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Das Grauen Redux
Apocalypse Now [əˈpɒkəlɪps naʊ] ist ein Antikriegsfilm des Regisseurs Francis Ford Coppola aus dem Jahr 1979, dessen Handlung während des Vietnamkriegs spielt. Er basiert auf einer freien Interpretation von Joseph Conrads Erzählung Heart of Darkness (Herz der Finsternis) sowie auf Michael Herrs Vietnamkriegs-Reportagen Dispatches (An die Hölle verraten).
Jetzt sind wir wohl durch. Wir kennen nun die meisten der wichtigen Vietnam-Kriegsfilme. Zuletzt hatten wir „The Deer Hunter“ (1978) endlich zu Ende rezensiert, dafür mussten wir ihn zweimal anschauen. Zuvor hatten wir uns mit „Full Metal Jacket“ (1987), „Born on 4th of July“ (1986) und „Platoon“ (1986) auseinandergesetzt, sowie mit „Bunker Hill“ (1988). Zu „Apocalypse Now“, dem höchstdekorierten all dieser Filme, steht mehr in der –> Rezension.
Handlung (1)
Im Jahr 1969, mitten im Vietnamkrieg, erhält Captain Benjamin L. Willard den Auftrag, den abtrünnigen Colonel Walter E. Kurtz zu liquidieren. Dieser hat sich von der amerikanischen Militärführung distanziert und lässt sich nicht mehr kontrollieren. Im Dschungel des im Vietnamkrieg neutralen Nachbarlandes Kambodscha hat er sich ein eigenes „Reich“ aus desertierten US-amerikanischen Soldaten und Montagnards aufgebaut, über das er gebieterisch herrscht. Captain Willard macht sich in einem Patrouillenboot samt Besatzung von Saigon aus auf den Weg durch den Dschungel. Die Reise der Männer entwickelt sich zu einem Höllentrip durch die Absurditäten eines sinnentleerten Kriegs und offenbart, analog zur Romanvorlage, die Abgründe der menschlichen Seele. Während der Reise mit dem Irrsinn und der Sinnlosigkeit des Kriegs konfrontiert, beginnt Willard zunehmend, an der Rechtfertigung seines Auftrags zu zweifeln. Als er Kurtz schließlich findet, ist er versucht, sich ihm anzuschließen, tötet den tief verzweifelten und am Krieg zerbrochenen Mann jedoch letztlich auf dessen eigenes Verlangen. (Kurzzusammenfassung des Inhalts vor der längeren Handlungsbeschreibung in der Wikipedia)
Rezension
Einen Tag vor „Apocalypse Now“ in der erweiterten Redux-Version hatten wir „Rambo II“ geschaut. Wenn man diese beiden Filme tatsächlich in Folge schaut, erhält man eine Ahnung davon, wie groß und wie bescheuert das amerikanische Kino sein kann, ohne tiefer in die Geschichte Hollywoods einsteigen zu müssen. „Apocalypse Now“ ist einer der letzten Höhepunkte von „New Hollywood“, während „Rambo“ ein revisionistisches Machwerk darstellt, das perfekt in die Reagan-Ära passt, in der die heutige Verfassung der USA ihre Wurzeln hat.
Fairerweise muss man sagen, dass ernsthafte Vietnam-Kriegsfilme wie „Full Metal Jacket“ und „Platoon“ ebenfalls in diese neokonservative Periode der amerikanischen Geschichte hinein gedreht worden sind. Es ist nie alles einheitlich, aber der Zeitgeist der 1970er, der Schock und die moralische Desorientierung nach dem Vietnamkrieg, die bis heute nicht überwunden ist, die hat man in den 1980ern durch die Rückkehr zu traditionellen Werten überwinden wollen – und musste damit scheitern, denn Werte und Wirklichkeit lassen sich nicht innerhalb weniger Jahre wieder zusammenführen. Gerade wir in Deutschland wissen, dass das vielleicht nie wieder möglich ist, jene hohen Ansprüche an sich und andere zu stellen, die eine Nation in der Blüte ihrer Geschichte auszeichnen.
