Alraune (DE 1928, 1930, 1952) #Filmfest 948 #DGR #Filmessay

Filmfest 948 Cinema (1928) – Die große Rezension, Filmessay

Viktor Frankenstein: as a German

Alraune 1928

Alraune ist ein Film von Henrik Galeen aus dem Jahre 1927 und erlebte seine Uraufführung am 25. Januar 1928. Er basiert, wie auch die anderen Verfilmungen dieses Stoffes, auf dem Roman Alraune. Die Geschichte eines lebenden Wesens von Hanns Heinz Ewers, der 1911 erschienen war. [1]

Alraune 1930

Alraune ist ein deutscher Spielfilm aus dem Jahr 1930 von Richard Oswald mit Brigitte Helm in einer Doppelrolle (auch Titelrolle) und Albert Bassermann als ihr gewissenloser Schöpfer. Es ist die erste Tonfilmfassung der 1911 erschienenen Schauergeschichte „Alraune. Die Geschichte eines lebenden Wesens“ von Hanns Heinz Ewers.[2]

Alraune 1952

Alraune ist ein deutscher Horrorfilm aus dem Jahr 1952. Der Film basiert auf dem 1911 erschienenen Roman Alraune. Die Geschichte eines lebenden Wesens von Hanns Heinz Ewers. Es ist die sechste Verfilmung des Romans. Hildegard Knef ist in der Hauptrolle der Alraune zu sehen.[3]

Welch ein Stoff. Man kommt vor lauter Recherchieren zu den Filmversionen, der Buchvorlage, den Kritiken kaum dazu, Atem zu holen. Schon die insgesamt fünf Stunden Film waren nicht einfach, aber da es sich hier um ein Thema handelt, das offenbar zwischen 1911, als das Buch erschien und 1930 und dann noch einmal 1952 sehr faszinierend gewesen sein muss[4], ist im Rahmen einer Befassung mit dem deutschen Film ein näheres Hinschauen geboten. Gerne mit dem Wandeln auf den Spuren des deutschen (Un-) Wesens, das von den Filmkritiken, die wir zitatweise eingebunden haben, dankenswerterweise nicht thematisiert wird, zumindest nicht in den übernommenen Ausschnitten. Ich habe auch kurz ins Buch geschaut, das diese Filme ausgelöst hat. Nach einem Info-Block geht es weiter mit der Rezension.

Das Buch „Alraune“ von Hanns Heinz (H. H.) Ewers

Alraune. Die Geschichte eines lebenden Wesens ist ein phantastischer Roman von Hanns Heinz Ewers, der im Jahr 1911 veröffentlicht wurde.

Der Roman beginnt mit der Beschreibung einer Befruchtung ohne Geschlechtsverkehr, bei der das Mädchen Alraune erzeugt wird. Die Mutter ist eine Prostituierte. Das Ejakulat stammt von einem Lustmörder und wurde diesem zum Zeitpunkt seiner Hinrichtung durch die Guillotine entnommen. Dies entspricht einem Aberglauben, der um die Alraunenpflanze rankt. Das Mädchen Alraune selbst wird als promiskuitiv veranlagt beschrieben und verursacht den Suizid des Professors ten Brinken. Er war der Leiter jener künstlichen Befruchtung, die zu ihrer Erzeugung führte. Dann wird sie die Geliebte seines Neffen Frank Braun, verfällt dem Vampirismus und stürzt sich in den Tod.

Gustav Klimt verwendete in seinem Bild Ria Munk III eine Alraune, um visuell den Bezug zwischen der dargestellten Maria Munk, die sich am 28. Dezember 1911 „wegen H. H. Ewers“ umgebracht hatte, herzustellen. Auch ihre Mutter dürfte den Zusammenhang zwischen dem Buch und dem Tod hergestellt haben.[1]

Die Geschichte Alraune, die deutlich voyeuristisch-reißerische Elemente der Zeit bediente, fand so schon nach kurzer Zeit in großen Auflagen Verbreitung (238.000 Exemplare bis 1922)[2] und wurde unter dem gleichnamigen Titel Alraune mehrfach verfilmt.

2014 wurde Alraune als gleichnamiges Hörspiel mit Sabine Bohlmann in der Hauptrolle als Folge 87 der Reihe Gruselkabinett veröffentlicht.[3] / [5]

Handlung der Filme

Alraune 1928: Professor ten Brinken versucht mit dem Sperma eines exekutierten Lustmörders eine künstliche Befruchtung. Eine Dirne wird so geschwängert; ihr Kind ist das Mädchen Alraune.

Sie wächst in einem Klosterpensionat auf. Von dort flieht sie mit einem Jungen, den sie zuvor zum Diebstahl einer größeren Summe Geld angestiftet hatte. Alraune landet schließlich in einem Zirkus, wo sie bei einem Zauberkünstler auftritt. Ten Brinken macht sie ausfindig und nimmt sie zu sich, wo sie ein luxuriöses Leben führen kann. Aus Tagebuchaufzeichnungen des Professors bekommt sie Kenntnis von ihrer Herkunft und fasst in ihrem spontanen Hass den Plan, ihn des Nachts zu erwürgen. Sie kommt jedoch auf die sadistischere Idee, ihn leiden zu lassen, indem sie ihn in sich verliebt macht. Dieses Kalkül geht auf; Professor ten Brinken verfällt ihr emotional und ruiniert sich für sie durch Glücksspiel. Er leidet zudem an seiner von Alraune gezielt provozierten Eifersucht.

