NATO-2-Prozent-Ziel für Verteidigungsausgaben dauerhaft erfüllen? | Briefing 569 | Geopolitik, Verteidigung, Rüstung, NATO

10 Minuten Lesezeit Briefing 569 Geopolitik, NATO, Zweiprozentziel, 2-Prozent-Ziel, Aufrüstung, Verteidigung, Boris Pistorius, FDP, Profiteure und Geschädigte

In den 2010er Jahren hatte sich die damalige schwarz-rote Bundesregierung bereits verpflichtet, das sogenannte 2-Prozent-Ziel der NATO zu erreichen. Die Rüstungsausgaben oder Verteidigungsausgaben sollen 2 Prozent des BIP eines Staates betragen.

Jahrelang hat Deutschland diese Marke deutlich gerissen, jetzt geht es hopplahopp, unter anderem durch das Bundeswehr-Sondervermögen (Sonderschuldenberg) von 100 Milliarden Euro, der schon wieder viel zu wenig sein soll. 2024 ist es nun so weit: Der Verteidigunshaushalt Deutschlands erfüllt insgesamt das 2-Prozent-Ziel. Und wie weiter? Darüber lässt Civey abstimmen:

Sollte Deutschland die Nato-Zielvorgabe dauerhaft erfüllen und langfristig zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben?

Der Begleittext aus dem Civey-Newsletter

Deutschland wird dieses Jahr erstmals das Zwei-Prozent-Ziel der NATO erreichen, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Konkret werden sich die Ausgaben auf 90, 6 Milliarden Euro belaufen, berichtete die Zeit letzte Woche. Schon Ende 2023 kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) deutlich höhere Verteidigungsausgaben an. „Wir werden dauerhaft diese zwei Prozent gewährleisten, die ganzen 20er Jahre über [und] die 30er Jahre”, sagte er auf einer Bundeswehrtagung. Den Kurswechsel begründete er mit der neuen weltpolitischen Lage, welche die deutsche Friedensordnung gefährde. 

Aufgrund dringend benötigter Gelder im Bundeshaushalt in anderen Bereichen wird der hohe Verteidigungsetat teils kritisiert. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), Verfechter der Schuldenbremse, machte nun allerdings deutlich, dass es keine Einsparungen für die Verteidigungsausgaben geben werde und Deutschland das NATO-Ziel dauerhaft erfüllen müsse. „Wir werden in den nächsten Jahren sogar mehr tun müssen für die Landes- und die Bündnisverteidigung”, sagte er letzte Woche im Deutschlandfunk. Stattdessen plädierte er erneut dafür, bei den Sozialleistungen zu sparen. 

Aus Sicht der Linkspartei führe mehr Geld für die Bundeswehr nicht zu mehr Sicherheit. Es wäre lediglich ein „Konjunkturprogramm für deutsche und vor allem US-Rüstungskonzerne”, kritisierte Linken-Abgeordnete Gesine Lötzsch im Bundestag. Letzte Woche hat der linke Flügel der SPD laut ZDF ein Mitgliederbegehren gegen die geplanten Kürzungen im Sozialbereich eingereicht. Darin fordert er Investitionen für bezahlbares Wohnen, den Klimaschutz und eine nachhaltige Infrastruktur. Die Initiator:innen hinterfragen zudem die Regierungsbeteiligung der SPD, bei der soziale Gerechtigkeit derart vernachlässigt werde und bringen ein vorzeitiges Ampel-Ende ins Spiel. 

Rezension

Sie kennen ja den Spruch: Man muss den Leuten nur lange genug etwas einreden, dann glauben sie es auch. Nur so kann es passieren, dass tatsächlich eine glatte Zweidrittelmehrheit ohne Wenn und Aber eine Fortschreibung des 2-Prozent-Ziels bis Ende der 2030er bejahrt, denn so ist die Frage zu verstehen. Wer von diesen Menschen will jetzt wissen, wie die Weltlage Ende der 2030er aussehen wird? Es wäre ja immerhin möglich, dass die Mächtigen zur Vernunft kommen. Nach einem kleinen Atomkrieg vielleicht, bei dem die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass es Deutschland danach nicht mehr gibt, zumindest wird es dann nicht mehr von Menschen besiedelt sein, die unzählige falsche Entscheidungen treffen, die dann zu Situationen wie der aktuellen führen.

Und natürlich wieder der Herr Lindner. Das bisschen Soziales, das es noch gibt, weiter zerstören, aber natürlich nicht die Reichen mehr besteuern, die am meisten von der Rüstung profitieren, die einen großen Boom erlebt. Als einzige Industrie in Deutschland, wir nähern uns insofern amerikanischen Verhältnissen an, was ja auch von der Politik gewollt ist. Leider muss man Lindner und seine Klientelpartei für Superreiche ernstnehmen, weil sie in der Bundesregierung sitzt und dort ihr Spaltungs- und Zerstörungswerk vollbringt.

