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Briefing 552 Update 8 EU, Europaparlament, Europawahlen 2024, Unzufriedenheit, Wahl-O-Mat vor Staatstragung, Absenkung des Mindestwahlalters, Wahlbeteiligung, Wer sind die Kandidaten (Ageordnetenwatch), Klima gegen rechts (Campact), Jugendwahl (SPD), Wählerwanderung, BSW, AfD, Jungwähler:innen, Demokratievertrauen, EU-Gesamtergebnis, Rechtstrend oder Rechtsruck, Berlin bei der Europawahl, Bezirke, Gesamtergebnis, Analyse der Jungwähler:innen-Ergebnisse, Ampeldownfall

Wir hatten versprochen, Europa nach der Wahl nicht direkt aus dem Blick zu verlieren, sondern weiter zu berichten. Mit Ergänzungen, aber auch mit Folgen und wie es nun weitergeht. Mit diesem Artikel starten wie insofern neu, als die bisherigen Updates nicht mehr anhängen, diese können Sie hier erreichen: UPDATE 7: So hat Berlin gewählt . An diesen Beitrag sind alle vorherigen seit dem Morgen des Wahltags angegliedert, Verweise auf Artikel vor der Wahl, die sich mit ihr befassen, finden sich darin ebenfalls.

Kurz nach der Wahl kam es zu einem Aufschrei, weil so viele junge Menschen die AfD gewählt haben. Wir hatten schon im Update 5 klargestellt, dass diese Zahlen zwar traurig sind, aber man sie doch im Zusammenhang sehen muss UPDATE 5: Sensation & Dank an die Jungwähler:innen. Zu dem Zeitpunkt sah es aus, als ob 17 Prozent der Erstwähler:innen die AfD bevorzugt hätten, nun sind es 16 Prozent geworden. Der Dank galt den übrigen 83 bzw. 84 Prozent. Es stimmt nach unserer Ansicht auch nicht, wie häufig kommentiert wurde, dass junge Menschen immer progressiver sind als der Durchschnitt. Es kommt auf den Zeitgeist an. Wir kennen das Drehen in die Gegenrichtung noch aus den 1980ern, als die CDU plötzlich viele Jungwähler:innen anzog, die eine Abkehr vom Geist der 1968er-Generation einleiteten. Damals verfingen die konservativen Spins der Union und der FDP prächtig. Jetzt liegt die Union bei den Jungwähler:innen ebenfalls vorne, wenn auch mit bescheidenen 17 Prozent. Hier die Ergebnisse bei den Erstwähler:innen im Einzelnen:

  • AfD: 16% der Stimmen
  • Union (CDU/CSU): 17% der Stimmen
  • Grüne: 11% der Stimmen (Verlust von 23 Prozentpunkten im Vergleich zu 2019)
  • SPD: 9% der Stimmen
  • FDP: 7% der Stimmen
  • Kleine Parteien: 28% der Stimmen, darunter:
    • Volt: 9% der Stimmen
    • Weitere kleine Parteien: 19% der Stimmen

Diese Ergebnisse zeigen, dass junge Wähler:innen in Deutschland bei der Europawahl 2024 eine starke Präferenz für kleinere Parteien und die AfD hatten, während etablierte Parteien wie die Grünen und die SPD deutliche Verluste hinnehmen mussten. Vor allem Grünwähler:innen waren schockiert und übten sich im Bildungsbashing gegenüber den Jungen, obwohl sie selbst vielfach nicht gerade politisch erstklassig gebildet sind. Es stimmt natürlich, dass auch die Ampelparteien eine Mitverantwortung für ihre eigene Niederlage tragen, weil die Bildung so nachlässt, aber das kann innerhalb von fünf Jahren nicht dazu geführt haben, dass die Grünen zwei Drittel weniger Stimmen von den Erstwähler:innen bekommen. Es ist nicht ganz die Altersklasse wie damals, weil dieses Mal schon ab 16 gewählt werden durfte. Gerade die Grünen versprachen sich von der Herabsetzung des Alters für das aktive Wahlrecht freilich, davon privilegiert zu sein, man sah sich als die genuine Vertretung der FFF-Bewegten. Diese sind sind jedoch mehrheitlich jetzt über 20 Jahre alt, vom Beginn der Bewegung an gerechnet, und teilweise enttäuscht von den Grünen.

