Rocky (USA 1976) #Filmfest 862 #Top250

Filmfest  862 Cinema – Concept IMDb Top 250 of All Time (105)

Diese Chance wurde genutzt

Rocky (auch bekannt als Rocky – Die Chance seines Lebens) ist ein US-amerikanischer Boxerfilm des Regisseurs John G. Avildsen mit Sylvester Stallone in der Titelrolle des Boxers Rocky Balboa. Stallone schrieb auch das Drehbuch. Der Film war 1976 ein überraschender Erfolg an den Kinokassen und gewann im Folgejahr drei Oscars. Er begründete eine Filmreihe mit bisher insgesamt neun Rocky-Filmen (Stand Juli 2023).

Es ist beinahe 40 Jahre her (47 Jahre zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Textes), dass Sylvester Stallone mit „Rocky“ zum Star wurde und damit eine Parallele zwischen dem Inhalt des Boxerfilms und dem Leben seines Hauptdarstellers und Drehbuchautors schuf. Mehrmals wird in „Rocky“ betont, dass die USA das Land der unbegrenzten Möglichkeiten sind. Und das sind oder waren sie wohl, denn dass man mit einem einzigen Film den Ruhm ernten kann, der die weitere Karriere sichert, das gibt es nur in Hollywood. In Europa ist es kaum denkbar, dass ein Nobody über Nacht so etwas erreichen kann. Weitere Gedanken zum Film stehen sind in der -> Rezension niedergeschrieben. 

Handlung (1)

Der aktuelle und ungeschlagene schwarze Schwergewichts-Boxweltmeister Apollo Creed kann nicht gegen seinen Gegner kämpfen, der sich eine Handverletzung im Training zugezogen hat. Apollo hat aber schon viel zu viel Publicity (Reklame) in diesen Kampf gesteckt und muss unbedingt gegen jemanden kämpfen. Aus diesem Grund gewährt er am Neujahrstag des Jahres 1976, in dem die Vereinigten Staaten von Amerika ihr 200-jähriges Bestehen feiern, einem Amateur aus Philadelphia die einmalige Chance, gegen ihn einen Kampf um den Weltmeisterschaftsgürtel auszutragen.

Aus einem umfangreichen Boxerverzeichnis wird Rocky Balboa aufgrund seiner italienischen Vorfahren und seines Kampftitels The Italian Stallion („der italienische Hengst“) ausgewählt. Rocky, ungebildet und aus einfachsten Verhältnissen stammend, verdient etwas Geld als erfolgloser Boxer bei Kämpfen in heruntergekommenen Buden und als Geldeintreiber für den Kredithai Tony Gazzo. Sein gesamtes Leben spielt sich in dem Armenviertel Philadelphias ab.

Rocky erkennt die Chance und investiert seine gesamte Kraft, um die Chance seines Lebens zu nutzen. Er rechnet nicht mit einem Sieg, ist aber schon stolz darauf, mit dem Weltmeister in einem Ring stehen zu dürfen und dadurch Bekanntheit zu erringen. Die Prämie für den Kampf kann er ebenfalls gut gebrauchen (…)

Rezension 

Selbstverständlich ging nichts wirklich über Nacht, sondern war dem zähen Glauben von Stallone an sich und seinen Stoff zu verdanken, der genau jene Mentalität verkörpert, die im Film zu sehen ist. Das Unwahrscheinliche, das uns heute besonders skeptisch sein lässt, ist also realistisch, und wenn man sieht, wie Informatikstudenten in kürzester Zeit zum Milliardären werden, weil sie mal eine gute Idee hatten, die in einer virtuellen Welt einen virtuellen Wert hat, der sich in echten Dollars manifestiert, dann weiß man, diese Story, die 1976 im Grund schon ein uralter Hut war, dauert an. Ein Nerd, ein Underdog, ein Looser kann zum Helden, zum Tycoon, zur Ikone werden.

Die Idee, dass der aktuelle Schwergewichtsweltmeister Apollo Creed sich einen Nobody als Gegner sucht, ist das einzig Märchenhafte an diesem Werk, das zu den besten Sportfilmen aller Zeiten rechnet. Aus Vereinfachungsgründen hat man, wie bei den meisten Filmen übers Boxen, die einmalige Tatsache weggelassen, dass es keinen Weltmeister an sich gibt, sondern nur den eines oder zweier Verbände, und vielleicht dann doch der Mehrzahl der Verbände, aufgrund einer Reihe von Vereinigungskämpfen.

