Crimetime 330 – Titelfoto © MDR, Spitz
Was jemand aus dem Berufsleben erzählt
Eine Jungmaklerin wird tot in einer Baugrube aufgefunden, das passt und die Kommissare Ehrlicher und Kain auf den Plan ruft, die auf diese Weise eine Antriebsquelle des Turbokapitalismus kennenlernen, eine wuchernde Zelle der Vertriebswirtschaft mitten im gemütlichen Osten. Da können böse Machenschaften und Folgeverwicklungen nicht ausbleiben, sodass Ehrlicher am Ende die Sachlage nur noch damit kommentieren kann, dass er ein Werbeplakat verunstaltet. Was es sonst noch zu diesem Film zu schreiben gibt, steht in der -> Rezension.
Handlung
Die Hauptkommissare Ehrlicher und Kain werden zu einem stillgelegten Industriegelände gerufen. Dort wurde eine ermordete Frau gefunden, die eine Anstecknadel mit den Initialen L.I.C. trägt. Ehrlicher und Kain gehen dieser einzigen Spur nach und finden heraus, dass die Initialen für die Leipziger Immobilien Consulting stehen. Der erfolgreiche Chef der Firma Martin Forssell steigert die Leistungsfähigkeit seiner ausschließlich weiblichen Mitarbeiter mit suggestiven Motivationskursen.
So könne für jede der Traum vom schnellen Reichtum wahr werden. Das Mordopfer Ricarda Nowak war auf dem Weg nach oben und dabei für ihren Chef im wahrsten Sinne des Wortes durchs Feuer gegangen. Vorgesetzte von Ricarda war die junge Maklerin Sabine Gerber, die mit der Geschäftsführerin der Firma Carolin Beck einen offenen Kampf führte ? angestachelt von Forssell, der mit Ricarda ein Verhältnis hatte. Innerhalb der Immobilienfirma gibt es jedoch noch weitere auffällige Verbindungen.
Bei ihren Ermittlungen stoßen Ehrlicher und Kain auf einen Sumpf aus Lügen, Betrug, Erpressung und Ausbeutung, in den sogar Ehrlichers Freundin Frederike hineingezogen wird?
Rezension
„Feuertaufe“ ist der 36. von 42 Ehrlicher-und-Kain-Tatorten und entstand im Jahr 2005. Das Drehbuch stammt von Andreas Pflüger, Regie führte Hannu Salonen. Beide sind für uns nach 300 Tatort-Rezensionen keine Unbekannten mehr, heute auch ein paar Sätze zu den Machern.
Aber zunächst die Frage – wie war das Gefühl nach dem Film? Erheitert, in erster Linie. Es ist nicht so, dass nur in Münster skurrile Tatorte gemacht werden. Also, heute ist es sowieso nicht mehr so, aber 2005 waren ja noch gewissermaßen andere Zeiten, da waren einige der psychischen Grenzgänger noch nicht am Werk, die heute am Tatort ermitteln und die man als stilisierte Figuren begreifen muss, nicht als realitätsnahe Polizisten.
Ehrlicher und Kain als psychische Grenzgänger? Nein, ganz im Gegenteil! Das ist es ja gerade. Die beide wirken schon wieder so normal, dass es ebenfalls etwas leicht Absurdes hat – vor allem spiegelbildlich zu diesem Immobilien-Guru namens Forssell, der von Michael Mendl gespielt wird und den Damen, die sich in seiner Firma tummeln. Da prallen Welten aufeinander, und das ist nett inszeniert. Ehrlicher, der ehrliche Beamte und Fleisch und Gesichtsausdruck gewordene Bescheidenheit gegen den Magier und Frauenverführer, der offensichtlich aus dem Westen gekommen ist und sich mit seiner Firma wie eine gefräßige Raupe durch die örtliche Wirtschaft mampft, dabei Steuerberatern ihre treuen Angestellten abwirbt und falsche Wohnungen verhökert. Dazu später mehr, aber die Inszenierung ist für Leipziger Verhältnisse aus dem Jahr 2005 überraschend modern, sowohl bildsprachlich als auch bezüglich Schnitt und Dialogtechnik.