Was haber hat zum relativen Erfolg der AfD unter Jungwähler:innen geführt?

  • Erfolg der AfD bei jungen Wählern: Die AfD hat bei den EU-Wahlen 2024 16% der Stimmen der 16- bis 24-Jährigen gewonnen und ist damit die zweitstärkste Kraft in dieser Altersgruppe. Dies ist ein signifikanter Anstieg im Vergleich zu früheren Wahlen.
  • Veränderung des Wahlverhaltens: Die Annahme, dass junge Menschen tendenziell progressiv wählen, wird durch diese Ergebnisse infrage gestellt. Die AfD hat sich als ernsthafte Alternative für junge Wähler etabliert.
  • Einfluss von Social Media: Ein wesentlicher Faktor für den Erfolg der AfD ist ihre starke Präsenz auf Social-Media-Plattformen wie TikTok. Die Partei erreicht dort eine große Anzahl junger Menschen durch emotional aufgeladene Inhalte, die hohe Engagement-Raten erzielen.
  • Zukunftsängste als treibende Kraft: Laut dem Politikwissenschaftler Constantin Wurthmann spielen Zukunftsängste eine entscheidende Rolle. Hohe Inflation und steigende Lebenshaltungskosten sind für junge Menschen drängendere Probleme als die Klimakrise, was zu einer Abkehr von den etablierten Parteien führt.
  • Protestwahl-Theorie: Die Theorie, dass junge Menschen aus Protest gegen die schwache Performance der Ampelkoalition die AfD wählen, greift zu kurz. Eine Studie zeigt, dass 72% der AfD-Wähler die politischen Forderungen der Partei unterstützen, während nur 28% aus Enttäuschung über andere Parteien stimmten.

Wir haben nun auch einen Tiktok-Account und noch gestern Abend hat uns jemand den Tipp gegeben, es auch mal mit Podcasts zu versuchen. Das wird vorerst aus Kapazitätsgründen nicht gehen, denn wir wollen die Inhalte ja auch ansprechen darbieten und nicht bloß vom Computer unsere Artikel vorlesen lassen. Aber was hier als politische Einstellung markiert wird, das halten wir noch nicht für verfestigt. Wäre das bei Jungwähler:innen schon so, dann hätten die Grünen nicht so dramatisch verlieren können.

Wie uncool die SPD ist, sieht man ebenfalls im ersten Infoblock, aber das ist ja nichts Neues mehr. Ihr bricht wirklich der Nachwuchs weg, während wir davon ausgehen, dass die Grünen sich wieder erholen können – insbesondere bei nationalen oder Landtagswahlen, wo die Europa-Partei Volt nicht so viele Stimmen wird einsammeln können. Wir finden es hingegen cool, dass die Jungen so experimentierfreudig waren und werden uns mit Volt in einem gesonderten Artikel befassen, weil wir über diese Partei noch nie geschrieben haben, obwohl sie viel länger atkiv ist als etwa das gerade erste gegründete BSW. Auch wir sind eben keine 16 oder 20 und haben uns vor allem auf den Niedergang und die Spaltung der Linken konzentriert, als es ums „Es-ist-zum-Verrücktwerden!“ ging. Junge Menschen haben solche Enttäuschungen zumindest auf politischer Ebene noch nicht wegzustecken, und das ist gut so.

Sie haben also durchaus progressiv gewählt, wenn man von dem FDP-Ergebnis und dem AfD-Ergebnis absieht. Der AfD haben sie ihre Stimmen genau im Durchschnitt aller Altersgruppen gegeben, die Liberalen fangen immer ein paar Menschen ein, die entweder tatsächlich Nachfahren von Privilegierten sind, also selbst privilegiert, oder sich von den Freiheitsversprechen locken lassen, die zu großen Ernüchterungen führen, wie man am Gesamtergebnis der Partei (4,3 Prozent) sieht. Und damit zu weiteren Fakten:

Basierend auf Suchergebnissen haben die kleineren Parteien insgesamt einen beträchtlichen Anteil der Stimmen bei den deutschen Erstwähler:innen (16-24 Jahre) bei der Europawahl 2024 erhalten:

  • Die restlichen 19% der 28 Prozent, die die Erstwähler:innen an die „anderen“ vergeben haben, verteilten sich auf weitere kleine Parteien.
  • Die Bundeswahlbehörde gibt an, dass die Parteien BSW 6%, Freie Wähler 2,7%, Die PARTEI 1,9%, Tierschutzpartei 1,4%, ÖDP 0,6% und einige andere kleine Parteien zusammen rund 2% der Stimmen erhielten.
  • In einigen Großstädten und Universitätsstädten konnte Volt laut Experten die Lücke füllen, die durch die Verluste der Grünen bei jungen Wähler:innen entstanden ist.

