Crimetime 456 - Titelfoto © DFF / ARD
Der Mann, der nach Hause durfte
Die Polizei stellt fest, dass jemand eine Tötungshandlung begangen hat – keinen Mord, aber eine schwere Körperverletzung mit Todesfolge, in Tateinheit mit unterlassener Hilfeleistung. Ermittler Fuchs zum Täter: „Gehen Sie mal nach Hause.“ Oder so. In der Wendezeit kam offensichtlich die Orientierung schneller abhanden, als wir bisher vermutet hatten. Was es sonst über den 146. Polizeiruf zu schreiben gibt, steht in der -> Rezension.
Handlung (Wikipedia)
Nach der Schicht im Holzverarbeitungsbetrieb fährt Michael Preibisch auf seinem Motorrad nach Hause. Sein Bruder Roland war nicht mehr im Betrieb. Auf der Heimfahrt sieht Michael ihn neben seinem Motorrad auf einer Wiese unweit der Straße liegen. Ein Auto fährt gerade weg. Roland wird schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. Als er später aus der Ohnmacht erwacht, wird deutlich, dass er querschnittsgelähmt bleiben wird. Kriminalhauptkommissar Peter Fuchs und Kriminaloberkommissar Manfred Bergmann übernehmen die Ermittlungen. Nach Bremsspuren und Spurweite muss es sich beim in den Unfall verwickelten Wagen um einen Trabant gehandelt haben. Michael vermutet den Verursacher im Personal des Holzverarbeitungsbetriebes. Die Trabants werden überprüft, doch weist keiner Unfallspuren auf.
Michael glaubt, dass die Ermittler nicht schnell genug arbeiten und ermittelt auf eigene Faust. Am Tag nach dem Unfall findet er auf der Wiese unweit des Tatorts einen Außenspiegel. Er verheimlicht den Fund und überprüft selbst die Wagen auf dem Betriebsparkplatz. Am Trabant von Alfred Müller wurde der Außenspiegel ersetzt. Die Halterung liegt auf der Rückablage. Michael stellt Alfred im Betrieb zur Rede und droht ihm Schläge an. Nur mit Mühe kann Betriebsleiter Dietmar Stegemeier die beiden Männer trennen. Alfred wird mit auf die Wache genommen, kann jedoch nur sagen, dass sein Außenspiegel abgebrochen wurde. Lackuntersuchungen zeigen, dass Auto und Spiegel nicht zusammengehören. Es wird deutlich, dass der Verdacht aktiv auf Alfred gelenkt werden sollte. Michael entschuldigt sich später bei Alfred, der einen anderen Verdacht äußert. Daniela Pielmann sei an dem Tag Trabant gefahren. Die Sekretärin des Betriebes hat eine heimliche Affäre mit Leiter Dietmar, von der im Betrieb gemunkelt wird. Michael verschafft sich heimlich Zutritt zur Garage der Pielmanns und erkennt anhand der Kratzer und des Spiegels, dass es sich bei diesem Trabant um den Tatwagen handeln muss.
Die Ermittler haben inzwischen auch herausbekommen, dass Daniela mit einem Trabant zur Arbeit erschienen war. Nach Hause fahren sah sie jedoch niemand. Die Überprüfung stellt fest, dass es sich bei Pielmanns Auto um den in den Unfall verwickelten Trabant handelt. Ein Nachbar sagt aus, dass vor kurzer Zeit Michael von der Garage weggerannt sei. Von Danielas Eltern erfahren die Ermittler, dass Daniela sich in ihrem Bootshaus am See aufhält. Dort finden sie nur die im Wasser treibende Leiche Danielas vor. Ein Mann versucht, über den See zu flüchten, doch kann Manfred Bergmann ihn stellen: Es handelt sich um Dietmar Stegemeier.
