Der Mietendeckel wird von vielen mittlerweile eher als Wackelpudding angesehen, andere finden ihn sowieso nicht rechtssicher. Mit teuren Einzelhaus- oder Wohnanlagen-Käufen kann man nicht die ganze Stadt retten, also – was hilft wirklich gegen den anhaltenden Mietenwahnsinn?
Kann es die Enteignungsinitiative sein? Denken wir doch anhand des Interviews der taz mit Rouzbeh Taheri ein wenig nach und weiter.
Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, die sich dem Thema widmet, hat zwei Frontfiguren: Den Gründer Rouzbeh Taheri und den ebenfalls sehr medienstarken Michael Prütz, über den wir vor wenigen Tagen geschrieben haben. Wie kann das Land verändert werden – zum Guten? Das kam in der Veranstaltung, auf der Prütz sich äußerte, insgesamt kaum zum Vorschein, aber dass Prütz die Enteignungsinitative strategisch sieht und dass er kein Neu-Aktivist, sondern theoretisch geschult ist, hat man deutlich gemerkt und mit seiner zupackenden Art hat er Werbung für die Enteignungsinitative gemacht.
Und Rouzbeh Taheri?
Rouzbeh Taheri hingegen erwähnt im taz-Interview „DWenteignen“ kaum, sondern erklärt die Lage im Ganzen, die zu dieser Initiative geführt hat. Aber was soll parallel zu den Enteignungsvorgängen und dahinter stehen? Wir wollen doch wirklich wissen, wie das Land verändert werden soll.
„Ich bin dafür, Instrumente zu schaffen, die die Menschen ermächtigen, kollektives und öffentliches Eigentum zu schaffen. Es gibt viele Formen, öffentliches Eigentum zu schaffen und in kollektive Verwaltung zu übergeben: Genossenschaften, das Mietshäuser-Syndikat, Vereine. Eine Demokratisierung des Eigentums ist also das Ziel. Kurzfristig brauchen wir eine Annäherung der Verwaltungsformen der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften an die Ursprungsidee der Genossenschaft.„
Wäre das etwas zum Mitmachen, das der Stadtgesellschaft ein neues Gepräge geben und daher tatsächlich eine Veränderung herbeiführen würde?
Es ist sehr spannend und der Tag wird kommen, an dem wir mit „DWenteignen“ die konkrete Ausgestaltung diskutieren werden. Zunächst muss aber das Volksbegehren zur zweiten Stufe zugelassen werden. Im Moment hängt es bei Innensenator Geisel fest, der offenbar warten will, bis der Mietendeckel dafür sorgt, dass die Stimmung in der Stadt sich immer mehr gegen „DWenteignen“ dreht. Auch Konzerne, die dann betroffen wären, wie die „Deutsche Wohnen SE“, die der Initiative, die ursprünglich nur auf sie bezogen war, ihren Namen gegeben hat, schmeißen die Propagandamaschine mit Selbstverpflichtungen an.
Zeit, daran zu erinnern, dass Selbstverpflichtungen langfristig gar nichts ändern, sondern dass man seitens der Immobilienkonzerne nur den Sturm im Wasserglas aussitzen will …
… und dass solche Marketingmaßnahmen billig sind, wenn die dortigen Versprechungen aufgrund der Mietpreisbremse oder des Mietendeckels ohnehin einzuhalten wären. Offensichtlich ist man sich doch nicht so sicher, dass Enteignung unmöglich wäre. Wir brauchen in der Tat keine Wohnkonzerne, deren Vorstände allein Millionen verdienen. Denn das Geld dafür muss von den Mieter*innen kommen, von wem sonst? Es ist der „Overhead“, der in die Daseinsvorsorge künstlich implementiert wurde, als man der Ansicht war, alles zu privatisieren, sei das Ei des Kolumbus – und was seitdem für Qualitätsverluste sorgt.
Taheri betont das Volkswirtschaftliche, seine eigene fachliche Herkunft, ebenso, dass es immer einen Mix aus Privat- und Kollektiveigentum geben soll – und äußert sich sogar zur Fiskalpolitik.
Schade, dass er sich nicht eindeutig dazu geäußert hat, ob er sich nun für einen Linkskeynesianer hält oder sich als Marxist versteht. Vielleicht ist es aber auch ganz klug, sich da nicht festzulegen. Keine Frage, dass die Lage im Moment günstig ist, um endlich wieder massiv in die Infrastruktur zu investieren, auch in den sozialen Wohnungsbau. Aber sofern man nicht von einem Systemcrash ausgeht, muss man die Schulden trotzdem irgendwann zurückzahlen. Und wir sehen voraus, dass die Wirtschaftskraft Deutschlands sich nicht mehr erhöhen wird, sollte es zu der echten ökologischen Transformation kommen, die wir dringend für geboten halten. Das muss man mitbedenken.
