Filmfest 960 Cinema – Die große Rezension
Notwehr, Herrschaften!
Asphalt ist ein Stummfilm von Joe May. In den Hauptrollen spielen Gustav Fröhlich und Betty Amann. Die Uraufführung erfolgte am 12. März 1929 im Ufa-Palast am Zoo von Berlin. Der Film erhielt Jugendverbot.[1]
Wir nähern uns dem Ende der deutschen Stummfilmzeit, müssen aber wieder und noch öfters zurück, weil wir jetzt zu schnell springen, angesichts der Ungeduld darüber, dass aus den Jahren um 1923, 1924 viele Filme nicht vernünftig einsehbar sind. „Asphalt“ entstand 1928 und die sehr schnelle Bewegung der Mode macht das deutlich, trotz des Uraufführungsjahres 1929: Die Hüte der Frauen sind vollendet und tendieren noch nicht in Richtung etwas zu knapp und Eng und ganz ohne Krempe. Aber wie man mit diesen Glocken so viel Fantasie erzeugen, dass eine wirklich schlichte Handlung zu einem großen Spaß wird, obwohl sie gar nicht spaßig ist? Leider habe ich Großfilme von Joe May, wie „Das indische Grabmal“ noch nicht in rezensionswürdigem Zustand auftreiben können. Sic! Deswegen behelfe ich mich nun mit einem Werk an der Schwelle zum Tonfilm, das man als kleineren Klassiker des deutschen Stummfilms in seiner Endphase bezeichnen könnte. Alles dazu steht in der Rezension.
Handlung
Der junge Polizeiwachtmeister Holk lebt mit seiner Mutter und dem Vater in einer bürgerlichen Wohnung. Er versieht seinen Dienst als Verkehrspolizist in einer sehr lebhaften und verkehrsreichen Stadt, in der Straßenkriminalität herrscht: Einer Frau wird während des Betrachtens einer besonderen Schaufensterdekoration von Taschendieben etwas aus ihrer Handtasche gestohlen. Holk fühlt sich von einer Frau in einem Cabriolet geschmeichelt: Obwohl sie an der Kreuzung, an der er den Verkehr regelt, offensichtlich die Vorfahrt missachtet und damit einen Stau verursacht, nimmt er ihre Personalien mit offensichtlichem Charme auf.
Eine junge Frau lässt sich bei einem Juwelier eingehend beraten: Sie umgarnt den Juwelier und lenkt ihn auf diese Weise ab, um mit einem präparierten Schirm einen Edelstein zu stehlen. Nachdem sich die Frau aus dem Laden verabschiedet hat, fällt den Beschäftigten des Juweliers der Verlust eines Steines auf. Der Sohn des Juweliers verfolgt die Frau und stellt sie auf offener Straße zur Rede; es entsteht ein Menschenauflauf.
Nach der Wachablösung nimmt Holk auf dem Weg nach Hause diesen Auflauf wahr. Zur Klärung des Sachverhalts führt er die Frau und den Angestellten in das Juweliergeschäft, in dem sich die Frau empört von den Anschuldigungen zeigt und auf eine sofortige Untersuchung besteht. Die Frau wird von einer Angestellten in ein Nebenzimmer geführt, während Holk und die beiden Männer ihre Handtasche und den Fellmuff untersuchen. Der Stein wird zunächst nicht entdeckt und die Frau möchte gerade das Juweliergeschäft verlassen, als der Sohn des Juweliers noch einmal um die Untersuchung des Schirmes bittet. Dabei fällt Holk der versteckte Stein auf. (…)[2]
Rezension
Ich bin versucht, den Film als einen frühen Noir einzuordnen. Wenn man ihn vom Ergebnis her betrachtet. Denn wie lange wird die Frau wohl einsitzen müssen? Bis schon die Nazis an der Macht sind und sie das Land verlassen muss?
Als Tochter deutsch-amerikanischer Eltern geboren, wuchs [Betty] Amann ab 1908 vornehmlich in den USA auf. Nach eigenen Angaben studierte sie Malerei an der Kunstakademie in New York. Nach kleinen Rollen an verschiedenen Theatern begann sie 1926, noch als Bee Amann, ihre Schauspielkarriere mit dem Film The Kick-Off. 1928 kehrte sie nach Deutschland zurück und spielte neben Gustav Fröhlich die weibliche Hauptrolle in Asphalt unter dem Regisseur Joe May, der sie mit dem Produzenten Erich Pommer für den deutschen Film entdeckte. Die Rolle einer femme fatale sollte sie nach Asphalt noch häufig in ihren folgenden Filmen übernehmen. Zu dieser Zeit nahm sie auch den Künstlernamen Betty Amann an. Auch mit Beginn des Tonfilms drehte sie zunächst weiter in Deutschland, darunter mit Hans Albers den Krimi Hans in allen Gassen von Carl Froelich.[3][4]
Ab 1931 arbeitete Amann auch in England. Alfred Hitchcock engagierte sie für seinen Spielfilm Endlich sind wir reich. Einen ihrer letzten Auftritte im deutschen Film hatte sie 1933 in Schleppzug M 17 mit Heinrich George. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten erhielt sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft keine Angebote mehr, daher emigrierte sie 1937 erneut in die USA. Dort konnte sie an ihre früheren Erfolge nicht mehr anknüpfen. Ihre letzte Rolle hatte sie 1943 in Edgar G. Ulmers Isle of Forgotten Sins.[3]
Das ist doch ganz und gar noir, wie der deutsche Film ausblutete, auch an Fällen belegbar, die nicht ganz so berühmt waren wie die regelrechten Vertreibungen und schrecklichen Fluchtgeschichten, die vielfach – sic! – in den USA endeten und dort zu ganz unterschiedlichen Fortsetzungen gelangten.
