Das 14. EU-Sanktionspaket gegen Russland ist beschlossen – mehr als Symbolpolitik? | Briefing 566 Europa, EU, Russland, Ukraine

Briefing 566 EU, Russland-Ukraine-Krieg, Sanktionen, Wirksamkeit, Ukraine-Dilemma

Der Krieg in der Ukraine ist mittlerweile zwei Jahre und 4 Monate alt. Sozsuagen zum Jubiläum des 28. Kriegsmonats hat die EU ein weiteres Paket von Sanktionen gegen Russland beschlossen – es ist nunmehr das 14. “Russia’s war of aggression against Ukraine: comprehensive EU’s 14th package of sanctions cracks down on circumvention and adopts energy measures.”[1]

Die Pressemitteilung des Europäischen Rats berichtet t über das 14. Sanktionspaket der EU gegen Russland aufgrund des Angriffskrieges gegen die Ukraine. Die wichtigsten Punkte sind:

  1. Neue Listungen: 106 Personen und 88 Einrichtungen wurden auf die Sanktionsliste gesetzt, darunter Personen und Unternehmen, die an der Umgehung von Sanktionen beteiligt sind.
  2. Maßnahmen gegen Sanktionsumgehung: Verschärfte Kontrollen und Meldepflichten für Unternehmen, die mit sanktionierten Gütern handeln.
  3. Energiesektor: Verbot des Imports von Flüssiggas (LNG) und strengere Vorschriften für den Technologietransfer im Energiebereich.
  4. Erweiterung der Exportverbote: Zusätzliche Güter und Technologien, die für Russlands militärische und technologische Entwicklung relevant sind, wurden auf die Liste gesetzt.
  5. Verschärfung bestehender Maßnahmen: Strengere Kontrollen für Dual-Use-Güter und Luxusgüter.
  6. Informationsaustausch: Verbesserte Mechanismen zum Austausch von Informationen zwischen den EU-Mitgliedstaaten und der Kommission.

Die EU hat mit diesem 14. Sanktionspaket erneut ihre Entschlossenheit gezeigt, Druck auf Russland auszuüben. Allerdings lässt sich die Wirksamkeit dieser Maßnahmen kritisch hinterfragen:

  1. Anpassungsfähigkeit Russlands: Trotz zahlreicher Sanktionspakete hat Russland Wege gefunden, sich anzupassen und die Wirtschaft zu stabilisieren. Dies deutet darauf hin, dass die Sanktionen möglicherweise nicht so effektiv sind wie erhofft.
  2. Umgehungsstrategien: Die Tatsache, dass die EU verstärkt gegen Sanktionsumgehung vorgehen muss, zeigt, dass es weiterhin Schlupflöcher gibt, die die Wirksamkeit der Sanktionen beeinträchtigen.
  3. Globale Unterstützung: Nicht alle Länder beteiligen sich an den Sanktionen, was Russland alternative Handelspartner und Wirtschaftsbeziehungen ermöglicht.
  4. Langfristige Auswirkungen: Während einige Maßnahmen kurzfristige Effekte haben können, ist es schwierig, die langfristigen Auswirkungen auf Russlands Wirtschaft und Politik vorherzusagen.
  5. Unbeabsichtigte Konsequenzen: Sanktionen können auch negative Auswirkungen auf die EU-Wirtschaft haben und die globalen Energiemärkte beeinflussen.
  6. Politische Wirkung: Es bleibt fraglich, ob die Sanktionen tatsächlich zu einer Änderung der russischen Politik in Bezug auf die Ukraine führen werden.

Insgesamt zeigt das neue Sanktionspaket zwar den anhaltenden Willen der EU, Druck auf Russland auszuüben, aber die tatsächliche Wirksamkeit bleibt umstritten.

Wir haben uns bereits kurz nach Kriegsbeginn kritisch zu den Sanktionen geäußert, zumal sie auch der deutschen Wirtschaft massiv schaden – und im Verlauf des Krieges darauf hingewiesen, dass Russlands Regierung immer neue Strategien findet, die Sanktionen zu umgehen und sich neue Handelspartner zu suchen, seine Rohstoffe woanders zu verkaufen als bisher und westliche Technologie durch asiatische zu ersetzen.

