SPD auf Bundesebene: Gut oder schlecht? (Umfrage + Leitkommentar) | Briefing 564 | PPP Politik Personen Parteien SPD Olaf Scholz

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Was halten Sie von der SPD, wie sie sich aktuell „auf Bundesebene“ zeigt? Sie stimmen ab, wir kommentieren. Sie können auch erst unseren Kommentar lesen und dann Ihr Votum geben. Die heutige Civey-Frage lautet: SPD auf Bundesebene: Gut oder schlecht?

Wie bewerten Sie den aktuellen politischen Kurs der SPD auf Bundesebene?

Der Begleittext aus dem Civey-Newsletter

Seit dem schlechten Abschneiden bei den Europa- und Kommunalwahlen wurden die SPD und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit viel Kritik konfrontiert. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil verteidigte den Kanzler dagegen und bezeichnete ihn in der ARD als unangefochtene „Nummer eins“, der das Vertrauen der ganzen Partei habe. Er forderte aber eine deutliche Verbesserung bei der Zusammenarbeit der Ampelkoalition. Andere stellen konkrete Forderungen nach einem Kurswechsel an die SPD. 

Ein stärkerer Einsatz für die arbeitende Mitte der Gesellschaft fordern etwa der ehemalige SPD-Chef Sigmar Gabriel und der Thüringer Landeschef Georg Maier (SPD). Gabriel rief seine Partei im Deutschlandfunk auf, sich auf diejenigen zu fokussieren, die arbeiten gehen und nicht an den Wohlhabenden. Zudem müsse die SPD stärker auf die Sorgen der Menschen eingehen – zum Beispiel beim Thema Migration. Auch SPD-Vizefraktionschef Dirk Wiese sprach sich Anfang der Woche im Tagesspiegel für einen restriktiveren Umgang bei Grenzkontrollen aus, um irreguläre Migration zu reduzieren. 

Andere Parteimitglieder führen das Wahlergebnis auf die Dreierkonstellation in der Bundesregierung zurück. Der linke Parteiflügel forderte die SPD laut ntv auf, mutig und entschlossen gegen die starre Sparpolitik der FDP vorzugehen. Die SPD müsse sich stärker auf den Markenkern konzentrieren und massive Investitionen im Sozialen wie Bildung und Gesundheit einfordern. SPD-Co-Chefin Saskia Esken hält einen stärkeren Fokus auf die Mitte ebenfalls für einen guten Ansatz. Sie wolle aber vor allem die soziale Infrastruktur und die Mechanismen des Sozialstaates stärken, sagte sie am Montag im Deutschlandfunk.

Unser Kommentar

Der obige Text liest sich stellenweise, als habe die SPD gerade angefangen, über die Richtigkeit ihrer Politik nachzudenken, weil die Europawahlen für sie schlecht ausgefallen sind. Stimmt, sie ist noch etwas hinter den Umfragen zurückgeblieben. Diese sahen die SPD kurz vor der Wahl bei 15 bis 16 Prozent, sie kam aber nur auf 13,2 Prozent. Unser Verdacht: Jede minimale Verbesserung gegenüber dem miserablen Ergebnis von 2019 (14 Prozent) wäre in der Kanzlerpartei als Sieg gefeiert worden. Eine Kanzlerpartei mit 14 Prozent, jetzt 13,2 Prozent. Dabei hat die SPD bei allen Wahlen nach der Bundestagswahl schlecht abgeschnitten und die „Sonntagsfrage Bund“ lässt nichts Gutes für die Bundestagswahl 2025 erwarten.

Da ist es umso erfreulicher, dass die SPD intern stabil ist und Kanzler Scholz die Nummer eins. Wer auch sonst, möchte man beifügen. Oder doch Verteidigungsminister Boris Pistorius? Nach unserer Ansicht kann man ihn bisher viel zu schlecht einschätzen, um eine Aussage darüber zu treffen, ob er der SPD wirklich helfen würde und, zumindest für uns viel wichtiger: Ob er das Land so führen würde, dass die Menschen wieder Vertrauen in die Politik gewinnen.