Dietmar sagt aus, dass er Daniela bereits tot im Wasser aufgefunden habe. Als die Polizei kam, sei er in Panik geraten. Die Ermittler suchen nun Michael Preibisch auf, der flieht, als er sie kommen sieht. Er eilt zum Krankenhaus an das Bett von Roland und berichtet ihm, dass Daniela den Unfall verursacht habe. Roland widerspricht ihm. Eine andere Frau habe am Steuer gesessen. Michael reagiert verzweifelt, da er Daniela umgebracht hat. Vor den Ermittlern, die ihn im Krankenhaus festnehmen, sagt er aus, er habe sie zur Rede stellen wollen, doch konnte sie seine Fragen zum Tathergang nicht beantworten. Er nahm an, dass sie Ausflüchte suchte und schlug sie nieder, als sie gehen wollte. Vom Schlag benommen stürzte sie ins Wasser. Michael zog die bewusstlose Frau nicht heraus, sodass sie ertrank.
Der Tod von Daniela ist geklärt, nicht jedoch der Unfall Rolands. Von Dietmar erfahren die Ermittler, dass er am Tatabend mit Daniela im Bootshaus war und jemand plötzlich mit ihrem auf dem Grundstück geparkten Trabant davonfuhr. Er vermutet auch jetzt noch einen bösen Streich: Der Wagen fand sich später vor dem Grundstück der Pielmanns wieder. Daniela und Dietmar, die nach dem Wagen suchten, sahen kurz darauf Carsten Heideklang, Danielas Freund. Der hatte von Dietmars Frau vom Verhältnis ihrer jeweiligen Partner erfahren und war zum Bootshaus gegangen. Dort sah er jedoch weder das Paar noch den Trabant, berichtet er den Ermittlern. Die wissen nun, dass nur noch Susanne Stegemeier als Täterin infrage kommt, die von ihnen bereits früher vernommen wurde. Erst jetzt gesteht sie, dass sie vor Carsten am Bootshaus war und Dietmar und Daniela hörte. Sie wollte beiden eines auswischen und stahl den Wagen. Bei ihrer Fahrt verursachte sie den Unfall mit Roland und beging Fahrerflucht. Ursprünglich hatte sie geplant, dass Daniela den Wagen als vermisst melden muss, wobei ihr Dietmar dann als Zeuge gedient hätte. Das Verhältnis wäre so öffentlich geworden. Nun stellte sie den Wagen bei Pielmanns ab. Daniela wäre erfreut gewesen, ihn wiederzuhaben, während die Polizei schon den Fall klären würde. Am Abend hatte Susanne ihrem Mann die Unfallfahrt gebeichtet, und er versuchte, durch den abgebrochenen Seitenspiegel den Fall zu vertuschen. Beide Fälle sind nun geklärt, Dietmar müssen die Ermittler gehen lassen. Obwohl er in beide Fälle verwickelt war, kann ihm keine strafbare Handlung nachgewiesen werden.
Rezension
Auf uns hat der Film länger gewirkt als 77 Minuten, seine tatsächliche Laufzeit. Das mag von der komplex konstruierten Handlung herrühren, die zwar, wie meist bei Polizeirufen, sachlich nachvollziehbar, dieses Mal aber deshalb fragwürdig ist, weil die Handelnden – genau, ziemlich seltsam handeln.
Wir haben die Inhaltsangabe nochmal gelesen, vielleicht sollten wir das öfters tun. Kann man sich vorstellen, dass eine Frau einer anderen Frau das Auto klaut, um deren Verhältnis mit dem eigenen Ehemann öffentlich zu machen? Vielleicht, um ihr einen Streich zu spielen, aber dazu ist Frau Stegemeier nicht der Typ. Und wer war das jetzt mit dieser idiotischen Spiegel-Aktion? Stegemeier? Dann hätte er ja doch was auf dem Kerbholz – Sachbeschädigung und versuchte Irreführung der Ermittlungsbehörde. Und der Bruder des Unfallopfers prügelt sich öffentlich mit jemandem, den er verdächtigt, seinen Bruder angefahren zu haben, anstatt die Polizei auf die Sache aufmerksam zu machen, schließlich kann er ja keine Spuren sichern. Holzarbeiter!