Die Sanktionen bremsten zunächst auch die russische Wirtschaft, das war an einem Rückgang des BIP im Jahr 2022 deutlich zu sehen. Dass dieser im Jahr 2023 fast wieder ausgeglichen werden konnten, ist vor allem der Umstellung auf Kriegswirtschaft zu verdanken. Nicht sichtbar wird dadurch, welche Einschränkungen Verbraucher:innen in Russland hinnehmen müssen, unter anderem in der Form, dass eine beachtliche Zahl beliebter westlicher Firmen den Export nach Russland eingeschränkt oder gestoppt hat, obwohl ihre Produkte nicht auf der Sanktionsliste stehen. Zudem war der Rohstoffexport Russlands zunächst nur mit Preisabschlägen möglich, da die neuen Handelspartner, etwa Indien, die Gelegenheit genutzt haben, dass Russland unter Druck steht, um günstige Preise für sich auszuhandeln – die unterhalb derer liegen, die langfristige und für beide Seiten ausgewogen vorteilhate Verträge z. B. mit Deutschland für Russland erbrachten.

Russland begibt sich in eine Abhängigkeit von ruchlosen Regimes wie dem des Iran oder Nordkoreas und natürlich besonders in eine subordinierte Stellung gegenüber China, die es auf lange Zeit verunmöglichen wird, dass Russland eine neutrale und eigenständige Rolle zwischen Ost und West einnehmen kann. Der Preis für den Ukrainekrieg ist für Russland hoch. Die Befürchtung, dass gerade deswegen kein Stopp des Krieges ins Auge gefasst wird, weil dieser Preis der eigenen Bevölkerung als sinnhaft dargestellt werden muss, liegt auf der Hand. Russland hat während des Krieges bereits eine ganze Reihe von neuen kriegsrelevanten Technologien entwickelt oder alte findig aufgerüstet bzw. angepasst für den aktuellen Einsatz in der Ukraine und versorgt sich bei seinen Verbündeten. Dieser Punkt trifft allerdings auch auf die Ukraine zu.

Wir hatten von Beginn an Waffenlieferungen als wirksamer erachtet als Sanktionen, weil andere Länder gezeigt haben, dass Sanktionen Regimes eher stabilisieren als einen Wechsel herbeiführen. Wenn die USA einen Regimewechsel in einem anderen Land wollten, hatten sie mehr Erfolg mit geheimdienstlichen Aktionen. Kuba wird seit der Revolution von 1959 sanktioniert, der Iran seit Jahrzehnten, selbst das bankrotte Regime in Venezuela hält sich über Wasser, obwohl hier die Sanktionen aufgrund dessen wirtschaftlicher Beinahe-Monostruktur hätten besonders wirksam sein müssen.

Der Westen läuft zudem Gefahr, dass er die technologische Entwicklung in anderen Ländern generell beschleunigt, die sich von westlicher Technologie unabhängig machen wollen. Die Gegenbewegung, den Einsatz vor allem von chinesischer Technologie in westlichen Produkten zurückzudrängen, gibt es ebenfalls. Diese Strategie wird Produkte auch für westliche Konsumenten verteuern und zudem Konflikte anheizen, weil eine nachlassende globale Handelsverflechtung Rücksichtnahmen auf wirtschaftliche Belange in den Hintergrund drängen wird. Diese Feststellung ist unabhängig davon, ob die Globalisierung bisher fair organisiert war – das ist nicht der Fall.

Wir glauben nicht, dass das neue Sanktionspaket wesentlichen Einfluss auf das Kriegsgeschehen in der Ukraine haben wird. Die mehr als bedenkliche Logik der Eskalation ist wichtiger als die Sanktionen: Der Westen könnte die Ukraine nur in der Form retten, dass sie ihr verlorenes Staatsgebiet zurückgewinnt, wenn er sich nach allen Maßstäben als Kriegspartei engagieren würde, also auch mit Truppen, die offiziell in der Ukraine kämpfen. Wir sind immer noch der Ansicht, dass der Westen das nicht riskieren wird.