Hat es einen Grund, dass der Film sich bildlich abhebt? Wir meinen, ja. Wir kennen mittlerweile einige Arbeiten des Regisseurs Hannu Salonen, zum Beispiel die vielen Tatorte aus dem Saarland, die er inszeniert hat und die bei Kappl und Deininger gerade zum Ende ihrer Dienstzeit für zeitgemäßen Thrill sorgte. Er hat auch die drei Stellbrink-Tatorte gedreht – die sind nicht nur heftig diskutiert worden, sondern auch dem Verrisswolf zum Opfer gefallen. Bei uns nicht so sehr wie anderswo.
Außerdem sind wir der Meinung, dass die Regie noch am wenigsten für die Probleme dieser Tatorte verantwortlich war, sondern die Figurenanlage und die Plots zu klamottenhaft rüberkamen. In „Feuertaufe“ ist Regisseur Salonen einen Mittelweg zwischen den postmodernen Tatorten gegangen, die er für andere Schienen inszeniert hat und der üblichen Leipziger Filmerei, das so betulich und stilistisch konservativ daherkam wie sonst nirgends. Es gibt schöne Kamerafahrten wie die Drehung im Treppenhaus, das selbst gerundet ist, auch witzige Bildkompositionen, wie die Menge der organen Makler-Jüngerinnen, die sich teilt, als Ehrlicher auf der Treppe schreitet. Das biedere Element hat man aber nicht fallen lassen, passend zur Ehrlicher-Figur blieb’s uns über weite Strecken erhalten. Leider hat man das aber zu sehr fortgesetzt, als die Nachfolger kamen, Saalfeld und Keppler. Und zu denen gibt es hier auch einen Link, wenn man so will. Durch den Drehbuchautor.
Was hat es mit dem Drehbuch auf sich? Es stammt von Andreas Pflüger, der zuletzt „Die fette Hoppe“ geschrieben hat, den ersten (echten) Weimar-Tatort. Den fanden wir okay, aber er hat auch das Skript zu „Türkischer Honig“ von Saalfeld und Keppler geliefert und, wenn man so will, mit dazu beigetragen, dass die beiden abgeschossen wurden, denn dieses Drehbuch konnte niemand vernünftig spielen. Als wir „Feuertaufe“ gesehen hatten, dachten wir, irgendwie hat das etwas von der Art, wie die Ossis den Westen wahrgenommen haben und die Westler, die in den Osten gingen. Wir haben aber nachgeschaut, Pflüger stammt aus Saarbrücken – sein Drehbuch zu „Bittere Trauben“, einem Saarland-Krimi mit Kappl und Deininger, eine unsere ersten Rezensionen, fanden wir authentisch. Nach jetzigem Kenntnisstand erschließt sich das auch daraus, dass der Autor des Films Land und Leute kennt.
Anders ist es leider bei Milieus wie dem der türkischstämmigne Menschen in „Türkischer Honig“ und den Immobilienmenschen in „Feuertaufe“. Da haben wir den Eindruck, ein Theoretiker ist am Werk.
Ist die Darstellung der Immobilienbranche in „Feuertaufe“ so falsch? Ja und nein. Es ist ein Mix aus Realismus und Schlamperei, den man in dieser Form selten sieht. Zunächst: Das Maklerunternehmen LIC („Leipziger Immobilien Consult“), das Forssell aufgebaut hat, ist bezüglich seiner Struktur realistisch. Große Immobilienvetriebe haben zuweilen eigene Callcenter, deren Kräfte wiederum einzelnen Maklern zugeordnet sind. Das kennen wir auch aus Berlin.
Dass der Umsatz alles bedeutet, ist auch klar, und dass dafür illegal gehandelt und, wenn’s sein muss, über Leichen gegangen wird. Letzteres kommt seltener vor, Ersteres ist normal. Dass die Realität selten mörderisch ist, finden wir nicht schlimm, schließlich werden aus allen Milieus die maximalen Verbrechen herausgegezogen, um für Abwechslung zu sorgen, u. a. aus Forschung und Wirtschaft, wo die Prestige- und Positionskämpfe in der Wirklichkeit wohl noch seltener mit der Waffe ausgetragen werden. Und im Immobilienvertrieb sammeln sich tatsächlich Existenzen mit zweifelhafter Vergangenheit – weil der Zugang so einfach ist. Wie wir im Film sehen, kann eine Frau ohne Probleme von der Steuergehilfin zur Maklerin werden. Das ist alles echt.
