Explosion des Hasses im Netz (Statista + Kommentar: Ein paar kurze Worte zur Gewalt) | Briefing 559 | PPP, Politik Parteien Personen, Gesellschaft #Hassrede und #Hetze #sozialeMedien

Briefing 559 PPP, Gesellschaft, Hassrede, Hass im Netz, Antragsdelikt, Offizialdelikt, Strafantrag, Straftat, politisch motivierte Gewaltverbrechen, Wort und Tat

Die Stimmung ist aufgeheizt, das dürfte jeder gemerkt haben. Wie sich das statistisch erfassen lässt? So zum Beispiel:

Wer ist für Hasspostings verantwortlich?

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Insgesamt 8.011 politisch motivierten Straftaten unter Nennung des Tatmittels „Hassposting“ hat die Polizei in Deutschland laut Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) 2023 registriert – das entspricht eine Steigerung um rund 136 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die häufigste Delikte waren Volksverhetzung (3.251 Fälle) und Beleidigungen (2.438 Fälle). Obwohl die BKA-Statistik nur einen geringen Teil aller Hasspostings abdeckt, zeigt die Statista-Grafik, dass sich das Klima im Netz in den letzten Jahren verschlechtert hat. Zum Vergleich: 2019 wurden lediglich rund 1.500 Hassposting-Fälle registriert.

Ein Großteil der Fälle, die von den Ermittler:innen zugeordnet werden können, entfallen auf den Bereich „Politisch motivierte Kriminalität rechts“. Der Beitrag des linken Spektrums fällt dagegen deutlich geringer aus, wie der Blick auf die Statista-Grafik zeigt. Indes fällt es den Beamt:innen offenbar immer schwerer, Fälle einer konkreten politischen Richtung zuzuordnen. Traf das vor fünf Jahren auf etwa elf Prozent der Hasspostings zu, waren es zuletzt 41 Prozent, 2022 sogar 50 Prozent.

Die Ermittler:innen kennen sich nicht mehr damit aus, aus welcher politischen Richtung die Hasspostings kommen, das ist kein gutes Zeichen. Und man soll auch gar keine Witze darüber machen, die vergehen einem spätestens, wenn man selbst Ziel von Angriffen geworden ist. Wie soll Hassrede verfolgt werden, wenn man sie nicht zuordnen kann? Möglicherweise sind auch neue  Kategorien gebildet worden, jedenfalls ist 2019 noch nicht „ausländische Ideologien“ und „religionöse Ideologien“ erkennbar gewesen und die stärkere Kategorisierung könnte sich negativ auf die Zuordnungsquote auswirken. Man hört auch sehr selten von Verurteilungen in diesem Bereich. Zumindest scheinen sie in den Medien kein großes Interesse zu erwecken.

Diclaimer: Wir sind zwar schon gebasht und rüde angegangen worden, aber noch nie bedroht, schon gar nicht mit dem Tod oder im Sinne einer Aufforderung zu einem Kapitalverbrechen. Wir sind zu unwichtig, das ist in diesem Falle ein Vorteil.

Die Menschen sind mittlerweile dermaßen sauer, dass sie jeden Anstand vergessen und der Lack blättert immer schneller ab von der Zivilisation und darunter kommt zum Vorschein, dass es gar keine Zivilisation gibt. So das Narrativ, welches ganz schwer en Vogue ist. Und schon wieder haben wir einem Vorteil, wir haben dem Zivilisationsanstrich auch nicht getraut, als es noch etwas ruhiger war.

Warum war das so? Die Anzeichen dafür, dass es gesellschaftlich rückwärtsgeht, sind alles andere als neu, die Beschleunigung ist das, was den Trend im Moment in den Fokus rückt. Es fällt jetzt auf. Es fiel eigentlich schon während Corona auf. Man beachte den prozentual ebenfalls großen Unterschied zwischen 2019 und 2020. Jetzt gibt es mehrere Krisen und äußerst kontroverse Themen auf einmal, deswegen möchten wir an dieser Stelle sogar mal etwas bremsen. So schlimm wie in der Zeit, die zur Machtübernahme der Nazis geführt hat, ist es noch lange nicht. Und daher auch nicht neu.

Und wie grausam Gesellschaften im Allgemeinen vor der Zeit der Aufklärung waren, kann jeder in den Geschichtsbüchern nachlesen. Nach der Aufklärung übten dann die aufklärten Staaten weiterhin Gewalt gegen Schwächere aus, weltweit.