Das Krasseste aber ist, dass ebenjener junge Holzarbeiter von Fuchs & Co. einfach gehen gelassen wird, obwohl er selbst zugegeben hat, dass er das süße Mädchen Daniela, das so in seinen Chef verknallt ist, vom Leben zum Tode gebracht hat. Dass er dabei seinen Bruder rächen wollte und dass der Tod nicht geplant war, macht es nicht so gut, dass daraus Straffreiheit resultieren könnte. Auch die Erklärung, warum er Daniela hat ertrinken lassen, ist äußerst dünn; man kann auch sagen, er liefert keine. Figuren, die sich ständig höchst befremdlich verhalten müssen und auch von anderen seltsam behandelt werden, nur, damit der Plot gefüllt wird und vorankommt, sind nicht unser Ding, das geben wir zu. Wir haben’s eher mit Nachvollziehbarkeit, auch wenn es die abweichende Logik eines Serienkillers sein muss, der das Geschehen folgt.
Als der Film im Februar 1991 erstmals ausgestrahlt wurde, war er schon 9 Monate alt, er wurde von März bis Mai 1990 gedreht. Damals war es sehr tricky, Filme zu machen, die nicht bis zur Ausstrahlung schon veraltet sein konnten. Zu Drehbeginn war nicht einmal klar, wann und auf welche Weise es eine Wiedervereinigung geben würde, zum Zeitpunkt der ersten Ausstrahlung war diese aber bereits vollzogen. Das verunsichert natürlich, das verstehen wir auch. Immerhin hat man erkannt, dass es zu viel Pappe auf den Straßen gibt. Und die verschwand dann wirklich innerhalb weniger Jahre, obwohl viele Besitzer von Trabanten vorher jahrelang auf die Auslieferung ihrer Autos warten mussten. Aber was die Ermittler so nervt, ist ja die Vielzahl der in Frage kommenden Fahrzeuge und wenn wir etwas zurückgehen, auf einem Firmenparkplatz im Westen hätte es genauso viele VW Käfer gegeben, die man hätte untersuchen müssen.
Wobei diese Untersuchung ebenfalls etwas Fragwürdiges hat, denn wer lässt sein Auto einfach mit den Unfallschäden und nach begangener Fahrerflucht öffentlich herumstehen, anstatt es schnell reparieren zu lassen und dadurch die sichtbaren Folgen zu beseitigen? Es scheint Daniela Preibisch auch nicht sehr zu stören, dass das Auto mit Schrammen in ihren Besitz zurückfand und Stegemeier auch nicht, obwohl alle wissen, dass nach einem flüchtigen Unfallfahrer gefahndet wird.
„Der Fall Preibisch“ hat einen typischen Konstruktionsplot, der erkennbar auf wendungsreich gemacht wurde. Sehr viele Verdächtige und immer mehr davon scheiden aus und es kommt zu einem weiteren, einem Folgeverbrechen. Im Gegensatz zu frühen Polizeirufen, wo Teile dessen, was geschah, von den Ermittlern für die Zuschauer als Ergebnis ihrer Kombinatorik erzählt wird, wird aber hier nach Tatort-Muster das Meiste schon gezeigt, die durchschnittliche Spielzeit der Polizeirufe ist ja auch etwas angewachsen, im Lauf der Jahre. Heute liegt sie mit 88-89 Minuten gleichauf mit der Parallel-Reihe Tatort.
Spannend fanden wir den Fall schon, weil sehr abwechslungsreich, aber die Figuren waren, sagen wir mal, nicht alle überzeugend gespielt und es ist ja auch schwer, fragwürdiges Verhalten überzeugend rüberzubringen. Vor allem bei Stegemeier fällt das auf, dessen Darsteller stellenweise ziemlich chargiert. Ermittler Fuchs tritt hier schon etwas in den Hintergrund. Er bleibt zwar der Leitende, aber der moderner wirkende Kollege Bergmann hat die meiste Ermittlungsarbeit vor Ort zu absolvieren. Ob Peter Borgelt, der dne Fuchs seit 1971 spielte, zu dem Zeitpunkt schon erkrankt war und etwas geschont wurde, wissen wir leider nicht, aber es war sein vorletzter Fall und leider verstarb er zwei Jahre später an einem Krebsleiden. Bist heute ist Fuchs der Ermittler mit den meisten Einsätzen – die Reihe Tatort einbezogen. Die Münchener Batic und Leitmayr mit 79 Fällen sind allerdings dicht dran – und Max Ballauf noch dichter, wenn man 74 Köln-Tatorte und seine neun Einsätze als Assistent in Düsseldorf zusammenrechnet.