Dass Boxer aus der Unterschicht kommen, persönliche Probleme haben, schrullige Trainer und windige Promoter das Feld beherrschen, dass der Ring blutig sein kann und das Leben in diesem Sport gefährlich, das ist in „Rocky“ ein Thema, war schon ein Thema in Boxerfilmen zuvor, aber es beherrscht den Film nicht. Das Umfeld und die Konditionen, die Einflüsse und Manipulationen spielen hier keine oder kaum eine Rolle. Es geht nur um Rocky, und zum Erstaunen des Liebhabers gepflegter, komplexer Plots funktioniert diese einfache Story hervorragend. Sie funktioniert, weil die Rollen großartig besetzt sind und weil Sylvester Stallone den Rocky, den er geschaffen und lange studiert hat, erstklassig, lebendig und voller Einfühlung auf die Leinwand bringt. Schade, dass Stallones Image heute eher von den Rambo-Filmen geprägt ist, auch wenn sie in gewisse logisch sind – schon deshalb, weil Stallones Art zu spielen und sein Körper ihn so geeignet für das neue Genre des Actionfilms machten, das seit den 1980er Jahren eine anhaltende Blütezeit erfährt.

Schade ist die Assoziierung mit Rambo und dieses Image, hauptsächlich auf Blut und Material zu setzen, auch deshalb, weil Stallone sie natürlich mit initiiert hat und weil er ein so gutes Gespür für das hat, was die Menschen sehen wollen.

In seiner ersten großen Rolle spielt er so, dass man gar nicht anders kann, als sich zu identifizieren und mitzufiebern, wie es diesem Antihelden ergeht, der sich zu einem Symbol aufschwingt. 1976 war auch ein guter Zeitpunkt für einen solchen Film. Da ist ein Subtext drin, der sich auf die Verhältnisse bezieht. Die USA waren nach der Serie von Traumata, die mit dem Kennedy-Mord 1963 begannen, dem Vietnamkrieg und nach der ersten Ölkrise wirtschaftlich, politisch und moralisch so angeschlagen wie nie zuvor. Da machte es sich perfekt, dass der Held des Films gar nicht darüber nachdenkt, ob äußere Einflüsse oder seine Herkunft oder sein Wesen eine nachhaltigen Erfolg verhindern könnten, sondern er postuliert die Stehaufmännchen-Mentalität, die den Menschen sagte: Es gibt immer eine neue Chance. Für dich, für uns, für ein Land, das so arg in Mitleidenschaft gezogen worden war.

Heute wissen wir, dass all diese massiven, innerhalb weniger Jahre stattfindenden Verluste an Prosperität und Integrität, an innerer Stärke, nie wirklich aufgefangen werden konnten, aber da unterscheidet sich ein Imperium von einem einzelnen Menschen, der sich selbst komplett neu zu erfinden vermag. Der von einem mäßigen Schläger, der in den Hinterhöfen von Philadelphia für 40 Dollar bei Sieg blutiges Faustwerk verrichtet, zum Chancenträger und Chancenverwerter wird und die Gelegenheit beim Schopf packt. Er gewinnt den Kampf gegen den Weltmeister nicht, das bleibt einem Fortsetzungsfilm vorbehalten. Aber die Herzen aller, auch der Zuschauer, die erobert er in knapp zwei Stunden.

Auch wenn die Idee grotesk ist, es war ein teil des geschickten Anschlages auf den Nerv der Zuschauer im Entstehungsjahr, dass die USA mitten in der Krise ihr 200jähriges Bestehen feierten und der Film darauf Bezug nimmt. Dass sich also ein Boxstar ausdenkt, als Ersatz für einen verletzten Herausforderer einen Niemand in den Ring zu holen, um zu demonstrieren, wie die USA funktionierten, funktionieren und hoffentlich immer funktionieren werden: Hier darf man hoffen, dass Träume wahr werden. Davon lebt das Land bis heute, auch wenn die meisten genauso wenig berühmt und reich werden wie anderswo. Es gibt nichts Vergleichbares zu diesem Traum, das in irgendeiner anderen Nation verankert wäre, und Hollywood hat erheblich zur Installation und Ausstrahlungskraft dieses Traums, auch im faszinierten Ausland, beigetragen.

