Filmfest 943 Cinema
Die Liebe der Jeanne Ney ist ein deutscher Spielfilm von Georg Wilhelm Pabst aus dem Jahr 1927. Er entstand nach dem gleichnamigen Roman von Ilja Ehrenburg.
Nach dem, was ich gesehen habe, ist Der Vater von Jeanne nicht Journalist, sondern eher Diplomat und als solcher in die Ränkespiele der Revolution verwickelt. Für einen Journalisten würde er auch entschieden zu dezidiert vorgehen und die Verteidigung der Liste, die zu seinem Tod führt, wäre stark übertrieben. Auch das Ende kann ich so nicht bestätigen: Durch den Diamant hindurch sieht Jeanne Andrej aus einem Tunnel hervortreten und damit endet der Film. Auch ein Happy End, aber nicht so melodramatisch stark ausgespielt. Mehr zum Film steht in der Rezension.
Handlung (1)
Der französische Auslandskorrespondent Alfred Ney lebt mit seiner Tochter Jeanne bereits seit sechs Jahren auf der Krim. Es ist die Endphase des Russischen Bürgerkriegs. Er hat das Land inzwischen so satt, dass er mit Jeanne wieder zurück nach Paris will. Vom weißgardistischen Spitzel Chalybieff bekommt er eine Liste mit den Namen bolschewistischer Agenten zugespielt, die er ihm abkauft. Die Bolschewiki erfahren davon, und zwei von ihnen wollen Ney die Liste wieder abnehmen. Dabei kommt es zu einem Schusswechsel und Alfred Ney wird erschossen. Die herbeieilende Jeanne Ney ist schockiert, einer der Bolschewiken ist Andrej, in den sie sich verliebt hat. Andrejs Freund Zacharkiewicz hilft ihr, nach dem Einmarsch der Roten Armee im Ort auf einem Schiff nach Paris zu fliehen.
Sie kommt dort in der Detektei ihres Onkels Raymond Ney als Schreibkraft unter, jedoch erst nachdem Raymond Neys blinde Tochter Gabriele ihn eindringlich darum gebeten hat. Kurz darauf erscheint Chalybieff in der Detektei. Als er sieht, dass Gabrieles Vater nicht unvermögend ist, macht er sich an die Blinde heran und überbringt ihr schließlich gar einen Heiratsantrag. Mittlerweile ist auch Andrej in Paris eingetroffen, der die Matrosen in Toulon bei revolutionären Aktionen mit Geld unterstützen soll. Er nimmt Kontakt zu Jeanne auf. Bei der Feier zur Verlobung mit Gabriele versucht Chalybieff, Jeanne zu küssen, während Gabriele nichtsahnend seine Hand streichelt. Später in einer Bar verrät er volltrunken dem Barmädchen Margot seinen Plan Gabriele nach der Hochzeit zu beseitigen; er wolle mit Margot und dem Geld dann fliehen. Margot informiert Jeanne und Raymond Ney wirft den Erbschleicher raus.
Der Detektiv Gaston ist beauftragt, nach dem Verbleib eines Diamanten zu forschen, der von einem reichen Amerikaner bei einem Juwelier aufbewahrt wurde und dort abhandenkam und für dessen Wiederauffinden eine Belohnung von 50.000 Dollar ausgeschrieben ist. Er stellt fest, dass der Papagei des Juweliers den Diamanten gefressen hat, und macht mit dem Tier zum Entsetzen der Juweliersfrau kurzen Prozess. Raymond Ney vereinbart die Übergabe des Diamanten telefonisch für den Abend und zählt in seiner Vorfreude schon eifrig das von ihm imaginierte Geld. Als er dem vermeintlichen Geldüberbringer die Tür öffnet, wird er augenblicklich von zwei Händen erwürgt. Es war Chalybieff, der den Diamanten stiehlt und eine Jacke mit einem Bild und einem Brief von Andrej am Tatort zurücklässt, um den Verdacht auf diesen zu lenken. Mit einer Hure, die er auf der Straße aufgelesen hat geht Chalybieff in ein Stundenhotel und begegnet dort Jeanne und Andrej, die eine gemeinsame Nacht dort verbracht haben. Der Plan gelingt; Andrej wird am nächsten Tag mit viel Geld in der Tasche im Zug verhaftet.
Jeanne geht zu Chalybieff und beschwört ihn, Andrejs Alibi zu bestätigen. Während der Diskussion fällt der Diamant aus seiner Tasche und Jeanne sieht den Mörder ihres Onkels vor sich. Nach kurzer Flucht wird er verhaftet und Andrej freigelassen. Jeanne und Andrej knien schließlich gemeinsam vor dem Altar einer Kirche.
