Die Nibelungen – Siegfried (DE 1924), Teil 1 der Rezension zum zweiteiligen Film #Filmfest 867 #DGR

Filmfest 867 Cinema – Die große Rezension, Titelbild aus dem ersten Gesang, Siegfried sieht den Drachen

Die Nibelungen ist ein deutsches Filmepos unter Regie von Fritz Lang aus dem Jahr 1924, bestehend aus den beiden Teilen Siegfried und Kriemhilds Rache. Das Drehbuch schrieb die damalige Ehefrau des Regisseurs, Thea von Harbou, unter freier Verwendung von Motiven des mittelhochdeutschen Nibelungenliedes. Der viragierte Stummfilm wurde am 14. Februar (Teil 1) und am 26. April 1924 (Teil 2) im Ufa-Palast am Zoo in Berlin uraufgeführt[1] und wurde zu einem Meilenstein der Filmgeschichte.[1] 

In der Wikipedia ist der Film mit 293 Minuten angegeben, beide Teile zusammen natürlich. Was ich gesehen habe, hatte knapp 5 Stunden Spielzeit und dürfte den aktuellen Stand der Restaurierung wiedergeben, wie er 2010 von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung durchgeführt wurde. Viele Schnipsel von deutlich abweichender Qualität wurden eingefügt und doch – da soll noch eine Stunde fehlen gegenüber dem Original. Kaum zu glauben.

Ich hatte jedenfalls nach fünf Stunden Kopfschmerzen, echte Filmbuffs könnten lächeln, aber das Publikum bekam die Filme ja 1924 in der Tat geteilt zu sehen. Den zweiten Teil übrigens ohne ein „Was bisher geschah“. Ich glaube aber, meine Grenzen waren bei dem Film nicht wegen der Länge an sich erreicht, obwohl es lange her sein muss, dass ich so viel Zeit in ein Kinostück am – sic! – Stück investiert habe. Auch Fritz Langs Vorgänger-Monumentalwerk „Dr. Mabuse“ ist etwas kürzer, das habe ich vor wenigen Monaten für eine Filmfest-Rezension noch einmal gesichtet. Was also war ein solcher Mindfuck, dass mir beinahe der Schädel geplatzt wäre?

Wir folgen dieses Mal, anders als bei bisherigen Zweiteilern von Fritz Lang („Die Spinnen“ und „Dr. Mabuse“) der Teilung und zeigen mehrere  Rezension. Die vorliegende ist in erster Linie dem ersten Teil gewidmet, behandelt aber auch Aspekte, die beide Teile betreffen. Insgesamt werden wir wohl sogar einen Vierteiler aus der Besprechung machen, ein bisher einmaliger Vorgang im Rahmen des „Filmfest“.

Handlung. Teil 1, Der erste Gesang. Wie Siegfried den Drachen erschlug

Die Geschichte beginnt damit, dass Siegfried aus Mimes Schmiede aufbricht, weil er besser geworden ist als sein eigener Meister. Kurz bevor er auf sein Pferd steigt, hört er die Gesellen von Kriemhild sprechen und beschließt spontan, nach Worms zu reiten, um ihre Hand zu gewinnen. Als er von seinem Plan berichtet, lachen ihn alle aus und es kommt zu einer Prügelei. Um Siegfried loszuwerden, behauptet Mime, dass er ihm den Weg nach Worms zeigen könne. Jedoch führt er ihn absichtlich zu dem gefürchteten Lindwurm. Es kommt zum ersten spektakulären Höhepunkt des Films – Siegfrieds Kampf mit dem Drachen. Nachdem er ihn getötet hat, wird er durch ein Bad im Drachenblut unverwundbar. Allerdings klebt beim Baden ein Lindenblatt an seiner linken Schulter.[2]