Die Welt entwickelt sich weiter und nicht alles ist schlecht. Schon vor der Wahl wurde von Kommentator:innen herausgehoben, dass Volt die erste paneuropäische Partei ist, die man in mehreren Ländern wählen konnte und deren Programm ziemlich schlau aufgebaut ist. Um eine Art Manifest herum, um Grundpositionen herum, wurden Punkte entwickelt, die damit übereinstimmen (sollen), aber an die nationalen Gegebenheiten angepasst werden konnten. Das ist die beste Lösung, die man auf der Ebene der Programmatik finden kann in einer EU, die bei den großen Themen gemeinsam handeln muss, aber trotzdem noch viele nationale Unterschiede kennt. Wir gehen deshalb auch davon aus, dass Volt nicht nur viele jüngere, sondern auch überdurchschnittlich gebildete Wählende angezogen hat, die im analytischen Bereich mehr können als der Durchschnitt.

Das ist eine andere Art von Zuspruch als der frühere Grünen-Hype, wir finden ihn anspruchsvoller. Denn die Grünen haben sich mit ein paar sehr plakativen Themen etabliert, die sehr emotional aufgeladen waren und immer wieder etwas gefunden, was diesem Muster entspricht. Nachdem der Atomausstieg klar war, ging es um den Klimaschutz. Mit ihrer Kriegsbegeisterung haben sie allerdings danebengegriffen und mit vielem, was sich Regierungspolitik nennt. Das ist sehr fern von dem, was man immer noch mit grün wählen verbindet und nicht zufällig sind die Grünen in diesem Punkt der FDP sehr nah.

Wir müssen heute aber auch ein Lob an die Alten aussprechen, auch wenn es um eine Kohorte geht, der wir auf absehbare Zeit noch nicht angehören werden: Nur 8 Prozent der über 70-Jährigen hat die AfD gewählt. In Ost oder West, diese Generation hat nicht versagt. Obwohl sie so dicht an der Kriegsgeneration dran ist, zumeist waren es deren Eltern, manchmal sogar sie selbst, lassen sie sich nicht von einer putinfreundlichen Scheinfriedensmasche der AfD einfangen. Diese Generation hat, wenn man der obigen Lesart folgt, die politische Bildung, die für eine Verfestigung demokratischer Ansichten notwendig ist. Sie ist allerdings auch schlichtweg weniger fluide, als es junge Menschen generell sind, das darf man nicht vergessen.

Es bleibt aber trotzdem ein Fakt, dass die Älteren sehr geholfen haben, die Demokratie zu festigen und ihren Niedergang zu entschleunigen. Sie mögen konservativer sein als die Jungen, aber sie sind seltener rechtsradikal als – der altermäßige Mittelbau. Die AfD hat ihren höchsten anteiligen Zuspruch nämlich nicht bei den Erstwähler:innen, sondern unter den 35- bis 44-Jährigen erzielt. Menschen mittendrin, sozusagen, die schon erfahren genug sind, um zu wissen, was sie tun und noch viel Zeit vor sich haben, die sie anscheinend gerne in einem autoritären Staat verbringen möchten.

Die ersten Nachwahlumfragen bestätigen insgesamt den Trend, den wir bei den Europawahlen gestehen haben und führen ihn fort. Das bedeutet, dass die Verlierer vom 9. Juni weiter verlieren. Das ist jetzt natürlich auch ein nicht ganz untypisches Echo, so kurz nach der Wahl. Man identifiziert sich nicht gerne mit Verlierern, zumal, wenn haufenweise geradezu dümmliche, jedenfalls aber völlig unzureichende Einlassungen von ihnen als Kommentierung der Wahlniederlage kommen. Wir wagen deshalb schon die Prognose, dass auch die Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern im September zu einem Drama für die Ampelparteien werden. Seit der Europawahl sind schon wieder sechs Tage verstrichen, in denen nichts, aber auch gar nichts geschehen lässt, was aufhorchen lässt und zu der Hoffnung Anlass geben könnte, man habe verstanden.

