Taxi Driver (USA 1976) #Filmfest 857 #Top250

Filmfest 857 Cinema – Concept IMDb Top 250 of All Time (104)

Ein Gruß von Travis Bickle an alle Nachttaxifahrer

Taxi Driver ist ein US-amerikanisches Filmdrama des Regisseurs Martin Scorsese aus dem Jahr 1976. Der nach einem Drehbuch von Paul Schrader entstandene Film schildert das Leben des vereinsamten New Yorker Taxifahrers Travis Bickle, der von dem „Schmutz“ der Stadt angewidert ist und dessen Obsession, eine jugendliche Prostituierte ihrem Milieu zu entreißen, in einer Gewaltorgie mündet.

Rocky Balboa schlug mit einer geraden Rechten nicht nur die Watergate-Journalisten und die Networker, sondern auch Travis Bickle, als es um die Oscars für das Jahr 1976 ging. Ob das gerecht war oder nicht, Martin Scorseses Meisterwerk mit Robert De Niro und der sehr jungen Jodie Foster ging gänzlich leer aus. Beide Schauspieler haben später je zwei Oscars gewonnen und damit mehr erfüllt als die Erwartungen, die man an beide Darsteller aufgrund ihres Spiels in „Taxi Driver“ erwarten durfte. Scorsese gewann den Regie-Oscar erst 2006 für „The Departed“.

Handlung

Der aus dem Vietnamkrieg heimgekehrte Angehörige des U. S. Marine Corps Travis Bickle kann nachts nicht schlafen. Was liegt näher, als sich die Zeit mit Taxi fahren zu vertreiben? Bei seinem Job lernt er die Stadt von unten kennen, die Prostituierten,  Zuhälter, Dealer und anderen Ganoven – und von oben, in Gestalt der Wahlkampfmanagerin Betsy. Einmal fährt er sogar den Präsidentschaftskandidaten, für den sie arbeitet und sie geht mit ihm aus, weil er sie angesprochen hat. Doch das falsche Kino führt zu einem Abbruch des Kontakts ihrerseits. Travis lernt die Kinderprostituierte Iris kennen. Er schaut in den Spiegel, fragt: „Are you talkin’ to me?“ und kauft sich ein Arsenal erlesener Waffen, trainiert seinen Körper und macht sich bereit für seine Mission.

Rezension

1976 war ein sehr gutes Filmjahr. Alle Oscar-nominierten Filme haben heute in der IMDb zu Recht ein Ranking von 8/10 oder höher – das höchste davon „Taxi Driver“ mit 8,4/10 (gegenwärtig Platz 72 in den Top 250). Vielleicht war es der Höhepunkt von New Hollywood, bevor Spielberg, Lucas & Co. mit dem Blockbuster-Kino endgültig die Re-Infantilisierung des amerikanischen Films einleiteten.

„Network“ kennen wir noch nicht, aber bezüglich der übrigen Konkurrenz geht das in Ordnung. Dieses konzentrierte und psychologisch ausgefeilte Drama ist ein Klassiker. Es zeigt uns den ersten Film-Punk mit Irokesenschnitt, zeigt, wie ein Mann, der aus der Gewalt eines letztlich sinnlosen Krieges kommt, die Gewalt der großen Stadt in sich aufsaugt und zum Rächer wird.

Robert De Niro kommt, wie Marlon Brando, Paul Newman, James Dean, aus der Schauspiellehre des „Method Acting“, das die komplette Verinnerlichung der Rollen von den Schauspielern, ja ihre Verwandlung in die Figuren erfordert und zumindest prinzipiell dem, was ungelernte Darsteller können, die keine absoluten Naturtalente sind, weit überlegen ist. Um Travis Bickle zu werden, ist De Niro mehrere Tage bzw. Nächte in New York Taxi gefahren.

Die jungen Wilden der 1970er

Im Film gibt Travis Bickle sich mit 26 Jahren an, Robert De Niro war aber 32, als er den Film machte. Jung genug. Und Regisseur Scorsese nur ein Jahr älter. Jodie Fosters 13 Jahre waren einer der Aspekte, der zu Kontroversen über den Film führte. Lediglich Filmkomponist Bernard Hermann, der die besten Scores für Alfred Hitchcock geschrieben hat, war bereits über 60 Jahre alt und verstarb wenige Stunden nach dem Ende der Aufnahmen für „Taxi Driver“. Im Abspann wird seiner bereits gedacht.