Wir behalten an dieser Stelle schon einmal im Kopf, dass in der Wikipedia steht, der Hunnenkönig Etzel sei eine der wenigen sympathischen Figuren, dieser taucht aber erst im zweiten Teil auf, nämlich nach Siegfrieds Tod, als er um die Witwe Kriemhild wirbt. Jedenfalls mochte ich Siegfried von Beginn an nicht. Diese Überheblichkeit und dass er den Drachen tötet, der in dieser Filmversion eigentlich nur friedlich Wasser trinkt, haben mir den Typ von Beginn an unsympathisch gemacht. Er wusste ja ursprünglich nicht, dass mit Drachenblut duschen unverwundbar macht, und selbst oder gerade dann, wenn er es gewusst und den Drachen deshalb getötet hätte, wäre er dadurch nicht gerade zu einem anbetungswürdigen Charakter geworden.

Ich kann mir bei Fritz Lang eigentlich nicht vorstellen, dass er nicht gemerkt hat, dass er einen deutschen Prototyp erschaffen hat, der anfangs natürlich vor allem naiv wirkt, was ja auch typisch deutsch ist oder durch das Stolpern aus der Romantik mitten ins Industriezeitalter etwas linkisch. Mit der Zeit gewinnt Siegfried an Statur, insbesondere dadurch, dass er sehr zweckgerichtet handelt und auch einen gemeinschaftlichen Betrug mit den Wormsern begeht, indem er König Gunther massiv dabei hilft, Brunhild zu erobern. Die Nibelungensage ist allerdings nicht naiv, sondern so ziemlich die perfideste Volks- oder Nationalsage, die man sich vorstellen kann und Fritz Lang und seine Frau und Drehbuchautorin Thea von Harbou haben das voll ausgespielt und dafür den Stoff komplett genutzt. Mir fällt gerade nichts Wesentliches ein, was fehlen würde. Aber wie die Nibelungen und später auch die Hunnen gezeigt werden, das hat mich überrascht.

„Das Nibelungenlied ist kein Heldenlied des deutschen Volkes. Es ist ein Heldenlied der herrschenden Oberschicht. Wo ist vom Volk irgendwo die Rede?! Ich sah die Burgunden-Könige mit ihren prachtvollen Gewändern als eine bereits im Absteigen begriffene decadente Gesellschaftsklasse, die mit allen Mitteln ihre Zwecke erreichen will. Und diese decadenten Burgunden gehen dann zu Grunde, wenn sie zum ersten Mal mit einer neuen, sich erst bildenden, wilden Gesellschaftsschicht zusammenstoßen: den Hunnen.“[5][3]

Ich fand Gunther zwar dekadent im Sinne von passiv und schwach, aber die Hunnen sind nicht in der Lage, trotz gigantischer Überzahl, die Nibelungen, wie die Burgunden sich nennen, nachdem Siegfried ihnen den Schatz von Alberich übergeben hat, zu besiegen. Dafür müssen sie erst ausgeräuchert werden. Das hatte ich etwas anders in Erinnerung, aber es ist lange her, dass ich die Sage gelesen habe. An einer Stelle ist von den Deutschen die Rede, nämlich, als der Berner die Treue hervorhebt. Trotz mehrfacher Aufforderung von Kriemhild und Etzel liefern sie Hagen von Tronje nicht aus, den Mörder Siegfrieds. Nur dadurch gehen sie unter und opfert Kriemhild sogar die eigene Familie der Rache. Hagen ist in Wirklichkeit ein seltsamer Typ, der zwar den Burgunden ergebe ist, aber nicht auf die Idee kommt, sich selbst auszuliefern, um dem Morden ein Ende zu bereiten. Keine Spur, dabei wäre das doch die höchste Form der Treue und auch der Zweckdienlichkeit gewesen, um eine komplett verfahrene Situation doch noch aufzulösen. Stattdessen tötet er das Kind von Kriemhild und Etzel oder sagen wir mal, es wird ihm als Vater zugerechnet und macht dadurch einen vernünftigen Ausweg vollends unmöglich. Ein wahrhaft finsterer Charakter, der optisch auch so inszeniert wird. Sein Helm mit den schwarzen Flügeln ist etwas unpraktisch, einmal stößt er damit gegen die Wand eines Ganges, ohne dass es Auswirkungen hätte.

