Die Prüfung – Polizeiruf 110 Episode 267 #Crimetime 1223 #Polizeiruf #Polizeiruf110 #München #Tauber #Obermaier #BR #Prüfung

Crimetime 1223 – Titelbild © BR

Die Prüfung ist ein Fernsehfilm aus der Krimireihe Polizeiruf 110. Der für den Bayerischen Rundfunk produzierte Film wurde am 3. Juli 2005 erstgesendet. Für das Ermittlerduo Tauber und Obermaier ist es der 10. gemeinsame Fall, den sie zu lösen haben. Dabei haben sie den Mord an einem Finanzbeamten zu klären, was ihnen Einblicke in die scheinbare Ungerechtigkeit des deutschen Steuerrechts gewährt.

Was heißt bitte „scheinbar“? Zum Beispiel gilt im Steuerrecht das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot für belastende Gesetze nicht, und selbstverständlich ist das eine Ungerechtigkeit. Im Film wird das sehr gut dargestellt, anhand eines Ehepaars, das ein Grundstück veräußert, weil das Geld zum darauf Bauen nicht reicht. Zwischenzeitlich wurde aber die Spekulationsfrist von zwei auf 10 Jahre erhöht, sodass auch ein Verkauf nach 9 Jahren, der ganz sicher nicht aus Spekulationsgründen erfolgte, plötzlich in hohem Maße steuerpflichtig wird. Wir haben noch gut im Kopf, wie Oskar Lafontaine in seiner kurzen Zeit als Finanzminister 1999 diese Verlängerung der Spekulationsfrist eingeführt hat. Aus unserer heutigen Sicht grundsätzlich richtig, aber darf sie  auf Verkaufsfälle anwenden, die vor der Umstellung erfolgt sind? Ist es okay, damit Menschen finanziell zu ruinieren? Ist das nur eine scheinbare Ungerechtigkeit?

 Steuerrechtlich ist der Film überhaupt gut recherchiert. Und wie steht es um den Krimi? Dies klären wir in der – Rezension.

Handlung[1]

Der Steuerprüfer und Hobby-Alphornbläser Paul Wegemann wurde am Münchner Containerbahnhof erstochen aufgefunden. Bei ihren Ermittlungen im Umfeld des Opfers legt sich Jo Obermaier im Finanzamt mit dem Kollegen des Mordopfers an, dem extrem gründlichen Steuerprüfer Heinz Prebeck, der ihren Ehemann Tarik Yilmaz und seine Autowerkstatt daraufhin einer peniblen Steuerprüfung unterzieht und dabei erheblich über das übliche Maß einer normalen Prüfung hinausgeht, was Obermaier zu dem Schluss kommen lässt, dass eine Steuerprüfung absolut ein Tatmotiv sein könnte. So lassen sich Tauber und Obermaier die Akten über die aktuellen Prüfungsfälle des Opfers geben, in denen sie nach auffälligen Steuerzahlern suchen, die aus erlittenen Repressalien einen Grund für den Mord hätten. Als erstes stoßen sie dabei auf den Fahrlehrer Harry Schlögl, der nachweislich das Opfer in der Vergangenheit bedroht hatte, da er horrende Steuersummen für ein verkauftes Grundstück nachzahlen sollte. Ähnlich geht es Gregor Sertel, einem erfolgreichen Tennisspieler, bei dem eine Steuerprüfung angesetzt war.

Als die Tatwaffe auf dem ehemaligen Grundstücks von Harry Schlögl gefunden wird und er kein stichhaltiges Alibi besitzt, wird er vorläufig festgenommen. Tauber findet einen Hinweis auf einen Herrn Voss, der einen Tag nach dem Mord an Wegemann im Altersheim mit seinem Rollstuhl die Treppe hinab stürzte und seitdem im Koma liegt. Ehe er eine Aussage machen kann, wie er mit Wegemann in Verbindung stand, verstirbt er. Im Zimmer des Rentners entdecken die Ermittler Poster des Tennisspielers Sertel und einen Ordner mit detaillierten Angaben, wann und wo sein Idol in den letzten Jahren gespielt hatte. Möglicherweise hatte er aus irgendeinem Grund das Finanzamt informiert, sodass Wegemann anhand der Aufzeichnungen belegen konnte, dass, obwohl der Sportprofi in Monaco seinen Wohnsitz hat, er nachweislich die meiste Zeit in Deutschland gespielt hatte und daher den deutschen Behörden gegenüber steuerpflichtig gewesen ist. Tauber und Obermaier gehen der Vermutung nach, ob Wegemann bestochen werden sollte und das möglicherweise abgelehnt hat und deshalb beseitigt wurde. Dazu lassen sie die Bankbewegungen des Tennisspielers überprüfen und können dort auf verschiedenen Konten Bargeldabhebungen feststellen, die zusammen genau eine halbe Million Euro ergeben. So sind sie sich sicher, dass ihre Vermutung der versuchten Bestechung stimmt. Sie sprechen Sertels Manager darauf an, doch er leugnet und die Ermittler haben keinen Beweis für ihren Verdacht.

