Zur Chronik von Grieshuus (DE 1925) #Filmfest 926

Filmfest 926 Cinema

Zur Chronik von Grieshuus ist ein deutscher Spielfilm von Arthur von Gerlach aus dem Jahre 1925. Als Vorlage zum Film diente die gleichnamige Novelle von Theodor Storm aus dem Jahre 1884.

Die Rezension, die Sie im Anschluss lesen werden, stammt aus dem Jahr 2015, wir hatten uns den Film damals bei Arte angeschaut. Mittlerweile sind wir tiefer drin in der deutschen Stummfilmgeschichte, wissen aber trotzdem quasi nichts über Arthur von Gerlach. Es kommt daher, dass er nur zwei Filmprojekte verwirklicht hat, „Vanina“ (1922) und „Zur Chronik von Grieshuus“. Beide werden aber zu den wichtigeren Filmen ihrer Zeit gezählt. Mehr über unsere Eindrücke von dem Film steht in der Rezension.

Handlung (1)

Schloss Grieshuus kurz vor 1700 in Holstein: Der alte Burgherr hat seinen älteren Sohn Hinrich zu seinem Erben erkoren, während der jüngere Sohn Detlef in die Stadt gezogen ist, um dort Jura zu studieren. Eines Tages wird die Tochter des Leibeigenen Owe Heiken, Barbara, die von allen nur Bärbe genannt wird, von marodierenden Soldaten überfallen. Im letzten Moment kann Hinrich sie vor den Übergriffen retten.

Der junge Mann verliebt sich in die schöne Frau und will sie heiraten. Sein Vater ist jedoch strikt dagegen, er betrachtet die Schwiegertochter in spe als unstandesgemäß und will Hinrich notfalls enterben. Es kommt daraufhin zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn, bei der der Vater stirbt. Dieser unerwartete Tod hat einen erbitterten Kampf der beiden ungleichen Brüder um das Erbe zur Folge. Detlev beansprucht, ganz im Sinne des verstorbenen Vaters, nunmehr das Anwesen Grieshuus mit all seinen Ländereien für sich allein. Er versucht mit allen Mitteln, Hinrich und Bärbe auseinanderzubringen. Doch Bärbe ist inzwischen schwanger und erleidet durch die Streitereien und Aufregungen eine Frühgeburt. Während das Kind überlebt, stirbt Bärbe.

Junker Hinrich erschlägt daraufhin seinen Bruder Detlev und flieht in Panik. Das Neugeborene, ein Junge namens Enzio, wird von den Dienern auf Schloss Grieshuus liebevoll großgezogen. Doch Detlevs Witwe Gesine versucht, ganz im Sinne ihres erschlagenen Mannes, Grieshuus an sich zu reißen. Gesine will Enzio entführen. Da kehrt Hinrich eines Tages unerkannt in seine alte Heimat zurück. Schließlich gelingt es ihm, seinen Sohn aus den Händen Gesines zu entreißen und ihm das Erbe zu sichern. 

Rezension

Theodor Storm also. Zu dem haben wir durchaus eine Beziehung, weil „Der Schimmelreiter“ Schullektüre war und auch die Verfilmung von 1934 wurde  uns damals gezeigt. Wie „Der Schimmelreiter“ ist „Zur Chronik von Grieshuus“ eine düstere Novelle aus dem Spätwerk von Storm, auch wenn der Sohn offenbar übrigbleibt – was filmisch gar nicht so eindeutig umgesetzt ist, aber wir haben’s ja nun nachgelesen. Warum Grieshuus dennoch verwaist und verfallen ist, als der Wanderer aus dem 19. Jahrhundert (der Zeit, in welcher die Novelle entstand) es erreicht, erfahren wir nicht. Der Rahmen ist auch nicht geschlossen – der Mann, den wir anfangs sehen, kann sich gewiss nicht persönlich an die hier beschriebenen Ereignisse erinnern, die aus seiner Warte über 150 Jahre in der Vergangenheit liegen, welche also ist seine Position? Die von Storm selbst, und der Film schafft durch diese Figur eine epische Distanz zur eigentlichen Handlung. Kompletter wäre die Struktur, wenn er uns am Ende auch erzählen würde, was geschah, nachdem der Hinrich seinem Sohn das Erbe von Grieshuus gesichert hat. So, wie sie ist, lässt sie mehr übrig für die Fantasie des Zuschauers. Man spürt trotz des differenzierten Endes deutlich, dass ein schweres Schicksal über diesem Haus lasten wird, nach den Todesfällen, die sich in den Jahren ereignet haben, in denen die Handlung spielt.