Ich mag Langs Interpretation im klassenkämpferischen Sinne jedenfalls, sie trifft nämlich auf die meisten Filme dieser Art zu, natürlich auch auf jene aus Hollywood. Das Volk ist unwichtig, was zählt, sind die Liebes- und Leidenswege, die Kämpfe und Ränke der herrschenden Klasse mit ihren fancy Kostümen. In dieser Hinsicht stellt „Die Nibelungen“ allerdings ein Spitzenprodukt dar und daher wohl auch meine körperliche Reaktion auf den Film. Der erste Teil ist sehr konzentriert, obwohl länger (in der gesehenen Version), sehr edel dekoriert, subtil und relativ gewaltarm, bis der Mord an Siegfried geschieht. Er ist optisch teilweise meisterlich, grafisch und sogar im Stil der Zeit mit ersten Ansätzen von Art déco. Er wirkt nicht so prunkvoll wie Hollywood-Produktionen, aber trotzdem sehr aufwendig. Der zweite Teil ist hingegen das größte Inferno bzw. endet darin, das ich bisher in einem Stummfilm gesehen habe. Man mag Fritz Langs oben geäußerten Worten folgen, man kann aber auch sagen, die Hunnen werden als schrecklich primitive Barbaren dargestellt. Ich kann verstehen, dass Lang das in einem wann auch immer, vielleicht nach der NS-Zeit. Ja, tatsächlich, ich habe die Rezension angeschaut, in der Lang zitiert wird, die Wikipedia hat das übernommen. Sein Statement stammt aus den 1960ern. Ich finde es verständlich, dass er nach dem deutschen Downfall etwas betont hat, was aber nicht so nah liegt wie eine andere Interpretation:

Die Burgunden sind nicht gerade praktisch veranlagt, mit ihren kantigen Ehrbegriffen, die sie aber immer wieder selbst verletzen und insofern dekadent, aber die Hunnen werden dermaßen primitiv dargestellt, dass man gar nicht anders kann als an die Nazi-Ideologie mitsamt den darin enthaltenen minderwertigen Ostvölkern zu denken. Wie die Hunnen damals die halbe Welt erobert haben, bei den schwachen Kampfkünsten, die sie im Film zeigen, bei dem Chaos, das sie anrichten, als sie es nicht schaffen, die gut ausgebildeten Ritter in einem normalen Kampf zu besiegen, denkt man nicht in erster Linie an ein aufstrebendes, sondern an ein auch optisch missratenes und verhutzeltes Volk, inklusive Etzel, den ich (als Attila) noch nie irgendwo so hässlich dargestellt gesehen habe, wie man es hier bei Rudolf Klein-Rogge per Maske hinbekommen hat. Auch der quasi Saustall von einer Burg und einem Zeltlager sind für mich nicht unbedingt ein Ausdruck von aufstrebender Nation, hingegen kann ich in Worms sehr wohl den kulturell am höchsten stehenden der vier Schauplätze erkennen. Auch die Burg von Isenland wirkt dagegen eher archaisch, inklusive der anwesenden Bevölkerung. Sind also die Nibelungen untergegangen, weil sie zu dekadent waren, oder weil zu verschlagen waren für ihre eigene Konzeption von Macht, wurden sozusagen vom eigenen Hinterrad überholt, als sie versucht haben, die Intrigen so weit wie möglich zu treiben, wobei die Isländerin Brunhild ihnen keinesfalls nachsteht. Kriemhild wirkt im ersten Teil noch relativ nett. Bis zum Duell der Königinnen auf der Treppe, wo sie der mächtigen und kompakten Brunhild die Stirn bietet und dabei ein Geheimnis verrät, um die andere ausstechen zu können. Dieser Auftritt kommt zu dem Zeitpunkt verblüffend, zuvor hat Kriemhild solche Züge von Selbstherrlichkeit nicht erkennen lassen. Aber ihre Wandlung zur Rachegöttin ist wohl eines der größten Benefits des Films.