Nichts an „Rocky“ ist neu oder speziell, aber der realistische, harte Stil der 1970er steht dem Film gut und steigert seine Authentizitä. Psychologisch ist er sogar perfekt, wir haben kein einziges Verhalten einer Person gefunden, das nicht sofort, intuitiv nachvollziehbar gewesen wäre – wenn man von der Marketing-Idee des Apollo Creed absieht, die selbst für amerikanische Verhältnisse etwas überschießt. Allerdings soll für Rocky der Schwergewichtler Chuck Wepner Vorbild gewesen sein, seinen Kampf im Jahr 1975 gegen Muhammed Ali, dem er beinahe 15 Runden lang standhalten konnte, hatte Stallone sich im Fernsehen angeschaut und die Idee für das Drehbuch soll aus diesem Kräftemessen der Ungleichen entsprungen sein.

Wenn man die Geschichte des Underdogs, der Wepner immer war, verdichtet und nur zwei Kämpfe zeigt, was für einen Boxerfilm wenig ist, dann kommt ein Rock Balboa dabei heraus. Über die wenigen Kampfszenen kann man sich streiten, besonders was den Stil beider Boxer angeht, da sind andere Genre-Kinostücke viel ausführlicher und präziser, aber darauf kommt es eben nicht an, wenn wir emotional so mitgenommen werden und so viel von all dem mitschwingt, was uns immer Hoffnung gibt für den täglichen Überlebenskampf.

Kein Wunder, dass das AFI (American Film Institute) „Rocky“ nicht nur in seiner Top100-Gesamtliste der besten amerikanischen Filme führt, sogar mit einer Verbesserung des Ranges in der 2007er Ausgabe gegenüber der ersten Liste aus 1996, was nichts anderes heißt, als dass dieser Film uns heute so viel oder sogar mehr sagen soll als zum Beispiel während der Clinton-Ära, in der es so aussah, als sollte das Schicksal der USA noch einmal eine günstige Wendung nehmen, in der also die Fähigkeit, sich aus dem Dreck an die Spitze zu arbeiten, trotz der Dot.com-Welle nicht mehr ganz so den Zeitgeist traf, wie das heute, nach Anschlägen und Wirtschaftskrisen und angesichts drohenden neuen politischen und ökonomischen Ungemachs, wieder der Fall ist.

Besonders hoch unter den vielen Sub-Listen, die das AFI führt, wird er deshalb auch bei den „100 inspirierendsten Filmen aller Zeiten“ angesiedelt: auf Platz 8. Rocky selbst kommt als Held auf Platz 28 der 50 besten Filmhelden aller Zeiten. In der IMDb (Internet Movie Database), dem führenden Porta zu Thema Kinofilm, steht er derzeit auf Platz 220 der 250 besten Filme aller Zeiten (Stand 13.12.2014).

In der Tat ist die Frische beachtlich, die „Rocky“ ausstrahlt. Sein Wandel von einem Looser zu einem echten Herausforderer ist beachtlich, wird aber ganz nebenbei, ohne Getöse, erzählt. Das Umfeld der Hauptfigur hat man konsequent auf den Kumpel, den Trainer, den halbseidenen Chef, bei dem er bis zum großen Erfolg arbeitet – und auf ein Love Interest reduziert, das es selbstverständlich geben muss. Die Wahl von Talia Shire als „Adrian“ ist der vielleicht größte Coup von Stallone gewesen.

Denn in dieser vielleicht schüchternsten Person der Filmgeschichte spiegeln sich Rockys rauer Charme, sein gutes Herz, seine sozialen Kompetenzen, unbezwingbar trotz einer gewiss desolaten Kindheit. Die Liebesgeschichte zwischen den beiden ist so berührend, weil man den Eindruck hat, echte  Menschen vor sich zu sehen. Da ist Stallone, der sonst genau im Hollywood-Muster blieb, bewusst, gezielt, auf geradezu geniale Weise vom Schema abgewichen. Er hat nämlich auch noch etwas wie eine Aschenputtel-Story in den Film integriert, hat das Schicksal von Rocky, der vom Streuner zum Mann mit dem Zeug zum Champ wird, anhand des zarten Mädchens gedoppelt, das an seiner Seite zur Frau wird. Es gibt keine Gegensätze, die konstruiert erscheinen, es gibt nur das kleine Leben kleiner Leute, die mit einem Mal in den Mittelpunkt von etwas Großem rücken, die Erfüllung von einer kleinen, großen Liebe, an der Rocky schon vor seiner Kürung zum Weltmeister-Herausforderer gearbeitet hat.

