Passion – Tatort 448 / Crimetime 372 / #Passion #ORF #Tirol #Wien #Eisner #Tatort448 #Rois

Crimetime 372 - Titelfoto © ORF

Ein blonder Moritz und ein Mädchen aus der Literatur

In seinen vierten Fall wird Moritz Eisner, der Sonderermittler aus Wien nicht etwa drauf angesetzt, sondern unbeabsichtigt verwickelt. Er macht Urlaub in Tirol und wird Zeuge, wie ein Passions-Schauspiel immer mehr Parallelen zur Realität zeigt. Es beinhaltet selbstverständlich auch einen gekreuzigten Christus-Darsteller. Verschärft wird die Situation dadurch, dass die Leitende Ermittlerin aus ebenjenem Bergdorf stammt, in dem sich alles zuträgt, und dadurch, dass die neueren Wiener Tatorte zwischendurch rückwärts gespult werden: Die meiste Leichen gab’s, bevor die eigentliche Handlung einsetzt. Mehr über das alles steht garantiert in der -> Rezension

Handlung

In einem kleinen Tiroler Bergdorf wird der Jesus-Darsteller der hiesigen Passionsspiele auf kuriose Weise ermordet: Er wird gekreuzigt. Die im Ort aufgewachsene Kommissarin Roxane Aschenwald erhält bei ihren Ermittlungen Unterstützung von dem Wiener Kriminalisten Moritz Eisner, der eigentlich in Ruhe Urlaub machen wollte und nun mit seiner Kollegin einer Reihe weiterer ungeklärter Todesfälle auf die Spur kommt. Der ORF-Tatort „Passion“ ist ein packend inszenierter Heimat-Krimi, der mit Harald Krassnitzer, Sophie Rois, Dietmar Schönherr und Reinhard Simonischek hochkarätig besetzt ist.

Der Wiener Kommissar Moritz Eisner hat sich seinen Urlaub im idyllischen Tirol anders vorgestellt. Bereits am Tag nach seiner Ankunft findet er beim Wandern einen Toten. Hubert Egger, der Sohn des Bürgermeisters Alois Egger, wurde auf ebenso grausame wie sinnfällige Weise ermordet. Jemand hat den Jesus-Darsteller der traditionell alle acht Jahre von der kleinen Gemeinde aufgeführten Passionsspiele ans Kreuz genagelt. Die noch unerfahrene Kommissarin Roxane Aschenwald soll den Fall klären.

Sie ist in dem kleinen Ort aufgewachsen und war sogar einst mit dem Toten verlobt. Die Ermittlungen erweisen sich als schwierig, die Dorfbewohner bilden eine verschwiegene Gemeinschaft. Außerdem kennen sie Roxane und akzeptieren sie nicht in der Rolle der Kommissarin. Zu allem Überfluss muss sie noch ihren eigenen Vater vernehmen. Widerstrebend akzeptiert Roxane die Unterstützung des Wiener Kollegen. Gemeinsam finden die beiden heraus, dass Hubert seine Jesus-Rolle zuletzt so ernst nahm, dass er sogar in der Kirche predigen wollte.

Neben dem Mordfall stoßen die beiden Kriminalisten noch auf eine ganze Serie rätselhafter Todesfälle, hinter der eine Mafia-ähnliche Organisation steht. Als sich endlich eine heiße Spur ergibt, werden die beiden Polizisten in einen Hinterhalt gelockt und niedergeschlagen. Mit brummendem Schädel kommt der Kommissar zu sich und findet sich an einen Baumstamm gefesselt, der sich langsam ins Sägewerk bewegt.

Rezension

Was war der Krassnitzer damals noch ein Glattgesicht. Wir schreiben das Jahr 2000. Ein echter Millenniumstatort. Zweitausend Jahre nach der Geburt Christi einen Film zu machen, in dem dessen Kreuzigung auf eine so böse Art reflektiert wird wie in diesem 448. Tatort, das hat schon was.

Das ist der älteste Eisner, den wir bisher gesehen haben, kein Wunder, dass sein Darsteller uns so jung erscheint. Bei den deutschen Teams, die schon so lange Dienst tun, haben wir die optischen Veränderungen schon adaptiert, welche die Schauspieler im Lauf der Zeit durchgemacht haben.

Es zeigt sich zumindest an diesem Tatort, dass die frühen Folgen mit Moritz unterbewertet sind. Wir haben ja in unseren Vorschauen zu aktuellen Tatorten aus Wien schon mehrfach darüber referiert, wie schwer es der Moritz mit uns Piefkes anfangs hatte und es anhand der Eisner-Kurve nachgewiesen (zuletzt für „Abgründe“). Eisner prägt, an der Zahl der Folgen gemessen, schon die halbe Tatortgeschichte mit, aber er wurde anfangs nicht ganz verstanden. Ehrlich, uns ging’s auch so. Obwohl wir das Wienerische ein wenig kennen, sind wir in dieser Folge vier- bis fünfmal an die Grenzen gestoßen und es hat auch nichts geholfen, zurückzuspulen und etwas lauter noch einmal hinzuhören. So ist die Kognition bei manchen Menschen: Was sie nicht auf Anhieb kapieren, kann man ihnen auch nicht durch gebetsmühlenartiges Wiederholen eintrichtern.

