Deutschlands größte Herausforderungen? Kommt darauf an, wen man fragt (Statista + Kurzkommentar: Blick aufs Parteienspektrum und die Zuordnungen links, mittig, rechts) | Briefing 538 | PPP Politik Personen Parteien Gesellschaft

Briefing 533 PPP, Gesellschaft, wichtigste Themen, Inflation, Einwanderung, Wirtschaft, Wohnraum, Kriminalität, Umwelt, Klima

Wirklich überraschend ist die folgende Statistik nicht, die wir in diesem kurzen Artikel besprechen: Welche Probleme oder Herausforderungen für Deutschland die wichtigsten sind, wird unterschiedlich beantwortet. Je nachdem, wo im politischen Spektrum man angesiedelt ist. Trotzdem lohnt sich der Blick. 

Was sind Deutschlands größte Herausforderungen?

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Was sind Deutschlands größte Herausforderungen? Die Statista Consumer Insights zeigen, dass die Antwort auf diese Frage auch davon abhängt, wo sich die Befragten politisch verorten. Bei einer Sache sind sich indes alle weitgehend einig, Inflation und Lebenshaltungskosten sind das wichtigste beziehungsweise zweitwichtigste Thema. Auch Gesundheit und soziale Sicherheit schaffen es bei allen Lagern in die Top 5 der Herausforderungen. Darüber hinaus gib es eine Reihe Bereiche, die mindestens zwei politische Richtungen zu den wichtigsten Problemen des Landes zählen, wie Wohnraum (Links, Mitte), Einwanderung (Mitte, Rechts) oder wirtschaftliche Situation (Mitte, Rechts). Aber es gibt auch eine Reihe deutlicher Unterschiede. Einerseits in der Gewichtung, wie etwa das Beispiel Einwanderung zeigt. Oder insofern, dass die Themen Klimawandel und Umwelt nur bei Befragten, die sich eher links einordnen, in den Top 5 zu finden sind. Dagegen schafft es Kriminalität nur auf der rechten Seite des politischen Spektrums in die Spitzengruppe.

Wie eingangs erwähnt, überraschend ist die unterschiedliche Gewichtung von Themen nicht. Und natürlich  muss man etwas berücksichtigen, was man auf der Grafik nicht sieht. Vielleicht ist ein Thema, das bei einer Gruppe nicht unter den Top 5 ist, an sechster Stelle oder an siebter und erreicht fast eine genauso hohe Punktzahl. Dass wir dieses Mal nicht mit Zusatzinfos dienen, liegt daran, dass wir mal ein wenig Werbung für Statista machen wollen, denn die Umfrage ist eine von Statista selbst, sie fußt nicht auf allgemein zugänglichen Fremddaten, die wir weiter auschecken könnten. Wir verwenden von dem Unternehmen so viele gemeinfreie Grafiken, dass wir uns hier bescheiden und sagen. Wir können uns den recht teuren Zugang nicht leisten, der zu den Consumer Insights führt, aber vielleicht haben Sie ja einen oder wollen mal hineinschauen. Also bleiben wir bei dem, was man oben sieht. 

Was ist Ihr Weltbild? Angesichts der Tatsache, dass wir uns heute Morgen schon mit einem Großthema auseinandergesetzt haben, kommentieren wir das, was wir sehen, jetzt nicht sehr ausführlich. 

Zum Beispiel die Tatsache, dass die Priorisierung von Themen nicht heißen muss, dass auch alle die gleichen Ansichten dazu haben. Soziale Sicherheit wird links, in der Mitte und rechts ziemlich unterschiedlich verstanden. Die Priorisierung von Klima und Umwelt links weist hingegen auf eine gewisse Zusammenhanglosigkeit im Denken hin, denn Wirtschaft kann nicht ohne diese beiden Themen gedacht werden bzw. die Befassung mit ihnen führt immer wieder auch zu Wirtschaftsthemen. Nun könnte natürlich links die wirtschaftliche Situation auf Rang sechs stehen, sogar mit mehr Punkten als in der Mitte, weil links insgesamt etwas mehr Punkte vergeben werden und daher die Liste schon bei 43 endet, nicht mit 40, wie in der Mitte. Trotzdem ist die Unterrepräsentation dieses Themas symptomatisch und spiegelt sich darin, dass die Grünen einen Wirtschaftsminister installiert haben, der die geringsten Wirtschaftskenntnisse aller bisherigen Personen auf dieser Position aufweist, zumindest formal gesehen.  Rechts hingegen scheint man insgesamt weniger Probleme zu sehen, wenn man die Punktzahlen mit denen Links vergleicht. Das hätten wir jetzt nicht gedacht, denn angeblich steht Deutschland kurz vor dem Untergang, wenn man der AfD zuhört. Nur das Einwanderungsthema sticht etwas heraus. 

