Schwarzer Engel (Obsession, USA 1976) #Filmfest 889

Filmfest 889 Cinema

Schwarzer Engel (Originaltitel: Obsession) ist ein US-amerikanischer Spielfilm von Brian De Palma aus dem Jahr 1976. Cliff Robertson spielt darin einen Geschäftsmann, dessen Familie bei einer Entführung stirbt. 15 Jahre später lernt er eine Frau kennen, die seiner Ehefrau so ähnelt, dass er eine Besessenheit für sie entwickelt. Dieser Thriller mit melodramatischen Elementen ist eine Hommage an Alfred Hitchcocks Vertigo.

Handlung (1)

Michael Courtland, ein Immobilienkaufmann aus New Orleans, feiert im Jahr 1959 den zehnten Hochzeitstag mit seiner Frau Elizabeth. In dieser Nacht werden Elizabeth und Amy, die Tochter der beiden, entführt. Die Polizei rät Courtland, das geforderte Lösegeld durch wertloses Papier zu ersetzen. Das Ergebnis ist, dass die Entführer mit den beiden Geiseln frühzeitig vor der Polizei fliehen. Nach einer Verfolgungsjagd explodiert das Auto der Entführer. Anscheinend kommt Courtlands Familie bei dieser Explosion ums Leben. Überwältigt von Trauer und Schuldgefühlen überlässt Courtland seinem Geschäftspartner Robert Lasalle die Hauptverantwortung für das gemeinsame Geschäft und errichtet für Elizabeth und Amy ein Mahnmal, das eine Miniaturkopie der Kirche San Miniato al Monte in Florenz ist, wo Courtland und Elizabeth sich kennenlernten.

15 Jahre später ist Courtland immer noch in tiefer Trauer. Lasalle überredet Courtland, mit ihm nach Florenz auf Geschäftsreise zu gehen. Als Courtland San Miniato besucht, trifft er dort auf Sandra, eine junge Frau, die seiner Frau wie aus dem Gesicht geschnitten gleicht. Courtland verfolgt Sandra und schafft es, dass sie sich für ihn interessiert. Besessen von der Idee, Sandra zu einem Spiegelbild seiner toten Frau zu formen, reist er mit ihr zurück in die USA, wo die Heiratspläne der beiden auf Unverständnis in Courtlands Umfeld stoßen. Sandra ihrerseits scheint besessen von der toten Elizabeth zu sein und taucht in das Gefühlsleben der toten Frau ein, indem sie ihre Briefe und Tagebücher liest. (…) 

Anni und Tom über „Schwarzer Engel“ („Obsession“)

A: Ich habe nicht nachlesen müssen, um zu merken, dass der Film sich an „Vertigo“ von Alfred Hitchcock anlehnt. Übrigens eine gute Gelegenheit, den auch endlich anzuschauen, er ist ja aufgezeichnet und wartet auf eine Rezension.

T: Der Hauptunterschied im Ablauf ist, dass es in „Obsession“ einen riesigen Zeitsprung von 16 Jahren gibt, der mit einem Zwischentitel eingeführt werden muss, während bei Hitchcock alles mehr oder weniger ineinander fließt. Der Stil des Films ist ziemlich befremdlich. Dieses Weichzeichnen in unterschiedlichem Ausmaß, besonders natürlich bei Szenen, die nur in Courtlands Vorstellungen existieren, aber auch sonst oft eine flache, mit relativ wenigen Farbtonungen arbeitende Bildgestaltung.

A: Dafür gibt es den Hitchock-Kreisel, wie in Vertigo, auf dem totalen Höhepunkt – der liegt allerdings in Brian de Palmas Film an einer ganz anderen Stelle. Der Moment, in dem die Kamera die Figuren in einer – hier sogar mehrfachen – Totalumkreisung umfährt, als sie zum letzten und höchsten Einklang finden.

T: In „Vertigo“ ist das nicht das Ende, sondern der Anfang vom Ende, die vermeintliche Erlösung durch die Übertragung der Vorstellung von einer Frau, in „Obsession“ handelt es sich außerdem wirklich um zwei verschiedene Frauen, in „Vertigo“ nicht [Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2022: Mutter und Tochter, in „Obsession“. Verstärkt wird der Hommage-Eindruck natürlich auch durch die Filmmusik von Bernard Herrmann. Für „Vertigo“ hatte er einen seiner berühmtesten Scores geschrieben, dafür war der für „Obsession“ der vorletzte, vor „Taxi Driver“ und kurz vor seinem Tod. Trotzdem finde ich die beiden Filme stilistisch sehr unterschiedlich, was auch mit der Schauspielerführung zu tun hat.