Die Scheinruhe der gemütlichen BRD-Jahre im Zeichen des Kalten Krieges und der DDR-Elegie waren schon 1990 vorbei und alsbald brannten Asylbewerberheime. Dann beruhigte sich die Lage und die meisten kriegten sich wieder ein, mangels Angriffsläche. Was eben nicht aussagt, dass sie bessere Menschen wurden. Latent war diese Gewalt, vor allem jene von rechts, immer vorhanden und hat sich darin ausgedrückt, dass seit der Wende schon über 200 durch Rechtsextremismus verursachte Morde zu verzeichnen waren – hingegen kein einziger, der Linksextremen zugerechnet werden konnte. Nach dem Ende der RAF gab es keine „linken“ Morde mehr, sofern man die RAF als links bezeichnet, was wir aus linker Sicht anders sehen. Im Grunde war schon der „Herbst der Geflüchteten“ 2015 der Auftakt für das Wiederaufblühen der Gewalt und der immer härteren Gangart in den sozialen Medien. Die langsame Beruhigung wurde jäh von Corona gestört und dann seitdem hagelt es Krisen und immer mehr Menschen drehen durch.

Oder sie sind strategisch darauf ausgerichtet, den Diskurs nach rechts zu verschieben und immer mehr, was zu Recht unsagbar war, wieder sagbar zu machen. Und vom Wort kommt dann die Tat. Und wenn sich über das Wort niemand mehr aufregt, dann kommt es auch bald so bei der Tat. Dann wird es so viele Taten geben, dass ein einzelner Mord nichts mehr für großes Aufsehen sorgt, sondern nur noch Zahlen für Erschrecken sorgen. Stark steigende Zahlen – so wie jetzt bei den Hasspostings. Dass sich die verbale Gewalt nicht in reale Gewalt wandeln wird, glaubt wohl ernsthaft niemand.

Es sind immer Schritte, die gegangen werden. Und in einem Land mit einer so brutalen Geschichte wie Deutschland sind auch diese Schritte brutal. Weil viel mehr Menschen von einer bösartigen Mentalität besessen sind als es welche gibt, die aus der Geschichte wirklich gelernt haben. Die alten Traumata wirken weiter, zumal, wenn sie nicht einmal ansatzweise aufgearbeitet wurden, wie das in der DDR der Fall war. Man war eh der antifaschistische der beiden deutschen Staaten. Quatsch natürlich, wenn man es auf die Gesamtbevölkerung bezieht, und die politische Ideologie hat zudem dazu geführt, dass heute ein Gewaltregime wie das von Wladimir Putin für super befunden wird und man unbedingt einen Diktatfrieden, einen Gewaltfrieden dieses Regimes einem ehrlichen Kampf vorziehen möchte. Gewalt ist eben nicht gleich Gewalt. Nicht umsonst gibt es in jedem vernünftigen Strafgesetzbuch Rechtfertigungs- und Entschuldigungstatbestände, der wichtigste Rechtfertigungsgrund ist die Notwehr / Nothilfe. Notwehr ist, auf staatliche Ebene gehoben, die Situation der Ukraine, Nothelfer, das sind Staaten wie Deutschland.

Viele Friedensapostel hingegen sind uns schon während unserer Parteizugehörigkeitszeit als ziemlich autoritäre und autoritärer Gewalt zugeneigte Personen aufgefallen. Selbst das Label linksautoritär trifft es in dem Fall nicht, von wegen Gewalt als notwendige Begleiterscheinung des revolutionären Umbruchs, nein, es wird rechte Gewalt wie die von Wladimir Putin gutgeheißen. Und da trifft man sich dann mit der AfD und plötzlich wird die Hufeisentheorie doch real. Nicht bei der Richtung in der Linken, der wir uns zugehörig fühlen, aber bei den vielen „Links“-Autoritären, die es noch gibt. Sie haben kaum politischen Einfluss, das größte derzeitige Echo dieser Gruppe wird von dem neuen BSW produziert, aber darauf kommt man nur, wenn man die Interna ein wenig kennt.