Was sich aus der Grafik auch nicht ersehen lässt: Was wird als mittig, was als links und was als rechts definiert. Wo ist die Grenze? Sind Grünwähler links? Das würden wir so einheitlich nicht bestätigen wollen. Vermutlich werden CDU-Anhänger:innen zur Mitte gerechnet, auch das stimmt nichts, einige ticken sehr wohl rechts, inklusive der Parteispitze. Was von dort mittlerweile kommt, ist für uns nicht mehr mittig, sondern rechtspopulistisch. Uns will es anhand dessen, was die Grafik zeigt, scheinen, als ob link und mittig relativ weit nach rechts ausgedehnt werden, sodass für rechts nur AfD-Anhänger:innen übrig bleiben würden.  Oder das Schema wurde nicht nach Parteipräferenzen erstellt, sondern erfolgt aufgrund einer Selbsteinschätzung. Es liefe aber auf die gleiche Verschiebung hinaus. Was viele Leute noch als mittig bezeichnen, gerade bei sich selbst, ist in Wirklichkeit rechts, wenn  man zum Beispiel nur das Grundgesetz und seine aktuelle Handhabe nimmt, die vielen zu sozial ist, die sich selbst als Mitte ansehen würden. Die Verfassungswirklichkeit selbst ist aber schon ziemlich rechts im Vergleich zu den Möglichkeiten und Intentionen, die mit dem Grundgesetz gegeben sind bzw. waren. Die meisten Menschen haben vermutlich keinen Begriff davon, dass alle relevanten politischen Parteien in Deutschland im Political Compass, der vier große ideologische Richtungen unterscheidet (links-libertär, rechts-libertär, links-autoritär und rechts-autoritär) alle im rechten oberen Feld (rechts-libertär) angesiedelt sind, eine Ausnahme bildete die Linke als links-libertäre Partei, die aber auch in den letzten Jahren dichter an dieses eine von vier Feldern herangerückt ist. 

Überraschend gering waren dabei vor allem die Abstände zwischen der Union, der FDP und der AfD. Das macht die AfD nicht besser, aber die anderen schlechter. Sie verkaufen uns ein Bild von sich, das keiner näheren Analyse von „Mitte“ standhält, wenn man das gesamte mögliche politische Spektrum anschaut, das in der Wirklichkeit der Bundesrepublik auf ein einziges von vier Feldern verengt ist. Immer auf die im Bundestag vertretenen Parteien bezogen, nicht auf alle Wahlmöglichkeiten, mit denen man aber seine Stimme verschenkt, wenn es die Fünfprozent-Hürde gibt. Es hat auch mit dieser Hürde zu tun, dass sich das politische Spektrum nicht wirklich erweitert bzw. keine Parteien richtig wachsen können, die nicht so mainstreamig rechts sind. Sie liegen oft unterhalb der Wahrnehmungsgrenze.

Die Fünfprozent-Hürde wurde aus Angst vor einer erneuten Fragmentierung des Parteiensystems à la Weimarer Republik eingeführt, weil die Schwäche der Mitte-Parteien den Aufstieg der Nazis mit ermöglicht hat und weil Hitler eine Rede gehalten hat, in der er sich über die Klientelparteien als Gegenmodelle zu seiner „Volkspartei“ lustig gemacht hat. Gerade die Tatsache einer heute viel mehr ausdifferenzierten Lebenswirklichkeit und so vieler unterschiedlicher Weltanschauung macht es fragwürdig, ob die Fünfprozent-Hürde weiter aufrechterhalten werden sollte. Viele wählen Parteien, mit denen sie nicht wirklich stark übereinstimmen, weil sie ihre Stimmen nicht verschenken wollen. Selbst dieses Verschenkungsnarrativ könnte man hinterfragen, aber wir denken gerade daran, dass wir auch so ticken. Deswegen werden wir wohl bei der Europawahl eine Partei wählen, die uns nicht besonders nahesteht, die auch in dem erwähnten rechten oberen von vier Feldern des Political Compass angesiedelt ist, aber wenigstens nicht ganz rechts steht.  Wir weisen aber auch darauf hin, dass gerade die Europawahlen grundsätzlich anders organisiert sind: Schon ab etwa 0,45 bis 0,6 Prozent Zuspruch kommt eine Partei in Deutschland zu einem Sitz im Europaparlament. 

TH

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