A: Bei Hitchcock ergibt sich der Suspense aus der Handlung selbst und aus der Getriebenheit der Hauptfigur, die einer Sache auf die Spur kommen will und sich in einer Frau verliert. Bei de Palma dachte ich zweitweise, der Film ist stehen geblieben, er hatte ja auch wirklich einige aufzeichnungstechnische Wackler. Haben wir zuletzt übrigens häufiger, irgendwas stimmt da nicht. Aber wie die Figuren da aufeinander zugehen, das ist einerseits nervenzerfetzend, andererseits unglaublich gedehnt. Es wird evoziert, nun kommt etwas gänzlich Unvorhersehbares, das ist aber meist nicht der Fall. Wann bist du darauf gekommen, dass Sandra mit Amy identisch ist?

T: Eigentlich sofort. Weil es altersmäßig hinkommt, wenn sie Anfang der 1950er geboren ist. Dass dies alles auch inzszeniert ist, dass sie da in der Kapelle arbeitet, war mir nicht sofort klar, obwohl ich bereits ganz zu Beginn des Films dachte, dass dieser Geschäftspartner Lasalle irgendwie ungut erscheint. Da sind so kleine mimische Momente und dieses seltsame Verhältnis zwischen ihm und Courtland, in dem Letzterer ihn dominiert und demütigt. Da dachte ich zunächst, Mann, sind die Dialoge schwach, und sie sind auch etwas roh, aber alles dient der Vorbereitung dessen, was man ahnen konnte, wenn man etwas geübt im Gucken von Krimis ist. Ich hatte auch sofort den Eindruck, dass Lasalle etwas mit der Entführung von Courtlands Frau und Tochter zu tun haben könnte. Bin allerdings davon wieder etwas abgekommen, weil dann 15 Jahre lang ein normales Geschäftsverhältnis zwischen den beiden besteht, in dem alles zu seinem Status Quo gefunden hat. Dass das Riesengelände der beiden nicht bebaut wird, ist natürlich Quatsch. Man kann die wirklichkeitsfremde und romantische Welt des Courtland noch so gegen das Geschäftliche, Banale von Lasalle stellen – wenn die beiden gleichberechtigte Geschäftspartner sind, kann Courtland nicht die Verwertung des Grundstücks verweigern, nur, weil er auf einer Ecke ein Mausoleum gebaut hat, für seine Frau und Tochter, das verdächtig einer gewissen Kapelle oder Kirche in Florenz ähnelt.

A: Mich hat der Film auch ein wenig an „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ erinnert, in dem ein italienisches Setting zu einer unglaublichen, surrealistischen Katharsis führt. Aber ganz so eindrucksvoll ist es in „Obsession“ dann nicht gewesen. Man erwartet es aber irgendwie, wenn man die Gondeln und Hitchcock als Vorbilder identifiziert hat. Übrigens, BildstiT: Wenn das Bürogebäude gezeigt wird, in dem Courtland und Lasalle ihre Firma haben, ist immer alles ganz klar und kantig, zumindest von außen. Innen wird das leider nicht in der Konsequenz durchgehalten, die Farbabstimmung betreffend, sonst käme man schneller dahinter, dass dieser Kontrast zwischen dem alten, verspielt-romantischen New Orleans, das sich im alten Florenz spiegelt, und der modernen amerikanischen Businesswelt so herausgestellt werden soll. Der Film ist übrigens nicht ganz eindeutig. Ich muss sagen, ich konnte Lasalle bis zu einem gewissen Grad verstehen, zumal er ja den Unfall im Jahr 1959 und den Unfall im Jahr 1975 nicht einkalkuliert hat. Courtland in seiner romantisierenden Abgeschlossenheit hat viel zu wenig mit seinem Co anfangen können, der immer in so auffällig helle Anzüge gekleidet ist, dass man schon denkt, das kann kein weißer Ritter sein, das ist eben zu auffällig. Aber im Verlauf erschließen sich wirklich viele irritierende Momente der Anfangssequenzen psychologisch. Auf den etwas überdramatisierenden Stil, der quasi um die fast unbewegte Mimik von  Courtland herum aufgebaut wird, muss man sich allerdings einlassen. Der Film ist für Brian de Palma schon ziemlich ungewöhnlich.

T: Im Vergleich mit seinen späteren Werken auf jeden Fall. Die beiden Gemälde übereinander in der florentinischen Kirche symbolisieren wohl die frühere Beziehung Courtlands zu seiner Familie und den moralischen Zweifel, weil er damals nicht bereit war, wirklich Geld für sie einzusetzen. Krimimäßig untersuchen wir die dilettantische Entführungssequenz lieber nicht. Da behauptet allen Ernstes ein Polizist, es sei besser, nicht zu zahlen, platziert einen Peilsender höchst auffällig und man kann sofort erkennen, dass nicht etwa, wie vorher behauptet, Falschgeld im Koffer ist, sondern gar kein Geld, sondern irgendwelches Papier, sodass nur das Gewicht stimmt. Und dass die Geiselnehmer da mit ihren Opfern türmen und die Polizisten nicht zugreifen können, ist wohl sonnenklar. Selten etwas so Rudimentäres gesehen.