Sie wirkt im zweiten Teil so viel präsenter und auf eine grausame Weise erregend, ihre Darstellerin ist über weite Strecken auch anders geschminkt, für damalige Verhältnisse blass-zurückhaltend, aber dadurch moderner, so, wie Brunhild die ganze Zeit über. Kriemhild wird der anderen, die im zweiten Teil nicht mehr vorkommt, in der Sage aber nach Isenland zurückkehrt (was soll sie auch sonst tun, da der Hof zu Worms komplett ausgelöscht ist?), dadurch ähnlich, auch wenn sie die weit vorne angebrachten blonden Zöpfe bis zum Ende behält, während Brunhild eine ähnliche Sturmfrisur trägt wie die etwas aktiveren unter den Männern, während die eher passiven Figuren leicht verlängerte Pagenköpfe haben, auffällig bei König Gunther in Relation zu Siegfried zu sehen. Diese Sturmfrisuren mit viel Haarschopf auf der Rückseite mochte Fritz Lang offensichtlich, eine solche ist z. B. auch bei Gerda Maurus in „Spione“ zu bewundern, insgesamt etwas kürzer geschnitten.

Handlung. Teil 1. Der zweite Gesang. Wie Volker vor Kriemhild von Siegfried sang und wie Siegfried nach Worms kam

Der Spielmann Volker berichtet am Hof zu Worms Kriemhild von den Heldentaten Siegfrieds. Es folgt Siegfrieds Begegnung mit dem heimtückischen Zwergenkönig Alberich, der ihn zunächst mit seiner Tarnkappe auf dem Kopf angreift. Doch Siegfried kann ihm diese entreißen und ihn besiegen. Als Preis für Alberichs Leben bekommt der Drachentöter von ihm die Tarnkappe und den Nibelungenhort sowie das unübertreffliche Schwert Balmung. Nun versucht der Zwergenkönig ein zweites Mal, Siegfried zu überlisten. Die Gelegenheit scheint günstig, da dieser von den unermesslichen Reichtümern geblendet ist. Doch auch diesmal funktioniert der Trick nicht. Siegfried tötet Alberich, woraufhin alle übrigen Zwerge versteinern. Einige Zeit später hält Siegfried am Hof der Burgunden zu Worms Einzug und bittet König Gunther um die Hand von dessen Schwester Kriemhild. Diese hatte in der Nacht einen Traum von einem Falken, der von zwei Adlern zerrissen wird. Als sie ihrer Mutter, der alten Königin Ute, davon berichtet, nimmt sie das jedoch nicht so ernst wie Kriemhild. Währenddessen beginnt im großen Saal der Burg ein Streit zwischen Siegfried und Hagen von Tronje, weil der Drachentöter mit den Bedingungen für Kriemhilds Hand unzufrieden ist. Er soll König Gunther bei dessen Plan unterstützen, die kriegerische Brunhild zu besiegen. Es kommt beinahe zu einem Kampf, der nur durch das plötzliche Eintreffen Kriemhilds verhindert werden kann. Schließlich einigen sich Siegfried und Gunther doch.[4]

Ganz so dramatisch fand ich den Streit nicht, vielleicht gibt es doch noch eine Version mit Szenen, die ich nicht gesehen habe. Klar war Siegfried unzufrieden und es sieht auch gar nicht direkt nach einem Deal aus. Er sagt nicht, ich helfe dir nur, Gunther, wenn ich dafür Kriemhild kriege, sondern die Fahrt nach Isenland steht in ihrem eigenen Recht und das Austricksen der sportlichen Brunhild ebenfalls. Mir hat es Siegfried nicht sympathischer gemacht, dass er nach der Tötung des Drachens Gunther hilft, weil er sehr wohl darauf hofft, Kriemhild dadurch näherzukommen. Ich weiß aber nicht, ob diese Art von betrügerischem Pragmatismus ein Zeichen von Dekadenz ist.