Gleichwohl, in Bildung, Wohnungsbau, Forschung in eine nachhaltige Richtung etc. müsste mehr Geld gesteckt werden. Was Taheri nicht erwähnt: Würde man endlich die Vermögensteuer wieder in Gang setzen, könnte man haushalterisch einigermaßen solide bleiben. Das hat er aber sicher im Blick. Es wird ja nicht alles kollektiviert und es wird weiterhin Superreiche geben, die im Moment so gut wir gar nichts beitragen.
Die Miete ist ein Dauerschuldverhältnis …
… das stimmt. Taheri geht mehr auf die ethische Qualität der Miete ein und ob es selbstverständlich ist, Miete zu zahlen – das ist auch wieder interessant zu lesen. In letzter Zeit erworbene und derzeit angebotene und umkämpfte Häuser sind trotz der Niedrigzinsen allerdings nicht in 20-30 Jahren abzuzahlen, weil sie in Relation zur Ist-Miete immer teurer werden. Die aktuellen Spekulationspreise ziehen vermehrt den Zwang nach sich, aus den Mieter*innen so viel wie möglich herauszuholen.
Oder man verkauft wieder.
Wie es die ADO Properties gerade vorgemacht hat. Das ist dann aber wirklich ein Spekulationsgewinn. Es gibt übrigens seitens der Mieter*innen, die schon länger in den Anlagen wohnen, die jetzt an die Gewobag gehen, viele, die sich über die Managementqualität der ADO beschweren. Uns hat das nicht überrascht.
Es wird durch Privatisierung nichts besser, schon gar nicht der Umgang mit den Mieter*innen oder die Instandhaltung der Häuser. Einfacher kann Logik auch nicht sein: Es muss ja Rendite für Dritte erwirtschaftet werden, die nichts mit den Häusern selbst zu tun haben. Es ist kein weitgehend geschlossener Kreislauf, wie bei den Genossenschaften: Man zahlt Miete in einem Maß, das eine gute Bewirtschaftung erlaubt und das Geld fließt in diese Bewirtschaftung und man hat mitzubestimmen, wie hoch z. B. die Standards der Häuser sein sollen. Diejenigen Anlagen, die wir kennen, liegen bezüglich ihres Zustands über dem Durchschnitt. Auch die Stimmung ist eine andere als in den meisten Mietskasernen, weil alle sich mitverantwortlich für die Häuser fühlen. Die Menschen dort sind viel aktiver, verhalten sich eher wie Eigentümer, haben ein hohes Interesse am Gedeihen ihrer Gemeinschaft, weil sie wissen, wie sehr sich das auf die Lebensqualität auswirkt und weil sie hierauf Einfluss nehmen können.
Es geht um nicht weniger als um Demokratie im Kleinen und damit um Selbstermächtigung. Um eine Form von Wirtschaften und eine Lebenseinstellung, die dem dem Großkapital nicht gefällt, das sich passive, gut ausbeutbare Konsumenten wünscht.
Welche Aktien im wörtlichen und übertragenen Sinne haben jedoch andere in solchen Anlagen als diejenigen, die dort wohnen und diejenigen, welche die Häuser für sie verwalten und instandhalten? Keine, und das zu Recht.
Gibt es wirklich so viele notleidende Vermieter, im taz-Interview kommt das zum Ausdruck.
Abseits von dem, was Taheri dazu sagt: Dass der kapitalnahe Teil der Presse jetzt gescheiterte Vermieter ausgräbt, ist ein echter Gag. Fehlbewirtschaftung und Notlagen, die manchmal gar nicht durch die Bewirtschaftung selbst verursacht wurden, gab es immer schon – Marktwirtschaft! Woher soll aber gegenwärtig eine speziell durch Mieterschutzmaßnahmen verursachte Notlage kommen?
Die CDU sagt ja selbst, die Mietpreisbremse – als bisher einziges großflächiges Mieterschutzinstrument mit Preiswirkung außerhalb der BGB-Kappungsgrenzen – greift nicht. Dass es nicht recht funktioniert, hat die CDU maßgeblich und bewusst mitbestimmt, zum Beispiel durch lächerliche Handhabung bei Verstößen.
Also kann die Bremse auch keine Notlagen verursachen. Und die neuesten Verschärfungen können sich noch gar nicht so ausgewirkt haben, dass dadurch bisher gut wirtschaftende Vermieter fallieren. Was wir dringend anraten würden: Wenn Medien sowas schreiben wollen, müssen diejenigen, die solche Tatbestände behaupten, alle ihre wirtschaftlichen Unterlagen an Fachpersonen übergeben, die nachprüfen können, ob Vermieter wirklich wegen Mieterschutzmaßnahmen in die Verlustzone geraten sind. Alles andere ist zu spekulativ.