Sein Score ist jazziger als seine früheren Werke, aber dennoch sinfonisch und entfaltet eine beinahe hypnotische Wirkung, wie wir sie aus „Vertigo“ oder „Der unsichtbare Dritte“ kennen. Stellenweise ist uns die Musik angesichts des Szenarios beinahe ein wenig zu elitär, zu klassisch. Andererseits erwächst aus dem Einsatz des mit Nachhall unterlegten Saxophons als leitendes Instrument, das alle Stimmungen auffängt und sich mit Schlagzeug und Blechbläsern verbündet,   ein mächtiger Sound der Nachtelegie, der Nachteinsamkeit, der zarten Hoffnung und dann des einsetzenden Verlustes der Kontrolle. Wirkliche Harmonie können wir zu keiner Zeit erkennen, da ist immer etwas Fragendes und etwas Gefährliches in den manchmal klagend wirkenden Tönen.

Dass wir die Musik zuerst thematisieren, liegt daran, dass sie in diesem Film eine wichtige Rolle spielt und in Fällen, in denen das so ist, geben wir auf diese Weise auch unsere Absicht kund, dass Musik im Film eine enorm wichtige Rolle spielt, weil sie stark ins Unterbewusstsein wirkt. Da wir über eine Doppel-CD mit Filmmusik von Bernard Herrmann verfügen, können wir die Musik auch während des Schreibens der Rezension verwenden, um der Stimmung des Films weiter nachzuspüren.

Die Einsamkeit nächtlicher Autofahrten hat aber auch etwas Erhabenes, das kommt in der Musik ebenfalls zum Ausdruck. Da ist kein Menschlein unterwegs, sondern einer, der versucht, sich sozial zu etablieren, zwei Mal. Jeweils anhand einer weiblichen Person, die immer die falsche ist. Dennoch wird er zu einer Art Held, als er die Gang erschießt, die Iris managt und erhält offenbar mildernde Umstände und wird auf Bewährung verurteilt – anders können wir’s uns nicht erkären, dass er, aus der Schießerei verletzt hervorgegangen, bald wieder Taxi fährt.

„Taxi Driver“ stammt deutlich aus einem Zeitalter vor der PoC, wenn man sieht, wie farbige Amerikaner hier schlicht als primitiv oder verbrecherisch dargestellt werden, und doch – wenn man, wie Travis Bickle, der ehemalige Angehörige der Lederjacken in Vietnam, bereit ist, Fahrgäste auch dorthin zu befördern, wo der Dschungel am undurchdringlichsten ist, nach Harlem, Brooklyn, in die Bronx und dadurch mehr Geld zu verdienen als seine vorsichtigeren Kollegen, dann ahnt man, dass diese Viertel in „Taxi Driver“ weitaus realistischer dargestellt werden als in den meisten späteren Filmen – wenn auch aus der weißen Sicht und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass diese Viertel sich teilweise sehr verändert haben, mithin gentrifiziert sind.

Der Film ist bis auf wenige Szenen subjektiv aus der Sicht von Travis, einem vermutlich jüdischen weißen Amerikaner, gefilmt. Dass er nach klassischer Manier den Narrator gibt und sich über den Sündenpfuhl New York sowohl im Strom seiner Gedanken wie gegenüber Dritten äußert, verstärkt diesen Eindruck, dass wir es mit einer gänzlich individuellen Sichtweise zu tun haben, erheblich und gibt auch dem Gefühl der Abgeschiedenheit zusätzliche Dichte, das wir empfinden, wenn wir mit Travis in seinem Taxi unterwegs sind.