Aber schon bei der Größe der Firma fängt’s an. Ob sie nur auf Leipzig konzentriert ist, wird nicht explizit gesagt, es wirkt aber so. Dafür ist sie überdimensioniert. Da wäre der richtige Krimiplot gewesen, was machen die Mitbewerber, die durch ein solches Monstrum mit 100 Angestellten an die Wand gedrückt werden. Selbst in Berlin wäre das eine große Hausnummer. Wenn dann noch alle beschäftigten Makler solche Umsätze machen würden wie die Dame mit den 12 Wohnungen in ein paar Wochen, und das offensichtlich im Endgeschäft mit Privatkunden, wäre der Leipziger Markt komplett von dieser Firma beherrscht. Wir müssen mal ins Telefonbuch schauen, ob noch andere Maklerbüros existieren. Okay, inzwischen hat sich die Branche vielleicht von Forssell erholt.
Das Hauptproblem ist aber dieses Guru-Konstrukt und die 100 Frauen und ein Mann. Lächerlich. Es wird gesagt, Frauen sind die besseren Verkäufer. Das stimmt, weil sie intuitiver auf Kunden eingehen können. Und der Clou ist, dass in einer immer noch männerdominierten Branche (fast alle großen Firmen der Branche in Berlin sind unter männlicher Leitung) Frauen es sogar leicht haben, im Job erfolgreich zu sein, solange sie eben keine Führungspositionen anstreben.
Warum haben es gerade hier Frauen so leicht? Wir müssen jetzt etwas aufpassen, dass wir nicht falsch versanden werden. Frauen verzeiht es der Immobilienkäufer eher, wenn sie fachlich nicht so beschlagen sind. Vor allem, wenn sie stattdessen gut aussehen. Diese Hausfrauen oder Sekretärinnen, die ihr Verkaufstalent entdeckt haben und Riesen-Anfangserfolge bei den Immobilien erzielen, die gibt’s wirklich. Der Schein trügt aber. Denn der Erfolg eines Immobilienvertriebs steht und fällt in Zeiten mit Nachfrage-Überhang, wie wir sie im Moment haben, mit dem Einkauf. Wer gut akquiriert oder selbst entwickeln kann, ist vorne, nicht, wer meint, gut verkaufen zu können. Sowieso gilt das dort, wo das große Geschäft gemacht wird: Im Verkauf von größeren Einheiten an Investoren. Da geht es vor allem um das passende Objekt, nicht um die Person des Vermittlers. Deswegen können sich auch überzogene Selbstdarsteller so gut halten und merken gar nicht, dass es nicht ihre Schuld ist, dass sie gut verdienen. Aber, jetzt kommt’s: Frauen haben es natürlich auch bei der Akquise nach klassischem Muster, z. B. am Telefon, leichter. Das ist unbestreitbar, deshalb sind sie auch die erfolgreicheren Callcenter-Agenten. Was wir ebenfalls beobachtet haben: Dass Menschen, die nicht verkopft oder mit Schamgefühlen ausgestattet sind, dabei am besten abschneiden.
Der Maklerbetrieb insgesamt ist aber nicht so pesönlichkeitsorientiert wie zum Beispiel die Finanzdienstleistungsbranche, wo Produkte angeboten werden, die eher abstrakt sind. Immobilienkäufer leiten ihre Emotionen auf die Immobilie, das kann man geschickt nutzen oder nicht, aber der Forssell, der ist für uns kein typischer Makler-Unternehmer, sondern ein Typ, wie er in den Strukturen von Finanzdienstleistern ganz oben steht. Dort zählt wirklich die Verkäuferpersönlichekit am meisten, denn die technischen Details der Produkte versteht eh keiner, man kann das alles nicht anfassen wie die Wände eines Hauses, nicht erspüren, wie die Atmosphäre einer Wohnung.