Der Film ist in sechs Akte unterteilt und ist womöglich auch ein „Sixreeler“, insgesamt beachtliche 110 Minuten lang – was allerdings schon während der 1920er in Deutschland kein technisches Problem mehr darstellte.

Anmerkung 2024: Mit 110 Minuten müsste er 7 Rollen gehabt haben, sodass die Einteilung der Akte nicht rollengenau war, wie in vielen anderen Filmen. 

Filme wurden seinerzeit sogar schon als Mehrteiler verfilmt, wie etwa Fritz Langs Nibelungen-Film, der etwas zur gleichen Zeit Premiere feierte wie „Zur Chronik von Grieshuus“ – und der, gemäß dem Stoff, den er bearbeitet, wesentlich bekannter ist als die Storm-Adaption, die 2005/2014 für die Friedrich W. Murnau-Stiftung restauriert wurde. Natürlich, wie bei den meisten deutschen Filmen aus der Zeit vor 1930, gibt es keine letztgültige, vollständige Version und man bemüht sich, durch immer neue Erkenntnise und Funde von Filmschnipseln der ursprünglichen Fassung so nah wie möglich zu kommen. Daraus resultiert trotz der Aufarbeitung mit modernster Technik eine Unterschiedlichkeit der Bildqualität, die auch in „Zur Chronik von Grieshuus“ zu bemerken ist – Bildpassagen mit relativ guter Tiefenschärfe und Plastizität wechseln mit stark flimmernden, flach wirkenden Szenen, deren Material zudem stärker abgenutzt wirkt.

Dass der Film in die USA exportiert wurde, ist sicher, das gilt aber auch für alle bedeutenderen Stummfilme deutscher Herkunft, besonders, wenn sie von großen Gesellschaften wie der hier ausführenden UFA mit oftmals beträchtlichem Aufwand hergestellt wurden. Die UFA war durchaus in der Lage, mit den Hollywoodstudios zu konkurrieren und die Notwendigkeit zur Synchronisation, die im Tonfilm den Export nicht-englischsprachiger Filme zunächst bremste, gab es noch nicht. Lediglich die Zwischentitel mussten ausgetauscht werden.

Die  Zwischentitel sind in „Zur Chronik von Grieshuus“ zwar in Fraktur und daher braucht man zum Lesen ein wenig mehr Zeit als üblich, aber sie sind nicht sehr lang und fügen sich  harmonisch in die Handlung ein. Die Handlung selbst ist für deutsche Verhältnisse rasant und aktionsreich, es gibt viele Schicksalsmomente, es kommt zu dramatischen Auseinandersetzungen, einmal sogar in einer Kirche – einer der eindrucksvollsten Momente des Films – und zu plötzlichen, unnatürlichen Todesfällen aufgrund von zu starker Aufregung oder durch eine Tötungshandlung. Im Grunde ist dies ein richtiges Hollywood-Melodram, bereichert um die wundervolle Landschaft der norddeutschen Heide und mit fantastisch in sie eingebetteten Bauten. Dass der Film kein Happy End hat, steht seiner in gewisser Weise amerikanischen Handlungsführung mit ihrem hervorragenden Rhythmus aus lyrischen und dramatischen Momenten nicht im Weg. Vielleicht hätte Hinrich in einem Hollywoodfilm überlebt und hätte seinem Sohn das Reiten beigebracht, aber die großen Melodramen zeichneten sich auch in Hollywood oft durch einen unwiederbringlichen Verlust, in diesem Fall den von Bärbe, aus.