Finale
Diese Wendezeitfilme wirken heute als Zeitdokumente sehr lehrreich und etwas Wehmut ist auch dabei – aber der Stil der damaligen Tatorte wurde rasch adaptiert und recht geschickt mit Polizeiruf-Merkmalen zusammengeführt. Das Erbe der Ost-Serie ist sicher die recht flache Dramaturgie, die bei den kürzeren früheren Filmen nicht so wichtig war, die waren ohnehin sehr gepackt. Dass man dennoch interessante Figuren zeichen konnte, lag daran, dass nicht aus der Sicht der Ermittler gefilmt wurde, sondern erst einmal geschildert, wie es zum Verbrechen kam – meistens. Auch „Der Fall Preibisch“ ist nicht überwiegend aus der Perspektive von Fuchs oder Bergmann gedreht, sondern in erster Linie aus der von Michael Preibisch.
Nach dem Anschauen fanden wir den Film eigentlich recht ansprechend, aber in diesem Fall ergibt sich eine Korrektur aus dem nochmaligen Überdenken der Handlung, die allzu sehr gedrückt und gequetscht wurde, was der Glaubwürdigkeit der Figuren leider schadet. Eine erkennbare ideologische Haltung gibt es wenige Monate nach der Maueröffnung schon nicht mehr und man hat sich lieber auf Beziehungskonflikte und Verkehrsdelikte verständig, Straftaten gegen das Vermögen von wem auch immer dieses Mal rausgelassen. Am Ende philosophieren die Ermittler darüber, wie es sich ausnimmt, wenn ein Typ wie Stegemeier die ganze Kette auslöst, aber keine Straftat begangen hat.
6/10
© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
Regie Lothar Hans
Drehbuch Hans Schneider
Produktion Martin Sonnabend
Musik Dirk Michaelis
Kamera Wolfgang Pietsch
Schnitt Ursula Henning
Peter Borgelt: Kriminalhauptkommissar Peter Fuchs
Jürgen Zartmann: Kriminaloberkommissar Manfred Bergmann
Uwe Karpa: Polizeikommissar Joachim Haase
Jens Knospe: Michael Preibisch
Marc Hetterle: Roland Preibisch
Eckhard Becker: Dietmar Stegemeier
Renate von Wangenheim: Susanne Stegemeier
Kerstin Wendel: Daniela Pielmann
Werner Ehrlicher: Vater Pielmann
Detlef Gieß: Alfred Müller
Otmar Richter: Günter Weber
Peter Reinhardt: Carsten Heideklang
Klaus Gehrke: Kriminaloberkommissar Heinrich, K-Techniker
Wilfried Pucher: Staatsanwalt
Gerd Blahuschek: Gerichtsmediziner
Uwe Zerbe: Arzt im Krankenhaus
Tabea Mielke: Juliane Müller, Kind
Ilse Bastubbe: Hauswirtin von Michael Preibisch
Peter Bügler: Ein Mann
Roman-Eckhard Galonska: ABV Betriebs-Parkplatz
Reinhard Hellmann: Arzt am Tatort
Sylvana Krappatsch: Kranführerin
Paul Kriese: Kraftfahrer im Holzbetrieb
Edeltraud Küppers: Frau Pielmann, Mutter von Daniela
Bettina Mahr: Pförtnerin
Guenther Nabzdyk: ABV Unfallort
Gerd Opitz: Kraftfahrer
Peter Pauli: Polizist am Unfallort
Manfred Schawinke: Angler Schulz
Knut Schultheiß: Schutz-Polizist im Revier
Theresia Wider: Verkäuferin
Volkmar Witt: Polizist am Tatort
Hans Jochen Röhrig: Paul
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