Sie haben vielleicht noch die Chance, ihr Abstimmungsverhalten zu überdenken, wenn Sie uns lesen, daher ist auch dieser Artikel wichtig, der sich mit Lindner und der Steuerpolitik befasst, auch hier ging es um eine Civey-Umfrage.

Die FDP wird uns auch wohl nach einem Machtwechsel 2025 als Regierungspartei erhalten bleiben, denn offenbar erkennen immer noch viele Menschen ihre Funktion nicht und schicken sie nicht aus dem Bundestag heraus. Wenn sie weiterregieren wird, harmoniert sie natürlich mit der immer mehr rechtslastigen Union mit ihrem Ex-Blackrock-Lobbyisten an der Spitze bestens. Wahrscheinlich werden sich die Grünen dazu hergeben, diese unselige Regierung zu vervollständigen. Oder die SPD schießt sich selbst endgültig ab und es entsteht eine „Deutschland-Koalition“, die den meisten Menschen im Land massiven Schaden zufügen wird. Wie es schon die vielen GroKoen der letzten Jahrzehnte getan haben, nur wird dieser jetzt erst richtig sichtbar.

Das 2-Prozent-Ziel ist kein Selbstzweck. Wenn die Lage dafür nicht mehr gegeben ist, dann muss man es auch infrage stellen. Die Nachwendezeit war eine Lage, in der es nicht mehr nötig schien, auf dem bisherigen Niveau weiterzurüsten, das durch den Kalten Krieg entstanden war. Der Vergleich der NATO-Ausgaben mit den Ausgaben Russlands ist zwar Quatsch, weil er auf eine bemitleidenswerte Weise hinkt, deshalb konzentrieren wir uns auch eher auf Deutschland:

Wie konnte es passieren, dass die Bundeswehr bei einem Wehretat, der etwa dem von Frankreich und Großbritannien entspricht, so heruntergeritten werden konnte? Mit viel Geld Managementfehler zukleistern, das kann jeder, dafür braucht Boris Pistorius auch nicht zu beweisen, was er als Bundeswehr-Generalmanager draufhat. Wir würden gerne sehen, was sich tut, um die Effizienz der Streitkräfte zu verbessern, aber das werden wir wohl nie erfahren, denn alles geht unter im Geldrausch.

Wir haben mit „eher nein“ gestimmt, nicht mit „auf jeden Fall nein“. Für uns ist das 2-Prozent-Ziel kein Automatismus und muss immer wieder überprüft werden. Uns ist klar, dass der Kapitalismus noch eine Lücke gefunden hat, weil Deutschland und ein paar andere Staaten seine Rüstungsabteilung nicht genug gehätschelt haben, und selbstverständlich sind die Rüstungsindustrie und andere Mächtige daran beteiligt, Konflikte zu schüren, die dann mit viel Waffenbesitz entweder gerade noch vermieden werden oder doch eskalieren, wie in der Ukraine. Die Profiteure dieser Situation werden Putin jeden Abend ein Dankgebet dafür aussprechen, dass er das Risiko eingegangen ist, das Land zu überfallen, und den Politikern Westen ein weiteres dafür, dass sie so inkonsequent sind, nicht direkt gegen Putin anzutreten, sondern mit immer mehr Waffen versuchen, die Balance in einem Krieg zu halten, den die Ukraine auf diese Weise nicht wird gewinnen können.

Damit kann man die Waffenschmieden noch jahrelang auslasten, wie sich u. a. daran zeigt, dass die Munitionsproduktion geradezu vervielfacht werden muss,  um das, was in der Ukraine seit mehr als zwei Jahren verballert wird, zu ersetzen. Man hat ganz bewusst die Chancen für einen großen, andauernden Frieden nicht genutzt, die sich in den 1990ern geboten haben, und es zahlen wieder die Leute dafür, die nichts davon haben, dass die Lage so gefährlich geworden ist.

Von den zwei Dritteln, die hier bedenkenlos für eine Fortschreibung der Hochrüstung gestimmt haben, werden wiederum zwei Drittel merken, dass das zu ihren Lasten geht. Zum Beispiel, weil die Infrastruktur im Land weiter verkommt und weil sie nicht, wie das andere Drittel, die Möglichkeit haben, alles für viel Geld zu privatisieren, vor allem die Bildung ihrer Kinder und auch ihre Sicherheitsbedürfnisse.

Wenn man diese Zusammenhänge sieht, kann man nicht anders, als sich über das ärgern, was hier als ewige Notwendigkeit verkauft wird. Man hat sich die Suppe der aktuellen Konfliktlage eingebrockt und wird sie auslöffeln müssen, in Deutschland tut man das ja gerne bis zum bitteren Ende und frisst den Teller gleich mit, um sich  nachher über Bauchschmerzen zu wundern. Es ist komplett irrational, was hierzulande abläuft, und da sind sich Politiker und Wähler:innen einig, es soll so bleiben. Dies und nichts anderes drückt sich im aktuellen Stand des Abstimmungsergebnisses aus. Es wird sich vielleicht noch ein wenig verschieben, aber erfahrungsgemäß höchstens um zwei bis drei Prozent.

