Filmfest 955 Cinema
Chaos-Alarm bei Steven Spielberg
1941 – Wo bitte geht’s nach Hollywood (Originaltitel: 1941) ist eine US-amerikanische Filmkomödie aus dem Jahr 1979. Der Regisseur war Steven Spielberg, das Drehbuch schrieben Bob Gale, John Milius und Robert Zemeckis. Die Hauptrollen spielten Dan Aykroyd, Ned Beatty und John Belushi.
Wir haben uns immer gefragt, wie es möglich ist, dass Steven Spielberg bei einem Film Regie führt, der von den Nutzer:innen der IMDb mit 5,9/10 bewertet wird. Jetzt wissen wir’s. „1941“ fehlt alles, was einen Spielberg ausmacht. Herz oder Thrill, eines von beiden muss ein Film des kommerziell wohl erfolgreichsten Regisseurs aller Zeiten kennzeichnen, und beides kann „1941“ nicht vorweisen. Für eine Satire ist er zu planlos und verspielt und auch für eine Komödie zu wenig fokussiert, weil hier durch ein Gag- und Materialfeuerwerk gehetzt wird, ohne dass eine Dramaturgie erkennbar ist. Wir lernen: Spielberg kann nicht alles. Ungewöhnlich, dass wir an so früher Stelle schon so in die Bewertung einsteigen, aber lesen Sie bitte trotzdem mehr in der –> Rezension.
Handlung (1)
Dezember 1941. Gerade haben die Japaner Pearl Habor und die dort liegende US-Flotte überfallen und die USA sind in den Zweiten Weltkrieg eingetreten. In Kalifornien herrscht Kriegs-Hysterie in jedem denkbaren Sinn des Wortes. Da taucht vor der Küste ein japanisches U-Boot auf, dessen Kommandant unbedingt Hollywood als Sinnbild Amerikas zerstören will. Ein amerikanisches Jagdflugzeug wird versehentlich für ein japanisches gehalten und löst ein Flak-Feuer über Los Angeles aus. Vom Garten eines an der See liegenden Hauses wird ebenso mit einer Haubitze auf das U-Boot geschossen wie von einem Riesenrad aus mit Jagdgewehren. Das U-Boot erzielt ein paar Treffer, davon betroffen ist insbesondere das Riesenrad, und versinkt. An Land glauben alle, sie haben das Boot getroffen.
Rezension
Und doch. Diese Materialschlacht ist im Jahr 1979, als der Film entstand, unübertroffen gewesen und diente als Blaupause für immer aufwendigere, immer mehr auf Effekt anstatt auf Inhalt getrimmte Streifen. Denn trotz der schwachen Kritiken spielte er bei 35 Millionen Produktionskosten – für damalige Verhältnisse eine enorme Summe – 90 Millionen Dollar ein. Wir nennen das den Spielberg-Effekt at his worst und wegen Filmen wie diesem machen wir Spielberg für den Niedergang der inhaltlichen Qualität des Hollywood-Films mitverantwortlich. Nicht des gesamten Hollywood-Films natürlich, aber die Blockbuster von heute sind alle mehr oder weniger nach diesem Viel-kann-nicht-genug-sein-Prinzip organisiert. Manche von ihnen sind dramaturgisch weit besser, konzentrierter, gehen weniger fahrlässig mit tollen Schauspielern um, haben etwas wie Sinn und Botschaft, wie auch immer sie lautet. Aber es ist kein Zufall, dass Effektfilme wie „Star Wars“ und „1941“ etwa zur selben Zeit kamen und damit den Trend im amerikanischen Film haben. Man sieht natürlich sofort den Unterschied: George Lucas hat bei seinem Weltraum-Märchen auch die Gefühle der Zuschauer voll im Griff und schiebt auch mal ein paar weniger flirrende Szenen ein, damit man durchatmen kann.