Alraune, schlussendlich ihres Wesens überdrüssig geworden, möchte zu einem normal fühlenden Menschen ohne Hang zur Grausamkeit werden und gibt sich der Erlösung in der Liebe hin.[6]

Alraune 1930: Die Geschichte beginnt mit einem feuchtfröhlichen Beisammensein von Korpsstudenten einer Universitätsstadt. Dort lehrt auch Geheimrat ten Brinken, der, mit wenigen Skrupeln behaftet, Forschungen im Bereich der künstlichen Insemination betreibt. Um seine ethisch fragwürdigen Experimente durchführen zu können, lässt er sich auch auf Händel ein, die zwar äußerst zweifelhaft sind, ihm aber das für die Forschungen benötigte Geld einbringen. So „organisiert“ er für den stolzen Betrag von einer Million ein Kind, das er dem Fürsten Wolkonski, dessen Frau einen sehnlichen Kinderwunsch hegt, überlässt. An ten Brinkens Geburtstag hat sich eine Gruppe von Studenten bei ihm versammelt. Zu ihr gehört auch der junge Frank Braun, seines Zeichens ten Brinkens Neffe. Als bei der Feier eine kleine Alraunewurzel von der Wand fällt, erläutert der Professor seinen anlässlich seines Geburtstages anwesenden Studiosi die Bedeutung dieser Pflanze, deren Wirkung schon seit dem Mittelalter ein Mythos ist. Braun schwadroniert vor seinem Onkel im Labor bedeutungsschwanger von der Paarung von Mensch und Erde (Mutter Natur), ahnt aber nicht, dass ten Brinken längst Versuche unternimmt, genau diese Kreuzung durchzuführen. (…)[7]

Alraune 1952: Der junge Medizinstudent Frank Braun verliebt sich in Alraune, die angebliche Tochter seines Onkels Professor Jakob ten Brinken. Als sein Onkel von der Beziehung erfährt, offenbart er seinem Neffen, dass Alraune kein natürlicher Mensch, sondern das Produkt eines wissenschaftlichen Experiments sei, bei dem die Erbanlagen eines Doppelmörders und einer Prostituierten gekreuzt worden seien. Entsetzt von dieser Enthüllung lässt Frank seine Geliebte zurück, ohne noch einmal mit ihr zu sprechen. Er verlobt sich mit einer anderen Frau und reist dann nach Paris, um sein Studium zu beenden. Ihrem Erzeuger, Professor ten Brinken, bringt Alraune Reichtum und Erfolg. Auf einem scheinbar wertlosen Acker, den der Professor auf Alraunes Rat hin kauft, sprudelt eine wertvolle Mineralquelle, die es ihm ermöglicht, ein Heilbad zu eröffnen. (…)[8]

Rezension

Es ist faszinierend, hatte ich das schon erwähnt? Ja, aber dieses Mal geht es um die Buchvorlage in ihrem Dasein als typisches Werk ihrer Zeit. Wenn bei H. H. Ewers die furiosen Protagonisten Rheinländisch sprechen und bei Thomas Mann, zehn Jahre früher, Plattdeutsch, müsste dann angesichts eines unwahrscheinlich auslandenden Stils in beiden Bücher nicht beides Weltliteratur sein? Offenbar nicht. Vermutlich, weil Mann unter anderem weniger spekulativ war und nicht eine Skandalfigur, sondern jemand, der sich ernsthaft von 12 bis 1 Uhr jeden Tag hinsetzte und schrieb. Eine absolut unfantastische Tageszeit, das merkt man dem recht verkopften Konzept des Bürgerlichbildungsromans auch an, während H. H. Ewers sich, wie so viele andere damals, literarisch richtiggehend gehenließ.

Ich habe nicht das ganze Buch gelesen, das würde bei dem Stil Wochen dauern, aber mir ein paar Stellen herausgegriffen, die tatsächlich in allen drei Filmen vorkommen, zum Beispiel das Herunterfallen der Alraunewurzel von der Decke, dieses seltsame Ding, das an einen Frauenkörper erinnert, eine Laune der Natur, die von Ewers zu einer Germanisierung des Frankenstein-Sujets verwendet wird.

Dabei muss man ihm gleich zugutehalten, dass er auch das Gute am Deutschsein nicht vergessen hat. Während die Briten dazu tendierten, roh gebastelte Kreaturen mit Verbrecherhirnen in die Welt zu schicken, nahm man bei uns die In-Vitro-Fertilisation auf eine wirklich atemberaubend realistisch wirkende Weise vorweg und machte es mit den Genen, die man per künstlicher Befruchtung eines Dirnen-Eis mit einem Verbrecher-Spermium zu einem faszinierend bösen Wesen heranwachsen ließ. Der Nachteil dieser Methode: Der Zeitsprung. Der wird in den beiden Stummfilmen sehr abrupt vollzogen, während man ihn 1952 ganz wegließ und sozusagen vom Ergebnis her filmte. Dieses Werk wird besonders schlecht besprochen, Sie werden das noch lesen, aber bezüglich der filmischen Verdichtung ist es der beste der drei Filme. Und er hat den Vorteil, dass Ältere von uns sich noch an die Schauspieler werden erinnern können, während die Werke von 1928 und 1930 im Grunde nur noch von echten Kinofreaks als Ergebnis einer damals schon großen Tradition identifiziert werden können, für die Namen wie Paul Wegener, Albert Bassermann und Brigitte Helm stehen. Sie hatte im Jahr vor ihrem ersten Alraune-Projekt den großen Auftritt in „Metropolis“ und auch da spielte sie das Gute und das Böse, sodass man sich eine Darstellerin sparen konnte. 1952 hingegen:

Das Lexikon des internationalen Films urteilte, dass der Film zwar nicht „die Faszination“ der vorhergehenden Verfilmungen von 1919 und 1927 des zugrundeliegenden Romans erreiche, aber „dennoch in der düsteren Bildwirkung durchaus beeindruckend.“ sei.[3]

Kino.de meint: „Die fünfte Adaption von Hanns Heinz Ewers erotisch-phantastischem Roman, 1952 unter der Regie von Arthur Maria Rabenalt entstanden. An die Qualität der beiden Stummfilmversionen von Michael Curtiz (1918) bzw. Henrik Galeen (1928) reicht diese ebenfalls sehr düstere Verfilmung nie heran, verfügt aber mit Erich von Stroheim als Mediziner sowie Hildegard Knef als verführerische Titelheldin zumindest über ein exzellentes Hauptdarstellerduo. Den „armen“ Frank gibt der überzeugende, hier noch nicht „Sissi“-geschädigte Karlheinz Böhm.“[4]/ [9]

