Crimetime 329 - Titelfoto © BR / Wiedemann & Berg Television GmbH & Co. KG, Johann Feindt
1984!
Nie war Tatort nostalgischer. Erinnern Sie sich, was Sie 1984 gemacht haben, falls Sie damals schon in der Lage waren, was zu machen? Strand war es bei uns auch und auch ganz schön schmerzhaft und nicht so intensiv wie 1983. Never mind. Wir fragen auch nicht, ob dieser Film überhaupt ein Tatort ist oder sein darf, im 81. Fall haben Leitmayr und Batic das Recht, neue Wege zu gehen, indem einer von ihnen auf sein Leben zurückblicken darf, interessanterweise ist auch dieses Mal wieder der Franz dafür zuständig, im Jetzt angekommen und im Gestern verankert zu sein. Mehr über diesen seltsamen Film in der -> Rezension.
Handlung
Nach einer nächtlichen Surfsession an der Welle im Münchner Eisbach wird Mikesch Opfer einer Messerattacke. Er überlebt schwer verletzt. Mikesch war Anfang der 80er Jahre ein enger Freund von Leitmayr.
Gemeinsam mit der Holländerin Frida verbrachten sie einen aufregenden Sommer zu dritt am Strand des portugiesischen Fischerorts Nazaré. Kurz darauf brach Franz den Kontakt zu beiden wortlos ab. Als er jetzt, Jahrzehnte später, wieder auf Mikesch trifft, ist plötzlich die ganze Vergangenheit wieder nah.
Batic wundert sich über seinen Freund ebenso wie über den schrägen Vogel Mikesch, der statt mit der Polizei zu kooperieren aus dem Krankenhaus flüchtet. Mikesch hat ein Geschäft abzuwickeln, bei dem die Polizei stört.
Rezension
So viele Träume wurden in Tatorten schon begraben, wenn Figuren wie Mikesch auftraten und allen Zuschauern klarmachten, wie gut es im Vergleich zu solchem, logischerweise irgendwann tödlichen Dauerscheitern doch ist, nie Träume gehabt zu haben und im spießigen Mainstream angekommen sein. So wie Franz Leitmayr, der behauptet, nicht einsam zu sein. Die Lebenslüge gehört schon auch dazu, wenn man tagaus, tagein seinen Stiefel macht und zu vergessen versucht, dass da mal was Größeres war, woran man geglaubt hat. Wie könnte es anders kommen als mit Selbstverleugnung, dass angeblich 80 Prozent aller Menschen in Deutschland ihr eigenes Leben super finden, aber es objektiv an allen Ecken und Enden hakt und das immer mehr? Dass zum Beispiel immer mehr aussteigen müssen, nicht wollen, weil es sie es nicht mehr schaffen? Nicht jeder geht innerlich so robust durch wesentlich weniger dramatische Situationen wie der Ivo und der Franz durch 81 Fälle mit überwiegend einem bis mehreren Tötungsdelikten.
Es ist schon viel Spaß drin, wie die beiden mittlerweile nicht mehr die Schnellsten sind und sogar ein Schwerverletzter ihnen immer wieder abhauen kann – und damit sich nicht alles auf Franz konzentriert, der Nostalgie von 1984 wegen, darf Ivo Rücken haben. Das wirk so echt, dass wir uns gefragt haben, Miroslav Nemec tatsächlich Bandscheibenprobleme mit sich herumschleppt. Aber sonst fällt er ab, die leichten schauspielerischen Vorteile, die er gegenüber seinem Partner Udo Wachtveitl lange Zeit hatte, verschwinden in diesem Film, es dreht sich sogar etwas. Aber kürzlich hatten wir einen Film gesehen, in dem Ivo doch auch eine Bettgeschichte hatte, wie dieses Mal der Franz – in einem Tatort, in dem seine Vergangenheit eine wichtige Rolle spielte. War es das Glockenbachgeheimnis? Jedenfalls waren beide Strategen der wenig erfolgreichen Verfolgungsjagd damals noch um einiges jünger und die Rückblende ging viel weiter zurück, bis in die Kindheit.