Natürlich hat Spielberg auch exzellente und hochdekorierte Filme gemacht – vor allem, seit er kommerziell alles erreicht hat, was man sich wünschen kann. Doch das ändert nichts an dem grundsätzlichen Dilemma, in das die Hollywood-Maschine mittlerweile geraten ist. Ist es überhaupt eines? Bei der Art, wie heute Medien konsumiert werden, passt es ja und ist deshalb auch erfolgreich. Und kann man jemanden im Kapitalismus dafür bashen, dass er erfolgreich ist? Wir bestimmen, was gedreht wird, mit unserem Kinogeh- und Video-Kaufverhalten.
Eine solche Talentverschwendung. Irgendwie kam uns der große Typ bekannt vor, dieser Sergeant Tree, der am Boden für Aufregung sorgt. Es ist Dan Aykroyd. Und dann der verrückte Pilot – oh, John Belushi! Beide haben ein Jahr später zusammen „Blues Brothers“ gemacht. Der Film hat auch ein gewisses Auf-die-Nerven-geh-Potenzial, aber im Ganzen und manchmal auf emotionaler Ebene funktioniert er und ist natürlich ein Vehikel für die Paarung dieser beiden Erzkomiker. In „1941“ aber versinken sie im Chaos der Inszenierung wie ein U-Boot, von dem man nicht weiß, ob es nun getroffen wurde oder einfach nur sinnvollerweise abgetaucht ist. Natürlich ist Letzteres der Fall.
In der Rolle des japanischen U-Boot-Kommandanten ist Tohiro Mifune zu sehen und als deutscher Beobachter an Bord Christopher Lee, aber das Chargieren, das Spielberg ihnen aufzwingt, macht es unmöglich, deren schauspielerische Größe gerade in „1941“ hervorzuheben. Wenn man so will, ist der Film bis in seine Nebenrollen hinein gnadenlos überbesetzt. Dass so etwas überhaupt möglich war, verdanken wir der Popularität, die Spielberg mit seinen Blockbustern „Der weiße Hai“ und“Der weiße Hai II“ in kürzester Zeit erlangt hat. Selbst das quasi strukturlose Drehbuch von „1941“ stammt nicht von einem Mann aus der zweiten Reihe, sondern von Robert Zemeckis, der ab Mitte der 1980er bei der legendären „Zurück in die Zukunft“- Reihe die Regie führen sollte.
Einzelne Gags gelingen. Am besten hat uns der Abschuss des Riesenrades gefallen, weil alles passt. Die Crew von Brillenmonstern samt Bauchredner-Puppe, die darauf sitzt, wie ein Angestellter des Vergnügungsparks versehentlich alle Fahrschäfte in Gang setzt und sie bis zu dem U-Boot leuchten, dessen Kommandant dann wohl denkt, das sei ein lohnendes Ziel und wie dann das sich rasch drehende Rad aus den Angeln geschossen wird und über einen Bootssteg bis ins Wasser rollt. Man hält es eher für Zufall, dass dieses Handlungselement davon profitiert, dass es konsequent durchgezogen wird, nach allem anderen, was uns präsentiert wird. Wo haben wir noch gelacht? Bei einigen der Flugszenen, und irgendwie war die Sexszene beim Fliegen so dümmlich-erfreulich, dass es schon wieder nett war. Im Verlauf haben wir ohnehin den Versuch aufgegeben, eine Kriegssatire à la M*A*S*H zu erleben und uns auf einzelne Momente konzentriert.
Im Sinn einer Kriegssatire zeigt sich, wie beliebig der Film ist. Alle werden gleichermaßen durch den Kakao gezogen. Das hat zwar den Vorteil, dass man sich, anders als in „Ein Käfig voller Helden“ und diversen Flucht-Filmen nicht hin und wieder wünscht, die Amerikaner wären einmal auf eine intakte deutsche Armee getroffen, was man normalerweise schon deshalb nicht tut, weil die Absichten der Wehrmacht bekanntermaßen von einem perfiden System mit Verbrechern an der Spitze gesteuert wurden. Aber wenn alle gleichermaßen bekloppt sind, dann fehlt auch die Reibungsenergie und man erkennt, dass Spielberg es mit dem Film gewissermaßen dadurch allen recht machen wollte, dass er sie alle lächerlich macht.
