Crimetime 402 - Titelfoto NDR Presse und Information / Fotoredaktion
Brocki in der Löwengrube
„Angesichts jüngerer Erstausstrahlungen, auch und gerade aus Hamburg, wird die Stoever- und Brockmöller-Traditionspflege immer mehr zum Minnedienst an einer gloriosen Vergangenheit. Und wir kommen gut voran„, schrieben wir 2014 schön pathetisch, bevor diese Rezension erstmals veröffentlicht wurde. Der Entwurf stammt aus dem Jahr 2013. Und weiter:
„Mit „Tod im Elefantenhaus“ schließen wir wieder eine Lücke der Frühphase der beiden Hamburger Ermittler, die von 1984 (Stoever) bzw. 1985 bis 2001 (Brockmöller) für den NDR im Tatort-Einsatz waren.“ Derzeit wird die Traditionspflege nicht so vehement betrieben, daher sind seit dem Start von „Crimetime“ als Rubrik des neuen Wahberliners trotz nunmehr über 400 Rezensionen weniger Werke mit Stoever und Brockmöller enthalten als nach drei Jahren TatortAnthologie des „ersten“ Wahlberliners.
Wie es im Elefantenhaus zuging, steht jedenfalls in der -> Rezension.
Handlung, Besetzung, Stab
Die Elefantenkuh Mogli spielt eine Hauptrolle in diesem „Tatort“; denn der Schauplatz des Krimis ist der Hamburger Tierpark Hagenbeck. In ihrer Box im Elefantenhaus trampelt Mogli den Tierparkinspektor Rolf Bergmann zu Tode. Natürlich hat der Unfall Bergmanns Kollegen erschreckt; aber bedauert wird das Opfer nicht. Wegen seiner rüden Art, mit Menschen umzugehen, war Bergmann nicht gerade beliebt, von manchem Mitarbeiter des Tierparks wurde er sogar gehaßt. War es überhaupt ein Unfall – oder wurde Mogli als »Mordwaffe« benutzt? Kriminalhauptkommissar Stoever und sein Kollege Brockmöller dringen behutsam in das ihnen fremde exotische Terrain des großen Zoos ein; bald finden sie sich in einem Dschungel von Mißtrauen, Mißgunst, Wut und Haß.
Motive für ein Verbrechen entdecken sie genug: David Weber, der Sohn des Tierarztes, hatte in der Nacht, in der Bergmann starb, eine handgreifliche Auseinandersetzung mit ihm. Bergmann hatte David im Futterraum des Elefantenhauses bei einem Rendezvous mit seiner Tochter Inga überrascht. Davids Vater, Dr. Weber, war mit Dr. Christine Lohnert verlobt – dann wurde sie Bergmanns Geliebte. Auch der Buchhalter Liehr hatte einen handfesten Grund. Bergmann wußte von Unregelmäßigkeiten in der Kontenführung. Hat Liehr den Mitwisser aus dem Weg geräumt? Aber alle Beobachtungen, Vernehmungen, Nachforschungen führen zu nichts. Erst in Bergmanns Vergangenheit findet sich der Schlüssel zu einem lange geplanten Racheakt.
Rezension
Die Folge 192 trägt Vieles in sich, was Freude macht. Einen Hinweis auf norddeutschen, trockenen Humor gibt bereits die Besetzung. Evelyn Hamann, Loriots kongeniale Partnerin, in einer beinahe sketchartigen Rolle; eine Art kleiner Film im Film, die Sache zwischen ihr und dem genervten Buchhalter.
Das ist wunderschön gespielt. Auch die übrige Besetzung ist weit überdurchschnittlich, demgemäß wirken die Schauspielleistungen vergleichsweise modern und ausgewogen – und Ben Becker haben wir noch nie so jung gesehen. Er zeigt noch nicht alles, was er heute drauf hat, aber man meint, im Verlauf des Films eine kleine Entwicklung zu sehen, als habe er seine Rolle während der Dreharbeiten adaptiert. Voraussetzung dafür, dass diese These stimmt, ist allerdings ein chronologischer Dreh.
Brockmöller ist auch hier noch ohne Oberlippenbart, Stoever trägt noch keine bunten Krawatten und beide agieren noch vergleichsweise sachlich. Die Manierismen späterer Folgen, inklusive der musikalischen Unterhaltung, gibt es nicht. Immerhin darf Stoever sagen: „Ich weiß gar nicht, was die anderen immer alle haben, du bist ein guter Kriminalist“, womit die Hierarchie, wie in allen frühen Folgen der beiden, eindeutiger definiert ist als in den 90ern.
In diesem Tatort steckt viel Witz. Nicht nur der Einsatz von Evelyn Hamann als rachsüchtiger Sekretärin des Hagenbeckpark-Buchhalters belegt das. Auch die persönlichen Verhältnisse sind stilisiert und sehr eindeutig, bis hin zur young Love zwischen Ben Becker und Kerstin Draeger, unterlegt mit einem US-Oldie der frühen 60er Jahre. Teenage Romance wird hier ein wenig überzeichnet und wirkt dadurch frisch und vergnüglich. Eine Szene, in der Romeo zu Julia auf den Balkon steigt, ist hingegen mit einer Musik unterlegt, die das enervierende Streichergequietsche von „Psycho“ zitiert. Hitchcock begegnet uns auch in dem Moment, in dem Brockmöller am Abgrund zum Löwengehege hängt. Wir haben darauf gewartet, dass der flüchtige Ben Becker an ihn heran und ihm auf die Hand tritt, wie es Cary Grant durch einen Bösewicht in Hitchcocks „North by Northwest“ geschah. Brocki rutscht aber einfach nur ab und steht einem Löwen gegenüber.