Kleinvermieter müssen aber bald zusätzlich arbeiten.
Wie Hartz IV-Aufstocker*innen? Nicht zu glauben, dass jemand arbeiten muss. Es heißt doch, wir seien in einer Leistungsgesellschaft verortet. Oder ist es doch eine Gesellschaft der Profiteure und nur von der Arbeit anderer fett werden, gilt als normal? Anhand konkreter Fälle, also, wenn jemand von sich behauptet, er sei ein Opfer des Mieterschutzes und wir haben genug Daten zur Verfügung, können wir das nochmal weiter ausarbeiten. Inklusive Betrachtung der WEGen, an denen er beteiligt ist, denn in diese Betrachtung muss man einsteigen, um wirklich beurteilen zu können, woher eine Schieflage kommt.
Grundsätzlich: Wer seine Immobilien nicht zu überhöhten Preisen gekauft und vielleicht schon abbezahlt hat, braucht sich keine Sorgen zu machen. Wer zu viel ausgegeben hat, kann auch baden gehen, wenn es zu einer Preiskorrektur kommt und die Geschäftsidee auf immer weiteren Wertsteigerungen beruht.
Rouzbeh Taheri zur Verscherbelungspolitik im Berlin der 2000er.
So haben wir auch angefangen: Sarrazin ist an allem schuld. Das stimmt in gewisser Weise, ist aber nicht die ganze Wahrheit. Es war ein riesiger politischer Fail, der es notwendig gemacht hat, so rasch, so ungünstig zu verkaufen. Nicht nur Ideologie. Insgesamt dominiert diese Ideologie aber heute noch. In der letzten Wirtschaftskrise haben verschiedene, auf höchster Ebene angesiedelte Institutionen, die EU-Kommission, der IWF etc. sie auch brutal durchgedrückt.
Erst, wenn sich auf dieser Ebene die Haltung pro Privatisierung und damit pro renditeorientierter Finanzialisierung immer weiterer Lebensbereiche verändert, kann man sagen, der Neoliberalismus ist endlich überwunden. Berliner (Re-) Kommunalisierungen sind kein ökonomischer Mainstream. Was uns dabei wundert: Dass viele Politiker*innen, die sich hier medienwirksam für Mieter*innen einsetzen, nichts dagegen haben, dass die EU immer noch eine Politik gegen die Mehrheit und nicht mit ihr fährt.
Wir werden bald sehen, dass z. B. die Arbeitnehmer*innenrechte bzw. das, was noch übrig ist, wieder angegriffen werden. Da muss die Rezessionstendenz sich bloß ein bisschen verfestigen. Geldpolitisch hingegen ist die Flasche schon ziemlich leer, nach zehn Jahren Dauerkrisenmodus.
Diesen Druck von oben, kann „DWenteignen“ dem wirklich standhalten?
Michael Prütz hat in seiner plastischen Art dargestellt, wie jeden Tag die Lobbys den Politiker*innen in Berlin die Tür einrennen und Medienkampagnen fahren, um den Mietendeckel zu crashen. Und jetzt muss man das auf die Bundesebene hochdenken. Und von dort auf die EU-Ebene, wo das Verhältnis von Parlamentarier*innen zu akkreditierten Lobbyisten etwa 1:5 ist.
Hinter allem steht aber: Nicht diejenigen, die den meisten Lobbydruck machen können, haben immer Recht. Schon gar nicht in einer Zeitenwende, wie wir sie wieder erleben, 30 Jahre nach dem Ende der blockgebundenen Kapitalismuszähmung. Diejenigen, die davon profitiert haben, haben nichts Neues mehr zu sagen. Deswegen sind die Verteidigungsstrategien teilweise auch von Hysterie geprägt. Nicht nur seitens einzelner Durchgeknallter, sondern auch seitens der Verbände, die das Kapital vertreten. Dabei ist es doch nicht so schwer zu verstehen: Operation an der richtigen Stelle, z. B. im Wohnungsbereich, wo der Markt es eben nicht regelt, sondern zur Spekulationsblase ausartet, wirkt systemerhaltend.
Das hat die Politik offenbar doch nicht verstanden.
Wenn die Politik nicht wehrhafter wird, werden wir es werden müssen. „DWenteignen“ ist ein gutes Beispiel dafür. Auch die vielen Veranstaltungen der Mieter*innen-Bewegung, die gerade in Berlin ablaufen, tragen ihren Teil dazu bei, das Bewusstsein für die Notwendigkeiten zu stärken. Keine Lobby kann eine entschlossene, aufgeklärte Zivilgesellschaft besiegen. So verschwörungstheoretisch sind wir nicht drauf, dass wir das glauben würden. Noch nicht, jedenfalls.