Sicher ist das auch eine Stilfrage, Olaf Scholz ist der falsche Mann, in diesen Zeiten. Das war bei der Bundestagswahl noch nicht so deutlich absehbar, obwohl schon im Vorfeld viel Kritik an seinem „Scholzen“ bestand und er großes Glück hatte, dass die Union einen extrem schwachen Kandidaten aufgestellt hatte. Wir haben es an anderer Stelle geschrieben. Gegen Markus Söder beispielsweise hätte Scholz die Bundestagswahl 2021 nicht gewonnen und wären die Grünen stärker geworden, hätte die SPD ebenfalls Schwierigkeiten gehabt, den Kanzler zu stellen.

Vor allem aber ist die SPD durch die unausweichliche Tatsache belastet, dass sie seit nunmehr 26 Jahren in der Bundesregierung vertreten ist, und die Dinge sich für die Mehrheit nicht mehr wirklich vorwärtsentwickeln und das Land nicht mehr wirklich stark ist. Ausnahme: Die Zeit von 2009 bis 2013, damals gab es eine Bundesregierung Regierung aus Union und FDP, nachdem Angela Merkel und die FDP jeweils ein gutes Wahlergebnis erzielt hatten.

Erst hat die SPD mit Kanzler Schröder Millionen von Menschen in die Armut getrieben und angefangen, die Infrastruktur zu ruinieren. Wenn wir noch einmal lesen, dass das gut für das Land war, müssen wir anfangen, an die betreffenden Journalisten kostenlos Dossiers „wirtschaftliches Grundwissen“ auszugeben.

Nein, so war es eben nicht. Diese Billiglohnheimerei hat vor allem der Innovationskraft des Landes geschadet und die Sozialkosten eben nicht wesentlich gesenkt, während die Staatsinvestitionen gesenkt wurden. Das Jobwunder, das Angela Merkel so gut zu verkaufen wusste, war bei Näherem Hinsehen eine Chimäre, die Zahl der angebotenen Arbeitsstunden nahm in den Schröder-Jahren und danach nur unwesentlich zu, mit immer wieder starken Einbrüchen in Krisenzeiten.

Von Schröder hat die SPD sich nie wieder erholt.

Aber sie hat auch in den CDU-geführten Regierungen kaum Akzente setzen können. Das einzige, was ein wenig nachwirkt, ist die auf Betreiben der SPD zustande gekommene Einführung eines nationalen Mindestlohns als Preis für eine abermalige GroKo ab 2013. Das vergessen wir nicht, aber es ist zu wenig und gerade in der Lage, die wir haben, läuft zu vieles schief, als dass man sich darauf ausruhen könnte.

Deswegen fällt es uns auch schwer, zu schreiben, Mensch, tut uns die SPD aber leid, was sie jetzt da alles wuppen muss, das ist ja geradezu unmenschlich. Einerseits ist die Ampel als Ganzes nicht dafür verantwortlich, dass diese Krisen aufkamen, die Unsummen kosteten oder kosten, während Corona hat sie die Regierung übernommen und konnte u. E. nicht mehr viel an den Gegebenheiten ändern. Und beim Ukrainekrieg hat man sich an den anderen westlichen Ländern, sprich, an den USA orientiert. Allerdings auch viel mehr getan für das angegriffene Land als andere, um dies hier auch noch einmal festzuhalten.

Aber jede der Ampelparteien für sich hat Anteile daran, dass zu lange zu wenig Zukunftsinvestitionen stattfanden. Die CDU/CSU, die Hauptverantwortlichen, sind zwar nicht mehr in der Regierung, aber die SPD hatte sich immer wieder breitschlagen lassen, deren Politik mitzutragen, anstatt auf Eigenständigkeit zu bestehen. Die Not-Groko nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen nach der Bundestagswahl 2017 war für uns der größte Fehler der SPD in der jüngeren Vergangenheit, auch wenn sie als einzige verbliebene Partnerin für eine Koalitionsbildung mit der Union den erwähnten Mindestlohn hat herausholen können.