Also bleibt das „Ukraine-Dilemma“ bestehen: Das Land im Stich zu lassen, würde bedeuten, dass Wladimir Putin sich weiteren „Aufgaben“ zuwenden, also andere Länder angreifen wird, wobei wir vor allem ehemalige Sowjetrepubliken als gefährdet ansehen, die nicht NATO-Länder geworden sind. Auch geopolitisch würde diese Variante als Niederlage des Westens gewertet und dessen Einfluss weiter mindern. Hält man die bisherige Strategie der sich ständig ausweitenden Unterstützung weiter durch, ohne den ganzen Weg zur Kriegspartei zu gehen, sondern erwirkt allenfalls ein temporäres Gleichgewicht zwischen russischen Möglichkeiten des Angriffs und ukrainischen Möglichkeiten der Abwehr, wird dieser Krieg sich weiter hinziehen und weitere Opfer kosten und für den Westen immer teurer werden, vor allem für die Länder, die, anders als die USA mit ihrer Rohstoff- und Rüstungsindustrie nicht ähnlichem Maße profitieren, wie sie sich engagieren. Die Lage ist festgefahren und es ist keine Friedensinitiative in Sicht, die daran etwas ändern könnte.

Dass die EU und die USA um ein Vielfaches wirtschaftlich stärker sind als Russland, wird gerne ins Feld geführt, auch wir haben das schon getan. Wir haben aber auch darauf hingewiesen, dass der Vergleich hinkt. Denn demokratische Länder können nicht ihre Wirtschaft so radikal auf Krieg umstellen wie Diktaturen, sofern sie nicht selbst angegriffen werden, außerdem ist die EU sehr vielfältig und nicht ein einzelner Staat. Sie wird nie so einheitlich vorgehen können wie der russische Diktatur Putin. Nicht nur gegenüber Russland, sondern vor allem gegenüber China ist das ein strategischer Nachteil, zumindest in der aktuellen Konfliktlage und der aktuellen Entwicklungsstufe von Technologie und Ökonomie weltweit. Langfristig kann das wieder anders aussehen, denn die Diktaturen und ihre rigiden Regierungen schaffen sich gegenwärtig auch Probleme, die weit in die Zukunft hineinreichen, wie zum Beispiel die exponentiell wachsende Verschuldung bzw. die Abnahme von Reserven oder die Unbeherrschbarkeit komplexer ökonomischer Vorgänge durch simple Regierungsanordnungen und damit das Entstehen von Folgen, die nicht vorhergesehen wurden.

Gerade die erheblichen Durchgriffsmöglichkeiten verführen dazu, Fehler zu begehen, die erhebliche mittelfristige Konsequenzen für die eigenen Ökonomien haben können. Besonders interessant wird es sein, dabei den chinesischen Weg zu beobachten, der weltweit einmalig ist: Eine der härtesten Ditkaturen versucht, immer rücksichtsloser gegenüber Dritten vorgehend, die stärkste Wirtschaftsmacht der Welt zu werden.

Selbstverständlich will die EU mit den neuen Sanktionen auch zeigen, dass sie weiterhin zusammensteht, wenn es um die Ukraine geht. Trotzdem beruhen sie auf Verständigung der EU-Länder und schon bei bisherigen Paketen gab es immer wieder Ausnahmen zugunsten einzelner Länder und Rohstoffe. Wir müssen sie im Wesentlichen als Symbolpolitik ansehen und die Bewertung hängt jenseits ihrer zweifelhaften Wirksamkeit auch davon ab, ob man diese Symbolik für relevant und in die richtige Richtung zielend hält.

TH

[1] Liebe Leser:innen, wir hatten ihnen versprochen, dass wir auch nach den Europawahlen vom 9. Juni mehr über Europa und die EU berichten wollen als bisher. Die Ergebnisse der Wahlen zeigen deutlich, dass mehr über  Europa schreiben notwendig ist, damit die Wichtigkeit des Themas verstanden wird und populistische (Anti-) Europa-Narrative unter die Lupe genommen werden können.

Angesichts unseres beschränkten Zeitbudgets wird das zulasten anderer Features gehen müssen. Wir werden den Tenor relativ sachlich gestalten, aber weiterhin Kritik üben, wo wir sie für angebracht halten. Unsere grundsätzlich pro-europäische Einstellung bedeutet nicht, dass wir nicht über Fehler der EU schreiben, die in ihrer aktuellen Verfassung für uns nicht gleichbedeutend mit dem Begriff „Europa“ ist. Der Ukrainekrieg wird uns dabei noch häufiger beschäftigen, obwohl wir uns lieber mit EU-innenpolitischen Themen auseinandersetzen und diese für Sie verständlich aufbereiten würden – um unseren kleinen Beitrag zum Verständnis der Union zu leisten und darzustellen, wie wir uns ihre weitere Entwicklung wünschen.

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