Die Akte (The Pelican Brief, USA 1993) #Filmfest 877

Filmfest 877 Cinema

Wieder ein Thriller um die Macht und das Geld

Die Akte (Originaltitel: The Pelican Brief) ist ein US-amerikanischer Spielfilm aus dem Jahr 1993. Dieser Thriller ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von John Grisham, der von einem Doppelmord an zwei Richtern vom obersten Bundesgericht handelt – und von einer Jurastudentin, die den Täter mit Hilfe einer Abhandlung überführt, weshalb sie zur Zielscheibe wird und, um zu überleben, den Täter schnappen muss. Regie führte Alan J. Pakula, der auch das Drehbuch schrieb. Die Hauptrollen spielen Julia Roberts und Denzel Washington.

„All the President’s Men“ („Die Unbestechlichen“, 1976) ist bis heute einer der besten Polit-Thriller und stammt von Alan Pakula, dem Regisseur, der auch „Die Akte“ gedreht hat. Eine logische Wahl, ihn mit der Verfilmung von John Grishams Beststeller zu beauftragen, auch wenn zwischen den beiden Projekten 17 Jahre liegen. Auch wenn Dustin Hoffman und Robert Redford als Reporter reale Figuren nachgespielt haben und es die Watergate-Affäre um Richard Nixon wirklich gab und John Grishams Buch rein fikitonal ist. Von der Affäre, die zum Sturz des Präsidenten Nixon führte bis zur Verfilmung der Story dazu vergingen zwei Jahre. Vom Erscheinen des Grisham-Romans zur Verfilmung ein Jahr.

Handlung (1)

Zwei Richter des Obersten Gerichtshofs der USA werden am selben Abend von einem Profi-Killer ermordet. Die Jurastudentin Darby Shaw verfasst einen Aufsatz mit Vermutungen darüber, wer vom Tod der beiden Richter am meisten profitieren könnte. Diesen Aufsatz übergibt sie ihrem Freund Thomas Callahan, einem Professor der Rechtswissenschaften. Callahan schickt eine Kopie seinem Freund Gavin Verheek, der für die Regierung und das FBI arbeitet.

Kurz darauf wird Callahan durch die Explosion einer Autobombe in New Orleans ermordet. Shaw, die nur wegen Callahans angetrunkenen Zustandes nicht in den Wagen stieg, muss dem Tod ihres Freundes zusehen und überlebt den Anschlag körperlich unverletzt. Bereits am Tatort wird sie von einem Mann vernommen, der sich als Sergeant Rupert vorstellt und sich später als falscher Polizist erweist.

Aus Angst um ihr Leben meidet Shaw nun ihre Wohnung, übernachtet in Hotels, trägt Perücken und andere Kleidung. Doch der Geheimdienst kennt ihren Unterschlupf und setzt diverse Auftragsmörder auf sie an. Einem, der ihr zu Recht verdächtig erscheint, kann sie aus einem Aufzug gerade noch entkommen. Shaw wendet sich telefonisch an den Bekannten Callahans, Gavin Verheek, Regierungsbeamter und Berater von Denton Voyles. Sie verabreden ein Treffen, doch Khamel, der Mörder der beiden Richter, hat Verheek im Visier, tötet ihn in dessen Hotelzimmer und hört das aufgenommene Gespräch zwischen ihm und Shaw ab. Er nutzt den Umstand, dass Shaw Verheek nie zuvor gesehen hat, was aus dem Gespräch mit Verheek hervorging. Khamel erscheint am verabredeten Treffpunkt in der geforderten Kleidung und wiegt Shaw in Sicherheit, wird aber auf einem menschenerfüllten Platz von einem Unbekannten (CIA-Agent Rupert), der beide die ganze Zeit beobachtet hat, erschossen, kurz bevor er Shaw erschießen wollte. Schreiend fliehen die Menschen von dem Erschossenen, der den Revolver noch in der Hand hält. (…) 

Rezension 

Das haben die Amerikaner großartig drauf, das Eisen zu schmieden, solange es heiß ist. Bei uns hätten solche Verfilmungen wohl ein Jahrzehnt oder mehr nach den Ereignissen oder dem Erscheinen eines Romans stattgefunden. Schon dieser  Hauch von Aktualität, den die amerikanischen Filme haben, ist durch nichts zu ersetzen. Außerdem wagten sie es schon in den 1970ern, allerdings auf gesicherter Datenbasis, Anfang der 1990er auf Basis einer erfundenen Handlung, die höchsten Stellen der politischen Macht anzugreifen. Nach den einschneidenden politischen Ereignissen der 1960er und 1970er Jahre in den USA war die Zeit dafür perfekt. Auch der Beginn der Clinton-Ära war sicher kein schlecht gewählter Zeitpunkt für politisches Kino, das sich mit den Strukturen der Macht auseinandersetzt.