Gerade aus Berliner Sicht muss man festhalten, dass die SPD für keinerlei nennenswerte soziale Verbesserungen gesorgt hat. Wir erinnern uns vor allem daran, dass sie die Wohnungspolitik in den Sand gesetzt hat, sowohl auf Bundes- wie auf Landesebene. Das wirkt nach. Wenn wir ein paar Schritte weiter auf Distanz gehen, sehen wir vor allem, dass die SPD keine Arbeiter:innenpartei mehr ist. Ihre Stammwähler:innen sind schon ziemlich alt, eher in Rente als in Arbeit, für Jüngere ist sie von allen größeren Parteien die unattraktivste, das hat sich bei der Europawahl gezeigt.

Wir erinnern uns, dass vor der Wahl in einem SPD-Forum jemand eine Umfrage gepostet hat, nach der die SPD „Jugendwahlen“ gewinnen würde. Wer diese Umfrage erstellt hat, spielt keine Rolle, jedenfalls war sie grundfalsch. Mit einer Art, wie Kanzler Scholz sie  zeigt, kann man die heutige junge Generation auch nicht vom Hocker reißen, wir meinen auch, das hätte früher ebenfalls nicht so richtig funktioniert, als die Jungen noch nicht so hippelig und etwas mehr politisch gebildet waren. In den 1980ern war in der Unionsjugend Kanzler Kohl mit seinem bräsigen Gepräge viel weniger beliebt als einige andere Politiker der Partei, viele der jungen Konservativen hätten es gerne gesehen, wenn der gescheiterte Umsturzversuch von 1987/88 funktioniert hätte. Konnte ja niemand wissen, dass Kohl durch die plötzliche Wiedervereinigung zu kaum mehr für möglich gehaltener Beliebtheit kommen würde.

Leider wird sich ein solches Ereignis nicht wiederholen, um der SPD und Kanzler Scholz zu unerwarteter Popularität zu verhelfen. Im Gegenteil. Eher besteht die Gefahr, dass weitere Krisen aufpoppen und die Regierung wirkt, als ob sie endgültig die Kontrolle verliert.

Jetzt haben wir ganz vergessen, das Zwischenergebnis zu referieren. Es ist schrecklich. Gerade mal 7 Prozent finden das Erscheinungsbild der SPD auf Bundesebene sehr gut, es gesellen sich etwa 8 Prozent hinzu, die damit leben können, ein paar Unentschiedene – aber 62 Prozent sagen: furchtbar, furchtbar, fruchtbar. Wir haben nur mit „oh je“ abgestimmt und sind bei den 15 Prozent, die „eher negativ“ eingestellt sind. Einige seiner politischen Positionen und Handhabungen halten wir Olaf Scholz durchaus zugute, aber es hat nicht einmal gereicht, um bei den Europawahlen letztlich die Ampel zu stützen, wir haben eine Kleinpartei gewählt, die bei uns im Wahl-O-Mat viel weiter vorne zu finden war als eine der drei Ampelparteien. Und es gilt, dass Kevin Kühnerts Neologismus „Kontaktschande“ zutrifft. Auch die Anwesenheit der FPD in der Ampel war für uns ein Hinderungsgrund, vielleicht hätten wir uns anders gerade noch so den Ruck gegeben, aus 13,2 Prozent 14,2 Prozent zu machen, denn bekanntlich zählt jede Stimme. Ein Scherz, wir bitten um Entschuldigung. Wir würden die SPD gerne stärker sehen, aber zu deren Schwäche kommt noch, dass es links von ihr keine vernünftige Alternative mehr gibt, und dadurch wird die gesamte Parteienlandschaft so rechts wie nie zuvor in der Geschichte der BRD.

Vor der Wende gab es links von der SPD noch die Grünen, die damals als links wahrgenommen wurden. Jedenfalls von allen außer ideologiegeprägten Kommunisten, also von fast allen. Die Grünen sind aber in die Mitte gerutscht und wurden jetzt dafür bestraft, denn da ist wenig Platz, wenn alle anderen Parteien ihre konservativen Elemente voll ausspielen, wie die CDU das im Moment tut. Das schreckt Grünwähler:innen ab, die noch etwas mehr soziales Gespür haben.