Das Taxi wird von der Kritik zum Bespiel als eine Metapher für das Kino, das Auge des Films gesehen, das immer unteregs ist, aber auch als Vehikel, das durch Rauchwolken aus der Unterwelt kommt und in sie zurückfährt und wir leben im Auge von Travis, wie er durch die Stadt gleitet – nur einmal fährt er mit quietschenden Reifen an – und dabei konzentriert wahrnimmt, was sich auf verwahrlosten Gehsteigen an verwahrlostem Leben abspielt. Seine Meinung über all das drückt er, wie beschrieben aus, sie wird aber auch ins Bild gesetzt, als er mit einem Kollegen in einem Imbiss sitzt und zwei aufgeputzte Afroamerikaner gegenüber, die ganz sicher ihr Geld nicht mit legalen Methoden verdienen. Ein Duell der Blicke, das, wie so vieles in „Taxi Driver“ die Gefahr andeutet und die Spannung steigert. Und einer der Momente ist, in dem wir am deutlichsten merken, wie Filme heute durch die PC zensiert so zensiert werden, dass auch die Gegensätze in den Städten, gleich, wer auf welcher Seite steht, unter den Teppich gekehrt werden. Die Schärfe und Schonungslosigkeit der Filme der 1970er ist nie übertroffen worden – deshalb gibt es heute auch kaum noch Diskussionen über Filme, wie das Werk von Scorsese eine ausgelöst hat.

„Taxi Driver“ ist ein komplettes Gegenbild der New York-Filme von Woody Allen, die beinahe zur gleichen Zeit entstanden sind. Unterschicht gegen intellektuelle Mittelschicht, sparsame Dialog und Eruption der Gewalt gegenüber einem nicht weniger beeindruckenden Palaver über das Leben. Wir erfahren, dass beides am Sinn des Lebens vorbeigeht oder in seiner Erfassung scheitert. Wir sehen bei Travis, wie er einem Taxifahrer-Kollegen sein Herz ausschüttet und dieser vorgibt, ihn zu verstehen, aber nicht erfassen kann, dass Travis sich gerade vom Leidenden zum Akteur entwickelt und demnächst drei Männer erschießen wird, um ein Mädchen aus dem Sündenpfuhl zu erretten, aus dem es gar nicht errettet werden will. Die Wendung, dass sie wieder nach Pittsburgh zu ihren Eltern zurückkehrt, vermutlich mehr unter dem Eindruck der Gewalt, die sie miterlebt hat denn aus tiefempfundener Reue, ist einer der Twists von „Taxi Driver“, die besonders nachdenklich machen.

Gewalt als Ritual zu inszenieren hingegen und sie eindeutig auf Effekt zu trimmen, das können italienischstämmige Regisseur auffällig gut (Scorsese, F. F. Coppola) und „Taxi Driver“ mit seiner Blutrausch-Szene als Klimax des Films war das wohl bis daher Brutalste, was im Mainstream-Kino zu sehen war. Wie die Kamera, als schon alles vorbei ist, beinahe liebevoll über Böden und Wände voller Blutspritzer streicht, das belegt, dass auch ein großer Film nicht frei ist von Manierismen, die der Regisseur sich einfach mal gegönnt hat. Oder doch nicht?

„Taxi Driver“ ist kein schneller Film nach heutigem, atemlosem Action-Muster. Alles, was Travis kumulativ zur Gewalt treibt, wird sorgsam gezeigt, konsequent aufgebaut. Eine Art Trailer für den Höhepunkt gibt es, als Travis in einem kleinen Laden einen Dieb niederschießt, der einen Bekannten von ihm bedroht. Wer in einem  US-Film eine Waffe ersteht, wie Bickle bei einem illegalen Händler und ohne Waffenschein, der setzt sie auch ein, das ist bekannt. Aber in diesem Moment in dem kleinen Store wissen wir, es liegt etwas in der Luft. Der Einsatz der 38er sich wiederholen, aber die Verbrechen werden in den Augen von Travis größer, die Folgen schwerwiegender sein, sodass auch die übrigen drei Schußwaffen zum Einsatz kommen, die Travis gekauft hat und die er so am Körper trägt, dass er zur Einmann-Kampfmaschine mutiert, noch bevor John Rambo und Kollegen den Weg in die Kinosäle fanden.

