Die Wiederkehr – Tatort 939 #Crimetime26 #Bremen #Lürsen #Stedefreund #RB #Wiederkehr

Titelfoto © Radio Bremen, Jörg Landsberg

Die Sehnsucht nach einer Erhaltung der heilen Welt durch Lebenslügen kann nur zu Rissen in der heilen Welt führen

In ihrem 31. Fall löst die Bremer Hauptkommissarin Inga Lürsen mit ihrem Kollgen Nils Stedefreund das Rätsel um die Wiederkehr eines totgeglaubten Mädchens, die alte Wunden in einer Bremer Familie aufreißt und die versierte Polizistin in Zweifel an sich selbst treibt.

Dass die Bremer Tatort-Macher packend inszenieren können, haben wir verschiedentlich in unseren Rezension erwähnt. Bei den letzten Fällen sind dabei ganz unterschiedliche Ergebnisse herausgekommen, denn die Handlungen waren nicht immer überzeugend, darüber half auch die Regie- und Bildkunst nicht hinweg. Außerdem wissen unsere Leser, dass wir Inga Lürsen für eine ziemlich fordernde Person halten. Wie war’s dieses Mal mit der meinungsstarken Inga? Alles darüber steht in der -> Rezension.

Handlung

Das vermisste Mädchen Fiona Althoff steht nach zehn Jahren plötzlich vor seiner Familie. Die junge Frau erzählt, sie sei entführt und misshandelt worden.

Die Familie ist glücklich, ihre Tochter und Schwester wieder in die Arme schließen zu können, aber die Bremer Kommissare Inga Lürsen und Stedefreund sind skeptisch. Damals hatten sie das Mädchen nicht gefunden und den Vater als Mörder verdächtigt, woraufhin dieser sich das Leben nahm. Seine Frau Silke Althoff, die Mutter von Fiona, erhebt noch immer schwere Vorwürfe gegen Inga Lürsen.

Haben die Kommissare damals versagt? Inga Lürsen und Stedefreund nehmen die Ermittlungen erneut auf und stoßen zunehmend auf ungeklärte Fragen. 

Rezension

Dass die Bremer Tatort-Macher packend inszenieren können, haben wir verschiedentlich in unseren Rezension erwähnt. Bei den letzten Fällen sind dabei ganz unterschiedliche Ergebnisse herausgekommen, denn die Handlungen waren nicht immer überzeugend, und darüber half auch die Regie- und Bildkunst nicht hinweg. Außerdem wissen unsere Leser, dass wir Inga Lürsen für eine ziemlich fordernde Person halten.

Doch vom neuesten Tatort des RB gibt es frohe Kunde. Okay: Inga Lürsen kann ihre pathetische Art nicht ganz ablegen, die gehört einfach zu ihr, und da wir eher süddeutsch geprägt sind, müssen wir uns dieses leicht Abgehobene jedes Mal neu zurechtlegen. Aber bei dieser sehr ernsten Handlung, die eher von anderen Schauspielern als von der Lürsen-Darstellerin Sabine Postel viele Zwischentöne erfordert, während sie im Grunde sie selbst bleiben kann, passt es recht gut, weil sie die Gefahr, unangemessen humorvoll oder knuffig zu wirken, nicht besteht. Dafür gibt es genau zwei witzige Stellen mit Herrn Dr. Katzmann, dem bärtigen KT-Chef oder Rechtsmediziner. Das muss genügen und tut es auch, weil es den Film nicht von der Linie abbringt, aber doch ein wenig auflockert.

Gerne schimpfen wir auch über die Drehbücher, doch auch hier müssen wir dieses Mal anerkennen, es funktioniert. Sicher ist das Gesamtszenario sehr konstruiert, aber nach beinahe 1000 Tatorten und geschätzt 5000 sonstigen Fernsehkrimis und einer wahren Flut von Genreliteratur allein in den letzten Jahren kann man entweder nur noch leichte Abwandlungen bisheriger Fälle schreiben, an denen die ARD sowieso die Rechte hält und dabei in rechtliche Schwierigkeiten geraten wegen Plagiatsverdachts. Oder etwas basteln, das verzwickt, verstrickt, psychologisch grenzwertig, aber im allerbesten Fall dennoch weitgehend logisch ist. Außerdem verweisen wir uns selbst immer wieder an die Tatsache, dass das wirkliche Leben Drehbücher schreibt, die wir kaum einem Film zubilligen würden, warum sollten wir nicht ein solches Drehbuch einmal einem Film zubilligen und nicht so auf die Alltags-Plausibilität pochen?

– Wie rasch Mutter Althoff das Mädchen Elena als Fiona adaptiert hat, das ist für uns durchaus schwer nachzuvollziehen. Die Entscheidung, sie allen anderen als echte Tochter zu verkaufen, muss blitzschnell gegangen sein und belegt, dass die Frau ganz schön tatkräftig ist, nicht nur, wenn es darum geht, die echte Tochter zu entsorgen.