Es schreckt aber nicht so viele ab, wie sich von der SPD aktuell abgeschreckt fühlen. Bei den Europawahlen lief die SPD noch leicht vor den Grünen ein (11,9 Prozent), verlor auch nicht so viel gegenüber 2019 (9 Prozent waren es bei den Grünen, fast die Hälfte der Wähler:innen von damals). Aber die Ampel ist eben auch ein Paket und die SPD kann es nicht füllen, wenn die anderen nicht genug reinpacken, um eine Politik für alle oder wenigstens für eine Mehrheit liefern zu können.

Soll die SPD nun schärfer werden in Sachen Migration oder sich auf ihren sozialen Markenkern besinnen? Wir haben einen klaren Tipp, unabhängig von unserer eigenen Haltung in der Frage: Die AfD und die ihr nacheifernde Union wird die SPD in Sachen migratioinsfeindlicher Politik nicht überholen können. Selbst, wenn sie das inhaltlich täte, hätte sie sofort zwei sehr große Probleme. A.) Sie ist nicht das Original, das ist die AfD. B.) Sie muss das, was andere nur fordern, in reale Politik umsetzen, und das wird ihr nicht gelingen. Finger weg also von Rechtspopulismus!

Wenn sie aber die Rechte und die ökonomische Position der Arbeitnehmenden und der Armen stärkt, wird sie wieder mehr Zuspruch bekommen. Dafür muss sie sich unbedingt gegen die FDP, aber auch gegen diese ständig durchschimmernde Arroganz der Grünen stärker behaupten. Für Scholz ist die Zeit des dezenten Moderierens vorbei. Wenn er endlich offensiv wird, dann wird davon auch die Ampel profitieren, nicht nur die SPD. Kann er aber aus seiner Haut? Wir bezweifeln das. Er liest gewiss Umfragen, und wenn er es könnte und wollte, dann hätte er es längst getan. Wenn es ihm lieber ist, für sich selbst recht zu behalten, auch bei den „Lageanpassungen“, die es durchaus bei ihm gibt, dann muss er eben schon mal die Umzugskisten für den Auszug aus dem Kanzleramt bestellen. Falls er nicht die vom Einzug vorsichtshalber aufgehoben hat, das trauen wir ihm ebenfalls zu.

Scholz ist flexibler als er wirkt, das muss man als Politiker erst einmal hinbekommen, bei fast allen anderen ist es umgekehrt. Sie plaudern viel und bewegen sich wenig. Scholz hingegen hat in der Außenpolitik gezeigt, dass er eine klare Haltung hat, die gleichzeitig die erwähnten Lageanpassungen ermöglicht, und die heißt: Wir gehen immer so weit wie die anderen, sind immer vorne dabei, wenn es um Hilfe geht, aber wir eskalieren nicht mehr, als wir es bei vernünftiger Abwägung verantworten können. Wir glauben, Scholz ist der beste Verantwortungsethiker in der Bundesregierung und lassen dabei seine früherenVerstricken mal außen vor, sondern konzentrieren uns auf die Zeit seiner Kanzlerschaft.

Verantwortungsethik muss man aber viel offensiver erklären als wohlfeile Gesinnungsethik, wenn sie emotional ähnliche Wirkung erzielen soll. Dieses Problem, Verantwortung auch als Ausdruck von Gesinnung verkaufen zu können, haben alle Politiker, aber selten konnte jemand, der ein so wichtiges Amt innehat, mit dieser Kommunikationstechnik so wenig anfangen wie Olaf Scholz. Was für ein Pech, dass er gerade in einer Zeit regiert, in der diese Technik so wichtig ist wie nie seit der Gründung der BRD.

Nun könnten wir noch ewig über Sachfehler diskutieren, für die Scholz insofern – sic! – Verantwortung trägt, als er den fehlgehenden Fachminister:innen die Richtlinien der Politik vorgeben sollte und es nicht schafft, aber für heute schließen wir mit dem Ergebnis, dass wir bei einer positiver gestimmten Minderheit waren, als wir vorhin unseren Klick bei „eher schlechtes Bild“ machten, nicht bei „grottenschlecht“.

TH

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