Hat uns aber gar nicht so schlimm gestört, denn kompliziert war die Handlung nicht. Allenfalls haben wir ein paar Gags verpasst, vor allem zum Ende hin, wo die Passion aber ohnehin etwas nachließ – Ausnahme: Roxannes Table-Strip als Maria Magdalena.

Wie meinen? Sophie Rois spielt die Leitende Ermittlerin Roxanne Aschenbach, und die hatte in einem früheren Passionsspiel mal die Maria Magdalena gegeben, dann ist sie weg aus dem Dorf und wollte mit allem, vermutlich auch mit der Erinnerung an diese alkoholreiche Szene, nichts zu tun haben. Respekt trotzdem, bei einer Schauspielerin dieses Kalibers hätten wir sowas nicht vermutet. Okay, ist fast fünfzehn Jahre her und wir sind ziemlich sicher, sowas würde ihr heute nicht mehr passieren. Aber 2000 war eben auch eine Zeitenwende, die Tatorte der 1990er waren generell noch etwas freizügiger.

Als es Münster noch gar nicht gab, haben sie in Österreich aber den unkorrekten Tatort erfunden, wie uns „Passion“ zeigt. Der Unterschied zu Münster ist, dass Thiel und Boerne so gemacht sind, dass auch Deutsche verstehen, dass das jetzt Humor sein soll, während, wie geschrieben, bei Eisner teilweise die Fragezeichen auf den Gesichtern hiesiger Zuschauer gestanden haben dürften als er 2000 mit solchen Sachen daherkam wie diesem Bergdörfler-Krimi, der am Ende einen Drall in die Nazizeit und zu den Amis und ihren skrupellosen Bergbaumethoden bekommt. Ersteres hat ja mittlerweile auch Tradition und beweist, dass sie da unten noch viel aufzuarbeiten haben, während wir ja längst damit fertig sind.

Klasse gespielt ist er, der Tatort mit den drei Kreuzen. Eisner bzw. Krassnitzer ist noch nicht so prägnant wie heute und fällt im Ensemble mit Rois, Schönherr und anderen nicht so auf wie jetzt mit Bibi Fellner aka Adele Neuhauser als Partnerin. Dieses Pingpong hätte man aber auch mit Sophie Rois entwickeln können, allein, dies war eine Gastrolle. Eine grandios gespielte. Diese Schauspielerin hat ja etwas leicht Dämonisches und ob wir das im Alltag so prickelnd fänden, können wir nicht sagen, aber hier zeigt sie ihre ganze Präsenz und macht doch alles mit, was das Drehbuch und die Inszenierung verlangen, inklusive übertriebener Schreikrämpfe, die so schön heiser klingen.

Vielleicht war also, vor dem Westfalentatort, „Passion“ einer der ersten wirklich skurrilen Filme der Reihe, schon angelegt nach heutigem Muster. Eine bestimmte Provinz wird mit komplett überzeichneten Figuren dargestellt. Aus der Übersteigerung resultiert die Pointierung und diese dient der Veranschaulichung. Es gibt weitere Tatorte mit Eisner, die in diese Richtung tendieren und auch in Tirol oder sonst auf dem Land spielen, wie der allerdings doch etwas ernstere „Baum der Erlösung“, der uns sehr gut in Erinnerung geblieben ist und auch solche Hinrichtungsszenen im Mondlicht beinhaltet wie „Passion“.

Während der Anwesenheit von Eisner vor Ort sterben in „Passion“ nur drei Menschen einen gewaltsamen Tod und einige weitere beinahe, wie etwa der Major selbst, der um ein Haar sein Leben in einem Sägewerk gelassen hätte – wenn nicht Roxanne ihm zu Hilfe gekommen wäre. Aus sowas entstehen lebenslange Freundschaften, die sogar zum Du führen können. Aber schon seit Jahren werden Morde als Unfälle oder natürliche Todesfälle kaschiert, weil einige sture Bergbauern ihre Höfe nicht veräußern wollen, damit die Amerikaner den Wolfram-Berg der Nazis weiter ausbeuten können. Klar, dass man dafür suggerieren musste, dies solle im Tagebau geschehen, denn warum hätten sonst die Höfe weichen sollen? Irgendwie erinnert das Ganze ein wenig an das wohl schrägste unter den vielen Fünf-Freunde-Büchern, da wird mitten in England von fremden Mächten Uran gewonnen und in der Umgebung verursacht diese Arbeit seltsame Lichter. Auch das Drehbuch von „Passion“ hat ziemlich laxe Stellen, aber da es nicht bemüht wirkt, sondern mit einem Augenzwinkern dargebracht wird, tolerieren wir das mal.

