Mord ex Machina – Tatort 1041 #Crimetime 1155 #Tatort #Saarbrücken #Stellbrink #SR #Machina #Mord

Crimetime 1155 – Titelfoto © SR / ARD Degeto / Pro Saar, Manuela Mayer

68 Likes bei Facebook und du bist entschlüsselt

Mord ex Machina ist ein Fernsehfilm aus der Krimireihe Tatort, der erstmals am 1. Januar 2018 im Ersten ausgestrahlt wurde. Es ist die 1041. Folge der Reihe und der siebte Fall mit dem von Devid Striesow und Elisabeth Brück dargestellten Ermittlerduo Stellbrink und Marx. 

Kaum hat Kommissar Stellbrink von einer  Vespa auf ein richtige Motorrad umgesattelt, wird er aus dem Verkehr gezogen.  „Mord ex Machina“ ist der vorletzte Fall, den Devid Striesow als Ermittler in Saarbrücken gelöst hat, jetzt darf er wohl wieder in den Norden bzw. Nordosten, wo er herkommt. Ob er selbst die Heimreise antreten wollte oder man beim SR doch gedacht hat, die Sache ist trotz zweirädriger Wendigkeit verfahren, ist mir nicht bekannt, weitere Gründe sind nicht auszuschließen. Wie war es mit dem vorletzten Fall des Mannes, der das Saarland entkriminalisieren wollte? Es steht in der –> Rezension.

Handlung

Kriminalhauptkommissar Jens Stellbrink fällt ein besonders kniffliger Fall vor die Füße. Und das wortwörtlich. Denn ein autopilotiertes Fahrzeug ist vom Parkdeck einer Firma gerast und in dem Auto befindet sich nun die Leiche des Justiziars der Firma. Zunächst sieht alles nach Selbstmord aus. Aber dann erfährt Stellbrink, dass die Computer der Firma, die auf das Sammeln von digitalen Daten spezialisiert ist, in der gleichen Nacht gehackt worden sind und die fehlenden Daten das selbstfahrende Auto betreffen.

„Mord Ex Machina“ erzählt auf beklemmende Art und Weise von den Abgründen, die die digitale Technik mit sich bringt und wirft die aktuelle Frage auf, wieviel Freiheit uns die technische Revolution des Internets bringt und wann sie sich in ihr Gegenteil verwandelt. Ein Thema, das auch die saarländische Industrie zurzeit beschäftigt. 

Rezension

Ist also das nahende Aus von Stellbrink schade?  Ja und nein.

Ja, weil man erkennbar daran gearbeitet hat, ihn glaubwürdiger, ernsthafter, kompakter wirken zu lassen, und auch diesen spinnerten Humor abgeschaltet hat, mit dem man im Saarland zu Beginn der neuen Ära wohl die Münsteraner toppen wollte.

Aber das Saarland tickt anders und der Humor ist anders und Heinz Becker kann man nicht verhipstern wie einen Boerne, also besser das Ganze zurückfahren und auch nicht auf das Hintergründig-Angedeutete setzen, welche die Saarländer sehr wohl können. Damit haben die meisten anderen Landsmannschaften ihre Probleme, die müssen es immer schön tranchiert serviert bekommen. Dorthin, wo der Humor viel geschliffener ist, wo, wie das aus dem Frz. kommende Fremdwort schon sagt, das Bonmot erfunden wurde und wovon sich die Saarländer etwa 25 Prozent abgeschaut haben, geht es auch dieses Mal wieder, nach Frankreich. Das hat Tradition beim SR und wirkt recht gelungen und bringt auch endlich die bis dahin lahmenden Ermittlungen in Schwung.

Nein, es ist nicht schade, dass es zu Ende geht. Weil man schon zu lange daran herumgedoktert hat, die SR-Tatorte wenigstens auf Durchschnittsniveau zu heben und die Figur Stellbrink schon beinahe verbrannt worden ist, mit den anfänglichen Experimenten. Und auch, weil sich im Tatort 1041 nicht nur etwas neuer Glanz zeigt, optisch und inszenierungsseitig, sondern auch alte Schwächen durchaus noch nicht ausgeräumt sind. Als da wären: Hölzernes Spiel von Striesow und vielen anderen zu Beginn des Films. Die Dialoge waren vielleicht zu schlicht und uninspiriert, um beim Sprechen zu glänzen, aber das war es nicht allein, auch Striesows Ausdruck hat mich nicht begeistert. Meist wird ja nicht chronologisch gefilmt, aber ich hatte den Eindruck, dass der wichtigste Darsteller sich erst im Verlauf in seiner Rolle einigermaßen wohlfühlte und von einem eher eckig-unteragierenden Typ zum wohl sympathischsten Ermittler aller gegenwärtigen Tatort-Teams mutieren konnte – der dank seines gewinnenden Charmes  keinen Durchsuchungsbeschluss braucht, um eines der wenigen Saarbrücker Bauhausstil-Häuser auf den Kopf stellen zu dürfen. Dieses Haus, die Stadt, strahlen ausnahmsweise nicht mehr Morbidität als in Wirklichkeit aus, was ja eine Masche war, seit Stellbrink dort eingetroffen war, sondern etwas mehr Glanz. Weil: der Technologiestandort, nicht die Ex-Region Kohle und Stahl, wie Ruhrgebiet im Westentaschenformat.