Rezension
Über die reizende Darstellerin der Titelfigur ist leider sehr wenig bekannt, außer dass sie 1930 noch einmal eine Hauptrolle in einem Film mit russischem Thema gespielt hat. Ein Ufa-Star wurde sie nicht, wie auch dieser Film nicht stilprägend für die kommenden Arbeiten des deutschen Filmkonzerns wurde. Leider kenne ich von G. W. Pabst bisher nur „Westfront 1918“ (1930) und kann daher nicht sagen, welche Stellung „Die Liebe der Jeanne Ney“ nun wirklich in seinem Werk einnimmt, aber allgemein werden der erwähnte Antikriegsfilm, die beiden Filme mit Louise Brooks („Die Büchse der Pandora“ und „Tagebuch einer Verlorenen“, beide 1929 entstanden) und sein Durchbruch „Die freudlose Gasse“ (1925), aber auch „Kameradschaft“ (1932) höher eingeschätzt oder sind zumindest bekannter. Seine späteren Werke hingegen gelten, wie bei vielen Emigranten, als schwächer. Am Ende der Stummfilmzeit war er jedenfalls einer der bekanntesten Regisseure des deutschen Kinos, übertroffen wohl nur von Ernst Lang und vielleicht Friedrich Wilhelm Murnau.
Vermutlich ist es die Tatsache, dass „Die Liebe der Jeanne Ney“ eher ein Mix von Stilen und Handlungsansätzen ist als ein kohärenter Kunstfilm, die ihn ein wenig zurücksetzt, aber eines kann man wirklich nicht sagen: Dass deutsche Film und speziell Stummfilme immer sehr theaterhaft und oft recht langsam inszeniert sein müssen. Das waren sie ohnehin nicht, aber man vergleicht ja gerne mit der rücksichtslosen Dominanz der Handlung über den Ausdruck in Hollywood-Filmen jener Zeit. „Die Liebe der Jeanne Ney“ stellt sich absolut in den Dienst der Publikumswirksamkeit, ist aufwendig und mit vielen Außenaufnahmen inszeniert, die teilweise sogar eine mitfahrende Kamera beinhalten, die Kamera schwankt zwischen beweglich und hochgradig subjektiv und erzeugt so eine Dynamik, die schon fast überschießt und sich offenbar auch von Pabsts sonstigem Stil unterscheidet. Aber er hat sich der Aufgabe gestellt, einen weltweit publikumswirksamen Großfilm zu machen, der sowohl die russische Revolution als auch eine Liebesgeschichte in Paris beinhaltet, und zumindest in Paris wurde wirklich gedreht, man hatte nicht etwa Berlin als Kulisse verwendet. Außer natürlich die Babelsberger Ufa-Studios für die Innenaufnahmen. Wer den Vorspann genau angeschaut hat: Die Ufa hieß damals „Parufamet“, weil sie aufgrund finanzieller Schwierigkeiten zwischenzeitlich in einer Sondergesellschaft mit den amerikanischen Giganten Paramount und Metro-Goldwyn-Mayer verschmolz. Anfang der 1930er hat man diese Verbindung wieder gelöst. Aber auch aus dieser Fusion erklärt sich, warum der Film im Tempo, bezüglich Crime und Melodram so amerikanisch und weltkompatibel wirkt. Nachdem sie mit dem Mammutwerk „Metropolis“ quasi pleite gegangen war, wollte sie wohl zeigen, dass sie gutes Kino im großen Stil machen kann, ohne gleich so abzuheben.
Außerdem war 1926 der deutsch-russische Neutralitätsvertrag geschlossen worden und die tendenziell, wenn auch nicht übertrieben positive Darstellung der russischen Revolution, hingegen die eindeutig negative der Weißen, war eine Kontribution an die wiedergewonnene deutsch-russische Freundschaft nicht mehr unter imperialen Bedingungen eines eng miteinander verwandten Geflechts von Herrscherhäusern, sondern demokratischer Flagge einerseits und bolschwestischen Voraussetzungen andererseits. Auch der Stil war, und das soll die Ufa ausdrücklich gewünscht haben, auch vom neuen russischen Kino, besonders dem von Sergej Eisenstein, beeinflusst, spiegelt natürlich die zackigen Montagen von „Panzerkreuzer Potemkin“ (1925), muss aber gleichzeitig eine konventionelle Handlung unterstützen, während die russischen Revolutionsfilme der Zeit keine Protagonisten und keinen herkömmlichen Plot hatten, der von diesen Protagonisten getragen wurde. Das hat man erst in den 1930ern geändert, weil persönliche Identifikation etwas Universelles ist.