Tauber kommt zu dem Schluss, dass ganz offensichtlich jemand Harry Schlögl den Mord an Wegemann in die Schuhe schieben möchte, indem er die Tatwaffe auf dessen altem Grundstück deponiert hat. Schnell schließen sie auf Wegemanns Kollegen Prebeck, der als einziger wissen konnte, dass der Fahrlehrer Kunde von Wegemann gewesen war und dieses Grundstück mit ihm in Verbindung gebracht werden konnte. Als sie ihn festnehmen wollen, ist er empört und sichtlich überrascht. Er gibt an, dass auch sein Chef über Prüfungssachen informiert war und als Obermaier Rainer Haug darauf ansprechen will, ergreift dieser die Flucht. Mit einem dicken Umschlag unter dem Arm versucht er über das Parkdeck des Finanzamtes zu fliehen, wo er von der Polizei aufgehalten und festgenommen werden kann. Dabei zerreißt der Umschlag und zahlreichen Geldscheine flattern vom Dach des Finanzamtes.

Komödiantische Szenen ergeben sich aus der Situation, dass Tauber sich seine rechte Hand verletzt und er mit einem Verband agieren muss. Da er nur noch diesen einen Arm besitzt, kann er nicht wie gewohnt allein arbeiten, sondern muss sich bei vielen sonst selbstverständlichen Tätigkeiten helfen lassen. So fordert er einen Assistenten an, damit der für ihn die Ordnerseiten umblättert. Als er zur Toilette will, muss er den Assistenten bitten, ihm am Urinal Hilfestellung zu geben. Daneben rastet Obermaiers Ehemann nach tagelanger, nervender Steuerprüfung aus und jagt den Prüfer davon.

Rezension

Wie setzt man der grundsätzlichen Tatsache, dass Tauber einhändig ist, eins drauf? Indem er sich die andere Hand verletzt und im Grunde gar nichts mehr machen kann. Diese Drehbuchkalauer setzt Regisseur Eion Moore auf eine wirklich lustvolle Weise um und auch sein späterer Rostock-Poliizeiruf-Star Charly Hübner ist schon in die Gags eingebunden, die sich aus Taubers Nullhändigkeit ergeben. Es kommt vor allem auf die Umsetzung an, und die ist gelungen und für die 2000er sehr modern. Fürs Krimikomödiantische gab es damals im Westen ein Pendant zum München-Polizeiruf, der in der Regel damit nicht übertreibt, die fiktive Stadt Volpe, die vom WDR ins Leben gerufen wurde. Der Münchner Polizeiruf war damals aber gerade dabei, sich mit dem Team Tauber / Obermaier einen besonderen Ruf zu erarbeiten, der nicht darauf zielte, maximal witzig zu sein und dabei den Münsteraner Tatort womöglich zu toppen. „Der scharlachrote Engel“, der direkte Vorgänger, war zum Beispiel in einem ganz anderen Ton gehalten.

„‚Die Prüfung‘, das ist mehr Komödie als Krimi. Mit Ironie begegnen Autor Boris Gullotta und Regisseur Eoin Moore den Unverschämtheiten des Finanzamtes und lassen zwischenzeitlich den Mord an einem alphornblasenden Finanzbeamten fast vergessen. Lokalkolorit, Groteskes und hübsch angespitzte Dialoge dominieren über Großstadt-Ambiente. Die Charaktere bestimmen das Geschehen und Selge wie May sind mal wieder eine Klasse für sich.“ – Rainer Tittelbach: Tittelbach.tv[3]

Es gibt auch ein paar Wischer in den Darstellungen, die sind aber möglicherweise beabsichtigt gewesen. Die Absurdität des deutschen Beamtentums reizt auch zu solchen Darstellungen. Trotzdem war das für uns nicht nur lustig. Bei Taubers Problemen erinnerten wir uns an zwei schwere Fahrradstürze, einer davon verbunden mit einem Handbruch, der für die erste Zeit eine Schienung bedingt hat, wie wir sie bei Tauber sehen. Nur noch der Daumen war noch beweglich. Zum Glück hatten wir die andere Hand zur Verfügung und mussten lediglich eine Arbeitspause von 14 Tagen einlegen. Aber Tauber geht auch ohne gebrauchsfähige Hände zum Dienst, vielleicht, weil er nicht so viel in den Computer tippen muss und sich assistieren lassen kann.