Ich neige dazu, den beiden Stimmen nicht Unrecht zu geben, obwohl der Film, nur Geduld, wir werden es wirklich noch sehen, von anderen geradezu verfemt wird. Vor allem ist er filmisch am besten gemacht, er geht sogar in den Expressionismus hinein, wie das Innere des Hauses ten Brinken klar belegt, das an die unendliche und doch düster-klaustrophobische Stimmung der Interieurs z. B. in „Orlacs Hände“ (1924) erinnert. Und von Stroheim, wie er ist: Er gibt den ten Brinken am meisten dem Original entsprechend, wenn es um die Optik geht. Nämlich auf eine Art hässlich und abstoßend, die weder der dämonische Großschauspieler des frühen Stummfils, Paul Wegener, noch der etwas zu hell und hysterisch sprechende Albert Bassermann erreichen. Sie wirken konzeptionell eher transzendiert als so reißerisch-banal, wie Ewers den ten Brinken stellenweise beschreibt. Die Alraune von 1952 erinnert auch daran, dass der frühe westdeutsche Nachkriegsfilm noch nicht auf Heimat und Komödie festgelegt war, sondern noch recht genre-offen und dass einige der Filme die Ambition zeigten, zu den Wurzeln im weltweit hochgeschätzten Weimarer Kino zurückzukehren. Bei einem Stoff, der direkt aus diesem Kino herausgeholt und in die frühe Nachkriegszeit transportiert wurde, ist das besonders deutlich spürbar.

Allerdings weist man den Zuschauer schon anders ein. Das gilt vor allem für die Figur Frank Braun. Man konnte unmöglich einen jungen Darsteller, der ein Darling das Nachkriegsfilms zu werden versprach, Karlheinz Böhm, als Quasi-Mitverursacher des Alraune-Schlamassels zeigen, der ten Brinken beim Finden seiner wüsten Befruchtungs-Charaktere half, sondern machte ihn jünger oder ließ ihn glaubwürdigerweise so jung, wie er war, schrieb weitere Figuren zu seinen Kumpels um und ließ sie alle an Alraune verzweifeln. Das hat den großen Vorteil, dass man den Zeitsprung weglassen konnte und den Nachteil, dass man mehr erzählen musste. Das macht von Strohheim aber so grässlich gut, dass es schon beinahe wieder witzig wirkt. Der Ernst des Frank Baum, der charakterlich nicht durch sein früheres Handeln in den Zwiespalt getrieben wird, als er sich in Alraune verliebt, wirkt sehr überzeugend und hätte sich Karlheinz Böhm nicht in Sissi verliebt, hätte er sich vielleicht alsbald zu einem ernstzunehmenden Schauspieler entwickelt. So gelang ihm das erst ein paar Jahre später, und gleich so krass, dass es schon wieder in Horror und einen Skandal mündete (Peeping Tom, 1960).

Die Alraune, die Hildegard Knef gibt, ist optisch natürlich die weichste der dreien, weil die Knef nun einmal anders ausschaut als Brigitte Helm, wiewohl zu ihrer Zeit gerade als Femme fatale etabliert, durch „Die Sünderin“, der im Vorjahr entstanden war und es fast zwingend machte, die Alraune mit ihr zu besetzen. Es gab damals wohl keinen einzigen weiteren Film, in dem etwas Verruchtes zu beobachten gewesen wäre. Es ist schwer, die Alraune plötzlich als ein Mädchen, das fühlt, darzustellen, das merkt man allen drei Filmen an. Und alle haben eine eigene Ansicht darüber, wie es ihr damit ergehen soll. Galeens Version lässt sich tatsächlich mit Frank Baum von dannen ziehen, das hat mir persönlich gar nicht schlecht gefallen. Denn konnte sie etwas dafür, wie sie vor der Berührung durch die Liebe war? Nein, konnte sie nicht. Die Gene! Das war eine recht humanistische Version, die auch nicht der des Buches entspricht. Das Ende des Buches zeigt keiner der Filme, denn da ist es tatsächlich Frank Baum, der sie umbringt, weil er wohl merkt, dass er einst einen Fehler gemacht hat, als er bei ihrer Erschaffung half. Das ist düster.

In der 1930er Version begeht sie Selbstmord und das fand ich schade. In dem Film wirkt sie nämlich von allen dreien am wenigsten … nun ja, dicht, alltäglich in ihrer verführerischen Art? Nicht im Sinne der Schuld, denn sie trägt tatsächlich zum Tod von Männern bei, und genau das hat man in der 1928er Version so nicht gezeigt. Es geht um Abweisung, um Probleme, der Film ist aber sehr darauf konzentriert, wie sie ten Brinken ruiniert, der es verdient hat und am Ende deshalb das Nachsehen. Deswegen ist auch ihre Befreiung nicht unlogisch. Aber wer am Tod anderer mitschuldig ist, der muss sich selbst richten, wie es Alraune 1930 tut, damit nicht, siehe Handlungsbeschreibung, auch noch Frank Baum unter ihr zu leiden hat. Vielleicht wäre das gar nicht der Fall gewesen, aber sicher ist sicher. 1952 wird sie von ihrem rabiaten Erschöpfer erschossen und der Moment ist berührend, weil er gut gespielt wird. Auch wenn Hildegard Knef nicht die Aura von Brigitte Helm haben mag, da war ich angefressen, dass es so ausgehen muss. Allerdings habe ich den Film als ersten der drei gesehen, dann die Version von 1928, zum Schluss die von 1930. Ich glaube, es war intuitiv die richtige Vorgehensweise. Der neueste Film ist eine gute Einführung und war außerdem in guter Qualität erhältlich, der von 1928 die älteste erhältliche Version, länger als die beiden anderen, in dem, was er zeigt, demnach ausführlicher, der von 1930 ein typischer früher Tonfilm. An der Stelle wollen wir doch kurz innehalten und belegen, warum der Film von 1952 einen schlechten Start bei uns gehabt hätte, hätten wir die Stimmen schon vorher recherchiert, die uns auf dem Weg zum Film einst begleiteten:

Zu den eigentümlichsten unpassendsten Eigenheiten des deutsch-dämonischen Stummfilms gehört seine Zaghaftigkeit im Sexuellen, man kann es auch gleich Keuschheit nennen. Allenfalls die Schattenbilder von wirklichen Männern und Frauen und ihre schlafwandelnden Alter Egos führen aus, wonach Ihnen der Trieb steht. Nur einem Autor wie Hanns Heinz Evers, einem sexuellen Poltergeist ohnegleichen also, war es gegeben den romantisch fantastischen Film zur Aufgabe seiner Unschuld zu verführen. Das Resultat ist Alraune, binnen drei Jahren gleich zweimal mit Brigitte Helm verfilmt, später dann noch ein Mann mit Hildegard Knef, die freilich so dämonisch wirkt wie das künstlich gezeugte Kind eines Buchhalters und einer Blumenfrau. Die beste von den zwei Helms ist die stumme. „Wenn der Stummfilm Alraune (Hendrik Galeen, 1928) der Allrounder von 1930 dem Sprechfilm von Richard Oswald so sehr überlegen ist, so liegt es nicht nur daran, dass Galeen weit mehr Talent als Oswald besessen hat. Den Stummfilm mal ohne kommt das Schweigen zugute, das die Spannung und Stimmung eines fantastischen Sujets nicht verletzt. Trotzdem weist bereits die Alraune von Galeen nicht mehr die gleiche Qualität auf, die seinen im Jahr 1926 gedrehten  Student von Prag eigen war, dem noch viele Elemente des Expressionismus zugrunde liegen. Denn im Jahr 1928 wagten die deutschen Filmschaffenden nicht mehr, sich völlig den Fantastischen hinzugeben, die „Neue Sachlichkeit“ schadet der künstlerischen Einheit eines Films wie Galeens „Alraune“. Gewiss, selbst Oswalds schwache Alraune steht noch turmhoch über der dritten Fassung der Alraune, (1952, von Arthur Maria Rabenalt) mit Hildegard Knef. (Lotte H. Eisner, Dämonische Leinwand, 1955).[10]

Eine interessante Einleitung, den deutschen Film für seine Prüdigkeit (oder heißt es Prüdheit oder Prüdität?) zu kritisieren. Ausgerechnet der Nazi-Film war nicht so prüde wie der amerikanische und erst recht nicht wie der englische Film der 1930er (für den US-Film gilt diese Aussage ab 1934, der Einführung des Hays Code). Insbesondere die 1928er Version zeigt Alraune als stellenweise ekstatisches, heftig qualmendes Weibsstück, das war sicher das Maximale an Erotik, was damals im Film überhaupt denkbar war, abgesehen von Nacktfilmen, die es tatsächlich fast seit dem Beginn des Kinos gab, was heute kaum noch bekannt ist. 1930 ist sie schon viel verhaltener, gezähmter,  und 1952 muss sie sich in Abwesenheit von verruchtem Rauchwerk ganz auf ihre Aura verlassen. Klar, dass das eher buchhalterisch wirkt, wenn man noch selbst in diesen Klischees gefangen scheint, was erotisch ist und was nicht. Ich fand Alraune in der 1928er Version eher wild und sittenlos als verführerisch, allerdings glingt es dadurch auch am besten, ihren Wandel zum Mädchen mit echten Gefühlen zu illustrieren, da verändern sich ihre Gewohnheiten und ihr Verhalten, Gestik, Mimik, das konnte Brigitte Helm natürlich, nach Metropolis, solche Wandlungen zeigen. In der 1930er Version ist sie leider durch ihre schlicht und mädchenhaft wirkende Stimme in ihrer anfängliich vamphaften Auftrittsweise eingeschränkt.

Leider kenne ich Galeens Filme nicht, auch nicht die zweite Verfilmung von „Der Student von Prag“, wohl aber die erste, epochale Variante von 1913, und zu der hatte niemand anderes als H. H. Ewers das Drehbuch verfasst, das von Paul Wegener umgesetzt wurde, der auch die Hauptrolle spielte. Und damit eine schöne Verbindung zu Galeens „Alraune“ von 1928, wo die Vorlage wiederum von Ewers stammt und Wegener die männliche Hauptrolle gibt. Er hat auch nur wenige Filme selbst inszeniert, ist aber wiederum durch seine Drehbücher an einigen der wichtigsten Filme der Weimarer Zeit beteiligt gewesen:

1911 ging Galeen als Regisseur an die Berliner Volksbühne. Er schloss Bekanntschaft mit dem Schriftsteller Hanns Heinz Ewers, der in Verbindung mit der okkultistischen Loge Ordo Templi Orientis stand und – wie Albin Grau – ein Anhänger des englischen Magiers und Okkultisten Aleister Crowley war. Mit dem Drehbuch zu Der Student von Prag (1913) führte Ewers den Okkultismus im deutschen Film ein. Galeen wirkte hier bereits als Regieassistent mit. Seine erste eigene Regiearbeit beim Film war Der Golem, den er gemeinsam mit Paul Wegener 1914 drehte.

Galeens Karriere wurde durch einen Einberufungsbefehl jäh unterbrochen. Erst nach dem Ersten Weltkrieg hatte er wieder die Möglichkeit, für den Film zu arbeiten. Dabei schrieb er Drehbücher für deutsche Filmklassiker wie Der Golem, wie er in die Welt kam (1920), Nosferatu, eine Symphonie des Grauens (1922) und Das Wachsfigurenkabinett (1924). Seine besten Filme als Regisseur wurden das Remake von Der Student von Prag (1926, mit Conrad Veidt und Werner Krauß) und Alraune (1928, mit Brigitte Helm und Paul Wegener).[11]

Und damit kommen wir unweigerlich zu etwas, das die Kritiken in den gezeigten Ausschnitten nicht anfassen, nämlich: Wie stellen sich die Filme eigentlich zum Okkultismus und besonders zu der Rolle, die dem offenbar einflussreichen Alistair Crowley zugeschrieben wird, der oben erwähnt wird. Er stand einer Lehre nah, die an Nietzsches Herrenmenschengedanken angelehnt ist und Demokratie, Christentum und Bürgerlichkeit quasi als Ideologien der Schwäche verachten, wie es heutige Neoliberale tun, die sich freilich in den Demokratien teilweise recht breitgemacht haben, sie untergraben, aber nicht so auffällig wie die Neurechten, denen sie in vieler Weise nahestehen.