Ist es glaubwürdig, dass jemand 2015 das Spiel fortsetzt, obwohl die Entdeckungsgefahr groß ist? Die falsche Fiona weiß ja nicht, dass die echte tot ist, aber hätte sie es nicht einkalkulieren müssen, dass man das Mädchen inzwischen aufgefunden hat und die Mutter ihr die Tür vor der Nase zuknallt, sie möglicherweise sogar anzeigt? Sie konnte auch nicht wissen, dass Mutter Althoff so empfänglich ist für das Spiel, denn sie kennt keinerlei Hintergründe des Fiona-Schicksals, sondern bezieht sich nur auf den Zettel. Als der Zuschauer schon weiß, dass Elena nicht Fiona ist, bezieht der Film Spannung daraus, dass er weiß, dass auch Frau Althoff es weiß, aber nicht, warum sie das Mädchen aufgenommen hat, das alles durcheinander bringt und wieder aufwühlt. Das Nacherzähl-Ende (siehe Fazit) versucht dann, dieses Logik-Loch zuzuschaufeln, weil man mit ganz anderen Dingen beschäftigt ist, die Frau Althoff und Frau Lürsen einander erzählen. Das ist nicht so ungeschickt gemacht, aber so schnell wächst eben doch kein Gras.

– Dass Frau Althoff nicht etwa den Notarzt geholt hat, als sie bemerkte, dass das jüngste Kind Jan seine Schwester mit Fugenmasse gefüttert hat, sondern eine Entführung suggeriert, damit der sensible Junge nicht merkt, dass er seine Schwester getötet hat. Alles sehr taff, auf eine gewisse Weise. Dass sie nicht mehr den Notarzt gerufen hat, versteht sich von selbst, wenn das Kind schon kalt war, als sie die Tragödie bemerkt hat. Wir erfahren übrigens auch nicht, ob Jans Vater, der im Gefängnis Selbstmord beging, vom wahren Schicksal seiner jüngeren Tochter wusste und ebenfalls den Sohn schützen wollte oder ob er sich wirklich für schuldig hielt.

– Dass Elena das Wohnmobil abgefackelt hat, ist ein Knackpunkt, der sich allerdings schwer erschließt. Wenn sie seit Jahren mit der gleichen Masche in Familien unterwegs war, warum hat sie gerade jetzt die Leute getötet, die Fiona angeblich bei sich hatten? Damit die Polizei diese nicht mehr befragen kann? Dann hätte sie das doch auch in vorherigen Fällen schon bei ihrem Handeln berücksichtigen müssen. Oder hat sie die Leute erstmalig als Langzeit-Alibi verwendet, und wie steht der seltsame Pfleger in dieser Konstellation, ihr eigentlicher Spießgeselle? So richtig wird das nicht klar. Dass das Gras unter dem verbrannten Wohnmobil sehr schnell nachwächst – okay, hängt von der Jahreszeit ab.

– Warum Frau Althoff ihren Mann in die Fänge der Polizei gehen ließ, erschließt sich aus einer der Szenen, die als Erklärung nach Auflösung nachgeschoben werden und ist schlüssig – sie musste ja denken, gegen ihn würde es keine hinreichenden Verdachtsmomente auf Tötung seiner Tochter geben. Das wäre letztlich auch das Ergebnis gewesen, hätte er sich nicht umgebracht.

– Ein Grundsatzproblem hatte sich bereits beim Lesen der Inhaltsangabe vor dem Anschauen gestellt: Wieso ist Lürsen für den Fall Fiona zuständig? Weil aus dem Vermisstenstatus von Fiona en passant ein Mordverdacht entsteht? Nach dem, was wir im Film sehen, ist sie von Anfang an die zuständige Kriminalerin.

– Der Abgleich 2015/2005 ist nicht perfekt. Der Fernseher, der bei den Althoffs im Jahr 2015 zu sehen ist, der ist auch kurz im Bild, als 2005 angesagt ist, und damals gab es ein solches Modell sicher noch nicht. Außerdem hätte man bei Lürsen an der Frisur und Stedefreund an der Rasur und / oder Friseur ein wenig drehen können, sodass der Mann nicht genau denselben Viertagebart in 2015 wie in 2005 hat. Möglicherweise hätte man damit sinnvollerweise sogar „rückwärts“ filmen müssen, indem er sich den Bart zum Ende hin abrasiert und die Szenen 2005 zum Schluss spielt, aber es hätte mehr Schliff gehabt.

– Als Jan in der Tiefgarage der Polizei – was macht er da, genau vor diesem Auto? – im Scheinwerferlicht steht, sagt Inga Lürsen einfach zu ihm, er soll mal rauf in ihr Büro und dort auf sie warten. Wir hatten Sorge, dass der Junge sich umbringt, die hätte Lürsen auch haben dürfen, aber hier scheint’s, als lernt sie nicht dazu, was Menschen in den Tod treiben kann, wie einst Jans Vater.