Die Tierwelt findet erstklassige Verwendung, ein Elefant als Mordwaffe ist etwas Unalltägliches, wenn auch nicht maximal realistisch. Doch nach dem, was wir zuletzt an neuen Tatorten erlebt haben, ist „Tod im Elefantenhaus“ geradezu nüchtern und glaubwürdig, obwohl er in der Zeit, in welcher er entstand, sicher progressiv und auch ein wenig abgedreht rüberkam.
Heute aber da schon so viel Nostalgie. Verstärkt wird dieser Effekt noch durch eine melancholische Reflektion auf das Zirkusleben, das bezüglich des Mordmotivs eine wichtige Rolle spielt. Auch dabei wurde wieder das eine oder andere Filmzitat eingespeist und die todgeweihte Stimmung gipfelt in einer sehr real ausgefilmten Beisetzungszeremonie, wie man sie auch in Tatorten selten vorfindet. Viele der Stars, so muss man das Ensemble schon bezeichnen, sind heute noch gut im Geschäft, das trifft natürlich auf Ben Becker zu, auf Hannelore Elsner – aber mit Raimund Harmstorf als Mordopfer sehen wir auch einen Star der 70er Jahre (Der Seewolf, Michael Strogoff), dessen Karriere in den 80ern bereits am Ausklingen war und der 1998, von der Parkinson-Krankheit gezeichnet, Selbstmord beging. Hintergrundwissen erhöht den Hauch von Vergänglichkeit, der durch die Pleite des Zirkus, in dem einige der Hagenbeck-Mitarbeiter einst beschäftigt waren, initiiert wird.
Emotional bietet „Tod im Elefantenhaus“ also ein schönes Panorama – die Handlung hingegen kann man nur entweder als leicht absurd oder im Sinn der enthaltenen Ironie als einen Ausdruck derselben empfinden. Das Motiv des Mörders wirkt in der Tat weit hergeholt. Es liegt weit in der Vergangenheit und jahrelang geschah nichts, obwohl das Opfer und sein Täter sich räumlich stets nah waren. Und dass jemand die Nerven verliert und ein Geständnis macht, weil er von einem Elefanten mit erhobenem Rüssel und Kopfschütteln als Mörder identifiziert wird, ist sicher im Reich der Legende, wie die Szene an sich etwas Skurriles hat.
1986 war man noch nicht im Postkrimi-Zeitalter angekommen, umso verblüffter stellen wir heute fest, dass auch damals schon mit einem Augenzwinkern gearbeitet wurde, das im weiteren Verlauf der Zusammenarbeit die Stoever-Brockmöller-Krimis immer mehr prägen sollte. Das hat sicher mit verhindert, dass sie als plotseitige Highlights der Serie gelten, aber sie anzusehen, hat etwas wunderbar Befreiendes angesichts der gewaltigen formalen Ansprüche, der inhaltlichen Extravaganzen oder Betisen heutiger Produktionen. Hier kann man sich noch auf die Darsteller konzentrieren und dem Fall zu folgen, erfordert kein beinahe übermenschliches Abstraktionsvermögen.
Fazit
„Tod im Elefantenhaus“ ist ein schöner Tatort für einen netten Abend mit gut aufgelegten Kommissaren. Er profitiert von reizvollen Ideen, humorvoller Umgang mit den Charakteren und manch hübsches Zitat machen ihn zu einem leichten Genuss. Er ist kein Themen- und Thesen-Tatort, sondern lebt von seinem Setting und den guten Figuren, die von einem veritablen Starensemble mühelos verkörpert werden.
An gewissen Details wie Mode, Brockmöller ohne Schnauzer, Audi 100 der ersten CW-Wert-Generation als Dienstwagen, nicht aber an der Inszenierung haben wir den Krimi als 80er-Jahre-Produkt identifiziert. Die Machart war auch in den 90ern noch Stand der Dinge; ist den Mittachtzigern hingegen bezüglich der Reichhaltigkeit an szenischen Motiven und ihrer Leichtigkeit ein wenig voraus. Ein großer Krimi mit entsetzlicher Spannung ist dieser Whodunnit allerdings nicht, auch die Brutalität hält sich soweit in Grenzen, dass er neulich vom NDR in einem Double Feature als erster gesendet wurde – um 20:15 Uhr, was bei etwas härteren Tatorten ja nicht möglich ist (nach FSK-Bewertung können einige Folgen erst ab 22:00 als Wiederholung gezeigt werden).
7/10
© 2019, 2014 Der Wahlberliner
Hauptkommissar Stoever – Manfred Krug
Hauptkommissar Brockmöller – Charles Brauer
Rolf Bergmann – Raimund Harmstorf
Christine Lohnert – Hannelore Elsner
Heinz Weber – Peter Bongartz
David Weber – Ben Becker
Inga Bergmann – Kerstin Draeger
Walter Pohle – Bruno Dallansky
Max Steiner – Manfred Günther
Wilma Happel – Evelyn Hamann
Regie – Bernd Schadewald
Buch – Sven Freiheit nach einem Roman von Peter Weisflog
Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