Aber dann muss die Zivilgesellschaft auch mal wirklich entschlossen sein.
Infiltration und Manipulation sind allgegenwärtig, das ist schon klar. Dagegen schreiben wir ja auch an. Dagegen kämpfen viele täglich an ihrem Platz.
Rouzbeh Taheri deutet an, dass die Vernetzung und vor allem die gemeinsame Ausrichtung stärker werden müssen. Von links werden beispielsweise gewisse Einzelmaßnahmen, die nur einem kleinen Kreis von Personen helfen, kritisiert. Man befürchtet, dass auf diese Weise nie eine solidarische Bewegung entsteht. Aber es handelt sich auch um Notlagen, in denen unter Abwesenheit allgemeiner, allen hinreichend zugute kommender Schutzmaßnahmen geholfen werden soll. Ein für systemisch, aber auch praktisch orientierte Menschen sehr schwieriges Thema, wir werden zum verlinkten Beitrag noch etwas schreiben, weil wir uns ebenfalls in die #Ichbindiese-Unterstützergemeinschaft eingereiht haben.
Wir überspringen ein paar Zeilen des Interviews. Wenn es darum geht, verfassungsmäßig zu optieren: Wohnen ist Menschnrecht!
Es gibt Landesverfassungen in Deutschland, die das so ähnlich festhalten. Offenbar braucht die Kapitalseite aber auch endlich eine eindeutige Ausformulierung im Grundgesetz, um zu verstehen, dass das Eigentumsrecht nicht das höchste aller Rechte ist und es schon gar kein Recht auf maximale Rendite gibt.
Aus Art. 15 GG, aus Art. 14 II kann man einiges herauslesen, aber auch aus Art. 1, 2, 12. Menschenwürde, allgemeine Handlungsfreiheit, Freiheit der Berufswahl. Letztere Vorschriften kommen ja auch der anderen Seite sehr zugute. Aber wenn man „Wohnen ist Menschenrecht“ dann auslegt, darf es natürlich nicht mit einem Hasenstall in der Pampa getan sein, wenn jemand in der Stadt arbeitet und dort den Reichen zu Diensten ist. Räumliche Nähe war früher selbstverständlich, sogar in jenen Zeiten, in denen die Ungleichheit schon einmal so groß war wie jetzt. Die Reichen verstanden damals noch, dass es für sie selbst zum Problem werden könnte, wenn sie diejenigen, die für sie arbeiten, einfach verdrängen.
Aber wir leben in einem Zeitalter der Abspaltung, der Segregation in jeder Form. Das zeigt sich daran, dass mittlerweile so viele Berliner Häuser nicht von Berliner Vermieter*innen, sondern von Briefkastenfirmen aus aller Herren Länder gehalten werden, die keinerlei Bezug zu dieser Stadt haben. In Prospekten wird lediglich hervorgehoben, wie hip Berlin ist. Die Menschen, die das erst bewirken, sind sicher nicht die paar Schlipsträger oder Casual-Komödianten von den Investoren, die hier ab und zu vorbeigucken. Aber welche von diesen Spekulationsbuden denkt schon langfristig und in Zusammenhängen?
Das müsste die Politik tun, aber die steht unter – falschem – Einfluss, wenn wir Michael Prütz richtig verstanden haben.
Abschließend noch einmal zur Einigung der Mieterbewegung, die Taheri anspricht. Prozess oder aufgrund charakterlicher Zerstörung, ausgelöst durch vehemente neoliberalistische Indoktrination, gar nicht möglich?
Für uns vollkommen offen. Wir sehen auch innerhalb der Szene Haltungen, die uns nachdenklich machen. Wir haben unsere Ausrichtung nicht zuletzt deshalb justiert und schreiben wieder mehr übergreifend, nicht mehr so stark an Einzelfällen orientiert.
Wenn es eine Initiative gibt, die kanalisierend wirkt, dann vermutlich „DWenteignen“, weil sie den notwendigen größeren Ansatz verfolgt – in dem Moment, indem sie mehr ins Visionäre geht, wird sie wiederum mehr Menschen mitnehmen können. Was kommt danach, was wird durch Vergesellschaftung besser und in welchem Maße müssen wir alle mehr Verantwortung übernehmen, damit das Werk gelingen kann? Ganz sicher unabdingbar: Verantwortungsbewusstsein nicht nur für unser eigenes, persönliches Ding, sondern ein wenig solidarisch sein.
In diesem Sinne: Bitte alle zur Demo am Alexanderplatz, 3. Oktober 2019, ab 13 Uhr! DIES ist die wichtigste Demo am 29. Tag der Deutschen Einheit.
© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
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