Richtigerweise begehren in der SPD nun einige auf und fordern, dass wegen der Rüstung nicht der Sozialstaat weiter heruntergefahren wird. Diejenigen, die jetzt für mehr Rüstung bis in alle Ewigkeit plädieren, dürfen hingegen nach unserer Ansicht gerne auch dafür zahlen, mit noch schlechterer Infrastruktur, noch weniger Zukunftsinvestitionen und noch höheren Abgaben an den Staat.

Wir betonen gerne, dass die Verteidigungsfähigkeit wichtig ist, aber das war’s denn auch. Wir sehen nicht die Notwendigkeit, schon jetzt Ausgaben dafür festzuschreiben, die vor allem dazu führen werden, dass der Schlendrian im Wehrwesen weiter anhalten wird und noch weiter ausgebaut werden kann, denn man hat’s ja. Wir sehen eine Schlagzeile der Zukunft schon voraus. Sie wird sich damit befassen, wie Boris Pistorius es sich leichtgemacht hat, weil seine Forderungen nach immer  mehr Geld für die Truppe immer erhört wurden. Die Neoliberalen fordern interessanterweise auch nicht mehr Effizienz, dabei sind sie doch immer die ersten, die nachschauen, wie man die Arbeitenden noch mehr unter Druck setzen kann, damit sie noch „effizienter“ im Sinne ihrer Herrscher sind. Kein Wort darüber im Zusammenhang mit den maroden Strukturen, welche die Bundeswehr plagen.

In diesen Ansprachen seitens der Politik ist schon wieder so viel Falsches drin, dass wir drauf und dran sind, künftig überhaupt nicht mehr mit „ja“ abzustimmen, selbst wenn wir etwas grundsätzlich für sinnvoll halten. Einfach, weil es nur ein kleines „Ja“ im großen „Nein“ dieser herrschenden Politik gegenüber wäre. Bei unserer Abstimmung zur Europawahl haben wir dies schon ausgedrückt und eine kleine, eher linke Partei gewählt, die nicht in die Verlegenheit kommen wird, sich realpolitisch so bloßzustellen, wie die Union, die SPD, die Grünen und die FDP es tun oder getan haben, als sie fast widerstandslos durchregieren konnten. Die Politik wird auch von den Ländern bestimmt, aber die Großen Koalitionen hatten immer Mehrheiten, weil die größten Parteien auch an allen Landesregierungen beteiligt waren und immer noch sind. Die Chancen, die diese Lage geboten hat, hat man nicht genutzt und jetzt sieht man die Zukunft nur noch in mehr Rüstung. Das ist ein staatspolitischer Bankrott, und wer rechnen kann, wird bemerken: Die Idee, die deutsche Wirtschaft durch die Hochrüstung wieder ins Laufen zu bringen, kann nicht funktionieren.

Denn noch haben wir keine US-Verhältnisse, wo die Rüstungsindustrie der wichtigste Exporteur das Landes ist und sich in vielen Bereichen keiner marktwirtschaftlichen Konkurrenz stellen muss. In Deutschland war das anders, aber es sinkt bezüglich seiner Wettbewerbsfähigkeit auf nie gekannte Tiefen ab, und daran wird die Hochrüstung nichts ändern. Insofern ist sie ein typisches Zeichen für einen niedergehenden Staat, der sich immer mehr militärisch definiert und nach innen immer rigider wird. Dabei braucht er das gar nicht. Die Mehrheit, zumindest wenn man das aktuelle Abstimmungsergebnis als repräsentativ ansieht, nickt schon jetzt bis 2030 ab, dass sie weiter geschröpft werden wird, weil die Politik die Mehrausgaben nicht gerecht verteilen wird.

Die Reichen zahlen in Deutschland die niedrigsten Realsteuersätze, wie wir in dem oben verlinkten Artikel aufgezeigt haben, und solange sich das nicht ändert, werden wir nicht immer weiteren Maßnahmen zustimmen, die die Mehrheit, also jene, zu denen wir gehören, (noch) ärmer machen wird. Schon gar nicht, wenn sie verrückterweise für mehr als 15 Jahre festgeschrieben werden sollen. Kanzler Scholz hält sich doch viel darauf zugute, dass er seine Ansichten der Lage anpassen kann. Eine solche Festschreibung ist das genaue Gegenteil von Anpassungsfähigkeit, und mit solchen Äußerungen geht ihm einer seiner letzten Vorzüge verloren, nämlich ein gewisser Pragmatismus, der hinter seiner mangelnden Kommunikationsfähigkeit und vordergründigen Rechthaberei durchaus zu bemerken war. Bisher. Keine Idee für die Zukunft, keine Mitnahmefähigkeit – und nun auch kein Pragmatismus mehr? Vielleicht ist es in dem Fall aber auch so, dass er sich denkt: Es ist gesagt, aber es steht in 15 Jahren vielleicht nicht geschrieben. Trotzdem müssen wir uns an dem orientieren, was aktuell geäußert wird, wenn wir bei Umfragen abstimmen.

TH

 

 

 

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