwickmühle. Es ist nicht möglich, gleichzeitig den CO₂-Ausstoß rasch weiter zu senken, die Energiesicherheit zu gewährleisten, die Verbraucherpreise einigermaßen in Schach zu halten und Russland im Ukrainekrieg die Stirn zu bieten. In einigen Ländern geht das, in Deutschland nicht. Deswegen werden einige Greta Thunberg auch so nervig finden: Weil sie weiterhin für ihr Thema unterwegs ist, während die Politik von allen Seiten unter Druck steht und sich die Welt scheinbar seit 2018 stark gewandelt hat. Das hat sie tatsächlich. Wenn Corona Geschichte ist und der Kriegseifer allseits nachgelassen hat, wird der Klimawandel immer noch da sein. Greta Thunberg wird uns fragen, warum wir schon wieder Jahre verpennt haben, denn was kann es Wichtigeres geben, als die Erde für Menschen bewohnbar zu halten?
Es gibt sehr viele Darstellungen über Greta Thunberg, mittlerweile. Dabei ist natürlich auch viel Negatives, zum Beispiel wird alles Mögliche bezüglich ihrer Vereinnahmung behauptet. Was immer daran stimmt oder nicht: Unbestreitbar hat sie mehr als alle Politiker zusammen den Klimawandel in den Köpfen der Menschen, vor allem junger Menschen, als eine Herausforderung verankert. Die größte Herausforderung wird sein, Menschen dieser Generation dann, wenn sie mehr eigenständige ökonomische Möglichkeiten haben werden, auf Kurs zu halten. Wer könnte das besser tun als Greta Thunberg? Sie wird denselben Prozess durchlaufen wie alle in dieser Generation, mit etwas Glück verstehen, was die anderen umtreibt und wenn sie auf Kurs bleibt, könnte es vielleicht einmal besser laufen als einst mit den Grünen. Von deren Idealen ist gerade noch übrig, sich ein bisschen gegen die Kernkraftlaufzeitverlängerung zu wehren, rein symbolisch, weil sie sich selbst in eine Falle zwischen gemäßigter Ökogesinnung und Bellizismus gesetzt haben.
Wir empfinden Greta Thunberg als Bereicherung und das haben wir auch mit unserem Abstimmungsverhalten ausgedrückt. Wir sind nicht blind für Probleme, die es auch bei ihr und mit FFF gibt, aber wo gibt es sie nicht? Wichtig ist bei Fehlern, dass es das Falsche im Richtigen ist, und nicht, wie in der Politik an so vielen Stellen, umgekehrt oder gar das Falsche im Falschen, wie etwa bei den Neoliberalen. In Relation zur etablierten Politik vermittelt Greta Thunberg wesentlich mehr Hoffnung und Aufbruch, obwohl sie eine Warnerin und Mahnerin ist.
TH