Deswegen ist die Finanzdienstleistungsbranche ein exzellenter Tummelplatz für Motivationstrainer. Vermutlich müssen Forssells Mitarbeiterinnen sogar für die Erbauungsseminare bezahlen – diese Spitze hat man im Tatort weggelassen. Bei den Strukkis, den Strukturvertrieben der Finanzdienstleistungsbrnache, ist das aber üblich. Deswegen kommen die Leute auf den unteren Ebenen kaum auf einen grünen Zweig, so, wie es hier bei einer jungen Callcenter-Agentin gezeigt wird.
Auch dieses Angehen von Bekannten ist nicht für die Immobranche, sondern für die Finanzdienstleistungen und Versicherungen üblich. Wer hingegen so vernetzt ist, dass er über exzellente Käuferconnections für Immobilien verfügt, der macht sich in der Regel selbstständig und arbeitet nicht für einen Forssell, dem er, wenn die Firma auf übliche Weise verfährt, das Meiste von seinen erwirtschafteten Provisionen überlassen muss. Da geht es aber um Leute, die Dauerkäufer kennen, die immer wieder investieren, nicht um Menschen, die im privaten Umfeld ein paar potenzielle Wohnungskäufer ausfindig machen. Das ist wiederum unrealistisch, denn welcher normale Mensch hat dutzendweise andere Menschen im Freundschaftskreis und in der Verwandtschaft, die gerade jetzt eine Wohnung oder ein Haus kaufen wollen und hat dann auch gerade das passende Objekt?
Daher wiederum denkbar: Dass die Mandanten-Datenbank des Steuerbüros gefilzt wird, in dem mindestens zwei der Forssell-Jüngerinnen zuvor gearbeitet haben. Da nämlich sitzen die potenziellen Käufer, die vor allem Kapitalanlagen erwerben. Aber: Das an dem betreffenden Steuerberater vorbei zu machen, anstatt mit ihm zusammenzuarbeiten, ist dreist. Erstaunlicherweise fragen aber viele Leute nicht nach, wenn sie angerufen werden, woher ihre Kontaktdaten stammen. Das wissen wir aus sicherer Quelle. Wenn der Steuerberater es spitz bekommt, wird es allerdings ernster als hier im Film, wo die Sache lässig abgetan wird und der Mann gar nicht an seinen Ruf zu denken scheint. Heute ist das alles obsolet geworden, da durch eine Änderung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) die Kaltakquise, wie man dieses nicht vorher genehmigte Anrufen bei wildfremden Leuten nennt, zumindest nicht mehr legal ist. Die Akquise der Immobilienleute ist, wenn dabei nach Gesetz vorgegangen wird, jetzt erheblich aufwendiger als im Film gezeigt und als sie es wirklich bis vor kurzem war. Nun vielleicht zu den Figuren.
Ja, bitte, die Figuren! Über Ehrlicher und Kain müssen wir nicht viel schreiben, die beiden sind knuffig in ihrer altmodischen Art und diesem Humor, der klarstellt, dass der Kapitalismus dem Ossi immer noch sehr fremd ist bzw. 15 Jahre nach der Wende war, vor allem, wenn er in Person eines Forssell daherkommt. Ein Tausendsassa, aber eindeutig zu alt, um noch alle diese hübschen Frauen ins Bett zu kriegen und dazu, ihm wie einem Sektenchef zu folgen. Nicht nach dem, was wir gesehen haben. Und dass die Frauen alle nur vorankommen wollen und sich deshalb mit ihm einlassen, ist wohl in einem Fall ganz deutlich zu sehen gewesen, gilt aber nicht ausdrücklich für die anderen Mitarbeiterinnen. Zugegeben, das ist subjektive Wahrnehmung, im Gegensatz zu den Anmerkungen in den vorherigen Absätzen.