Die Geschichte der Kreuzigung Christi in den realen Geschehnissen und Menschen eines Bergdorfes zu spiegeln, ist nicht so weit hergeholt. Es gibt einige Persiflagen aufs (letzte) Abendmahl, außerdem wird es nicht konsequent durchgezogen, sondern teilweise konterkariert: Judas in Person von Vater Aschenbach verkauft eben Jesus nicht, sondern steht gegen all die anderen Verräter. Petrus, der Bürgermeister, der hingegen verrät Jesus, welcher von seinem Sohn gespielt wird. Dieser hat einen religiösen Wahn entwickelt, der darin gipfelt, dass er den Ausverkauf des Dorfes verhindern will, denn einer, der durch Abfindungen der Amerikaner reich wird, passt eben nicht durch das Nadelöhr, das zur Auferstehung und Erlösung führt. Da kann selbst Pilatus nur noch seine Hände in Unschuld waschen oder sich die Hände reiben, an der Hotelbar sitzend, hinter welcher der Mörder von Jesus steht, nämlich dessen Bruder. Jesus hatte keinen Bruder, aber so genau muss man’s nun auch nicht nehmen, sonst könnte man die ganze Küchenphilosophie und Kain und Abel nicht unterbringen, welche mit der Christus-Passion gekreuzt wird.

Die heutigen Wiener Tatorte werden ja sehr gelobt und wir tun das auch gerne. Aber sie sind mit ihren übertriebenen Elementen, den vielen Toten, den löcherigen Plots ein wenig Verarsche, das wollen wir nicht vergessen. Man hat sich gewissermaßen gesagt, wenn Ihr Eisner nicht in die Berge folgt zu den skurrilen Berglern, dann verlegen wir alles in die Stadt, machen es entsprechend dem städtischen Lebensgefühl schneller, unübersichtlicher und daher so wenig nachvollziehbar, dass Schwächen nicht so auffallen – und ersetzen schräge Gebirgler durch fremde Ethnien, was ja in etwa dieselbe Distanz bedeutet. Zumindest haben wir so einen leise Ahnung, dass das Wort „Parallelwelt“ wohl deshalb so genial ist, weil fast jeder hier für jeden anderen in einer Welt lebt, die irgendwie anders ist und daher eine „Parellelwelt“, ein unverständlicherweise neben dem eigenen existierendes Universum. Die Sprachbarriere, das haben wir schon geschrieben, ist in beiden Fällen ähnlich hoch.

Fazit

Man sollte „Passion“ gesehen haben, für uns gehört er zu den essentiellen Eisners. Er hat so viele Anspielungen und Bezüge, dass wir sie hier nicht alle darstellen können, einige wichtige haben wir erwähnt. Dazu ist er wirklich witzig, wenn man sich nicht sperrt gegen die spezielle Art von Humor. Man muss die satirische Aufarbeitung der Dorffrömmigkeit, die nicht nur in diesem Eisner eine Rolle spielt, mögen. Wir meinen auch, es ist ein Tatort zum mehrfach anschauen. Nicht nur, weil es Leute geben soll, die nicht mit dem Dialekt so richtig klarkommen, beim ersten Gucken, sondern darunter auch solche sein könnten, die beim zweiten Mal tatsächlich neue Erkenntnisse gewinnen. Und mehr Details in diesem detailreichen Tatort entdecken. Es gibt allerdings zwei oder drei, die versteht man wohl nur, wenn man Katholik oder Österreicher ist oder beides zusammen. Wenn das eine, dann ist das andere aber sowieso meist der Fall. Cyrano de Bergerac kennen wir allerdings auch, und wie wir wissen, heißt die Kommissarin vor Ort Roxanne. Dazu gibt es im Film natürlich eine witzige Szene.

8,5/10

© 2019, 2014 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Moritz Eisner – Harald Krassnitzer
Roxane Aschenwald – Sophie Rois
Alois Egger – Dietmar Schönherr
Hubert Egger – Gregor Seberg
Christian Egger – Simon Schwarz
Franz Aschenwald – Reinhard Simonischek
Toni Horngacher – Fritz von Friedl
Martin Thaler – Alexander Lutz
Dr. Rieser – Dietrich Siegl
Ludwig Thaler – Manfred Lukas Luderer
Doris Falkner – Nina Proll
und andere

Regie – Ilse Hofmann
Musik – Frank Wulff und Stefan Wulff
Kamera – Felix Mitterer

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