Deshalb empfiehlt es sich, an dieser Stelle darüber nachzudenken, warum Fitz Lang diesen Film gemacht hat. Vielleicht, damit ihm niemand zuvorkommt und weil er sich nach Mabuse als Nummer eins unter Deutschlands Filmern sah. Künstlerisch war das zu dem Zeitpunkt aber wohl doch eher noch F. W. Murnau. Dem blieb dann nichts anderes übrig, als „Faust“ zu machen, um bei den urdeutschen Großstoffen nicht ganz leer auszugehen. Irgendwie lag es in der Luft, nach Mabuse, dem modernen Großverbrecher und Manipulator, den größten Aberwitz von Sage überhaupt zu verfilmen und die Technik war auch gerade so weit, dass das möglich wurde oder man es sehr schön umsetzen konnte, wie mit dem tollen Pappmaché-Drachen, dem Verschwinden von Menschen per Tarnnetz, da ist es ja eher als eine Kappe oder ein Helm. Nun ja, es lag in der Luft, die Nibelungen zu verfilmen. Wie geschrieben. Nach dem verlorenen Krieg. 

Aber Lang war ein Jetztzeitmensch, ähnlich wie Ernst Lubitsch es war, selbst dann, wenn er ausgefallene historische Settings wählte, anders als Murnau, bei dem die Romantik noch deutlich mitschwingt. Wenn so ein Jetztzeitiger ein so monumentales Period Picture macht, in dem die Menschen einen Verhaltensfail nach dem anderen begehen, damit der Untergang heranreifen kann, was denkt er sich dabei?

„Eine Hauptaufgabe musste meiner Empfindung nach sein, in den Nibelungen vier vollkommen in sich abgeschlossene, einander fast feindliche Welten, streng zu unterscheiden und jede in sich selbst zu einem Gipfel zu führen: die Welt von Worms, das hieß die Welt einer schon überfeinerten Kultur, in der jede Geste, jedes Gewand, jeder Gruß von einer fast müden, aber sehr adligen, zur Sitte gesteigerten Einfachheit war. Und dabei war es notwendig glaubhaft zu machen, dass in den fast kahlen, unsäglich ernsten Räumen Menschen lebten und ihr Schicksal erfüllten.

Die zweite Welt: die Welt des jungen Siegfried, der sich als Schmiedegeselle Mimes das Schwert, mit dem er den Drachen erschlägt, selber schafft, – der Dom des Waldes, die im Dämmer liegenden Wiesen, die verkrüppelten Bäume, in denen gespensterhaft-elfisch der Herr der Zwerge, Alberich, haust. Gleichsam die Welt des Unterirdischen, reich an Gold, an Spuk, an Geheimnissen des Steins.

Die dritte Welt: die Welt Brunhilds, Isenland, das Nordlicht, fremde, eisige Luft, in der die Menschen wie verglast aussehen. Blöcke erstarrter Lava, grau, schwarz, darüber die Ewigkeit eines im Nordlicht ruhelos zuckenden Himmels.

Die vierte Welt: die Welt der Hunnen und Etzels, des Herrn der Erde, dessen Schicksal sich an der unerbittlichen Liebe seines Weibes zu einem Toten, an der Rache für diesen ihn fremden Toten, erfüllt.

