Umfrage: Jeder 3. junge Mann findet Gewalt gegen Frauen ok (Statista + Kommentar) | Briefing 208 | Gesellschaft, Gewalt, Gewalt gegen Frauen

Briefing 208 | Gewalt gegen Frauen, Femizide, physische und psychische Gewalt

In den letzten Tagen kam ein Thema in die Schlagzeilen, weil eine Studie Erschreckendes zur Gewalt gegenüber Frauen und zur Einstellung junger Männer gegenüber Frauen festgestellt hatte. Heute hat Statista dazu eine Grafik entworfen. Für uns der Anlass, diesem Thema einen Artikel zu widmen.

Infografik: Umfrage: Jeder 3. junge Mann findet Gewalt gegen Frauen ok | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz  erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Eine aktuelle Umfrage von Plan International gibt Einblick in die Einstellung junger Männer in Deutschland gegenüber Frauen. Der online-repräsentativen Erhebung zufolge finden es ein Drittel der Teilnehmer ok, wenn ihnen bei einem Streit mit ihrer Partnerin gelegentlich die Hand ausrutscht. Ähnlich viele halten Gewalt für ein akzeptables Mittel, um Frauen Respekt einzuflößen. Auch beim Verhalten gegenüber Frauen zeichnen die Daten ein düsteres Bild. Viele Sexualpartner, aufreizende Kleidung, Cat Calling – all das ist für viele 18-35-Jährige ein beziehungsweise kein Problem.

Die Umfrage hat in Medien und Sozialen Medien ein starkes Echo ausgelöst. Während die einen sich entsetzt zeigen, ziehen andere die Repräsentativität der Veröffentlichung in Zweifel. Indes machen die Verfasser:innen umfassende Angaben zu Methodik und Repräsentativität. Dort heißt es unter anderem: „Um die Repräsentativität der Stichprobe zu sichern, wurden auf Basis der amtlichen Statistiken Quoten-Vorgaben gemacht.“ Selbst wenn die Daten von anderen Erhebungen abweichen, wie es in Sozialen Medien heißt, sind die Angaben im Paper zumindest formal nicht zu beanstanden.

Zweifel wie sie beispielsweise der Journalist Olaf Storbeck anmeldet, sind dagegen nicht ausreichend begründet. Zum Beispiel vergleicht Storbeck die Aussage der Plan International-Erhebung, dass es 48 Prozent der jungen Männer stört, wenn homosexuelle Männer ihr Schwulsein in aller Öffentlichkeit zeigen mit einer Studie der Antidiskriminierungsstelle der Bundes. Allerdings findet sich dort auf Seite 68 ein ganz ähnliches Ergebnis: 38 Prozent der Befragten ist es dort (eher) unangenehm, wenn zwei Männer in der Öffentlichkeit ihre Zuneigung zeigen. Befragt wurden hier wohlgemerkt 2.000 Menschen beider Geschlechter im Alter ab 16 Jahren.

Fest steht hingegen, dass Frauen in unserer Gesellschaft einem ungleich höheren Gewaltrisiko ausgesetzt sind als Männer. Das zeigen Daten des BKA mit großer Deutlichkeit: 2021 wurden über 115.000 Frauen Opfer partnerschaftlicher Gewalt, 109 von Ihnen wurden von ihrem Partner oder Ex-Partnern ermordet.

Wir müssen leider zugeben, dass wir den schon fast kompletten Artikel, den wir zur Sache verfasst hatten, nun gecancelt haben und neu beginnen. Viel kürzer. In der vorherigen Version ging es auch um den Unterschied zwischen Repräsentativität und der Nichtaufschlüsselung der möglicherweise repräsentativen Auswahl von Befragten nach Unterschieden bei der Einstellung junger Männer verschiedener gesellschaftlicher Gruppen. Uns hätte eine solche Aufschlüsselung sehr interessiert, auch wenn sie Klischees bestätigt hätte.

Insofern ist dieser Twitter-Thread interessant: Man gibt also zu, dass das Problem existent und relevant ist, äußert sich über die Bestellung der Studie, die Durchführenden, das Ergebnis im Sinne der Bestellert, aber formuliert von hinten durchs Knie geschossen, dass es keine Offenlegung darüber gibt, wo welche Einstellungen besonders verbreitet sind: Kai Schulze auf Twitter: „Zu dieser Männlichkeitsstudie möchte ich kurz sagen: In jedem halbwegs vernünftigen Seminar zur Sozialforschung werden regelmäßig methodisch bessere Hausarbeiten geschrieben. Das Sample basiert auf einem Panel eines Marktforschungsinstitut https://t.co/WmrJhAkBKV, welches.. https://t.co/T3c18ufgAd“ / Twitter

In einer Hinsicht ergibt eine bessere Transparenz, auch wenn sie wehtut, auch Sinn: Wer junge Männer besser erziehen will, muss vor allem nachforschen, wo negative Einstellungen gegenüber häufig anzutreffen sind, daran führt nichts vorbei. Der Hebel muss dort angesetzt werden, wo allgemein besonders patriarchalisch, gewaltbereit und auch undemokratisch gelebt wird. Sicher wird man auch fündig, wenn man das linksgrüne Akademikermilieu penibel durchkämmt, aber wir wagen die Behauptung, dass die Quoten für negative Einstellungen und vor allem Gewalt gegenüber Frauen dort niedriger sind als in der obigen Grafik ausgewiesen.