Eine Ménage à trois ist nie ausgeglichen und immer ein Problem, wenn es um zwei Männer und eine Frau geht. Umgekehrt gefällt uns auch heute noch besser, egal ob fern der Realität. Der Film ist schon auch konservativ, denn das Leben des Unangepassten ist ein Chaos, während Franz irgendwann, 1984!, erkannte, dass emotionale Defizite ihn zerstören könnten und er haute ab aus dem Dreisein und ging zur Polizei. Der Darsteller, den man ausgewählt hat, passt gut, ist ein adäquater Franz kurz vor dem erwachsen und ernsthaft werden, wie man sehen kann, wenn man sich die Filme der beiden München-Cops aus den ersten Jahren anschaut. Immer diesen Verbrechern nachrennen, ist das besser als auf der ewigen Welle reiten? Es geht doch nichts über ein sicheres Gehalt vom Staat, also ist es besser, es sei denn, man hat es mit einem kreativen Traumjob zu etwas gebracht oder weil man ein Arschloch ist. In diesem Tatort gibt es aber nur Melancholie mit verträumten Menschen. Abgesehen vom Knochenbrecher und seinem Chef.
Haben wir schon erwähnt, dass die Handlung Quatsch ist? Allein diese ultra-überwirksamen Tabletten, die noch ewig auf dem Firmengelände rumstehen, bis sie mal vernichtet werden und dass davon immer mal was wegkommt und wie sie dann vertickt, verkocht, geschüttelt, zerstört, verloren werden. Das dient nur der Zelebrierung eines Untergangs, des letzten Aktes in verspfuschten Lebensentwürfen, falls man beim Dasein der Surfer von einem Entwurf sprechen kann. Diese Dialektik des Scheiterns, die auf eine melancholisch-melodramatische Weise den Film durchzieht, hatten wir irgendwie für uns angenommen, auch wenn wir mit Mikesch immer mal wieder so das Gefühl hatten, dieser Mensch ist total unwirklich. So verpeilt und bei schwerer Stichverletzung so beweglich, ein Wunder. Aber es wir sind ja auch in einer Art von Parabel unterwegs, nicht im profanen Krimibusiness, und auch das profane Krimibusiness zeichnet sich schon lange dadurch aus, dass man sich der amerikanischen Physis und Psyche von Personen anpasst, was bedeutet, sie sind unkaputtbar, durch nichts zu irritieren und irgendwie dadurch auch ein wenig faschistisch. Übermenschen wie du und ich – nicht.
Etwas verwundert waren wir über die Optik, die man für die Rückblenden gewählt hat. Super 8-Gekörne oder frühes, konturenarmes Video waren wohl doch nicht künstlerisch genug, also wählt man eine Sepia-Optik und lässt das Bild flimmern, wie – ja, wie in welcher Filmepoche denn? Wir werden es nicht erfahren, weil es eben nur darum geht, die Stimmung zu untermalen, das Damals mit seinem Erinnerungsflimmern zu illustrieren. zum Glück hatte Franz nie so viel geraucht, dass er diese Erinnerung verloren hatte, bei Mikesch hingegen weiß man nicht so genau, wie sein unterstrukturierter Zustand entstanden ist. Vielleicht ist ständig bekifft sein doch nicht nur gut für die Gesundheit. Vielleicht waren es aber auch Typen, die auf den ersten Blick ähnlich waren, aber im Kern doch sehr verschieden.
Aber die beiden Typen Batic und Leitmayr gehören zu den wenigen, die man für solche elegischen Rückwärtsbetrachtungen einsetzen kann – weil sie so lange dabei sind. Sie sind Teil unseres kollektiven Tatort-Bewusstseins. Nicht etwa spät dazugekommen, wir kennen sie ja wirklich noch aus einer Zeit, in der sie jung waren. Es ist, als seien ihre ersten Filme der fast lückenlose Anschluss. Als der Franz mit seinem Surfbrett auf und davon ist, die beiden anderen alleingelassen hat, da war sein künftiges Schicksal schon beinahe besiegelt.
Finale
Was wir alles nicht erfahren: Ist der junge Mann bei Frida das Kind jenes Liebessommers von ’84 oder nur ein Liebhaber und falls Sohn, von wem? Weiß Frida es überhaupt? Wer den Mikesch ursprünglich verletzt hat? Auch diese Spur verliert sich irgendwo im Nirgendwo. Aber wir sind ja auch nicht mehr in einer Zeit, in der die Ordnung der Dinge durch Ausermitteln wiederhergestellt sein muss, nachdem irgendein kriminelles Element sie angegriffen und gestört hat. Es zeigt sich heute mehr denn je das Böse, das Unerklärliche und auch das Unaufgeklärte in dieser labyrinthischen Welt. Das Glücksversprechen wird aber immer wieder neue Erscheinungsformen annehmen und man kann froh sein, wenn diese so harmlos sind wie Schein und Sein im Leben der drei Nackedeis in jenem Wendesommer von ’84.
