Crimetime Vorschau - Titelfoto © MDR
Angekommen, nicht ganz
Im vorherigen Fall „Einsatz in Leipzig“ waren die Sachsenkommissare Ehrlicher und Kain noch in Dresden beheimatet und mussten in Leipzig ermitteln. Nun haben sie die Dienststelle also gewechselt und wir können wieder eine Lücke schließen. Denn „Tödliches Verlangen“ haben wir noch nicht gesehen und werden den Film heute Abend aufzeichnen. Wir werden im Moment häufig damit konfrontiert, dass die TatortAnthologie, die im neuen Wahlberliner in die Rubrik „Crimetime“ eingebettet ist, noch weit entfernt ist von der Vollständigkeit, obwohl wir bereits über 700 Fälle angeschaut und darüber geschrieben haben.
Aber es gibt nun einmal mittlerweile genau 1.100 und der allerjüngste spielt wieder in Sachsen („Nemesis„). Man bemerkt auch, dass die Sender, die ihre älteren Werke hervorholen, eine Art Auffüllung betreiben – indem sie Filme wiederholen, die nicht zu den Tops der jeweiligen Ermittler zählen und die sie nicht so gerne zeigen wie einige, die allgemein als Highlights gelten. Das gilt auch für „Tödliches Verlangen“, der gemäß Einschätzung der Nutzer von „Tatort-Fundus“ auf Rang 28 von 44 steht (Stand 21.08.2019). Das die Ehrlicher-Kain-Fälle insgesamt nicht so hoch bewertet sind, bedeutet das eine Einordnung in der Gesamtliste in den „800ern“, also im unteren Drittel. Allerdings leitet er auch die beste Phase von Kain und Ehrlicher ein, denn die Leipzig-Tatorte werden in diesen Ranglisten im Durchschnitt deutlich höher eingeschätzt als die älteren Fälle, die in Dresden gefilmt wurden und wir haben mehrfach darüber geschrieben, warum das so sein könnte: Die späteren Filme der beiden sind lockerer, das Gründeln in der Ost-Befindlichkeit ist nicht mehr so ausgeprägt.
Da die Reihe Tatort im Osten keine Vergangenheit hatte, konnte man das Negative an der Nachwendestimmung, das spätestens ab der kleinen Rezension von 1993 dominierte, mit Kain und Ehrlicher in epischer Breite darstellen, zumal es der tatsächlichen Einstellung mindestens des Sachsen Peter Sodann weitgehend entsprochen haben dürfte, also sehr echt wirkte, weil es echt war. Sodann ist einer der am meisten politischen Schauspieler, die heute in Deutschland leben und sicher einer der interessantesten. Er startete als satirischer Kritiker der DDR und sieht heute die Bundesrepublik – zu Recht – kritisch bezüglich ihrer demokratischen Ausgestaltung.
Bei den Polizeirufen, mit denen wir uns nun ebenfalls beschäftigen, war das nicht so einfach: Bei dieser Reihe hätte man DDR-Nostalgie wesentlich strenger bewertet, weil der Polizeiruf 110 tatsächlich ein DDR-Produkt war. Peter Sodann und Bernd-Michael Lade hingegen traten außerdem als neue Gesichter in die Tatortgemeinde ein.
Über das gültige Narrativ der Wendezeit wird gerade wieder debattiert, angesichts von drei bevorstehenden Landtagswahlen im Osten, in denen sich eine Rechtstendenz abzeichnet – und angesichts „30 Jahre Mauerfall“, die uns am 9. November bevorstehen. Es wird nie eine gültige, eine einheitliche Erzählung geben, nur einen Bestand an nachweisbaren Fakten. Nach unserer Ansicht haben sowohl Menschen aus dem Osten wie aus dem Westen das Recht, die Wende von 1989-1990 eigenständig zu bewerten, denn die Bewohner beider bis dahin getrennten deutschen Staaten sind durch sie in eine neue geschichtliche Phase eingetreten, die für sie alle Auswirkungen auf den politischen Raum, in dem sie sich bewegten und bei vielen, auch aus dem Westen, auf den persönlichen Lebensweg hatte.
Ehrlicher und Kain wirken in Leipzig schon recht gut angekommen. Leipzig ist auch die Stadt in Sachsen, die wir nicht nur besonders mögen, sondern die Kommune, die bezüglich der politischen Ausrichtung einer üblichen deutschen Großstadt am meisten ähnelt. Auch wenn der Fall „Tödliches Verlangen“ vielleicht nicht der Knaller ist, wir gehen gerne wieder mit Ehrlicher und Kain nach Leipzig, wie es vor nunmehr fast 20 Jahren war.
TH
Handlung
In ihrem zweiten Fall, den die vormals in Dresden ermittelnden Kommissare Ehrlicher und Kain in Leipzig zu lösen haben, müssen sie in einem emotionalen Sumpf aus Eifersucht und Geldgier nach einem Mörder suchen. Denn aus einem See wird die Leiche der hübschen Sabrina gefischt. Die Studentin, die in einem Tanzlokal strippte, war zuletzt von Hans-Joachim Wolff gesehen worden, der ihr Geld für eine Liebesnacht zugesteckt hatte – Geld, um das sie ihn betrog, als sie vor ihm aus dem Taxi in einen Hauseingang floh.
Dasselbe Haus führt die Polizisten zu Robert Quint, in dessen Wohnung sich Sabrina offenkundig häufiger aufgehalten hatte. Der Besuch bei dem gut aussehenden Mann bringt Wesentliches ans Licht: Die junge Frau wurde hier mit einem Kaminbesteck erschlagen. Und: Der Tatverdächtige hat sich ein Pseudonym zugelegt – unter seinem bürgerlichen Namen Beauregard Belano wird er wegen Betrugs per Haftbefehl von der Polizei gesucht. Quint alias Belano gibt alles zu – nur den Mord an Sabrina nicht. Ehrlicher und Kain müssen ihn gegen eine Kaution laufen lassen.
Doch mit seiner Freilassung bekommen die Ermittlungen endlich eine Eigendynamik: Quints Kaution wurde von der Molekularbiologin Prof. Dr. Christine Werrling hinterlegt, die Millionen durch ihre Patente verdiente und mit ihm eine gemeinsame Zukunft plant. Deren Tochter Nelly droht, diese Pläne zu durchkreuzen – auch sie liebt Quint. Und: Nelly kannte Sabrina, mit der sie sich vor Zeugen auf dem Flur der Universität gestritten hatte. Als sich der Kreis für die Kommissare langsam schließt, packt Quint klammheimlich seine Sachen und verschwindet aus seiner Wohnung.
Besetzung und Stab
Kommissar Bruno Ehrlicher – Peter Sodann
Kommissar Kain – Bernd Michael Lade
Kriminaltechniker Walter – Walter Nickel
Prof. Dr. Christine Werrling – Barbara-Magdalena Ahren
Nelly Werrling – Jenny Deimling
Robert Quint / Beauregard Belano – Ralph Herforth
Sabrina Schumann – Stefanie Schmid
Fredericke – Annekathrin Bürger
Harald Zyprick – Carl-Heinz Choynski
u. a.
Drehbuch – Fred Breinersdorfer
Regie – Miko Zeuschner
Kamera – Frank Küpper
Musik – Julian Boyd, Oskar Sala
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