Den einzigen wirklichen Merker hat Kevin Kühnert, Generalsekretär der SPD, gesetzt, als er von „Kontaktschande“ sprach. Gemeint ist, die SPD wird nicht gewählt, weil sie mit den Grünen und der FDP regiert, die von vielen SPD-Wählern als weit weg von der Vertretung ihrer Interessen gesehen werden. Es wäre doch einfach. Die SPD erinnert sich an ihre Wurzeln, wird sozialdemokratisch und kann damit die Linke, die nicht mehr weiß, wo hinten und vorne ist, komplett verdrängen, auch das BSW einhegen und nebenbei ein paar doch noch sozial orientierte Wähler:innen von den Grünen abwerben. Ja, das schreibt sich so leicht, aber es geht nicht darum, Willy Brandts Wahlergebnis von 1972 zu reproduzieren, sondern erst einmal darum, wieder über 20 Prozent zu kommen.

Dafür muss die SPD dringend für junge Menschen attraktiver werden. Und das wird vorerst nicht passieren. Kanzler Scholz ist geradezu anti-jung in seinem gesamten Gepräge, und sonst hat die SPD kaum Schwergewichte und außer Kühnert niemanden aus der Generation, die man noch als altersmäßig nach unten anschlussfähig bezeichnen könnte und der einen vernünftigen Bekanntheitsgrad erlangt hätte.

Alles in allem sehen wir die Erst- und Jungwähler:innen nicht als eine politisch besonders problematische Altersgruppe an, dass sie dies nicht sind, haben sie am 9. Juni klargestellt. Sie sind natürlich Kinder ihrer Zeit und wählen nicht, wie frühere Generationen, häufig traditions- oder milieubewusst, früher nannte man das auch klassenbewusst, als die SPD noch eine Partei war, deren Politiker den Begriff Arbeiterklasse zumindest buchstabieren konnten.

Die SPD hat vor allem nicht den Umstieg hin zu einer Konzeptpartei geschafft. Nun könnten die gescheiterten Strateg:innen mal nachsehen, wie Volt & Co. den Eindruck vermittelt hätten, sie seien genau dies. Die ersten Einlassungen aus der Richtung seit dem Abend des 9. Juni geben wenig Anlass dazu, dies zu glauben. Es spiegelt sich auch im Größeren: Wo die Rechthaber Politik machen, wird nicht geschaut, was andere Länder besser können und was man davon auf deutsche Verhältnisse übertragen könnte. Junge Menschen finden Ältere grundsätzlich oft borniert, auch wenn das heute aufgrund einer anderen Erziehung nicht mehr ausgeprägt sein dürfte (oder sollte) wie zu unserer Jugendzeit. Aber Kanzler Scholz wirkt so. Und dann die Realpolitik. Er muss ständig seine Positionen anpassen. Prinzipiell ist das nicht so schlimm und gerade nicht borniert, aber er kann und kann es den Leuten nicht richtig erklären, weil die Rechthaberei sich natürlich ebenso auf wechselnde wie auf stabile Positionen stützen kann.

Die SPD hat nicht einmal 10 Prozent aller Erstwählenden erreicht. Das ist der Anfang vom endgültigen Ende und nichts sieht aus nach einer Wende.

Wir im Herbst sehen, ob die SPD wenigstens in allen drei Ost-Bundesländern (in Brandenburg sicher, in Sachsen und Thüringen nicht) die Fünfprozenthürde nehmen wird. Eine Kanzlerpartei die um den Wiedereinzug in Parlamente kämpfen muss. Wir haben ihr bei den Europawahlen letztlich doch nicht geholfen, und die Jungen im Osten haben nicht diese Bindungen an die Westparteien, das kann ganz, ganz übel ausgehen für genau jene.

Auch für die CDU/CSU, denn die (nicht) Christlichen haben bei den Europawahlen bei den Jungen 13 Prozent weniger an Stimmen geholt als im Gesamtergebnis. Das hätten wir beinahe vergessen. Auch Merz & Co. sind für junge Menschen sehr unattraktiv. Da fühlen wir uns gerade wieder richtig jung.

TH

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