Es geht mir darum, das Schicksal dieser Menschen aus ihren Ursprüngen her zu erklären und notwendig erscheinen zu lassen, so dass alles, was geschieht, nach dem Gesetz einer unerbittlichen Folgerichtigkeit geschieht.“[5]

Diese Statements, mit denen wir wieder von der Wikipedia in den oben schon ausgebeuteten Text gesprungen sind, stammen nicht aus einer späteren Zeit, sondern aus dem Programmheft zum Film. Ja, das kann man gut erkennen, diese Welten sind sehr atmosphärisch, in ihrer Unterschiedlichkeit. Und die Konzeption wirkt sehr ernsthaft. Aber ist sie das wirklich?

Lang hat auch in seinen Gegenwartsfilmen immer so etwas wie einen Unterton, der das Pathos, das er durchaus kann, dämpfen, anders also bei Murnau, natürlich nicht in einer so von der Humorseite her akzentuierten Form wie bei Lubitsch. Mein Eindruck war, dass manche Szenen einen mindestens unterschwelligen Humor nicht verbergen wollen. Einen Humor, der sich aber heute erst wirklich erschließt, weil unsere Rezeption eine andere ist als die des Publikums von 1924, das Filme noch viel weniger sophisticated anschaute. Im zweiten Teil verliert sich das, weil er so brutal ist, aber im ersten musste ich stellenweise schmunzeln, weil hier doch ganz schön in die Kacke gehauen wird und bekannt ist, dass Fritz Lang immer auch etwas Distanz zu der Melodramatik hielt, die u. a. seiner Frau Thea von Harbou aufgrund der Ausfassung ihrer Drehbücher in Langs Filmschaffen zu implementieren wusste. Was ihnen bezüglich der Handlung auch etwas Kolportagehaftes verlieh, bei Mabuse sieht man das ziemlich deutlich. Die Nibelungen-Sage als eine Art Heiligtum konnte sie natürlich nicht komplett umdichten, ohne dass ebenjenes Publikum, das noch eine weniger übersetzte Haltung zu Filmen hatte, protestiert hätte über einen zu freien Umgang mit der Sage. Immerhin war es das erste Mal, dass jemand sich an diesen Stoff herantraute. Ich glaube, dass Fritz Lang bestimmte kleine Spitzen bewusst gesetzt hat, damit Generationen wie die heutigen genau das schreiben können, nämlich, dass er die atavistische, komplett unaufgeklärte Bedingungslosigkeit des Menschenhandelns etwas brechen wollte, indem er einige Momente im ersten Teil so gefilmt hat, dass man sie durchaus unterhaltend und nicht nur helden- und sagenhaft findet.

Teil 1. Der dritte Gesang. Wie Siegfried Brunhild für Gunther gewann

Jeder, der um Brunhild wirbt, muss sie im Steinwerfen, im Weitsprung und im Speerwerfen besiegen. Gunther sieht sich jedoch nicht im Stande, das zu schaffen; deshalb bereitet Siegfried eine List vor. Hierzu stellt sich der Sohn König Siegmunds als Dienstmann Gunthers vor, nachdem er zusammen mit den Burgunden bei der von Feuer umringten Burg Brunhilds angekommen ist. Siegfried gewinnt anschließend mithilfe seiner Tarnkappe den Kampf gegen die kriegerische Frau für König Gunther. Die stolze Brunhild kann ihre Niederlage nicht fassen.[6]

Die Isenland-Szenen, die alle im dritten Gesang des ersten Teils angesiedelt sind, kann man nur als köstlich bezeichnen. Optisch ist noch etwas Expressionismus zu erkennen, vielleicht sogar mehr als in Langs vorausgehenden Filmen, die zeitlich eher dem Höhepunkt des deutschen Filmexpressionismus zufallen, aber wie Gunther den Stein kaum hochkriegt, den er weiter werfen soll, als Brunhild es gerade getan hat bzw. einen vergleichbar großen Stein, sie dann aber federleicht auskontert, das ist Tiefenhumor, denn natürlich ahnt Brunhild, dass da etwas nicht stimmen kann, aber was? Eines hätte ihr zumindest auffallen dürfen: Dass Siegfried während des gesamten Wettkampfes nicht anwesend ist. Sie hätte von Gunther fordern können, erst weiterzumachen, wenn er seine Botschaft an das Schiff überbracht hat und zurückgekehrt ist. Nun ja, wir sind eben im Zusammenspiel von Kognition und logischem Denkvermögen heute etwas weiter und außerdem nicht durch so einen alles überragenden Siegeswillen vollkommen fokussiert, dass wir vielleicht gar nicht merken, dass sich am Spielfeldrand etwas Merkwürdiges tut. Wie auch immer, der dritte Gesang bietet einen wunderschönen Kontrast zwischen nordisch-düsterer Atmosphäre und rheinländisch-lockerem Framing. Ist das dekadent oder überleben so diejenigen, die es sich leisten können, starke Vasallen zu engagieren, heute auch bzw. erreichen ihre Ziele?