Wenn man die Spurensuche der Nazis in den Filmen der Weimarer Zeit betreiben will, wie programmatisch Siegfried Kracauer es getan hat, kommt man nicht daran vorbei, nicht nur die Dämonen und Vorahnungen in den Blick zu nehmen, sondern auch die Ideologien, die in vielen Filmen deutlich herausstechen. Sie werden kritisiert, wie zum Beispiel von Fritz Lang, aber es schwingt immer auch Bewunderung mit, wenn es um den Wahn von Menschen geht, die sich für Übermenschen halten. Hätten die Nazis hingegen schon die künstliche Befruchtung zur Verfügung gehabt, lässt sich leicht denken, wohin es mit der Eugenik gegangen wäre. In die umgekehrte Richtung natürlich wie in „Alraune“, die quasi die Antithese dessen ist, was man mit künstlicher Befruchtung demnach auch erreichen könnte, nämlich die Höherzüchtung, auf dem langwierigen Weg sozusagen, ohne gleich ins Erbgut eingreifen zu müssen, wie es mittlerweile auch immer mehr in den Bereich des Möglichen rückt.

Technisch gesehen ist das Thema nicht Horror, sondern SF, was „Alraune“ kennzeichnet:

Die künstliche Befruchtung, insbesondere die In-vitro-Fertilisation (IVF), bei der die Befruchtung außerhalb des Körpers in einem Reagenzglas stattfindet, wurde in den 1960er- und 1970er-Jahren entwickelt1. Hier sind einige wichtige Meilensteine in der Geschichte der künstlichen Befruchtung:

Damit wäre das Genre eindeutig gewesen. Dass die Alraune-Filme teilweise dem Horror zugeordnet werden, sollte man nicht daran festmachen, dass jemand hier Manipulation zum Schaden hin betreiben wollte, wie es im 1952er Film dadurch erklärt wird, dass ten Brinken aus der Gemeinschaft der akademisch Lehrenden ausgeschlossen wurde, weil man mit seiner Forschung und seinen Methoden, sich Geld dafür zu beschaffen, nicht einverstanden war. Das Buch habe ich nicht so weit gelesen, dass ich wüsste, ob diese Motivation für die Schaffung des hoffentlich Bösen darin auch vorkommt, aber in den beiden älteren Filmen gibt es sie nicht.

Also muss etwas Mythisches sie liefern. Und das ist die Sage von der Alraune-Wurzel, die sich nach m einer Ansicht nur ganz schlecht mit dem Thema der künstlichen Befruchtung vereinen lässt, zumindest wirkt es in den Filmen so. Alle drei Filme bekommen diesen Part nicht richtig gelöst. Vielleicht ist das im Buch besser gemacht, aber dann hätte man es im Film ja auch zeigen können. In der 1930er Version wird, vollkommen gegen den Strich, die Doppelfähigkeit der Wurzel so gedeutet, dass sie das Böse bringt, wenn Alraune geht, dabei tut sie doch Böses, solange sie nicht geht, und es kann ja nicht nur darum gehen, wie es ten Brinken ergeht.

Jedenfalls soll der Gehenkte, der seinen Samen zu geben hatte (vermutlich vor dem Hängen) an den Galgen gekommen sein, unter dem die Wurzel wuchs, die auf mir bisher unbekannte Weise in die Hände von ten Brinken gelangte. Sie entfaltet, wenn sie ein Symbol für die bösen Gene ist, die wirken, aber diese Wirkung schon, bevor sie herunterfällt, was in einem Film so spät passiert, dass es nicht mehr als Vorbote für das, was kommt, dienen kann, denn das Desaster zeichnet sich längst ab (1952), wenn auch nicht final für Alraune selbst.

Das Spekulative zerstört im Grunde die Philosophie der Filme, und das gilt für sie alle. Man hätte die Ethik der künstlichen Befruchtung zu einem Zeitpunkt besprechen können, als es sie noch gar nicht gab, das wäre grandios gewesen. Man hätte alle Eingriffe des Menschen in die Schöpfung anhand ihrer Wirkungen exemplifizieren können. Man hätte auch nicht über eine Wurzel des Übels stolpern müssen, die da heißt: ten Brinken spielt mit der Hölle, denn selbst, wenn er das tut, kann man dies als Thes auffassen und dialektisch zeigen, was die Eingriffe in den natürlichen Werdegang der Dinge auch Gutes Bewirken können. Das ist bis heute ein sehr umstrittenes Thema und die Befürchtung, dass Menschen genau das machen werden, was technisch geht, um sich gegenüber anderen in Vorteil zu setzen, und seien es Staatsführer, die tatsächlich dann an Herrenmenschen arbeiten werden, was den Nazis bei damaliger Technik und in der Kürze der Zeit, die ihnen zur Verfügung stand, nicht gelingen konnte. Würde man diesen Wurzelbrimborium also aus dem Buch und den Filmen herausgehalten haben, wären sie bahnbrechend modern.

Aber es ist eben auch typisch deutsch, solche Ansätze zu verschwurbeln, indem man sie mit uraltem Aberglauben mixt oder an Philosophien knüpft, die der Aufklärung leider sehr entgegenstehen. Das bedeutet nicht, dass die Filme diesen Ideologien frönen, aber um diesem Verdacht nicht zu erliegen, muss die künstliche Befruchtung als etwas dargestellt werden, das ausgerechnet von einem narzisstischen Egomanen „erfunden“ oder erstmals erfolgreich mit Menschen durchgeführt wird. In gewisser Weise sind diese Selbstbremsungen ja ein Glück, sonst hätten die Deutschen vielleicht auch als erste die Atombombe gehabt. Sie zeigen aber auch, dass das logische Durchdenken aller Folgen eher ein angelsächsisches Denkmuster ist, und das sieht man bis heute. Deswegen sind nicht nur Hollywoodfilme viel universeller als typisch deutsche Stoffe, es klappt auch mit dem nüchternen und realistischen Zugang zu vielen Dingen in dieser Welt besser. Idealisiert natürlich, von einem Primat der Ratio ausgehend, das es natürlich auch im deutschen philosophischen Raum gibt, das aber nie so recht Platz greifen wollen, weil man doch mehr zu sein glaubte als eine Spezies, die im Wesentlichen ein technisch weiterentwickelter Generalprimat ist.