Aber es ist ein großer Unterschied, ob ein Land vollständig besiegt wurde und es ist besser für die Welt, wenn es daraufhin niemals ein neues Selbstverständnis als heilenden Mittelweg finden kann, als immer noch so mächtig zu sein, dass die Gefährlichkeit dieser Macht dadurch zunehmen kann, dass sie gegen ihren moralischen Zerfall kämpft, dabei zu immer extremeren Mitteln greift und immer tiefer in einen Sog aus niedergehender Kultur und schwindendem Einfluss kämpft, wie die USA es seit Vietnam tun.
Dass dieser Prozess sich mit dem Aufstieg von Groß-China, der ebenfalls schon Zeichen der Überdehnung aufweist, beschleunigt, verheißt nichts Gutes. Es wird vermutlich Zeiten geben, in denen wir uns gerne daran erinnern, dass nach einem Reiter der Apokalypse namens George W. Bush ein gewisser Herr Obama, auf den wir anfangs als Gegenmodell zu jenem Bush viel Hoffnung setzten und der uns außenpolitisch ziemlich enttäuscht hat, der zwar alle hat bespitzeln lassen und sich nicht sehr gut mit den Mentalitäten anderer Nationen auskannte, aber im Ganzen noch vernünftig wirkte und aus finanziellen Gründen gezwungen war, die militärischen Abenteuer der USA etwas zu begrenzen. Nie zuvor haben wir auch die Ohnmacht der Politik gegenüber wirtschaftlichen Interessen so deutlich wahrgenommen.
„Apocalypse Now“ ist der Metafilm zum Thema Krieg, so faszinierend und abstoßend zugleich, dass wir etwas gegen Kopfschmerzen zu uns nehmen mussten, um ihn einigermaßen zu überstehen. Wo der Wahnsinn wohnt, das wussten wir prinzipiell vorher schon, aber noch nie hat er sich mehr als drei Stunden lang so in unserem Zuhause breitgemacht, es geradezu absorbiert, wie während unserer Abendsitzung mit „Apocalypse Now“. Die hypnotische Wirkung dieses Werkes von Francis Ford Coppola ist kaum zu übertreffen – und was wir schon vermuteten, bevor wir den Vergleich hatten, bestätigte sich: Wir halten ihn gegenüber „Der Pate“ und seinen beiden Fortsetzungen, für die Coppola bis heute seinen Platz ganz vorne unter den großen Regisseuren sicher hat, für eindringlicher, wichtiger und vor allem eines: ehrlicher. Beide Werke sind ungeheuer bildmächtig, das verbindet sie.
Beide sind stilisiert, aber auf ganz unterschiedliche Weise. Während „Der Pate“ die Mafia zu einem Imperium verdichtet, das den vermeintlichen Irrsinn der Unterweltkriege mit einem nachvollziehbaren familiären und geschäftlichen Hintergrund ausstattet, lässt „Apocalypse Now“ jeden Sinn militärischer Interventionen hinter sich. Während sich in „Der Pate“ alles zu einem System fügt, das unabhängig von den operierenden Personen eine kaum überwindbare Stabilität und einen alles zusammenhaltenden Kodex aufweist, verliert sich in „Apocalypse Now“ jedweder politische und moralische Kodex und wir sehen nur noch eine Person in einer Umwelt, die keine Struktur mehr aufweist und in der das Grauen, das während der Episode „Col. Kurtz“ mehrfach angesprochen wird, eigene Gestalt gewinnt und über Freund, Feind, Wasser und Dschungel dominiert.
Mehrere der großen Themen sind von einem einzigen Regisseur in adäquaten Filmen verewigt worden. Während es beim Gangsterfilm nach unserer Ansicht allerdings zu „Der Pate“ einige hochwertige Konkurrenz gibt, steht „Apocalypse Now“ unter den Kriegsfilmen beinahe einzig da. Vielleicht kann man „Im Westen nichts Neues“ (Das Original von 1930) oder „Wege zum Ruhm“ (1957) als ähnlich wichtig benennen, aber sie waren an die Mittel ihrer Zeit gebunden und konnten daher das Grauen zwar sehr eindringlich, aber nicht mit den filmischen Mitteln darstellten, die Ende der 1970er zur Verfügung standen, als das Kino technisch bereits voll entwickelt war und vor allem die Filmsprache innerhalb weniger Jahre zu ihrer heutigen Ausprägung gefunden hatte. Uns fällt nicht viel ein, was man an „Apocalypse Now“ heute besser machen könnte, sowohl inhaltlich wie kinematografisch.