– Der Austausch der DNA-Proben im Jahr 2005 lässt darauf schließen, dass die Bremer Polizei im Verfahren nicht ganz sattelfest ist, obwohl damals DNA-Abgleiche schon seit 15 Jahren üblich waren. Die Ermittlung von Personenidentitäten auf diese hundertprozentig sichere Weise feierte 2013 ihr 25jähriges Jubiläum in Deutschland. Wenn man an den dadurch ermittelten Ergebnissen etwas drehen will, muss man wieder Dinge konstruieren, die sich so nur abspielen können, wenn die Polizei schlampt oder wenn manipuliert wird. Und wie Frau Althoff an diese Röhren kommt, in welche die Stäbe mit der im Speichel enthaltenen DNA gesteckt werden, weiß der Himmel.

– Ein weiteres Problem ergibt sich aus dem Foto, das Fiona Althoff bei den Campern zeigen soll, als sie noch ein kleines Mädchen ist. Die Mutter tut also nur so, als glaube sie das? Auf dem Foto muss aber noch deutlich zu sehen sein, ob dieses Kind der echten Fiona Althoff stark ähnelt oder nicht, denn es kann nicht sehr lang nach deren Verschwinden aufgenommen worden sein. Die Kerzen auf dem Geburtstagskuchen haben wir leider nicht gezählt und den Film schon gelöscht.

Fazit

Hervorheben müssen wir neben der Inszenierung die Leistungen der Darsteller, was alle Althoffs einschließt, auch Elena wurde sehr gut gespielt, unsere Favoritin war aber die ältere Tochter, die adoptiert wurde. Das passt ausgezeichnet, weil sie nicht nur optisch sehr unterschiedlich zu den Althoffs ist, sondern auch diese Grundskepsis hat, die angenommenen Menschen gut eignet, denn ein Geheimnis um die eigene Herkunft oder die Tatsache, dass man nicht wirklich dazugehört, führen zu einem anderen Blickwinkel. Und es ist nicht leicht, gegen alle zu stehen, wenn es nicht zur emotionalen Lage aller zu passen scheint.

Emotional hat uns der Fall stellenweise erreicht, aber nicht tief berührt – vielleicht, weil eben doch die Konstruktion ziemlich anspruchsvoll ist und wir immer erst einmal ein wenig warm werden müssen mit den Bremer Tatorten. Die Anspannung, was passiert jetzt wieder, worüber wir uns garantiert ärgern werden, behindert desweiteren die Annäherung. Ist subjektiv, deswegen lassen wir’s auch nicht in die Bewertung einfließen.

Aber die mit packender Inszenierung zunächst gut zugekleisterten Löcher im Konstrukt haben wurden im Lauf des Nachdenkens doch recht deutlich, und schon wieder gab es diese bremen-typischen Stellen, an denen wir den Film anhalten und eine Szene noch einmal anschauen mussten, weil wir wieder mal einen Satz akustisch nicht verstanden hatten. Und es sei den Machern gesagt, auch so etwas behindert den emotionalen Zugang, der bei einem Familiendrama wie dem hier gezeigten doch gewiss erwünscht ist. Es nervt unglaublich, den Fernseher auf doppelte Lautstärke zu stellen, um zum Beispiel das Gezischel des Elena-Gefährten noch einmal abzuhören. Falls das Absicht ist, weil die Zusammenhänge auf diese Weise länger unklar bleiben – falscher Weg, Spannung erzeugen zu wollen. Man fliegt eher aus der Spannungskurve, als dass sie steiler wirkt.

Wie vor einer Woche in Wien, gibt es auch dieses Mal wieder einen elegischen Abschluss nach der eigentlichen Auflösung, weil sich in Wirklichkeit eine Menge angehäuft hat, was noch zu klären ist. Gelang hier im Gegensatz zu „Grenzfall“ aber nicht ganz.

Am Ende doch wieder ein Tatort, der durch ein Mehr an Stringenz richtig fett hätte werden können. Dennoch ist es kein schlechter, denn die Figuren sind gelungen und werden überzeugend verkörpert.

7,5/10

© 2019, 2018, 2015 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Hauptkommissarin Inga Lürsen Sabine Postel
Hauptkommissar Stedefreund Oliver Mommsen
Helen Reinders Camilla Renschke
Dr. Katzmann Matthias Brenner
Silke Althoff Gabriela Maria Schmeide
Fiona Althoff Gro Swantje Kohlhof
Jan Althoff Levin Liam
Kathrin Althoff Amelie Kiefer
Klaas Tilman Strauß
Barbara Jentschura Marie Rönnebeck
Björn Althoff Heiko Raulin
Regie: Florian Baxmeyer
Buch: Matthias Tuchmann und Stefanie Veith
Drehbuchvorlage: Felice Götze und Sabine Radebold
Kamera: Peter Krause
Musik: André Feldhaus

 


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