Die lustigen 1970er. Trotzdem wundert man sich ein wenig über die Darstellung der Amerikaner. Wir kennen keinen anderen Film, in dem deren Militär so durchgehend bescheuert gezeigt wird und auch die Zivilisten sind nicht gerade die Hellsten. Es war wohl die Zeit. Wir erinnern uns, 1979 waren die USA gerade dabei, das Trauma des Vietnam-Krieges zu verarbeiten und taten das auf unterschiedlichste Weise (z. B. mit „The Deer Hunter“ im Jahr 1978 und mit „Apocalypse Now“ ein Jahr später, den wir hier demnächst vorstellen werden), und da war es wohl auch einmal möglich, den „guten Krieg“ von 1941-1945 ein wenig anders zu zeigen als üblich. In den Zeiten der konservativen Restitution ab der Regierung Reagan (1981-1988) war so etwas nicht mehr auf dem Speisezettel des großen Hollywood-Restaurants zu finden. Man konnte noch, wie Kubrick mit „Full Metal Jacket“ gemäßigt kritisch an Vietnam herangehen, aber schon nicht mehr an den mittlerweile verklärten Zweiten Weltkrieg, den letzten, in dem Gut und Böse noch so richtig schön zu trennen waren. George Bush jun. hat dieses Gefühl der besseren Moral noch einmal zu reaktivieren versucht, indem er im Vorderen Orient lauter Terroristen ausgemacht hat, aber heute zeigt sich, wie fragwürdig alles war, was man dort an Material und Menschen eingesetzt, bekämpft und – in wahrhaft spielbergscher Manier – verschwendet hat.
Finale
Normalerweise schreiben wir über einen Spielberg-Film etwas mehr, aber man sollte sich „1941“ ansehen und ein eigenes Bild machen. Kinder werden ihn vielleicht wegen der vielen Action mögen und sie haben ja noch nicht so das Bedürfnis nach einem Wechsel zwischen krawalligen und entspannten Momenten in einem Film, wie es Erwachsene mit zunehmendem Alter verspüren, wenn sie nicht die Action grundsätzlich immer mehr hinterfragen. Hinterfragen sollten, müssen wir vorsichtshalber präzisieren.
Eine kindliche Lust am Unfug zeigt Spielberg hier in der Tat, aber ist er dabei er selbst? Vielleicht ebenso wie bei seinen Reißern, seinen Abenteuer- und Außerirdischen-Filmen und seinen Epen – aber einen Film wie „1941“ hat er später nicht mehr gemacht, und das wird seine Gründe haben. Schon möglich, dass er nach dem ersten Mega-Erfolg mit „Der weiße Hai“ und dem beinahe romantischen SF-Thriller „Unheimliche Begegnung der Dritten Art“ so voller überbordender Tatkraft war, dass er sein Multitalent wieder auf einem ganz anderen Gebiet zeigen wollte – vielleicht gut, dass „1941“ für seine Verhältnisse eher ein Rückschlag war. Bei seiner nachfolgenden Regiearbeit „Jäger des verlorenen Schatzes“ findet sich noch einiges von der Actionlastigkeit von „1941“, aber der Film funktioniert wieder auf allen wichtigen Ebenen.
52/100
© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | Steven Spielberg |
|---|---|
| Drehbuch | Bob Gale, John Milius, Robert Zemeckis |
| Produktion | Buzz Feitshans, John Milius |
| Musik | John Williams |
| Kamera | William A. Fraker |
| Schnitt | Michael Kahn |
| Besetzung | |
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