Der Film wäre noch stimmungsvoller und grandioser, wenn nicht zwei irritierende Aspekte ihm ein wenig von seiner Wirkung nehmen würden. Zum einen hat man bei der Restaurierung die Geschwindigkeit nicht angepasst, sodass die Bewegungen der Charaktere auf die typisch ruckige und zu schnelle Weise ablaufen, die man mittlerweile aus vielen Stummfilmen eliminiert hat, weil sie im „richtigen“ Tempo wiedergegeben werden. Gedoppelt wird dieser etwas hektische Eindruck, der so gar nicht zur Welt des Theodor Storm passt, dadurch, dass die Schnitte oftmals sehr hart sind, vielleicht mitverursacht dadurch, dass einzelne Filmmeter oder kleinere Stücke fehlen, jedenfalls weniger elegant, als man das bei vielen anderen Filmen der 1920er durchaus schon beobachten kann. Auch die Tatsache, dass die Szenen dadurch und überhaupt, oftmals nicht „ausgespielt“ wirken, ist gerade für einen hiesigen Film nicht typisch, denn das manchmal exzessive Auskosten von Situationen ist gerade dem deutschen Expressionismus doch sehr eigen. Allerdings ist „Zur Chronik von Grieshuus“ trotz seiner Baulichkeiten ein gutes Stück naturalistischer als viele Filme, die 1920 und in den folgenden zwei bis drei Jahren entstanden waren. Es gibt selten hochdramatische Nahaufnahmen, die Verwendung von Licht, Schatten, die Komposition und die Symbolik dominieren nicht über die Handlung oder bestimmen nicht ihren Verlauf. Auch in dieser Hinsicht wirkt der Film recht „amerikanisch“.

Die Dominanz der Herkunft von Menschen, die Wichtigkeit des Grundbesitzes, könnte man für abendländisch halten, doch dass die Missachtung von Standesunterschieden, die sich Kinder bei der Partnerwahl erlauben, zu Enterbungen führen können, ist nicht unbedingt ein Kennzeichen des deutschen 17. Jahrhunderts und der Anerbenregelung, die in Norddeutschland ohnehin gegolten hätte, auch wenn der Herr von Grieshuus sie nicht testamentarisch bestätigt hätte. Normalerweise wäre ohne Testament der Besitz sowieso an den älteren Sohn gefallen.

Der Sinn dieser Erstgeborenen-Privilegierung war es, die Ländereien zusammenzuhalten, während beim süddeutschen Modell der Realteilung zwar alle etwas erbten, dafür aber auch ein Flickenteppich von kleinen, eigenständig nicht mehr existenzfähigen Parzellen entstand. Die Logik besagt, dass man das durch Heirat ausgleichen konnte, sofern auch Frauen erbberechtigt waren, sie besagt aber auch, dass im Norden mit jedem Generationenwechsel größere Einheiten und Höfe entstanden, während die meisten leer ausgegangenen Nachkommen sich bei solchen mit Grundbesitz verdingen mussten und dadurch „unfrei“ wurden. Heute wirken die sozialen Verhältnisse, wie wir sie in „Zur Chronik von Grieshuus“ sehen, so antiquiert, weil sie die Menschen hier motivieren und die Handlung steuern. Aber dass ein Standesdenken – heute eher: Anspruchsdenken – aus der Welt wäre, lässt sich nun wirklich nicht behaupten. Insofern ist die Nachvollziehbarkeit des Geschehens unproblematisch, der darin zum Ausdruck kommende Materialismus, der bis auf Bärbe alle Figuren kennzeichnet, und der Hinrichs Verbindung mit ihr als ein Opfer der Stellung und des Wohlstandes zugunsten des kleinen Glücks erscheinen lässt, sowieso.

Schauspielerisch wird das, was wir sehen, adäquat, aber nicht so umgesetzt, dass die Darstellungen hoch individuell, ja unersetzlich wirken. Das liegt am erwähnten, eher aktionsorientierten Filmstil, der es nicht zulässt, dass das Theaterhafte im deutschen Kino sich breiten Raum verschaffen kann. Das Pantomimische hiesiger Kinotradition mit seinen Vorzügen und Nachteilen wird in „Zur Chronik von Grieshuus“ nicht sehr gepflegt. In gewisser Weise wirkt der Film durch diese eher zurückgenommene Spielweise der Darsteller aber moderner, unserer Medienrezeption des 21. Jahrhunderts näher als in einigen Hauptwerken deutscher Kinokunst der 1920er. Das ist insbesondere deshalb interessant, als Regisseur Arthur von Gerlach vom Theater kam und nur zwei Filme gemacht hat, letzterer war „Zur Chronik von Grieshuus“, bevor er noch im Jahr der Uraufführung früh verstarb.