Wir schreiben hier und werden es auch künftig aus Zeitgründen so halten müssen, über einen Film, dessen Romanvorlage wir nicht kennen, wir beurteilen nur den Film, wie er auf uns gewirkt hat. Wir können also nicht beurteilen, ob Julia Roberts die Rolle der Darby Shaw gut ausgefüllt hat im Vergleich zur Romanfigur. Die zeitgenössische Kritik sah es teilweise anders, doch Grisham selbst war positiv, und das sollte doch ein wichtiger Beurteilungsaspekt sein, zumal, wenn es an ihrer Darstellung nichts auszusetzen gibt. Manchmal ist die Kritik auch geschmäcklerisch – Roberts war eben 1993 noch „Pretty Woman“, und daran merkt man, wie schwer es ist, aus einer Kiste zu kommen, wenn man erst einmal in sie hineingesteckt wurde. Überraschenderweise hat man aber nicht bemängelt, dass sie zu sehr pretty Woman ist, sondern, dass sie zu ernst spielt, zu angespannt, gleichermaßen gelte dies für  Denzel Washington, ihren Partner in diesem Film. Beide Darsteller haben mittlerweile ihre Oscars, und wir sind sicher, die Kritik würde deren Leistungen in „Die Akte“ heute anders bewerten.

Wir finden es klasse, dass jemand in einem politischen Film auch mal ernst sein darf. Wenn man die Kritik daran auf Denzel Washington bezieht, ist sie sogar rassistisch. Offenbar war es Anfang der 1990er einem afroamerikanischen Schauspieler unter 60 noch nicht zugestanden, eine konzentrierte Person zu spielen wie diesen Zeitungsreporter, der als Typ in die Richtung der beiden Charaktere tendiert, die Redford und Newman 1976 gespielt haben. Nach Spike Lee und Eddie Murphy mussten dunkelhäutige Schauspieler offenbar reden wie Wasserfälle und selbst in den übelsten Lebenslagen noch mit coolen, manchmal auch dummen Sprüchen glänzen. Von heute aus betrachtet, wirkt die Anforderung, dass die Schauspieler möglichst fluffig rüberkommen sollen, kurios. Wenn man in der Verfolgungssituation, in der sie sich permanent befinden, nicht ernst, konzentriert und angespannt ist, wann dann?

Aber die Amerikaner haben’s nicht so mit dem Kinorealismus, in ihren Actionfilmen, und das übertragen viele Kritiker dann offenbar auf einen Film, der eben nicht vornehmlich ein solcher ist, sondern bei dem Dialog unausweichlich informativ sein muss, damit die komplexe Handlung eines großen Thrillers wie „Die Akte“ ins Medium Film übertragen werden kann. Alan J. Pakula hat das schnörkellos und unprätentiös getan, und das rechnen wir ihm als Verdienst an. Die Geschwindigkeit, in welcher die Handlungselemente aufeinander folgen, ist bei weitem hoch genug, selbst für die Generation Smartphone-Daddler 2.0, und der logische Aufbau ist fehlerfrei. Zwischenzeitlich hatten wir einen Erklärungsmangel verspürt hinsichtlich des Agenten, der den vom Präsidenten-Staabsschef gedungenen Killer ausgeschaltet hat, doch diese Erklärung wird später nachgereicht. Die Menschen verhalten sich psychologisch und sachlich stimmig und der Thrill ist beachtlich, auch wenn man weiß, dass die Guten, wie üblich, lebend aus der Sache herauskommen werden.