Die Wahrheit ist, die Industriekonversion war  im Saarland mal gut angelaufen, das war so in den 1980er und 1990ern, mit einem kleinen Boom um 2000 herum, aber ist dann etwas stecken geblieben, die Wirtschaftsdaten des kleinsten Flächenstaates in Deutschland sind schon seit Jahren wieder ziemlich mittelmäßig.

Trotzdem ist ausgerechnet hier eine Firma zuhause, die sich als Datensammeldienstleister der Weltkonzerne versteht und alles aufsaugt, was nicht rechtzeitig und endgültig gelöscht wird, und Letzteres zu tun, ist offenbar kaum möglich und man kommt sogar an Dinge heran, die gar nicht im Netz stehen. Es gibt ja durchaus Firmen im Cybercluster in Saarbrücken, ganz unrealistisch ist das also nicht und auch die Technologie, die hier gezeigt wird, könnte in wenigen Jahren in allen hochwertigen neuen Autos verbaut sein. Leider weiß ich gerade nicht mehr, welcher der bisherigen Cyber-Tatorte es war, aber dass ein Auto sich selbstständig macht oder fremdgesteuert einen Tod verursacht, das hatten wir schon einmal und eines ist, bei aller Liebe zur Neuen Welt, falsch dargestellt: Mit Sicherheit wird man auch künftig einen Autopilot abschalten können, wenn man lieber selbst fahren möchte. Oder doch nicht, aus Sicherheitsgründen, im automatisch erstellen Autobahn-Konvoi, auf dass niemand aus ihm ausschere und alles in Unordnung bringt? Vielleicht nicht, aber ganz sicher  in der Situation auf dem Firmengelände nebst abgehender Straße, die hier den Tatort darstellt.

 

Die Zeitlupen-Action des Auto-Auto-Todes zweimal in Zeitlupe zu filmen, weil’s so gut geklappt hat mit dem Stunt, musste nicht unbedingt sein und das Auto dürfte ein nicht ganz aktueller Mercedes gewesen sein. Es hat auch überhaupt keinen Sinn, ein nur elektronisch verändertes Modell als Erlkönig zu tarnen, als handele es sich um einen noch nicht vorgestellten Typ eines bestimmten Herstellers. In Wirklichkeit wird jede Autofirma solche Wagen sehr gerne als Werbeträger einsetzen, wenn sie schick upgegradet werden sollen – aber das, was man hier sieht,  doch lieber Inhouse entwickeln  bzw. die Hand drüber halten und vor allem fahrtechnisch nur selbst testen, da lässt man mit Sicherheit keine kleine Existenzgründer-Softwarefirma an die Wagen ran, die sich zwar mit der Cyberei auskennt, aber sicher nicht in der gebotenen Tiefe mit der Fahrzeugtechnik, die ja damit verknüpft werden muss. Mit den getarnten Wagen kann man jedoch die mediale Vorgabe, keine Schleichwerbung zu machen, auf ganz neuem Level erfüllen und ansonsten wäre alles zu kompliziert geworden. Die einzige im Saarland ansässige Autoproduktion von Ford in Saarlouis hätte nämlich klar erkennbar herausgestellt werden müssen, wenn man das Ganze realistisch hätte aufziehen wollen. Ein bisschen Tesla-Feeling ist vielleicht gegeben, wenn Autos sich selbstständig machen und großspurige Startups sie ausstatten – wenn auch nicht antriebsseitig, von E-Motorisierung ist leider nicht die Rede.

Gut gelungen ist das Drehbuch im Ganzen, es hat eine relativ gute Logik und da eh wieder ein Computer-Nerd-Psychopath dabei ist, muss auch nicht jede menschliche Handlung den üblichen psychologischen Stimmigkeitskriterien unterliegen, die ja bekanntlich von den Rezipienten einer Fiktion enger gefasst werden als sin ihrem eigenen Leben.  Nicht so gut gelungen ist am Drehbuch hingegen, dass es einen deutlichen Hang ins Erklärende aufweist, der zwischenzeitlich so stark ausgeprägt ist, dass der Film langweilig wird. Auch wenn es durchaus informativ daherkommt, dass man sich mit 68 Facebook-Likes als Persönlichkeit komplett outet.  Natürlich, je mehr Technik, desto mehr Instruktionsbedarf, aber vielleicht ginge das doch etwas eleganter und weniger handlungslähmend.  Nichts  einzuwenden bezüglich der visuellen Inszenierungskunst, die Aufnahmen sind schön und professionell auf dem Stand der Zeit. 

