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Briefing 552 EU, Europaparlament, Europawahlen 2024, Unzufriedenheit, Wahl-O-Mat vor Staatstragung

Liebe Leser:innen, nun haben wir also gewählt. Und erstmals wird es an einem Europawahltag eine Artikelserie in Form von Live-Updates geben. Damit drücken wir aus, wie wichtig uns diese Wahl ist. Schon zuvor haben wir eine ganze Reihe von Beiträgen zur Wahl publiziert. [1]

Heute schreiben wir in Form eines persönlichen Interviews und fangen gleich mit der wichtigsten Frage an. Welche Partei haben wir gewählt?

Die exakte Antwort muss bis nach dem Schließen der Wahllokale warten. Aber letztlich habe ich mich an meinem Wahl-O-Mat-Ergebnis orientiert. Das Gewissen meldet sich durchaus, denn es geht ja um den Erhalt von Europa, aber das Gewissen hätte sich auch gerührt, wenn ich eine Partei gewählt hätte, die beim Wahl-O-Mat irgendwo in der Mitte zu finden war, nur, um besonders staatstragend zu sein. Letztlich bin ich unzufrieden und solange ich nicht nach rechts drifte, erlaube ich mir auch, das in der Wahl einer Partei auszudrücken, die gegenwärtig nicht im Bundestag vertreten ist und es aller Voraussicht nach auch nach der Wahl 2025 nicht sein wird. Mainstream zu wählen, ist per se kein Ausweis von irgendwas, außer mainstreamig zu sein.

Das Wahldilemma wurde u. a. in den in  einer Fußnote erwähnten Artikeln ausführlich beschrieben? Wo liegt die Kompromissgrenze?

Ich habe bisher nie eine Partei gewählt, mit der ich weniger als 70 Prozent Zustimmung beim Wahl-O-Mat hatte, seit es dieses Modul gibt, und bis zur Wiederholungswahl AGH Berlin 2023 hatte ich etwas wie eine politische Heimat, die auch bei dieser Auswertung immer recht weit oben auf der Liste stand. Diese Partei stand iauch dieses Mal recht weit vorne, mein und deren politisches Mindset hat sich ja nicht stark verändert, aber ich bin so massiv enttäuscht darüber, was dort intern geschehen ist, dass es einfach nicht mehr ging. Bei der Europawahl 2019 habe ich sie übrigens auch nicht gewählt, sondern einer linken Kleinpartei meine Stimme gegeben. Europa scheint auch bei mir mehr das Experimentierfeld zu sein, zumal die Partei, die ich heute gewählt habe, sicherlich genug Stimmen erhalten wird, um den einen oder die andere Abgeordnete ins EU-Parlament zu schicken. Dazu werden etwa 0,45 bis 0,65 Prozent der Stimmen in Deutschland erforderlich sein. 2029 wird es vermutlich eine Hürde geben, auch wenn sie wohl nicht bei 5 Prozent liegen wird, wie bei Bundestags- oder Landtagswahlen.

Hätte ich „staatstragend“ gewählt im Sinne der Ampel, hätte ich auf jeden Fall einer Partei meine Stimme geben müssen, mit der ich 61, 56 oder gar nur etwas über 40 Prozent Übereinstimmung hatte. Da endet bei mir die Kompromissfähigkeit, letztlich habe ich mich also dagegen entschieden, mich so weit zu verbiegen, nur damit bloß nichts Schlimmes mit der Demokratie passiert. Ich glaube, es wäre der falsche Weg gewesen, sie zu schützen, eine Politik zu unterstützen, die schlicht und einfach nicht für mich gemacht ist und viele, viele Menschen mit großer Sorge erfüllt. Eine Politik, die schlecht ausgeführt und schlecht kommuniziert wird.

Vielleicht  ein paar Worte zu der Partei, die dieses Mal wohl Wahlgewinner sein wird?

Um auch dies noch einmal klarzustellen, die Union ist es auch nicht, das ergibt sich aus der obigen Darstellung. Ich war mit einer befreundeten Person zusammen wählen, von der ich befürchtet hatte, dass sie vor lauter Wut und Ärger über alles die AfD wählt. Ich rechne mir das nicht als mäßigenden Einfluss zu, dass sie sagte, sie habe, wie früher, der CDU noch einmal ihre Stimme gegeben. Das habe ich nicht getan, denn die Union ist für die meisten Missstände im Land hauptsächlich verantwortlich, aufgrund ihrer langen, langen Regierungszeiten. Und einige ihrer Exponenten hetzen schlimmer gegen Schwächere als die meisten AfD-Politiker und tragen damit zur Spaltung der Gesellschaft bei. Unmöglich, diese Charaktere zu wählen und auch die Programmatik wird immer rechtslastiger. Die Spitzenkandidatin in Berlin hingegen kannte ich zuvor nicht einmal. Der Name war mir vollkommen neu, als ich ihn erstmals auf einem Wahlplakat las. Da hat die CDU wieder einmal bewiesen, wie nachrangig ihr Europa im Grunde ist. Die Namen der grünen Spitzenkandidaten fallen mir auch nicht ein, auch, weil sie nicht plakatiert wurden. Die der anderen Parteien sagten mir zumindest etwas, inklusive der wichtigsten Kandidat:innen des neuen BSW. Ich habe mir die Liste der Grünen nun nachträglich angeschaut. [2]  Es ist ja nicht so, dass ich nie politische Nachrichten lese, aber ich schwöre, keinen einzigen dieser 40 Namen kannte ich. Man muss wohl mindestens Parteimitglied sein, um sich zu diesen Personen ein Gesicht vorstellen zu können. Auch das war mal anders, da ich bisher aber hier keine Namen genannt habe, belasse ich es auch bei den Grünen dabei.

Es ist bei den Grünen doch Absicht, dass das Programm und nicht die Personen im Vordergrund stehen sollen. Deswegen gab es ja auch das Rotationsprinzip.

Das man aus nachvollziehbaren Gründen abgeschafft hat. In diesen aufgeregten Zeiten muss man etwas höher greifen, etwas mehr politisches Gewicht in die Waagschale werfen, wenn man sich ernsthaft europäisch-demokratieschützend bewegen will. Ich habe die Grünen ja in meiner ersten Zeit in Berlin gewählt, das war aber immer mit Namen verbunden, die bekannt waren und deren Träger:innen ich bis heute politisch und als Personen akzeptabel finde. Das hat ab 2016 nicht mehr gereicht, aber die Berliner Grünen stehen mir ohnehin etwas näher als die Bundespartei mit ihrem so schrecklich bürgerlichen Anstrich, den sie mittlerweile hat. Und mit zwei Bundesminister:innen, die immer im Fokus stehen und dabei eine Fehlerhäufung aufweisen, die auf dieser hohen Ebene einfach nicht geht. Der Kanzler hätte mindestens eine dieser Personen längst austauschen müssen, aber Korrekturen konnte er nur bei Handlungsbedarf in der eigenen Partei vornehmen, bisher in Sachen Verteidigung, die fragile Koalition durfte er nicht mit Ansagen an die anderen Partner belasten. Wie schädlich die wackelige Ampel für das Land ist, sieht man jeden Tag.

Nun warten wir ab, was sich ergebnisseitig abzeichnet und werden weitere interessante Fakten und Fragen besprechen. Sie haben alle noch fünf Stunden Zeit. Gehen Sie wählen, auch wenn Sie genervt von der herrschenden Politik sind, es ist wichtig, Europa ernst zu nehmen. Ernster, als einige Parteien es nehmen.

TH

 

[2] Die grüne Liste für die Europawahl 2024 – BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (gruene.de).

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