Das Friedensdeckmäntelchen als Propagandainstrument gegen echte Gewaltfreiheit. Das ist schlimm und trägt genauso zur gesellschaftlichen Spaltung und Zerstörung bei wie rechte Gewalt, auch wenn es nicht zu Morden kommt. Es ist die unheimliche Koalition mit den Rechten, die in diesem Fall den Ausschlag für die Einstufung als gefährlich gibt. Es wird sich noch einiges weisen, auch bei der AfD, aber wir sehen im Moment keine Möglichkeit, Gewalt auf einer zivilgesellschaftlichen Ebene in den Griff zu bekommen, schon gar nicht in dieser sehr schwammigen Medienplattformenlandschaft.

Trotzdem muss im Einzelfall dagegen vorgegangen werden, da darf man nicht nachlassen. Man darf diese Dinge nicht nur statistisch betrachten, man muss die einzelnen Opfer hinter den Fallzahlen sehen. Und man hat eine schwere Kost zu verdauen. Was ist, wenn rechte Politiker Opfer von Gewalt werden, also das auf sie zurückschlägt, was sie selbst mit ihrer Hetze befördern? Ist es das Gleiche, wie wenn jemand zum Opfer wird, der immer durch einen korrekten, dezenten politischen Ton hervorgestochen hat? Rechtlich ist es klar: Hier ist Gewalt Gewalt, weil es keine Rechtfertigung gibt für ungebremsten Hass ohne Bedrohungsgrund. Aber ist es das auch ethisch? Sympathie ist immer einseitig oder doch meistens.

Das ist auch einer der Gründe, warum wir uns im neuen Wahlberliner, anders als in seinem Vorgänger, nicht mehr zu Gewalt und Terror anhand von konkreten Vorgängen inklusive Trauerbotschaften und dergleichen äußern. Weil es immer einseitig ist. Damals haben wir den Opfern islamistischen Terrors, vor allem in Frankreich, 2016 dann auch in Deutschland, unser Mitgefühl ausgedrückt. Jetzt hätten wir das Problem, wie wir beispielsweise im Gazakrieg verfahren sollen, angesichts der Tatsache, dass niemand vollkommen ausgewogen denkt. Schon gar nicht.  Das muss er auch nicht, außerdem gibt es weltweit so viel Gewalt, und wie ungerecht ist es, sich immer auf das konzentrieren, was in einer Form naheliegt – und wie sehr verständlich andererseits, menschlich, normal, unserer Kognition und den Grenzen unserer emotionalen Aufnahmebereitschaft entsprechend.

Es sollte uns aber nicht gleichgültig sein, was in der Gesellschaft passiert, in der wir leben und in der so viele Opfer von verbaler oder physischer Gewalt werden.

Vielleicht ist ein Teil der statistischen Zunahme von Gewalt im Netz, wie bei anderen Tatbeständen, die in den letzten Jahren einen offeneren Umgang erfahren, der Tatsache zu verdanken, dass mehr angezeigt wird. Aber unser Gefühl sagt uns, dass bei 8.000 Fällen das Meiste von dem, was man als Hassrede bezeichnen kann, eben nicht verfolgt wird. Ein paar Zuatzinformationen haben wir ebenfalls gesammelt, weil uns interessiert hat, wann der Staat von sich aus eingreifen muss und wann die Opfer Strafantrag stellen müssen, damit er tätig wird:

Die meisten Delikte, die Hass im Netz betreffen, sind keine Antragsdelikte. Die relevanten Straftatbestände sind in der Regel Offizialdelikte, die von Amts wegen verfolgt werden. Die wichtigsten Straftatbestände bei Hass im Netz sind:

  • Volksverhetzung (§ 130 StGB) – Offizialdel ikt
  • Beleidigung (§ 185 StGB) – Antragsdelikt, aber bei öffentlicher Beleidigung Offizialdelikt
  • Verleumdung (§ 187 StGB) – Antragsdelikt
  • Üble Nachrede (§ 186 StGB) – Antragsdelikt
  • Nötigung (§ 240 StGB) – Offizialdelikt
  • Bedrohung (§ 241 StGB) – Offizialdelikt 

Nur die Delikte gegen die Ehre wie Beleidigung, Verleumdung und üble Nachrede sind Antragsdelikte, die nur auf Antrag verfolgt werden. Bei öffentlichen Beleidigungen, z.B. in sozialen Medien, liegt jedoch ein Offizialdelikt vor. Die Strafverfolgungsbehörden können die meisten Hassdelikte im Internet also von Amts wegen verfolgen, ohne dass ein Strafantrag der Betroffenen erforderlich ist.

TH

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