Zu einzelnen Kritikpunkten am Drehbuch, dieses Mal wieder hauptsächlich zulasten der Figur Stellbrink.  

Das Smartphone wegwerfen, schon klar. So unsmart kann man gar nicht sein, es durch ein Modell aus den frühen 2000ern ersetzen zu wollen, zumal dann nicht, wenn es sich offenbar um ein kombiniertes Privat- und Dienstgerät handelt.  Und musste das, was Datendetektivin Natascha über Stellbrink ermittelt und womit sie ihn „auffliegen“ lassen könnte, unbedingt Epilepsie sein, wie schon bei Sarah Brandt in Kiel, nur, dass sie sich bei Stellbrink bisher nicht im Geringsten gezeigt hat und nie angedeutet wurde? Morbus ex Machina. Aber ist ja schon fast egal, er muss nur noch einen weiteren Film durchstehen. Die schlechteste Einzelszene: Der Zugriff an der Berliner Promenade. Mies getimt, und wenn man eine moderne Stahl-Hauseingangstür mit einem einzelnen lässigen Fußtritt von ihrem Ramen befreien kann oder den Rahmen von ihr, reicht eigentlich auch ein Stück Pappe, damit es nicht so zieht, kommt günstiger als die heutigen High-Tech-Haustüren.

Finale

Aus den Figuren und deren Darstellern ragt, über den ganzen Film betrachtet, nicht Devid Striesow als Kommissar Janes Stellbrink heraus, sondern Julia Koschitz als unheimlich-anziehende Big-Data-Spezialistin. Ob dieses Wissen, das sie und auch einige andere Tatortfiguren schon im IT-Bereich gezeigt haben, wirklich so in einer Person anzutreffen ist oder der Verdichtung geschuldet, kann ich nicht gut beurteilen, ich bin nicht in dieser speziellen Welt innerhalb der Cyberwelt unterwegs. Ganz sicher gibt es hochbezahlte Spezialist_innen für Jobs wie die Überprüfung von Systemen auf Sicherheit gegen Hacker-Angriffe und jemand, der solch einen Job ausüben kann, muss natürlich auch ein guter Hacker und Schnüffler sein. Außerdem hat sie ja Hilfe von Seiten eines der vielen Männer, die ihr verfallen oder hinter ihr her sind.

Beinahe geküsst, Jens. Beinahe gut geworden, Tatort Saarbrücken.

Hier ist schöner Space für eine Nachbetrachtung anlässlich der Veröffentlichung der Rezension im Jahr 2023. Autonomes Fahren ist mittlerweile eine großes Thema, wie alles, was mit KI / AI zu tun hat, Tesla eine große Nummer und das Ford-Werk im Saarland sieht einer ungewissen Zukunft entgegen. Der wirtschaftliche Abstieg hat sich in diesem Südwestzipfel Deutschlands beschleunigt und nichts deutet auf eine Verbesserung hin, es wird ganz sicher nicht besser werden, wenn das letzte Teil Großindustrie verlorengehen sollte. 

Andere Ansiedlungen können das nicht kompensieren, denn Ford hat einen ganzen Park von Zulieferern nachgezogen, seit die Firma anfang der 1970er in Saarlouis ansässig wurde, wenn es besonders schlecht läuft, werden mehr als 10.000 Arbeitsplätze verlorengehen. Tesla hingegen hat es nach Brandenburg gezogen, obwohl im Saarland viel mehr Wasser zur Verfügung gestanden hätte und die Industrie-Infrastruktur immer noch so ist, dass man darauf neu siedeln kann. Dies Investment mit mehr als 10.000  Arbeitsplätzen ging also mal wieder an dem alten Industriestrandort vorbei, er stand aber wohl nie zur Debatte.

Die jahrelange Saar-Agonie nimmt schon vorweg, was Deutschland insgesamt passieren könnte, wenn es nicht bald zu einer Trendwende kommt.

Ein bisschen besser sieht es im Medienbereich, Format Tatort, aus. Stellbrink ist Geschichte, die Nachfolger Hölzer und Schürk kommen durchaus besser an, aber mehr denn je würde sich heute so eine Kurz-vor-der-Abrissbirne-Atmosphäre als realistisch anbieten, wie sie in den Stellbrink-Tatorten gerne genommen und in den Kontrast zur überwiegend idyllischen Saarwelt von dessen Vorgängern Kappl und Deininger gesetzt wurde. 

7/10

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2018)

Kursiv und tabellarisch: Wikipedia

Regie Christian Theede
Drehbuch
Produktion Martin Hofmann
Musik
Kamera Simon Schmejkal
Schnitt
Premiere 1. Jan. 2018 auf Das Erste
Besetzung

 

 

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