Noch einmal: Das heißt nicht, dass die Zahlen nicht repräsentativ sein können und mindert nicht den erschreckenden Eindruck, den diese Zahlen bei uns hinterlassen haben.

Die Dunkelziffer dürfte außerdem weiterhin hoch sein und psychische Gewalt, auch wenn sie weniger einseitig zulasten von Männern ausfällt, ist nicht inkludiert, obwohl sie in heutigen Partnerschaften, wiederum milieubzeogen, nur in der anderen Richtung, möglicherweise eine größere Rolle spielt als körperliche Misshandlung. Es geht leider nicht gewaltfrei zu in dieser Gesellschaft und die vermeintlich oder körperlich tatsächlich Schwächeren bekommen es meistens ab. Hinzu treten Ideologien, die nicht von Gleichheit und Gleichwertigkeit geprägt sind, sondern strikt hierarchisch, immer mit Männern am oberen Ende der Hierarchie. Wir forschen nicht auf diesem Gebiet der häuslichen Gewalt und müssen aufpassen, dass es nicht zu einer Ansammlung von Plattitüden kommt.

Aber wir dürfen der Tatsache Ausdruck verleihen, dass wir sehr überrascht nicht nur über die hohe Quote von Gewaltbereitschaft unter jungen Männern waren, trotz der Tatsache, dass wir sofort reale Bilder vor Augen hatten, Bilder aus Berlin und räumlich gar nicht so fern unserer Lebenswelt, aber auch die negativen Einstellungen junger Männer gegenüber Frauen, die nicht direkt mit Gewalt verbunden sind, sind ziemlich gruselig. Wir gehen auch nicht davon aus, dass die 50 Prozent, die nicht gerne eine Frau zu Partnerin hätten, die viele Sexualpartner hatte, genau getrennt ist von der Gruppe, die gerne selbst möglichst viele Erfahrungen machen möchte. Wir befürchten eher, dass es da eine große Überschneidung gibt. Es ist in der Grafik nicht kommentiert, aber der Schluss daraus liegt auf der Hand: Was Männer sich erlauben dürfen, gilt für Frauen noch lange nicht. Wir können nur sagen: Beide Einstellungen trafen auf uns nie zu, auch nicht, als wir Angehörige der in den Fokus genommenen Altersgruppe waren.

In einer weiteren Sache müssen wir eine genannte Zahl beleuchten. Es geht um die 109 Morde an Frauen in Partnerschaften in einem bestimmten Jahr. Viele davon sind Femizide, die geschehen, weil Männer generell Frauen als weniger wert ansehen und glauben, über deren Leben richten zu können. Es gibt natürlich auch in Partnerschaften Tötungsdelikte, die nicht als Femizide rubriziert werden können. Allerdings: Es fehlt eine ganz wichtige Zahl, nämlich die Tötung von Frauen durch Männern außerhalb von Partnerschaften, oft von Frauen, die den tötenden Männern gänzlich unbekannt waren. Fast alle Sexual- und Serienmorde werden von Männern verübt und sind nach unserer Ansicht den Femiziden zuzurechnen. Das heißt, wir haben in Wirklichkeit wohl mehr Femizide insgesamt als die 109 genannten Morde an Frauen in Partnerschaften zu beklagen, hingegen dürfte es kaum Männer geben, deren Leben dadurch endet, dass Frauen sie in ihrer Eigenschaft als Männer für so unwert erachten, dass sie sie einfach umbringen dürfen.

Vermutlich hat die Studie Schwächen und wir glauben auch nicht, dass auf dem Land Frauen sicherer sind als in den Städten, in denen gefragt wurde, zu denen natürlich auch Berlin gehört. Wichtig ist die Studie trotzdem. Sie weist auf ein auch kriminalstatistisch erfasstes Problem hin, das ein Teil der allgemein zu hohen Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft ist, aber auch klarstellt, dass Frauen immer noch besonders gefährdet sind.

Daran bestehen wohl keinerlei Zweifel und es ist eher fragwürdig, dass dieses Thema nicht durchgehend medial bearbeitet wird, als dass man nun die Frage nach der Validität der Studiendaten aufstellt. Man kann amtliche Statistiken mit hoher Aussagekraft heranziehen, um zumindest die Spitze des Eisbergs nachzubilden und die obigen Prozentzahlen lassen den Eisberg in seiner gesamten Dimension erahnen. Wir können uns im Weiteren vorstellen, wie es im Trüben ausschaut, dort, wo Fälle nicht gemeldet oder nicht kriminalistisch bearbeitet werden.

Wir müssen gar nicht so weit rennen, um zu sehen, wie sich bestimmte Einstellungen, Mentalitäten, auch Temperamente zu Verhaltensweisen verdichten, die auch zur Gewalt gegen Frauen führen. Hier gilt es, Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit bei der Problemanalyse und bei den Gegenmaßnahmen walten zu lassen. Der mediale Aufschrei verhallt schnell und alles bleibt, wie es war oder wird schlimmer, wenn man nicht die Erziehung zur Gewaltlosigkeit insgesamt und Weltbilder, die eine generelle Wertschätzung ermöglichen, fördert und schlechten Vorbildern und Indoktrinierung entgegensetzt.

Ob die Zahlen sich exakt auf die männliche Gesamtbevölkerung der betrachteten Altersgruppe 18-35 Jahre übertragen lassen oder nicht: Das strukturelle Problem einer zu hohen Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen muss endlich auf den Tisch und dabei wird es um konkrete Menschen gehen müssen, sowohl auf der Täter- als auf der Opferseite.

TH

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