Deswegen war der Weimarer Film, gespeist aus altem Romantizismus, philosophischen Mustern der Ungleichheit, befeuert durch die Schmach des Ersten Weltkriegs, voller Ausnahmemenschen, noch bevor, lange bevor das angloamerikanische Kino sich an Superhelden und Superverbrechern versuchte. Metropolis mit dem Wissenschaftler, den die Maschinenfrau erschaffen hat, die Brigitte Helm berühmt machte, gehört ebenso zu diesen Filmen, in denen die Welt aus den Angeln zu gehen droht, weil der Mensch seine Grenzen nicht erkennen möchte, wie das bei Langs Mabuse-Filmen der Fall ist. Auch der „Erdgeist“-Mythos, den wir noch anhand von „Lulu“ (1929) besprechen werden, ist ganz nah an dem, was Alraune verkörpert. Etwas, das uns anzugreifen und zu verderben vermag, ohne dass wir überhaupt wissen, worum es geht.

Das wissen natürlich auch die Macher der drei Alraune-Filme nicht wirklich, und das merkt man den Ergebnissen an. Wie soll man auch die typisch deutsche Irrationalität mit der Idee der wissenschaftlichen Fortschritte synchronisieren. Auch in der Realität lief das ja immer wieder nebeneinander her und vertrug sich nicht, insofern spiegeln die Filme diese Realität auch. Mit unterschiedlichen Akzenten freilich.

Reclams Filmführer urteilte über den Film: „Galeen, als Regisseur des ‚Übersinnlichen‘ versiert, inszenierte diesen Film als Vision des Schreckens, in der Brigitte Helm in maskenhafter Starre dem unausweichlichen Untergang zutrieb.“[1] / [12]

Ich finde, die Beschreibung passt eher auf den Film von 1930, das Ende betreffend, denn in der 1928er Version gibt es ja das ungewöhnliche Happy End.

 

Alraune 1930

„Das Interessanteste an dem neuen Alraune-Film ist, daß die gleiche Schauspielerin uns jetzt eine ganz neue Alraune zeigt – eine nicht in Lust, sondern in unbewußter, beinahe unschuldiger Schicksalgetriebenheit verhängnisvoll Böses wirkende. Ein an und für sich sehr richtiges Gefühl, diese Initiative zu einer Umformung der Figuren, zu einer Neutralisierung und Romantisierung des in seiner nie echt gewesenen Dämonie heute wohl nicht mehr erträglichen Stoffes. Wenn dieser Versuch im Teil die gewünschte Wirkung erreicht, so ist es starken, vom Schauspieler ausgehenden Wirkungen zu danken. Daß es bei Teilwirkungen bleiben muß, liegt in der Art der Dialogführung, in der Konstruiertheit der Spielszene, der Überladung mit an sich oft interessanten Episoden. Hat sich bei Galeen eigentlich nur ein Teil des Romangeschehens breit ausgespielt, so wirkt hier die Dehnung schwerer, weil durch das Wort, durch viele Worte und durch eine die Einzelszene nicht komprimierende Regie das Aufnahmevermögen des Publikums sehr belastet. Die Neuschaffung der Atmosphäre wird von den Drehbuchautoren (Roellinghoff und Weißbach) nicht bewältigt.“ – Lichtbild-Bühne[2] / [13]

Die Version des 1930er Films, die ich gesehen habe, ist um etwa 10 Minuten gekürzt worden, natürlich weiß ich nicht, was nun fehlt. Mir ist aber nicht in erster Linie das Fehlen guter Anschlüsse zwischen den Szenen aufgefallen oder aufgestoßen, dass ansatzlos 17 Jahre übersprungen werden, das kannte ich von der 1928er Version schon, die ich in vollständiger Fassung hatte sichten können, sondern die Plumpheit der Inszenierung. Ob Oswald nun so viel weniger begabt war als Galeen, möchte ich nicht entscheiden, auf jeden Fall hat er viel mehr Filme inszeniert, von denen einige zu den wichtigen der deutschen Filmgeschichte der 1910er und 1920er gehören, zum Beispiel „Der Andere“ von 1918, in dem sich erstmals einfühlsam jemand mit dem Thema Homosexualität auseinandergesetzt hat, freilich ist das keine Bewertung des Filmischen. Trotzdem spricht einiges für Oswalds Werk.

Sein im Oktober 1914 fertiggestellter [erster] Film Das eiserne Kreuz wurde wegen pazifistischer Tendenzen beschlagnahmt und verboten. (…) Er probierte sich in fast allen Genres aus. Richard Oswald arbeitete mit Werner KraußLupu Pick und Reinhold Schünzel zusammen und entdeckte Lya de Putti und Conrad Veidt für den Film.

Oswald gilt als der Begründer des sogenannten Sitten- oder Aufklärungsfilms. Unter Beteiligung des Sexualforschers Magnus Hirschfeld widmete er sich gegen Ende des Ersten Weltkrieges tabuisierten Themen und strafbewehrten Handlungen; Schwangerschaftsabbruch (§ 218 StGB) und Verbreitung von Geschlechtskrankheiten in Es werde Licht! (1917/18) und Homosexualität (§ 175 StGB) in Anders als die Andern (1919).

(…) Mit Unheimliche Geschichten drehte Oswald einen frühen Vertreter des Horrorfilms. (…)

Der erste Tonfilm von Oswald, Wien, du Stadt der Lieder (1930), wurde ein Publikumserfolg. Oswald schaffte den Sprung ins Tonfilmzeitalter. Es folgten einige weitere kommerziell erfolgreiche Filme.

Richard Oswald war Jude. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten beendete seine Karriere in Deutschland.[14]

Auch die erste Tonverfilmung von „Der Hauptmann von Köpenick“ war ein Oswald-Film und er filmte 1923 mit „Erdgeist“ den Prototyp von G. W. Pabsts „Lulu“. Trotzdem trifft die negative Kritik nach meiner Ansicht zu, soweit sie sich nur mit „Alraune“ befasst. Filmisch ist dies die schwächste der drei gesichteten Versionen. Hier noch zwei Stimmen, die sich mit der 1930er Version befassen, die in der Wikipedia am ausführlichsten dokumentiert ist:

„Man hat Brigitte Helm, um eine Rolle für den Star zu finden, das Nächstliegende angepaßt: den deutschen Superlativ des Gefährlich-Blonden, die patentierte Kino-Erotik noch einmal als Ewerssche „Alraune“ in Bewegung zu setzen. (…) Dem großen Brigitten-Kreis legt sich der Star in allen schimmernden Posen der Verführung vor die Kamera, mit Unschuldsmienen der Siebenzehnjährigen dazwischen, zeigt Fleischeslust, soweit das Gesetz es gestattet, macht die größten Undinenaugen, die heute die Leinwand beleben, tanzt und singt, daß nicht nur ihrem Onkel gruselgraust. Helm als Dirne, als Büßerin schließlich, Dämon im Todesauto, Unschuld am Wiesenrand, in Tag- und Nachtgewändern, mit und ohne Schleppen, angezogen, ausgezogen, mal Garbo, mal Marlene – wenn aber der Photograph Günther Krampf sie richtig faßt, setzt sich das Original durch, heute – mit allen ihren Fehlern die Frau auf der Leinwand, die Publikum anlockt, aufregt, begeistert. Unbestritten ihr optischer Reiz. Auch diesmal. Wer schult ihre Sprache weiter? Der Regisseur dieses Films nicht. Oswald ist ein Hinsteller wies trifft, kein Fortführer, kein Talenterweiterer hier.“ – Ernst Jäger im Film-Kurier[3]

„Mit seiner Tonfilm-Version gelingt Oswald und seinen Autoren damit die grundsätzliche Neuprofilierung eines Stoffes, der bereits 1918 von Mihály Kertész und 1928 von Henrik Galeen verfilmt worden war. Im Unterschied zu den Stummfilm-Versionen interpretiert Oswald die Geschichte vom Wurzelwesen Alraune, das auf Betreiben eines gewissenlosen Wissenschaftlers aus der künstlichen Befruchtung einer Dirne mit dem Samen eines hingerichteten Mörders gezeugt wird, mit weit mehr Gespür für die Nuancen der psychologischen Verstrickung. Rationalen Wissenschafts- und irrationalen Aberglauben gegeneinander auszubalancieren, darin bestand für Oswald der Kern des dramaturgischen und inszenatorischen Kalküls.“ – film.at[4] / [15]

Ist ihm aber nicht gelungen, nach meiner Ansicht, die Ausbalancierung, und die psychologische Verstrickung wird schon zu Beginn torpediert, als der Film mit Gesang anfängt, nur, weil das damals beim Auskosten der neuen Sprechfilmmöglichkeiten so üblich war. Es gelingt Oswald ebensowenig wie den übrigen, die den Stoff adaptiert haben.

Finale

Weil es eben einer konzeptionellen Umschreibung des vermutlich nicht nur an den von mir gelesenen Stellen, sondern im Ganzen vogelwilden Ewers-Stoffes bedürfte, um das Okkulte und das Wissenschaftliche zu synchronisieren. Synchronisieren meint dabei nicht, eine Synthese zu erzeugen, das wäre wiederum – nun ja, unwissenschaftlich und anti-aufklärerisch. Technisch ist heute an dem Thema nichts mehr spektakulär, und was diesbezüglich schon an viel weiter reichenden Filmen gemacht wurde, die ebenfalls schon vom sprunghaften Fortschritt der Gentechnik überholte wurden.

Bliebe also, ein Period Picture, das versucht, die technische Sensation im Umfeld eines Zeitgeistes einzufangen, der gerade auf dem Weg rückwärts war, von der Aufklärung in den ideologischen Wahn, der wiederum durchaus auch okkulte Wurzeln hatte. Wie gut man daraus ein Lehrstück für das Hier und Jetzt machen könnte. So etwas wie eine Berührung konnte bei mir, stellenweise, der Film aus dem Jahr 1952 erzeugen, auch, weil es nicht den Störfaktor der schlechten Qualität gab, der vor allem den 1930er Film noch kruder wirken ließ, als er bei restaurierter Fassung wohl gewesen wäre. Ich hatte das Gefühl, ich bin in einem filmischen Alptraum gefangen; die schlechte Qualität der Inszenierung und der Darbietung in einer miserablen Internetversion addierten sich miteinander. Gar nicht so leicht, das für eine Bewertung wieder voneinander zu trennen, schließlich ist der Film mehr als jedes andere Medium ein synästhetisches Erlebnis. Die IMDb-Nutzer:innen siedeln alle drei Filme  zwischen 6/10 und 6,2/10 an, was nicht gerade überzeugend wirkt. Ich sehe die Unterschiede als etwas größer an, wobei die Schwächen in unterschiedlichen Bereichen liegen.

Die 1930er Version beherrscht einfach das neue Medium Tonfilm nicht richtig, nutzt dessen Möglichkeiten nicht und man merkt, warum die frühen deutschen Tonfilme so viele Lieder enthalten und was fehlt, wenn diese fehlen, nämlich eine filmische Verdichtung, die einen solchen Stoff bändigt, wie wir ihn hier vor uns haben. Das hätte man Oswald zutrauen dürfen, weil er sicher auch eine kritische Distanz zu den okkulten Unebenheiten hatte. Die Version von 1928 erlaubt den Schauspielern viel mehr, gibt mehr Freiraum, verzettelt sich aber auch im damals nicht unüblichen Rausch des mondänen oder scheinmondänen Unerhörten, spiegelt also vermutlich den O-Ton des Buches im Ganzen am besten. Die 1952er Variante ist schlicht unserer heutigen Art, Medien zu rezipieren, etwas näher und wagt es, den Film ganz unepisch anzulegen, profitiert dabei von Darstellungen, die nicht so schlecht sind, wie sie sich bei Lotte Eisner lesen. Offenbar war 1955 schon der Spin im Gange, den damals zeitgenössischen, also deutschen Nachkriegsfilm, in toto für schlecht zu befinden, gerade im Vergleich zur dämonischen Leinwand, wie asexuell diese auch gewesen sein mag. Stimmt aber nicht. Ich habe gerade „Asphalt“ rezensiert (1929), der eine der besten Verführungssequenzen enthält, die ich je gesehen habe und im Ganzen schon wieder geradezu kolportagehaft erotisch angelegt ist. Da kommt sicher noch mehr, das erwarte ich mir u. a. von „Lulu“ und Louise Brooks (der Film heißt eigentlich „Die Büchse der Pandora“, Lulu ist die tragende Figur darin). Also zu den Bewertungen:

66/100 (Alraune 1928)
59/100 (Alraune 1930)
68/100 (Alraune 1952)

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

[1] Alraune (1928) – Wikipedia

[2] Alraune (1930) – Wikipedia

[3]

[4] Es gibt mindestens zwei weitere Alraune-Filme, einen aus dem Jahr 1918 mit dem spätere als Michael Curtiz in Hollywood zu großer Karriere gelangenden ungarischen Regisseur Michaly Kertesz und einen namens „Alraune und der Golem“ (1919).