7/10
© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
Vorschau: Oide Buam
Ob jeder von nun 81. Münchener Tatorten mit Franz Leitmayr und Ivo Batic etwas Besonderes ist? Jedenfalls haben sie mehr besondere Fälle gehabt als irgendein anderes Team, nicht nur, weil sie die Rangliste der meisten Filme anführen (oder an zweiter Stelle stehen, wenn man die Polizeiruf-Reihe mitzählt). Einige dieser Filme zählen zu den Top-Produktionen der Reihe, haben Preise gewonnen und Marke Tatort wäre ohne ihren Beitrag zur Stabilisierung des Formats auch in schwierigen Zeiten vielleicht schon Geschichte. Ob man deshalb aber ewig weitermachen muss, ist eine andere Frage, denn heute prägen moderne, mit vielen Personen besetzte Teams die Reihe und haben ihr neuen Auftrieb gegeben. Und wenn der Rücken doch schon zwackt! Hätten wir zu gerne gewusst, ob das gespielt ist oder tatsächlich den Batic-Darsteller Miroslav Nemec betrifft.
Dafür erleben wir eine Rückblende: Franz, wie er in seinen „wilden Zeiten“, in den 1980ern, war. Es ist also viel zeitliche Tiefe drin und auch Nostalgie dürfte aufkommen. Auch Zuschauer, die eine Erinnerung an jene Zeit haben, dürfen schon deswegen nicht außer Acht gelassen werden, weil sie, die große Babyboomer-Generation, auch einen Großteil der Tatort-Fans stellen. Wir wollen heute noch kein Urteil darüber abgeben, ob wir meinen, die beiden sollten unbedingt weitermachen, sie sollten es nicht, sie sollten es doch, obwohl der Sender versucht, sie mit Rückblicken und Zipperlein sozusagen auszuschleichen, während die Tatort-Dienstälteste, Lena Odenthal, schon angedroht hat, solange dabei zu bleiben, wie sie laufen und schießen kann. Wer wird also der ewigen Welle des Tatort-Daseins am nächsten kommen? Wir warten den Sonntagabend ab und werden danach über unsere Eindrücke über den Tatort 1096 berichten. Und wir sind gespannt, welches Team die Jubiläumsnummer 1100 bekommen wird.
| Titel | Komponist | Interpret |
|---|---|---|
| Wake up alone | Amy Jade Winehouse, Paul Staveley O’Duffy | Amy Winehouse |
| Kong | Simon Charles Green | Bonobo |
| Commando | Douglas Colvin, John Cummings | The Ramones |
| Living in the promiseland | David Lynn Jonas | Joe Cocker |
| Love is a losing game | Amy Jade Winehouse | Amy Winehouse |
| Have a Cigar | Roger Walters | Pink Floyd |
| Wish you were here | David Jon Gilmour, George Roger Water | Pink Floyd |
| Black Sands | Simon Charles Green | Bonobo |
| Into the great wide open | Tom Petty, Jeff Lynne | Tom Petty |
Die übrige Filmmusik wurde eigens für den Tatort von Daniel Michael Kaiser komponiert und ist nicht im Handel erhältlich. Vor- und Abspannmusik stammt von Klaus Doldinger.
| Kriminalhauptkommissar Ivo Batic | Miroslav Nemec |
| Kriminalhauptkommissar Franz Leitmayr | Udo Wachtveitl |
| Mikesch Seifert | Andreas Lust |
| Robert Kraut | Justus Johanssen |
| Frida de Kuyper | Ellen ten Damme |
| Heinrich | Michael Tregor |
| Maya | Luise Aschenbrenner |
| Verena | Lena Baader |
| Kriminalkommissar Kalli Hammermann | Ferdinand Hofer |
| Gerichtsmediziner Dr. Matthias Steinbrecher | Robert Joseph Bartl |
| Svenja | Genija Rykova |
| Werner Kraut | Klaus Stiglmeier |
| Frida (jung) | Giulia Goldammer |
| Mikesch (jung) | Jonathan Müller |
| Franz Leitmayr (jung) | Sören Wunderlich |
| Musik: | Daniel Michael Kaiser |
| Kamera: | Johann Feindt |
| Buch: | Alex Buresch |
| Matthias Pacht | |
| Regie: | Andreas Kleinert |
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