Dass gerade dieses Werk auch Pate für die wüsten Actionfilme der kommenden Jahrzehnte gestanden haben dürfte, mit seiner bis dahin ungekannten Gewaltdichte, ist ein Nebeneffekt, für den der Film nicht verantwortlich zu machen ist. Unschuldig ist „Apocalypse Now“ freilich nicht, denn es gibt Momente, in denen man das Gefühl hat, man gehört zu den himmlischen Heerscharen, welche eine fremde, böse Welt mit Feuer und Tod überziehen müssen, um sie zu reinigen – dafür müssen wir nicht einmal Fans von Richard Wagner sein.
Groß ist das eigene Erleben, das sich in Grenzgängerfiguren wie Lt. Col. Kilgore spiegelt, klein sind die panisch rennenden Dorfbewohner mit ihren Bambushüten. Machtphantasien sind manchen Menschen gewiss vollkommen fremd, aber denen fehlt möglicherweise genau jener Dualismus, den „Apocalypse Now“ zeigt und der in weiteren Vietnam-Kriegsfilmen thematisiert wird: Wir sind fähig zu lieben und fähig zu töten, möglicherweise ohne Bedenken, wenn die Situation es erlaubt oder angeblich sogar gerechtfertigt. Es gibt keine intellektuelle Distanz, die das Gefühl überwinden könnte, dass wir mitten in der Wahrheit über uns selbst angekommen sind, wenn wir diesen Film zu Ende geschaut haben. Und, ja, es ist das Strafgericht, das uns von vielen Handlungen abhält und unsere Gesellschaft einigermaßen in der Kurve.
„Apocalypse Now“ zeigt zwar einige Besonderheiten des Vietnamkrieges, tut dies aber nicht so deutlich wie etwa „Platoon“, konzentriert sich nicht auf den Dschungelkampf, diese besondere Konfrontation zwischen Vernichtungskrieg und Guerillataktik, wie sie in Vietnam aufeinanderprallten, sondern auf Begebenheiten, die exemplarisch für alle Kriege sind. Der Luftangriff, die Wasserpatrouille, die Truppenbetreuung, der Brückenkopf, die Verteidigung der Heimat, das sind alles Standards des Genres Kriegsfilm, und nur die geballte Verwendung all dieser Situationen und der Tenor, den der Film dadurch erhält, sind so besonders an „Apocalypse Now“, dass man sich nach dem Ende des Films tatsächlich wie einem fortgesetzten, wahnhaften Gewalterlebnis entronnen fühlt.
Wir sind mit Coppolas Meisterwerk auf eine Reise gegangen, die uns von den Stränden des südchinesischen Meeres mit seinen glitzernden Wellen und vom Himmel mitten in unsere Seele führt. Hätte es nicht zu Beginn die Szene gegeben, in der Cpt. Willard schon bei seinem Hotelaufenthalt angeschlagen wirkt (die Szene, in welcher Martin Sheen einen Spiegel einschlägt, Symbol für den Kampf mit dem eigenen Ich, soll versehentlich echt gewesen sein), hätten wir nicht schon in diesem Moment einen sehr kritischen Grundton verspürt, hätte es vielleicht auch nicht die Szene gegeben, in welcher Willard seinen Auftrag erhält, wäre die Reise von den souveränen Höhen des Himmels in die finsterste Finsternis vollkommen gewesen. Je mehr sich Willard seinem Ziel nähert, desto greifbarer wird die Apokalypse, desto mehr schwindet jede Ordnung. Sichtbar wird das am Zustand der amerikanischen Truppenteile, denen das Patrouillenboot auf seiner Flussfahrt begegnet, an den Wrackteilen, die mehr und mehr sichtbar werden – bis hin zur nächtlichen, atavistischen Gegenzivilisation, die Col. Kurtz auf neutralem, kambodschanischem Gebiet errichtet hat.
Finale
Wir werden uns diesen Film gewiss noch einmal ansehen und die Rezension dann erweitern. „Apocalypse Now“ ist so gut rezipiert, auch von deutschen Kritikern, dass wir uns nach der ersten Sichtung auf persönliche Eindrücke und Assoziationen beschränken wollen, ansonsten lassen wir den Film auf uns wirken. Das Gefühl, dass Krieg immer und überall ist, und dass jeder Konkurrenzkampf im Alltag ähnliche Züge trägt wie der Krieg. Wie weit dabei gegangen wird, ist durch einen immerhin in der Oberwelt noch halbwegs funktionierenden Ordnungsrahmen vorgegeben, doch jedwede Grenze zu diesem Rahmen hin wird mittlerweile auch genutzt und wo immer jemand glaubt, es sei gefahrlos möglich, wird die Grenze überschritten.