Durch die beinahe unmögliche Art, wie er sich die Verletzung der rechten Hand zugezogen hat, wird man noch einmal auf etwas gestoßen, was man mit der Tauber-Erfahrung, die ich mittlerweile habe, schon als abgehakt ansieht: Die Idee hinter seiner Einarmigkeit, die darauf hinweisen soll, dass das Verbrechen immer beweglicher ist als diejenigen, die das Verbrechen jagen, dass eigentlich keine Waffengleichheit herrscht: Die Bindungen, die der Exekutive durch den Rechtsstaat auferlegt sind, begrenzen die Wirksamkeit der Verbrechensbekämpfung. Zu Recht, leider. Denn unter Polizeiübergriffen leiden schon jetzt zu viele Menschen, die nichts, wenig oder Dinge „verbrochen“ haben, über deren deliktische Statur man trefflich streiten kann. Zudem ist Tauber ein Einzelgänger, der im Alltag sofort außer Gefecht gesetzt ist, wenn ihm so etwas passiert wie in diesem Film. Kein Wunder, dass er lieber im Dienst verweilt, wo er Hilfe hat.

Und wo er seine Kollegin Jo Obermaier hat. Zweiarmig, familiär, eifersüchtig, emotional, genau das Gegenteil von Tauber, ohne dass die beiden so zwanghaft auf Gegensatz gebürstet wirken wie andere Ermittler-Duos. Irgendwie wirkt es bei den beiden authentisch, der Intellektuelle und Feinfühlige, der warum auch immer an diesen Job geraten ist und die fesche Urbayerin, die auch als Bedienung in einem Biergarten undercover ermitteln kann und dabei glaubwürdig rüberkommt. An ihrem Mann Tarik, der eine kleine Autowerkstatt betreibt, macht sich auch die Absurdität des Handelns der Finanzverwaltung besonders fest, aber mit einem wirklich zuckersüßen Ende, das leider nicht so realistisch ist: Tarik bietet dem Beamten seinen alten Opel Kadett an, mit dem dieser Kindheitserinnerungen verbindet. Selbst Finanzbeamte haben ihre wunden Punkte, wenn man die Stellen, an denen Emotionen in ihre Aktenordnerwelt eindringen, als solche bezeichnen kann.

Mich hat es nicht gestört, dass der Fall so verzwutzelt daherkommt. Es passt irgendwie, dass der dunklen Welt einer Behörde so viel Leben, so viel Fehlgehen, so viel Unbeholfenheit gegenübersteht, die letztlich doch siegt, sogar über einen Beamten im Finanzamt. Zuvor darf man sich irren, privat und ermittlungstechnisch, Aufgeregtheit, Eifersucht, Ärger über die Demütigung durch den Staat fließen zu etwas zusammen, was unbeeinflusste, coole Ermittlungen nicht mehr erlaubt, und es ist der Nullhändige, der Tauber, der letztlich für eine Beruhigung der Lage sorgt. Was soll er auch sonst tun, er kann ja niemandem mit der Faust ins Gesicht schlagen. Auch er regt sich hin und wieder auf, wodurch die Dienststelle zeitweise durch eine Figur geerdet wird, mit deren Darsteller der Regisseur noch Großes vorhaben wird: Charly Hübner spielt den Polizisten Kiesler, der Tauber dabei hilft, die Seiten umzudrehen und aufs Klo zu gehen. Ja, ganz frei von Möglichkeiten, sich zu ekeln, ist der Film nicht, vielleicht sollte man deshalb so einen Vorspann beifügen, wenn man ihn im woken Jahr 2023 ausstrahlt: „Für Zuschauer mit ästhetisch hohen Ansprüchen, die sich leicht – pardon – in die Hose machen, wenn es etwas deftiger wird, möglicherweise nicht geeignet“.