Ärgerlich an dem Film, und da hätten wir von den Kritikern aus 1993 mehr Worte dazu erwartet, ist, dass Darby und Gray, der Reporter, am Ende kein Paar werden dürfen. Damit weicht der Schluss von dem des Romans ab. Der Hintergrund ist klar: Man hatte immer noch Bedenken, auf diese Weise ein „gemischtrassisches“ Paar entstehen zu lassen. Man bemerkt auch das  Unbehagen der Filmemacher darüber, denn dieses letzte Mal, als die beiden sich auf dem Rollfeld verabschieden, ist so zögerlich und unsicher, so „ich geh dann mal, komm aber nochmal für ne Umarmung zurück“, dass wir dachten, Himmel, wo ist Hollywood geblieben? Denn ein „Casablanca“-Ende mit einem schließlichen Verzicht für einen anderen Mann und eine große Aufgabe im Widerstand ist es ja auch nicht.

Ansonsten gibt es an „Die Akte“ aber wenig auszusetzen. Die Figuren sind gut gespielt, mit einigen Seitenhieben auf Präsidenten, die sich mehr mit der Dressur ihrer Hunde befassen als mit Details der Politik, und die intellektuell ihren Stabsschefs deutlich unterlegen sind, mit Geheimdiensten, die manipulieren und sich ihrerseits von der Politik manipulieren lassen, mit Killern, die Autos explodieren lassen; mit allem, was einen guten Politthriller ausmacht, und dazu gehört auch eine gewisse Anzahl von Figuren mit hohem Ekel-Appeal, die gibt es hier reichlich und wie sie handeln und versuchen, die Veröffentlichung der Akte „Pelikan“ zu vertuschen, ist spannend.

Finale

Das politische Thema, dass ein Ölmagnat Umweltgesetze aushebeln will, damit aber vor dem Obersten Bundesgericht scheitert, zwei Richter erschießen lässt, weil diese dem Umweltschutz (dem Erhalt der Pelikane) Vorrang eingeräumt haben, wirkt ein wenig unausgewogen. Einerseits ein Riesenaufwand, andererseits ein zu kleines Hindernis. Im Zeitalter des Frackings kann man sich nur noch am Kopf kratzen, angesichts der Tatsache, dass tatsächlich wegen einer aussterbenden Vogelart die Interessen der Ölindustrie hintanstehen müssen. Die Wirklichkeit ist so viel bedrückender und beschämender.

Wie Einfluss auf die Politik genommen wird, das zeigt der Film nicht im Ganzen, aber dass die Öllobby in den USA neben der Bankenlobby wohl die mächtigste ist, steht außer Frage, daher ist dieser Part, dass ein Tycoon den Wahlkampf eines Präsidentschaftskandidaten mit Spenden bereichert und dafür Konzessionen erwartet als realistisch zu betrachten.

Der Film zeigt auch einen Whistleblower – der sich mit dem Reporter Gray Grantham allerdings noch real treffen müsste, um seine Informationen weiterzugeben, wir haben noch kein Internet. Schließlich, nachdem man ihn bereits liquidiert hat, meldet er sich mit einem in einem Bankschließfach hinterlegten Video zu Wort und verhilft der Gerechtigkeit zum Sieg. Das ist hochmodern, und wir haben heutzutage sogleich Assoziationen zu wahren Fällen, in denen es um ganz andere Dimensionen von Verrat einerseits und Bespitzelung andererseits geht, sodass der Verrat uns gerechtfertigt erscheint, weil er die Aufdeckung der üblen Machenschaften der Geheimdienste ermöglicht.

Abgesehen von der Mutlosigkeit bei der Beziehung Darby / Gray ist „Die Akte“ ein guter Film, der uns ein Gefühl dafür vermittelt, wie es ist, wegen der Wahrheitsfindung in einem Staat von höchster Stelle verfolgt zu werden, der sich demokratisch nennt und dem die Pressefreiheit so heilig ist, wie sie in den USA tatsächlich einmal war. Heute üben sich die Leitmedien in einer Form von Selbstzensur des vorauseilenden Gehorsams. Ob ein Skandal wie der im Buch beschriebene, und da gibt es Größere, heute noch an die Öffentlichkeit gelänge – wir wissen es nicht. Es gibt immer wieder mutige Menschen, die für die Wahrheit ein hohes Risiko eingehen, das ist das Einzige, was uns optimistisch stimmt, nachdem wir nun wirklich alle wissen, wie sich Ökonomie und Politik zu einem Machtklumpen ballen, den die Erde nicht wird schlucken können

74/100

© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie Alan J. Pakula
Drehbuch Alan J. Pakula
Produktion Pieter Jan Brugge,
Alan J. Pakula
Musik James Horner
Kamera Stephen Goldblatt
Schnitt Tom Rolf,
Trudy Ship
Besetzung

 

 

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