Die Frauen hingegen mit ihrer Stutenbissigkeit – warum nicht? Frauen sind nicht weniger konkurrenzorientiert als Männer, wenn sie im entsprechenden Umfeld arbeiten, auch wenn das immer gerne behauptet wird. Karriere ist kein Fremdwort für Frauen von heute, und Freundschaften können darüber in die Brüche gehen. Es ist das System, das den Konkurrenzdruck fördert, und das macht nicht vor Geschlechtergrenzen halt. Aber, um es abschließend zu sagen: Kein größeres Immobilienunternehmen beschäftigt nur Frauen. Die schlauen Chefs haben erkannt, dass der Mix viel erfolgversprechender ist. Heißt: ebenfalls besser als eine rein männliche Besetzung, die es in kleineren Firmen heute immer noch gibt. Letztlich nicken wir die weiblichen Figuren ab, sie sind businessmäßig vorstellbar. Das gilt ausdrücklich nicht für Ehrlichers Friederike und deren Wohnungskauf.
Was geht nicht, mit Friederike und der – falschen – Wohnung? Diese Form von Betrug ist erst einmal nicht haltbar und ein solcher Vertrag kann jederzeit angefochten werden. Es geht aber auch um die Frau, die ja immerhin eine Kneipe führt und in anderen Ehrlicher-Tatorten recht taff wirkt. Gerade da merkt man, dass der Drehbuchautor sich mit der Branche nicht auskennt und außerdem suggeriert, dass die Ossis wirklich so doof sind, dass es verdient haben, auf so billige Art reingelegt zu werden.
Es gibt keine zwei Grundstücke mit der gleichen Bezeichnung. Weil, selbst wenn es eine Straße zweimal gibt, das Flurstück oder die Flurstücke bzw. Parzellen, die das Grundstück dokumentarisch repräsentieren, unterschiedliche Nummern haben. Ein Notarvertrag enthält aber auch diese und dann müsste ja die Maklerin behaupten, sie habe die billige Wohnung gezeigt, nicht die teure. Es gibt noch mehr Fakten, auf die ein Notar bei der Beurkundung des Kaufvertrages normalerweise auch eingeht, die ein Objekt eindeutig kennzeichnen. Vorstellbar ist eigentlich nur, dass jemand über eine Wohnungslage innerhalb eines Hauses getäuscht wird, aber auch das ist, wenn es um eine Kaufwohnung, also einen Anteil an der Wohnungseigentümergemeinschaft geht, nicht so einfach.
Zudem kann hier der Hausmeister an dem wertvollen Objekt bezeugen, dass Friederike dachte, sie habe hier eine Wohnung erworben, sich also in einem durch die Maklerin Gerber hervorgerufenen Irrtum befand. Dann ein „weicher“ Fakt. Wenn man diese beiden Objekte vergleicht – wer kann so dumm sein zu glauben, dass die ähnliche Preise haben sollten? Okay, Nachtrag Berlin 2019: Im überhitzten Markt ist alles denkbar, aber wir sind ja 2005 in Leipzig, als die Krise der frühen 2000er sich gerade erst legte.
Entweder wäre die vermeintlich gekaufte Wohnung viel, viel zu billig oder die andere viel, viel zu teuer. Ein gewisses Gefühl dafür und einen Mindest-Informationsstand sollte man schon haben, wenn man sich eine Immobilie zulegt. Etwas anderes sind Mängel, die man als Laie oft nicht erkennt. Die Krone wird dem Ganzen durch den Auftritt des vermeintlichen Eigentümers im wertvollen Objekt, Herrn Schatzschneider, aufgesetzt, der seine angebliche Wohnung über den grünen Klee lobt. Makler lügen gerne, das ist schon klar, aber doch nicht in dieser aufwendigen Form, die außerdem gut getimt sein muss. So stellen sich Leute die Betrügereien der Immobilienbranche vor, die nicht mit ihr vertraut sind. Die wirklichen Tricks, die zum Beispiel zur Objektakquise verwendet werden und die teilweise viel rücksichtsloser sind, werden nicht ansatzweise erwähnt. Wir werden das selbstverständlich auch nicht tun.