A: Jetzt hat du es doch an-analysiert. Da brechen sich die über 400 Rezensionen für die Tatort-Anthologie Bahn. Zu dilettantisch organisierte Verbrechen gehen gar nicht.

T: Diese Szenen bestimmten bei mir aber auch die Haltung zum Film nicht unwesentlich. So was wäre Hitchcock nie passiert, dass er es so schleifen lässt, weil er einer Sequenz quasi keine Bedeutung einräumt.

A: Auch Hitch hatte schwache Momente – nicht in allen Filmen, aber in einigen. Aber wenn man will, kann man die Obsession, die Courtland für die Wiedergängerin seiner Frau entwickelt, auf den Regisseur übertragen: De Palma musste erst einen Film machen, in dem er sich an Hitchcock abarbeitet, um dann zu seinem eigenen Stil zu finden, der bekanntlich etwas exploitativer ist als in „Obsession“. Nicht leicht zu bewerten, dieses ungewöhnliche und flirrende Werk. Zwischen großartig und trashig liegt da nicht viel, was auch mit der Glaubwüdigkeit oder Nicht-Glaubwürdigkeit des Geschehens zu tun hat. An „Vertigo“ kommt er jedenfalls nicht heran, denn seltsamerweise nehme ich Hitchcocks obsessivem Polizisten alles ab, was da mit ihm und durch ihn passiert, obwohl es kaum realistischer ist.

T: Doch, es ist realistischer. Weil es sich eben um dieselbe Frau handelt. Auf den Zufall zu vertrauen, dass Courtland wirklich in die Kapelle geht und Sandra dort findet, ist schon etwas happig, während in „Vertigo“ die Musuemsbesuche doch eine Art Ritual sind, auf das man sich verlassen kann – ebenso, wie man selbst in einer Riesenstadt jemandem wiederbegegnen kann. Außerdem ist das Ende bei Hitchcock schockierend und bei de Palma kitschig. Und auch ziemlich gedehnt.

A: Es ist vielleicht wirklich eine romantische Obsession des Regisseurs, und nach der Vereinigung mit Hitchcock als einer dominierenden Figur seiner Kindheit, seines Werdens als Filmemacher, ist alles unendlich viel gut. Okay, ich hab spekuliert, aber er hat ja danach „Carrie“, „Scarface“, „Mission Impossible“ und ähnliche sehr bekannte Filme gemacht, die ganz anders sind als „Obsession“.

T: Sie sind aber auch untereinander ziemlich verschieden, es ist nicht wie bei Hitchcock, der einen sehr eigenen und gut erkennbaren Stil hatte. Aber eines haben die Regisseure auch gemeinsam, daran hätte de Palma mal denken sollen, als er „Vertigo“ etwas ins Banale gedreht haA: Hitch hat nie einen Oscar als bester Regisseur bekommen. Beinahe unbegreiflich, auf den ersten Blick. Wenn man sieht, welche Filme in den Jahren, in denen er seine besten Werke herausbrachte, auch noch gedreht wurden, aber doch wieder nachvollziehbar – meistens jedenfalls. Den Oscar für den besten Film hatte er immerhin schon 1940 für „Rebecca“ erhalten. An de Palma scheiden sich aber auch die Geister, er war nie auch nur für einen Oscar nominiert, obwohl  zum Beispiel „Scarface“ als ein stilprägender moderner Gangsterfilm gilt, dafür aber fünf Mal für den „Razzie“ als schlechtester Regisseur des Jahres.

A: Ich fand den Film auf seltsame Art intensiv und nervenaufreibend, teilweise verstörend durch seine Machart, sehr schwer zu bewerten. Ich hab trotzdem mal meine Punkte notiert, gib bitte deine raus.

T: Ich hab 7/10. Ich bin auch mit mir selbst nicht ganz eins über dieses Werk.

A: Dafür haben wir dieselbe Punktzahl. Schau: auch 7,0. Wenn wir uns schon mit uns selbst nicht eins sind, ist es doch umso schöner, dass wir miteinander einig sind.

70/100

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2016)

Regie Brian De Palma
Drehbuch Paul Schrader
Produktion Harry N. Blum,
George Litto
Musik Bernard Herrmann
Kamera Vilmos Zsigmond
Schnitt Paul Hirsch
Besetzung

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