Dass wir in Extremsituationen auch die Gefahr nicht mehr scheuen, versteht sich von selbst, denn dafür wurden wir physisch geschaffen: Der Wahn, der mit Ideologien beginnt und über deren Missbrauch oder den Selbsterhaltungstrieb in den Blutrausch führen kann, ist etwas spezifisch Menschliches, das beweist, die Evolution hat einen nicht zu korrigierendenFehler gemacht. Sie hat uns mit technischen Fertigkeiten ausgestattet, die unsere ethischen Möglichkeiten bei weitem in den Schatten stellen. Eine solche Spezies ist zum Scheitern verurteilt. Selbst wenn die Mehrzahl ihrer Mitglieder sich zum Verständnis und zum Humanismus bekannt; es werden genügend andere da sein, die das dadurch entstehende Machtvakuum erkennen und mit großer Freude am Töten und an der Unterdrückung anderer besetzen.
Nachtrag
Ergänzungsanmerkung anlässlich der Veröffentlichung der Rezension im Jahr 2023. Natürlich ist in den USA nicht mehr Barack Obama Präsident, obwohl er sicherlich gegen Donals Trump die Wahlen von 2016 gewonnen hätte. Mehr als zwei Amtszeiten sind aber nicht möglich, eine im Grunde sinnvolle Einrichtung, die ein Land vor einer selbstgewählten Verkrustung bewahren kann, wie sie in Deutschland unter Angela Merkels epischer Kanzlerschaft zu beobachten war.
Doch wir haben inzwischen Donald Trump erlebt. Ihm wird zugute gehalten, dass er die USA nicht in einen weiteren Krieg geführt hat. Das scheint schon viel zu sein und überlagert natürlich die Disparitäten, die er im westlichen Lager geschaffen hat, den Wirtschaftskrieg mit China, also mit dem Land das seinerzeit den Vietkong maßgeblich unterstützt hat, dass er innenpolitisch eine Polarisierungt vorangetrieben hat, die den USA noch viele Probleme bereiten wird und keineswegs für eine Demilitarisierung gesorgt hat.
Und nun, mit Joe Biden, dessen nächster Turn auf der Kippe steht? Es hat sich nicht so viel geändert, wie man meinen könnte, wenn man den etwas freundlicheren Ton als Basis für die Realität nimmt. Das sollte man nicht tun. Es ist eine höchst gefährliche Welt, in der wir leben, und der Ukrainekrieg nur einer von vielen Beweisen dafür, dass friedliches Miteinander nach wie vor nicht möglich scheint und nicht erwünscht ist. Wir können nur hoffen, dass nicht hierzulande bald wieder Menschen vor der Entscheidung stehen, ob sie zur Waffe greifen oder sich lieber gleich ergeben, vielleicht töten lassen wollen.
Die Denkzettel für den Westen, die sich aus der jüngeren Geschichte ergeben, haben nicht die Dimensionen wie der Vietnamkrieg für die USA sie hatte, aber die USA sind immer beteiligt und spielen von fragwürdig bis ausgesprochen destruktiv alle Rollen auf der Skala jenseits von Gut. Das ist noch genauso beunruhigend, wie es in „Apocalypse Now“ deutlich dargestellt wird, wie es uns gezeigt wird anhand von wenigen Schicksalen, an denen sich alles offenbart, was sich nach Vietnam nie hätte wieder zeigen dürfen. Die Mächtigen interessieren sich aber nicht für solche Schicksale, das war immer so und wird so bleiben, solange wir die Zustände, die den Krieg vorantreiben, so akzeptieren, wie sie sind.
94/100
© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | Francis Ford Coppola |
|---|---|
| Drehbuch | Francis Ford Coppola, John Milius |
| Produktion | Francis Ford Coppola, Fred Roos, Gray Frederickson, Tom Sternberg |
| Musik | Carmine Coppola |
| Kamera | Vittorio Storaro |
| Schnitt | Lisa Fruchtman, Gerald B. Greenberg, Walter Murch, Richard Marks |
| Besetzung | |
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