Da gibt es auch keine plötzlichen Wendungen, wohl aber eine stimmige Dramaturgie und eine Bebilderung, die auf Showeffekte verzichtet – lediglich die Schlachthausszene, in der Rocky seine Trainingsmethode mit dem Bearbeiten von Schweinehälften demonstriert, und Rockys Anwesenheit in der leeren, großen Sporthalle am Abend vor dem Kampf sind besondere visuelle Momente.

Finale

Sicher sind es nicht die ästhetischen Momente oder unvergleichliche Boxszenen, die „Rocky“ so erfolgreich machten, sondern es ist das, was immer geht, wenn es gut gemacht ist: die persönliche Geschichte der Hauptfigur, des Helden. Besonders, wenn dieser sich aus einem Antihelden herausschält. Besonders, wenn es dazu eine Liebesgeschichte gibt, die tatsächlich individuell und so wenig klischeehaft wirkt, dass man kaum noch merkt, wie sehr der Film im Ganzen eben doch sehr bestimmte Klischees bedienen, an deren Entstehung nur wenige ihr eigenes Leben abgleichen können, die aber dem Zuschauer nach dem Verlassen des Kinos das Gefühl geben, morgen ist ein neuer Tag und die Chance wird kommen und in deren Folge wird mein Wandel stattfinden. Das mag nach Kitsch klingen, die Inszenierung verhindert aber, dass es so empfunden wird. 

Ein Nachsatz muss anlässlich der Veröffentlichung sein. Natürlich altern auch Rezensionen, wenn sie aktuelle Zeitbezüge beinhalten und wir sind auch in der Geschichte der USA wieder fast zehn Jahre weiter. Wir haben Donald Trump erlebt und wie trotz aller Widrigkeiten die USA sich ökonomisch sehr gut behaupten, vor allem im Vergleich zu Europa und hier wieder vor allem im Vergleich zu Deutschland. Wir wissen nicht, was kommen wird, aber das Überzeitliche des Films spigelt doch sehr viel von etwas, das auch den USA innewohnt, nämlich, dass sie nicht so leicht kaputtzukriegen sind. For the better or worse. Ein Imperium kann moralisch längst im Zerfall begriffen sein, wenn es seine ökonomisch höchste Blüte erreicht – zumindest im heutigen System, das auf schlechter Moral basiert, bis diese so sehr zur Entgleisung führt, dass es sich selbst vernichtet.

Wir hatten damals keine Punktzahl ans Ende der Rezension geschrieben, das hole ich heute nach. Nach dem oben Geschriebenen würde ich den Film wohl nicht als einen meiner absoluten Lieblinge bezeichnen, aber als einen innerhalb seines Genres herausragendes Werk. Interessanterweise war „Rocky“ zwar der Karrierestarter für Sylvester Stallone, der auch als Drehbuchautor genannt ist, aber nicht für den Regisseur John G. Avidsen. Das Spiel steht auch über der Inszenierung. 

„Rocky“ hat im Rennen um den Oscar als bester Film „Taxi Driver“ von Martin Scorsese besiegt. Klar, „Rocky“ ist ja auch ein Siegerfilm, während „Taxi Driver“ von einem Besiegten handelt. Letzteren haben wir kürzlich höher bewertet als „Rocky“, aber natürlich kann man das anders sehen. Wenn man eher ein Fan von Rocky und Sylvester Stallone ist als von Robert DeNiro und Martin Scorsese, beispielsweise. Beide Filme stehen für zwei Seiten der USA, den Traum und den Alptraum, und haben beide längst Kultstatus. 

85/100

© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie John G. Avildsen
Drehbuch Sylvester Stallone
Produktion Irwin Winkler,
Robert Chartoff
Musik Bill Conti
Kamera James Crabe
Schnitt Scott ConradRichard Halsey
Besetzung

 


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