Und der Expressionismus, der fehlte natürlich nicht ganz, zumal er sich mit dem russischen Kino gut verknüpfen ließ, das ja auch sehr auf Ausdruck setzte – und nicht etwa auf die „Neue Sachlichkeit“, als deren Vertreter G. W. Pabst ja trotz „Jeanne Ney“ hauptsächlich gilt. Eine Zuschreibung, welche schon durch „Die freudlose Gasse“ entstand, als der deutsche Film oder das Publikum der schrägen, schattenhaften Bilder und verzerrten Perspektiven und Settings müde geworden war und man die Normalisierung der Dinge nach der Phase des Nachkriegs-Wahnsinns auch durch etwas ruhigere Filmbilder ausdrücken wollte, die mehr beobachtenden als auf maximale Publikumsbeeindruckung ausgerichteten Charakter hatten. Dass die Sache mit dem Wahn jedoch nicht ausgestanden, sondern in einer kurzen Epoche versuchter Normalität eingewoben war, wissen wir leider. Und immer wenn ich Fritz Rasp spielen sehe, denke ich, man muss nur dieses Spiel betrachten um eine Ahnung davon zu haben, wie schräg diese Zeiten gewesen sein müssen und wie er die Deutschen auch spiegelt. Er stellt mit dem Spitzel Chalybieff auch als einziger Deutscher eine der drei Hauptfiguren dar, der Held wurde mit dem Schweden Uno Henning besetzt und die französische Heldin passenderweise mit einer Französin.
Man mag Rasps Darstellung als überagierend empfinden, zumal Édith Jéhanne die Ney für deutsche Stummfilmverhältnisse sehr natürlich gibt und auch die übrigen Figuren nicht ganz so exzentrisch sind, aber ich fand sie faszinierend. Der Mann wurde also darauf festgelegt, immer Bösewichter zu spielen, wobei er zu Beginn des Films seltsam naturalistisch und dadurch älter wirkend, später mehr geschminkt abgefilmt wird. Da spielt er aber auch einen gutsituierten Menschen.
Natürlich ist dies kein Revolutionsfilm, dazu verlässt er das russische Szenario zu schnell, das schon gleich sehr klischeehaft eingeführt wird. Westliche Filme über Russland müssen immer das Wolllüstige und Ausgelassene herauskehren, das den Nationalcharakter offenbar kennzeichnet. Mich hat die Anfangsszene im Gasthaus spontan an die Orgie im Haus des Fjodor Karamasow in „Die Brüder Karamasow“ (1958) erinnert. Spekulativ lange verweilt die Kamera in dieser Szene und kostet sie aus und ich war schon drauf und dran, den Film nervig zu finden, als doch Fritz Rasp ins Bild kommt, liegend und dunkle Ideen in ärmlicher und verwanzter Kammer ausbrütend.
Auch wenn die Revolution in Paris noch einmal thematisiert wird bzw. wie sie in den Westen getragen werden soll, ist sie doch mehr Kulisse für einen Romantik-Thriller, den man heute noch ähnlich plotten könnte, ohne dass auffiele, wie alt die Story ist. Und ein wenig politischen Hintergrund einflechten, um allem eine historische und größere Dimension zu verleihen, warum nicht? Dadurch kommt auch ein wenig Idealismus ins Spiel und jemand wird mehr zum Helden, weil er eine Idee verkörpert als durch sein Handeln, das im Fall Andrejs nicht durch exporbitante, besonders mutige Einzeltaten gekennzeichnet ist. Da bleibt er doch hinter amerikanisch angelegten Progatonisten zurück. Auch in den Rückblenden, die belegen, dass Jeanne und er sich schon kennen, als sie sich unter sehr ungünstigen Umständen, nämlich dem Tod ihres Vaters durch Erschießen seitens der Roten, begegnen, machen uns nicht klar, wie die Liebe entstanden ist. Neben dem gemäßigten Happy End war der revolutionäre Autor Ilia Ehrenburg, von dem die Romanvorlage stammt, auch darüber vermutlich nicht glücklich. Was aber auch Filme aus Büchern machen, ist – ja, es ist eben immer anders, das liegt am Medium. Filme legen Dinge fest, die sich der Leser eines Buches so oder so ausmalen können und je länger und handlungsreicher ein Buch, desto mehr muss es verkürzt werden, um einen handhabbaren Kino-Einteiler hervorzubringen. Und der Roman muss seinerzeit sehr erfolgreich gewesen sein, erklärte aber auch sicher manchen Hintergrund. So entstehen im Film ausgleichend neue Interpretationsmöglichkeiten, welche die Fantasie des Zuschauers beflügeln dürfen.