Finale

„Zur Chronik von Grieshuus“ war seinerzeit beim Publikum erfolgreich, was gewiss an seiner gut nachvollziehbaren Handlung, der schönen Landschaft und den in sie gestellten, passenden Bauten liegt – aber auch daran, dass mit Lil Dagover einer der größten weiblichen Stars des deutschen Kinos die Bärbe spielte. Wir haben zwar konstatiert, dass der Film eher handlungs- als schauspielerorientiert wirkt, aber die Anwesenheit von Dagover, die für Fritz Lang und Friedrich W. Murnau vor der Kamera stand, die mit dem Starter des Expressionismus „Das Cabinet des Dr. Caligari“ berühmt wurde, hat der Storm-Verfilmung sicher nicht geschadet, zumal sie in ihrer Rolle eben doch sehr präsent wirkt – auch in diesem  Zusammenhang wollen wir die Kirchenszene hervorheben, den Moment, in dem sie, von ihrem Mann mit dem Brautschmuck ihrer Mutter ausgestattet, dem Gottesdienst beiwohnt und die Loge der Familie besetzt. Hinrichs Bruder Detlef und seine Frau, die etwas später erscheinen, können daher nicht in der Loge Platz nehmen und ziehen gedemütigt von dannen. Diese Sequenz leidet auch nicht unter der zu hastigen Schnittfolge, die wir oben angesprochen haben, sondern besitzt alle formalen Insignien eines großen Schlüsselmoments.

Anmerkung 2 / 2024: Ich habe „Zur Chronik von Grieshuus“ nie gelesen und weiß daher nicht, was Thea von Harbou als Drehbuchautorin zum Gepräge des Films beigetragen hat, aber ihre Handschrift war bekanntermaßen sehr kräftig und in der Lage, jede Handlung ins Kolportagehafte rutschen zu lassen. Das merkt man sogar den Meisterwerken ihres Mannes Fritz Lang an. Das Spektakuläre an dem Film könnte durchaus auch ihrem Einfluss zu verdanken sein. 

Aber nachdem ich mittlerweile viele wichtige Zeit aus den Jahren bis 1925 kenne, bin ich mehr denn je erstaunt darüber, wie das Blut- und Boden-Thema sich im damaligen Film breitmachte, geechot nach dem Zweiten Weltkrieg im Heimatfilm. Auch die Filme F. W. Murnaus aus den frühen 1920ern wie „Der brennende Acker“ sind sehr mit dieser Thematik befasst  und im Grunde selbst bei einer progressiven Einstellung zur Sache nicht gerade modern. Ob dabei das Trauma des Bodenverlusts am Ende des Ersten Weltkriegs eine Rolle spielte?  Ob man auch ausdrücken wollte, es ist besser, sich auf Liebe und Emotionalität als auf den Acker zu verlassen, weil Letztere vielleicht sogar beständiger sind als das Land? Auch Filme anderer Länder pflegen diese Ideologie aber, gerade in den USA kam das im klassischen Melodram deutlich zum Ausdruck („GWTW“, „Giganten“ und andere, vor allem Western). 

Im Grunde ist dies alles noch heute relevant, wenn man Landbesitz allgemein durch Kapitalbesitz ersetzt oder Ersteren in Letzteren einordnet, und es gibt viele Länder, in denen freie Partnerwahl noch immer nicht üblich ist, zumindest nicht unter Hochgestellten. Wenn man genauer hinschaut, gilt das sogar für westliche Länder in gewissen Kreisen, mit Erweiterungen und Ausnahmen. So gesehen, kann man „Zur Chronik von Grieshuus“ auch klassenpolitisch sehen und interpretieren. Der Regisseur, der selbst aus Norddeutschland und offenbar aus dem Adel stammt, wird einen Zugang  zum Thema gehabt haben. Ein interessanter Film, wenn auch nicht einer der bekanntesten aus jener Zeit, nicht einer der „Namen“, die jeder Filmfan kennt.  Die Besetzung ist, von Lil Dagover abgesehen, gar nicht so prominent.  Der damalige deutsche Film hatte so etwas wie einen inneren  Zirkel von 30 bis 40 männlichen und etwa 20 weiblichen Darsteller:innen, die fast alle Großproduktionen beglänzt haben, von denen oftmals mehrere in einer davon mitgewirkt haben, von ihnen ist hier nur Dagover zu sehen, Gertrud Welcker ist ebenfalls ein recht bekannter Name.

Die übrigen Darsteller in „Zur Chronik von Grieshuus“ waren vor allem Theaterschauspieler, die immer wieder einmal Abstecher zum Film machten, nicht in erster Linie Filmstars.

71/100

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)

(1), kursiv und tabellarisch: Wikipedia

Regie Arthur von Gerlach
Drehbuch Thea von Harbou
Produktion Erich Pommer
Musik Gottfried Huppertz
Kamera
Besetzung

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