[5] Alraune. Die Geschichte eines lebenden Wesens – Wikipedia. Das Buch ist gemeinfrei in der 17. Auflage (1920) erhältlich und kann als PDF oder E-Buch heruntergeladen werden.

[6] Alraune (1928) – Wikipedia

[7] Alraune (1930) – Wikipedia, weitere Handlung: Der Professor hat die Prostituierte Alma dazu überredet, sich mit dem Sperma eines hingerichteten Mörders befruchten zu lassen. Alma bringt ein Kind zur Welt, das ihr als Erwachsene verblüffend ähnlich sehen wird und passenderweise den Namen Alraune erhält. Alraune wächst als ten Brinkens „Nichte“ in einer Mädchenpension und in seinem Hause auf. Doch die erbbiologische Kreuzung, aus der Alraune entsprungen ist, birgt nur Schlechtes. Von dem Mädchen geht eine verderbliche Kraft aus, und sie wird ein verruchter „männermordender“ Vamp, der die an ihren Lippen hängenden Verehrer eiskalt ins Verderben zieht. Viele fallen dem Liebeswahn anheim, und auch der alte ten Brinken kann sich eines Tages nicht mehr ihrer Sirenenhaftigkeit entziehen. Macht Alraune die Kerle erst einmal verrückt (nach ihr), dann stößt sie diese umso erbarmungsloser wieder fort, wenn ihr danach ist. Es zeigt sich, dass Alraune keinerlei Gefühle besitzt; sie ist kalt und unbarmherzig. Wolfgang Petersen, der jugendlich-schwärmerische Sohn von ten Brinkens Assistenten Dr. Petersen, wird ebenso ein Opfer Alraunes – er ertränkt sich im fürstlichen Schlossteich – wie auch ten Brinken selbst, der final an seinem eigenen Genexperiment zugrunde geht.

Erst Frank Braun, der nach längerer Zeit der Abwesenheit aus Afrika, wo er als Farmer gelebt hatte, wieder heimgekehrt ist, kann den Fluch brechen: Erstmals spürt Alraune so etwas wie Liebe für ein menschliches Wesen. Bald nimmt das Drama seinen Lauf: Dr. Petersen wirft Alraune vor, für den Tod seines Sohnes verantwortlich zu sein. Die Polizei verhaftet ihn wegen der verbrecherischen Genexperimente. Ten Brinken selbst wird telefonisch vorgewarnt und will sich rechtzeitig absetzen. Er fleht Alraune an, ihn auf seiner Flucht zu begleiten, doch sie stößt ihn nur weg. Dann taucht die Polizei auch bei dem Geheimrat auf, um diesen festzunehmen. Ten Brinken macht sein Testament, überlässt sein Erbe Alraune und ernennt Frank Braun zu ihrem Vormund. Dann erschießt er sich. Fürstin Wolkonski, die auf einmal dringend dasjenige Geld benötigt, das ten Brinken für seine Experimente verbraucht hat, geht zu Alraune, um es zurückzuverlangen. Die aber kann oder will ihr nicht weiterhelfen, woraufhin die Fürstin ihr alles über ten Brinkens Menschenversuche erzählt; auch dass sie, Alraune, aus diesen Experimenten hervorging. Nachlassverwalter Rechtsanwalt Manasse überlässt Alraune die Aufzeichnungen ten Brinkens, sodass diese aus erster Hand alles über ihre wahre Herkunft erfährt. Geschockt geht Alraune daraufhin ins Wasser, um Frank nicht ebenfalls ins Verderben zu stürzen, und bringt sich um.

[8] Alraune (1952) – Wikipedia, weitere Handlung: Alraune, verletzt und verunsichert von Franks Zurückweisung, reagiert aggressiv und beginnt ihre Ausstrahlung auf Männer auszunutzen, um diese gegeneinander auszuspielen, und verursacht so den Tod dreier ihrer Verehrer. Eine ihr lästige Gouvernante wird entlassen, weil Alraune sie des Diebstahls einer wertvollen Halskette bezichtigt, die sie zuvor bei der Gouvernante versteckt hatte. Franks Verlobte begeht einen Selbstmordversuch, weil Alraune Franks Briefe abfängt und der Verlobten vormacht, Frank sei nur an ihr, Alraune, interessiert.

Als Frank, der von all dem nichts weiß, Alraune schließlich doch heiraten will, wird durch die Liebe, die sie für Frank empfindet, ihre Magie gebrochen. Die Mineralquelle versiegt. Als Alraune von Professor ten Brinken das Geheimnis ihrer wahren Herkunft erfährt, der dadurch hofft, sie nicht zu verlieren, ist es bereits zu spät. Professor ten Brinken erschießt Alraune, um die Hochzeit zu verhindern, und wird deshalb zum Tode verurteilt.

[9] Alraune (1952) – Wikipedia

[10] Originaltext und Eisner danach zitiert: Klassiker des deutschen Stummfilms, Ilona Brennicke, Joe Hembus, 1983

[11]  Henrik Galeen – Wikipedia

[12]  Alraune (1928) – Wikipedia

[13] Alraune (1930) – Wikipedia

[14] Richard Oswald – Wikipedia

[15] Alraune (1930) – Wikipedia

Regie Henrik Galeen
Drehbuch Henrik Galeen
Produktion Helmut Schreiber
Musik Willy Schmidt-Gentner
Kamera Franz Planer
Besetzung
Regie (1930) Richard Oswald
Drehbuch Charlie Roellinghoff,
Richard Weisbach
Produktion Richard Oswald
Musik Bronislau Kaper
Kamera Günther Krampf
Besetzung
Regie (1952) Arthur Maria Rabenalt
Drehbuch Kurt Heuser
Produktion
Musik Werner Richard Heymann
Kamera Friedl Behn-Grund
Schnitt Doris Zeltmann
Besetzung

 

 

 


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