Die Zahl von Zuschauern, die das Deftige nicht verkraftet, nimmt aber in dem Maße ab, wie es Zuschauer gibt, die noch traditionell erzogen worden sind, mit einfach zu vermittelnden Konventionen im Stile von „Das tut man nicht oder das sagt man nicht“, die auch nicht weiter begründet werden mussten. Die Lust am Grenzübertritt ist heute sozusagen abgegessen, aber es bleibt, dass die Szenen einfach witzig gemacht sind. Die Inszenierung passt und damit passt das Meiste. Es ist eine sehr filmische Komik, weniger umständlich als in Deutschland noch heute üblich, ein reizendes Zusammenspiel aus verbaler Komik und Situationskomik bis hin zum Slapstick. Diese Spielart des deutschen Fernsehkrimis hat damals ziemlich um sich gegriffen, war aber nicht immer so gekonnt inszeniert wie hier.

Finale

Der Krimifaktor ist bescheiden, das Maß an Skurrilität groß. Wichtig ist, dass es etwas wie eine Handschrift des Films gibt, und die ist unverkennbar. Da hat man sich dezent ausgetobt und der ernste Hintergrund der Finanzamtsangelegenheiten wird für all jene spürbar gewesen sein, die mal eine Steuerprüfung hatten. Dass manche Kleinunternehmer ihre Quittungen nur informell in Schubladen und Kisten aufbewahren, scheint der Realität zu entsprechen. In der Regel stehen aber zwischen ihnen und dem Finanzamt Steuerberater, die etwas Ordnung reinbringen und natürlich auch eine Vorprüfung vornehmen, wenn es um die Absetzbarkeit von Sachen oder Eventteilnahmen geht. Ganz so ungleich ist das Duell mit dem Finanzamt in der Regel nicht, wie wir es hier an zwei schon fast tragischen Fällen gezeigt bekommen. Aber wie die Künstler der Steuerminderung arbeiten, das ist sehr wohl ganz realistisch und der Verweis auf Sportler, die in Deutschland Kohle machen und in Steueroasen wohnen, sehr wohl berechtigt. Wie die fancy Prostituierte belegt, kann man aber auch im Land bleiben und sich ganz viel ausdenken, was die Steuerbeiträge senkt. Fragen Sie mal Besitzer fremdgenutzter Immobilien, was da alles geht, ungerechterweise natürlich wieder. Wenn sie ehrlich sind, werden Sie hinterher staunen und als normale arbeitende Person ins Nachdenken kommen.

Falls der Film die Absicht hatte, das Publikum nicht nur zu erheitern, sondern auch zum Nachdenken zu bewegen: Bei mir hat er das geschafft, weil ich sofort mit selbst Erlebtem oder mit dem politischen Teil der Arbeit für den Wahlberliner assoziieren konnte. Einen gewissen Zugang zu den Themen sollte man schon haben, um das, was hier gezeigt wird, sowohl witzig als auch gruselig finden zu können.

Wenn man diesen Zugang nicht hat, bleibt aber immer noch das schöne Spiel und die gute Inszenierung und dass man sich nicht überheben muss, um der Krimihandlung zu folgen. Der Titel spielt natürlich auf die Finanzprüfung bei verschiedenen Unternehmer:innen an, bei Tarik kann man sie live in all ihrer Fitzeligkeit begutachten; er dürfte aber auch im übertragenen Sinne gemeint sein, nämlich auf die persönlichen Prüfungen, durch die die Ermittler durch müssen und dabei an den Rand des Nervenzusammenbruchs geraten. Alle bestehen ihre Prüfungen, sogar der Finanzprüfer selbst, als er mit dem Wackeldackel im alten Kadett glücklich zum Angeln nach Tirol ausfährt.

Wieder ein guter, ja sehr guter Münchner Polizeiruf.

8,5/10

© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2023)

Originaltitel

Die Prüfung

Produktionsland

Deutschland

Originalsprache

Deutsch

Länge

89 Minuten

Produktions-
unternehmen

Bavaria Film
im Auftrag des BR

Regie

Eoin Moore

Drehbuch

Boris Gullotta

Produktion

Veith von Fürstenberg

Musik

Kamera

Bernd Löhr

Schnitt

Dirk Göhler

Premiere

3. Juli 2005 auf Das Erste

Besetzung

 

[1], kursiv, tabellarisch: Polizeiruf 110: Die Prüfung – Wikipedia

 

 

 

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