Was diesen Film auch auszeichnet ist sein manchmal kruder Humor. Nicht nur die hemmungslose Spiellust von Fritz Rasp, die aus seiner Renegaten-Figur eine Show macht, die immer am Rand der Satire entlangbalanciert, auch einige Handlungselemente sind krass, wie man es heute ausdrücken kann. Allen voran die Szene mit dem erwürgten Papagei, die so grausam-komisch ist, dass man gar nicht glaubt, einen deutschen Film zu betrachten. Oder doch? Die Kombination zeigt vielleicht gerade die unglaublich große emotionale Spannung in jener Zeit, in welcher er entstand besser als etwa die Werke von Fritz Lang oder F. W. Murnau. Auch Momente wie den, in welcher Gabriele die Hand von Chalybieff hält und der gleichzeitig Jeanne anmacht, was offenbar alles komplett stumm abläuft, sonst müsste die Blinde ja doch etwas mitbekommen – sie hat auch offenbar nicht diese Schärfung der übrigen Sinne, die man Blinden zurechnet – auch diese Szene ist irgendwo zwischen fies und komisch angesiedelt und es kann von der Stimmung abhängen, die man gerade hat, welche Tendenz man nun als die stärkere wahrnimmt. Das gilt ebenso für die herrlich windbewegte letzte Szene im Zug und vieles andere, was sich in Paris abspielt, weniger für die ersten Minuten, die noch in Russland angesiedelt sind.
Finale
„Die Liebe der Jeanne Ney“ mag nicht das geschlossenste Werk von Georg Wilhelm Pabst sein, aber der Film ist außerordentlich unterhaltend, spannend und vielgestaltig. Man hat versucht, ziemlich viele Dinge unter einen Hut zu bekommen, daher ist der Film auch für einen Stummfilm seiner Zeit, der nicht etwa ein Epos darstellt, sondern nur zwei kurze, jeweils wenige Tage umfassende Handlungen beinhaltet, sehr umfangreich geworden – 113 Minuten waren in jener Zeit schon fast Überlänge. Trotzdem wirkt, bis auf die ersten Minuten, nichts gedehnt. Eher im Gegenteil, manchmal kommt da etwas Erratisches und Ruckiges hinein, das auf seine Weise den Film „funny“ wirken lässt, obwohl er keine Komödie darstellen soll.
Manches ist jedoch komödienhaft inszeniert und gleichzeitig ahnt man, wie rau die Zeiten waren. Und es gibt Szenen, die kann man nicht anders als satirisch nennen – etwa, als Andrej und Jeanne im Hotel sind und auf eine Hochzeitsgesellschaft im Nachbarhaus blicken und die Braut ans Fenster tritt – und weint, und der Nun-Ehemann auf tollpatschige Weise versucht sie zu trösten. Man ahnt schon, dass diese Heirat ein Missverständnis war und gegenüber stehen die Liebenden und bekommen das gespiegelt. Es ist aber auch klar, dass bei ihnen passt. Die Umstände machen es ihnen alles andere als einfach, aber ihre wahre Liebe wird am Ende siegen. So ist das, wenn die Ufa Hollywoodkino mit russischem Setting und russisch-deutschen Stileinflüssen macht.
Erwähnen muss ich auf jeden Fall noch die Musik. Eine Klavierpartitur wurde 2017 neu arrangiert und was dabei herauskam, unterstützt sehr den dynamischen Charakter des Werkes. Manche Passagen sind zu modern arrangiert, um aus 1927 stammen zu können, aber manche auch nicht, und die Kombination ist reizvoll und – die Art, wie der Eindruck einzelner Szenen und die Musik oft ein wenig verschoben wirken, aber dann doch eine Verstärkung eintritt, ist wunderbar. Auf ihre Weise auch ein wenig verkünstelt, aber angenehm fürs Ohr, anders als das, was in den letzten Jahren häufig alten Filmen an maximal verfremdender Musik unterlegt wurde und dermaßen den Eindruck der Bilder stört oder kontert, dass ich nur deshalb nicht einfach den Ton weggenommen habe, weil das nicht geht, wenn man über einen Film auf heutigem Stand und damit auch über die aktuelle Restaurierung schreiben will. Was immer auch dieses Mal wieder auffällt: Die Murnau-Stiftung optimiert bei weitem nicht so radikal die Bildqualität, wie etwa französische Restauratoren das bei ihren nationalen Filmschätzen tun.
81/100
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2017)
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | Georg Wilhelm Pabst |
|---|---|
| Drehbuch | Rudolf Leonhard, Ladislaus Vajda |
| Produktion | Ufa |
| Musik | Hans May |
| Kamera | Fritz Arno Wagner, Walter Robert Lach |
| Besetzung | |
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