In „Siegfried“, einer bildhaften Fassung der nordischen Sagen, die gestern Abend vor einer hochkarätigen Versammlung im Century Theatre aufgeführt wurde, gibt es zum ersten Mal mehr als nur eine Andeutung des Eindringens in das sakrale Reich der Oper. Es kann nicht behauptet werden, dass diese deutsche Inszenierung mit der Wagnerschen Partitur viel mehr tun wird, als Filmproduzenten gelegentlich zu etwas Altruistischerem anzuimieren, da ihre Behandlungsweise, ihre Charaktere und die Szenen im Widerspruch zu den Meinungen derer stehen, die mit der Triologie durchaus vertraut sind, die vielleicht ihre eigenen Vorstellungen von Heldenfiguren haben, durch jahrelangen treuen Besuch der Oper. Nichtsdestotrotz ist „Siegfried“ ein würdiges Werk, in vielerlei Hinsicht bemerkenswert und ein gewisses Maß an Leichtfertigkeit sollte man nicht kritisieren. Die Geschichte, wie sie aus „Walküre“, „Götterdämmerung“ und „Siegfried“ stammt, ist eine ernsthafte und beneidenswerte Leistung. Man könnte erwarten, dass es langweilig sein würde, aber obwohl ein Großteil seines Inhalts künstlich ist – da das gesamte Bild praktisch vor den Toren des Ufa-Studios produziert wurde – erzeugt die Erzählung selbst ein stetiges Interesse, und manchmal ist sie absolut faszinierend. In gewissem Maße wird es mit einer Technik hergestellt, die alten Legenden angehört, und aus diesem Grund können seine Mängel übersehen werden. Es spielt keine Rolle, ob die Charaktere überzeugend genug sind, denn es gibt so vieles, was in dieser malerischen Anstrengung seltsam ist. Aber um es als Erzählung zu verstehen, gibt es einige hinreißende Begebenheiten, die mit einer gewissen Anmut entfaltet werden, die durch die Zauberei der Kamera sehr unterstützt wird. Es gibt einige robuste Szenen, die mit künstlerischer Originalität dargestellt werden, und es gibt andere, in denen man geneigt ist zu denken, dass die Erzählung vom Erhabenen ins Lächerliche abgleitet. Für die fotografischen Effekte in dieser seltsamen Geschichte konnten keine Bäume gefunden werden, die als groß genug erachtet wurden, und so musste Fritz Lang, der Regisseur von „Siegfried“, die Natur übertrumpfen, indem er gigantische Kulissen bauen ließ, die durchaus beeindruckend sind (…). (Mordaunt Hall, The New York Times, 1924)[7]