  1. Duncan und J. Müller zählen in ihrem umfangreichen Werk mit hundert besten Films noirs auch „Taxi Driver“ zu diesem Genre, als „Neo-Noir“, wonach Travis auch ein klassischer Noir-Held, also ein Antiheld ist, ein Verlorener, der, wie sein Taxi aus der Anfangssequenzaus einer Wasserdampfwolke erscheint, aus dem Nichts kommt und – ins Nichts geht? Nicht ganz. Am Ende, als ein Wiederaufleben des Kontaktes mit Betsy möglich ist, die ihm kühl den Rücken gekehrt hat, nachdem er aus Mangel an Kenntnissen über Konventionen und Gefühlsvermittlung etwas Inadäquates getan hat, verweigert er sich auf eine unbestechliche, stolze Art und bleibt ohne eine Primärbindung in dieser Stadt. Aber er fährt wieder Taxi. Wenn man genau hinschaut, hat sich das Verhältnis zu seinen Kollegen gewandelt und das kathartische Erlebnis des Gewaltausbruchs könnte der Anfang einer Verschmelzung des Einzelnen mit der großen Stadt sein. Wie sein Taxi am Ende ein Licht im Strom der nächtlichen Autolichter wird, deutet darauf hin. Er steht nicht mehr gegen diese Stadt, sondern wird Teil von ihr.

Seine Abscheu vor dem verlotterten New York Mitte der 1970er und das, was in New York wirklich in der Folge geschah, ist in Kombination sehr interessant. Der Präsidentschaftskandidat, der Bickle verspricht, die Stadt zu verbessern, in Wirklichkeit aber eher eine Sozialagenda im Kopf hat, ist bereits eine Vorahnung der New Yorker Renaissance unter dem späteren Bürgermeister Giuliani, der mit seinem „Zero Tolerance“-Programm die öffentliche Sicherheit wieder halbwegs in den Griff bekam und unter dessen Ägide die Stadt insgesamt einen Aufschwung erfuhr. Es wirkt beinahe, als habe sich Giuliani die Vorgehensweise von Travis Bickle angeschaut und kopiert.

Finale

„Taxi Driver“ hat eine Spannung, die weit über die heutigen billigen Effekte hinausgeht, ist in Sachen Gewalt in der Schlussszene aber auch richtungweisend. Nie wieder ist seitdem in einem Film für die große Leinwand die Prostitution einer noch nicht einmal nach unserem Verständnis jugendlichen Person (Foster wurde stellenweise allerdings von ihrer älteren Schwester gedoubelt) so unkommentiert oder moralisch ambivalent gezeigt worden, ebenso war das hässliche, nackte New York, das doch in den Nachaufnahmen auch wie ein mythischer Ort der Verdammnis und der Verlockung wirkt.

Eine eindeutige Haltung verweigert uns der Film und tut Recht daran. Wir können uns heute selbst denken, dass Travis ein Schwarz-Weiß-Denker im wörtlichen Sinn ist, dass seine Sicht gefärbt ist von seinen Vorurteilen, die ihn letztlich auch dazu leiten, eine Prostituierte zu befreien, die sich gar nicht gefangen fühlt.

Vielfach wird auch behauptet, Travis tut das alles, um im Meer der Namenlosen der Weltstadt ein Jemand zu werden. Darauf könnte deuten, dass er sich Presseartikel und das Dankesschreiben von Iris‘ Eltern an die Wand der Zelle pinnt, die er kurzfristig bewohnt – bis zur Urteilsverkündung, nehmen wir an.

Aber in dem Punkt sind wir uns nicht sicher. Da hat sich etwas aufgestaut in dem Mann, der mit sich selbst vor dem Spiegel spricht und ob er in dem Sinn auf sich aufmerksam machen will, wie es dann geschehen ist, das halten wir nicht für ausgemacht. Es ist für uns eher ein Nebeneffekt, im Zentrum steht seine Suche nach einem menschlichen und moralischen Anker, die in dem Amoklauf im Stundenhotel endet. Dass er, ähnlich den wahlkämpfenden Politikern in der Zeitspanne, die von der Handlung umfasst wird, eine Art Kampagne in eigener Sache starten will, geht über das hinaus, was wir ihm zurechnen. Mag es ein Aufschrei sein, ein Hervorbrechen aller Qualen der Seele in Form einer Vielzahl von Schüssen, aber es ist kein Wahlkampf unter Einsatz der Mittel der Benachteiligten.

92/100

© 2022 Der Wahlberliner Thomas Hocke

Regie Martin Scorsese
Drehbuch Paul Schrader
Produktion Michael Phillips,
Julia Phillips
Musik Bernard Herrmann
Kamera Michael Chapman
Schnitt Tom Rolf,
Melvin Shapiro
Besetzung

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