Schade, ein paar Tricks für angehende Makler wären doch nett. Nee, nee. Die Branche ist versaut genug. Aber, wenn man es typische Vorgehen zeigen möchte, auf eine etwas andere Art, wie sie hier gezeigt wird. Es ist nicht alles falsch, was wir gesehen haben.
Bei der Qualität von Drehbüchern spielen aber nicht nur die Fakten eine Rolle, sondern auch die Handlungslogik, auf die bei den WB-Rezensionen viel Wert gelegt wird. Ja, natürlich. Aber die Immobranche ist so interessant, dass es Spaß macht, einen Film daraufhin abzuklopfen, wie er sie darstellt. Für sozial eingestellte und innerlich nicht maximal robuste Menschen sie nichts, das kommt richtig rüber.
So, die Handlungslogik. Die geht aber nicht ohne die Fakten, die der Handlung zugrunde liegen, oder? Wir ändern die Prämisse und stellen alle Fakten auf Grün – dann ist die Handlung nicht so schlecht (ex Friederikes Wohnungskauf). Die Mutter-Tochter-Sache am Ende ist zwar melodramatisch, aber möglich. Die Ermittlungen und die Twists mit dem Unfall am Anfang und dem Mord am Ende sind typische Elemente des Krimis, vielfach erprobt und funktionieren auch hier. Dass der Tatorte eine Bewertung bekommt, die etwas über die Qualität der Darstellung des Immobilienwesens hinausgeht, liegt aber an seiner humorvollen Atmosphäre.
Fazit also, die Atmosphäre siegt über die Stimmigkeit? Die Atmosphäre mit diesem Clash von guter, alter, sozialistischer Ethik der Polizeibeamten (der Sozialismus ohne Immobilienhaie wird nie erwähnt, aber ist immer als Gruß aus einer schöneren Vergangenheit spürbar) und Schein-Religion in einem sinnentleerten Dasein, das nur noch Umsatzzahlen kennt, ist schön inszeniert. Durch die Übertreibungen bei der Immofirma von Herrn Forssell wird der Kapitalismuskritik zwar etwas die Spitze genommen und wie Feindschaften und Rivalitäten in solchen Firmen entstehen, das könnte man viel packender darstellen und damit auch Morde plausibel machen, aber irgendwie ist das alles eben typisch Leipzig und es ist frappierend, wie Ehrlicher hier einfach dadurch gewinnt, dass er lebt, während sein eigentlicher Widersacher Forssell Opfer seiner Machenschaften wird.
Da muss er ihn gar nicht mehr in die Knie zwingen. Das hätten wir eigentlich gerne gesehen, denn gerade in diesem Film agiert Ehrlicher mit so einer Art ironischer Zurückhaltung, die ein Forsell vermutlich nicht entschlüsseln kann. Es ist aber genau so, wie wir das im Osten nicht selten wahrgenommen haben, als die Vereinigung noch jung war. Ironisch aber auch, dass gerade im Immobiliensektor im Osten so viel schief ging und so viele Menschen aus beiden Teilen der Republik (und aus dem Ausland) betrogen wurden und viel Geld verloren. Auf die Unsummen, die mit der verlockenden Sonder-Afa Ost versenkt wurden, die es 2005 schon nicht mehr gab, gehen wir hier nicht gesondert ein, aber das alles schwingt natürlich mit, wenn ein Leipziger Kommissar sich das Treiben der Makler anschaut.
Vor allem, weil er überwiegend gut gespielt und inszeniert ist,
7/10.
Hauptkommissar Bruno Ehrlicher – Peter Sodann
Hauptkommissar Kain – Bernd Michael Lade
Frederike – Annekathrin Bürger
Martin Forssell – Michael Mendl
Sabine Gerber – Maria Simon
Lutz Gerber – Hans-Joachim Wagner
Mario Rehmer – Mathias Herrmann
Kerstin Fischer – Caroline Scholze
Carolin Beck – Katrin Saß
Techniker Walter – Walter Nickel
u.a.
Drehbuch – Andreas Pflüger
Regie – Hannu Salonen
Kamera – Andreas Doub
Musik – Karim Sebastian Elias, Habib Benedikt Elias
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