Wenn es ums Lächerliche geht, ist Gunthers Leistung im Wettkampf mit Brunhild sicher nicht zu steigern und die Bäume stehen bei dieser Größe viel zu dicht, um echt zu sein. Aber welch eine Leistung, sie so nachzubilden. Das wirkt heute noch, als habe man für die Kulissen haufenweise Geld investiert. Wie alle Kulturmenschen, konnte der Kritiker der NYT damals nur den Vergleich mit dem „Ring“ von Richard Wagner heranziehen, und der ist bekanntlich eine Oper und geht mit den Helden viel sympathisierender um als das dem notabene dezenten Ironiker und Sensationsfilmer Lang, der einfach ein viel modernerer Menschen war als Wagner, gelingen konnte. Weil er aber keine bösartige, schwarze Komödie drehen wollte, in welcher Treue einerseits und Rache andererseits als über- bzw. unterbewertet erscheinen, changiert der Ton des Films in der Tat von Szene zu Szene, mal mehr, mal weniger heftig und durchaus so, dass der Handlungsverlauf dadurch an Abwechslungsreichtum gewinnt. Allerdings hat Wagner auch die Zwerge nach meinem Wissen nicht so diskriminierend inszeniert, wie Lang das tut, und auch da hat man das Gefühl, eine gewisse Komik war durchaus nicht ungewollt.

Konzipiert wurde das aufwendige Filmprojekt von Lang und der Drehbuchautorin Thea von Harbou, die er im August 1922 heiratete, von Anfang an als Zweiteiler. Thea von Harbou ließ das Drehbuch auf der ursprünglichen mittelalterlichen Sage fußen, weniger auf Richard Wagners Bearbeitung Das Rheingold. Um sich weiter von Wagner abzuheben, wurde auch der Komponist Gottfried Huppertz mit der Anfertigung einer Filmmusik beauftragt.[4] Harbou achtete im Drehbuch, das streng in Akte und Gesänge eingeteilt ist, vor allem auf eine klare Form. Auch Lang versuchte filmisch die vier unterschiedlichen Schauplätze unterschiedlich umzusetzen und diese gegeneinander fast feindlich wirken zu lassen: der magisch wirkende Wald mit Siegfried, der überfeinerte und erstarrte Hof in Worms, die nordische Welt Islands sowie der Hof der Hunnen.[5] 

Finale des ersten Teils der Rezension

Die Fassung der mittelalterlichen Sage, die ich kenne, ist ziemlich gekürzt, deswegen kann ich auch behaupten, dass der Film alles, vielleicht sogar ein bisschen mehr enthält, als in dieser Version nachzulesen war, und dass der Ton den Unterschied zu dem macht, was ich schon als Jugendlicher irgendwie monströs und doch ergreifend fand, nicht die Schilderung der Handlung. Ob man die Nibelungensage gelesen haben muss, um den Film zu verstehen? Ich glaube fast, er kann das Lesen ersetzen, weil er so komplett und werkgetreu ist, wobei der Unterschied zwischen Teil 1 und Teil 2 bezüglich der Inszenierung noch einmal ein Kapitel für sich darstellt.

Schon jetzt haben wir den Umfang des Formats „Die große Rezension“ erreicht und schließen deshalb vorerst. Und verweisen Sie auf den zweiten Teil, der unter der Nummer „Filmfest 873“ am 7. Dezember 2022 erscheinen wird.

87/100

© 2023, 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

[1] Wikipedia, Die Nibelungen (1924) – Wikipedia (Im Folgenden als a. a. O. zitiert, andere Wikipedia-Artikel werden gesondert ausgewiesen.)

[2] Wikipedia a. a. O.

[3] Die Nibelungen – Varianten der Verfilmung | Hans Helmut Prinzler (hhprinzler.de)

[4] Wikipedia a. a. O.

[5] Die Nibelungen – Varianten der Verfilmung | Hans Helmut Prinzler (hhprinzler.de)

[6] Wikipedia a. a. O.

[7] THE SCREEN; An Opera Story. – The New York Times (nytimes.com)

Regie Fritz Lang
Drehbuch Thea von Harbou
Produktion Erich Pommer für die Decla-Bioscop AG im Auftrag der Universum Film AG
Gustav Püttjer (Aufnahmeleiter)
Musik Gottfried Huppertz
Kamera Carl Hoffmann,
Günther Rittau
Besetzung

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