Ich fand Amann in ihrer Rolle hinreißend. Sie wird natürlich auch so in Szene gesetzt, erst in strahlendem, sozusagen kontrafaktischem Weiß, am Ende in Schwarz, wo es um Gedeih und Verderb ihrer Figur und der des braven Wachtmeisters ging. Ein typischer deutscher Michel, verführt von einer dunklen Schönheit. Aber durch die brillante Inszenierung, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt, wird ihr Gesinnungswandel so exakt nachvollzogen, dass man anfängt, die Sache so ernst zu nehmen, wie sie selbst es tut. Anfangs spielt sie mit dem Polizisten und die Szenenfolge im Taxi ist wirklich lustig, wie sie da hemmungslos auf den jung-spießbürgerlichen Putz haut, um den guten, steifen Kerl weichzuklopfen. Diese Sequenz wird ganz hübsch gedehnt, ich fand sie aber nicht länglich oder langweilig. Getoppt wird sie allerdings von der Verführungsszene. So gut habe ich die Eroberung eines eh schon halb willigen Mannes durch die Sinnlichkeit aus großer Nähe kaum je gesehen. Einerseits denkt man immer: Ach je, was für eine billige Nummer, überhaupt die ganze Handlung. Aber dann ist es wieder so gut gemacht, dass man sich dem kaum entziehen kann und jede Wendung mitgeht. Es sind ja nicht so viele Wendungen. Wir sind ja nicht bei Fritz Lang mit seinen labyrinthischen Werken, sondern bei jemandem, der ganz konzentriert das Banale so abfilmt, dass daraus etwas filmisch sehr Reizvolles erwächst. Dass dazu eine reizvolle Frau eingesetzt werden muss, eine Femme fatale, macht es nicht schlechter, sondern nur typischer und noir-hafter.
Ich dachte übrigens zunächst, die Frau im Cabrio sei dieselbe, es handele sich also beim Juwelier um ein Wiedersehen nach kurzer Zeit, das stimmt aber nicht. Es hätte auch nicht dazu gepasst, dass die Frau vorgibt, am nächsten Tage ihre Wohnung wegen Mietschulden verlassen zu müssen. Ich weiß nicht, ob man darüber 1928 so gut lachen konnte, dass jemand, der ganz offensichtlich in Saus und Braus lebt, einem Schupo so etwas glaubhaft machen kann. Bereits ihre außergewöhnlich elegante Kleidung spricht dagegen; aber sie könnte ja auch ein nur knapp ausgestatteter Nachtvogel sein, der nicht mehr hat als diese eine, schillernde Federkleid. Witzigerweise muss sie ihm selbst ihre Diamanten und Pelze aufs Bett schmeißen, damit er merkt, dass sie falsch spielt und das Liebchen eines Großgauners ist. Dabei hat er sich das selbst vorher schon in einem unbemerkten Moment angeschaut und musste zu dem Schluss kommen, da nimmt ihn jemand auf den Arm. Aber dann eben die Verführung und die Liebe auf den ersten Kuss und ganz sicher nach dem ersten Beischlaf, der so endet, dass er verkrümmt vor dem Bett liegt, mit dem Kopf auf der Matratze, sie lässig darin.
Möglicherweise und obwohl der deutsche Film vergleichbar freizügig war, durfte er nicht in dem Bett drin liegen, ohne dass der Film nicht nur Jugendverbot erhalten, sondern ganz verboten worden wäre. Oder man hätte diese wichtige Szene schneiden müssen, die so glaubhaft macht, dass er das Luder zur Frau haben will, woraufhin sie ihm in einer großen Aufwallung von Ehrlichkeit ihre Preziosen hinschleudert. Ich hätte als Dienstmann gedacht: umso besser! Ich hätte die Gefahr wohl genauso wenig erkannt wie Herr Holk, aber aus einem anderen Grund.
Doch diese Holks, das waren noch richtige Preußen, wie man an der Einleitung in der Familie sieht, in welcher schon der Vater als Polizist arbeitet. Er muss den Sohn dann auch zur Wache abführen, während die Mutter, ganz Mutterliebe, ihn gar nicht hergeben mag. Klar, mit den Klischees, die in zehn Jahren deutschem Straßenfilm entwickelt worden waren, wird hier geradezu kollektiv verfahren, sie werden gesammelt und optisch besonders ansprechend en gros ans Kinopublikum verkauft. Selbst der süße, eingesperrte Kanarienvogel muss wieder seine Symbolrolle spielen, aber nicht als ein Gefangener, sondern als beschützt in trautem Heim, Glück wirklich allein, es gibt keinen Kumpel und keine Partnerin, während draußen der Verkehr tobt und alles fließt. Hin zum Verbrechen.
In diesem Sinne wiederum sehen wir Hans Albers als Profi-Dieb beim Ausüben seines Gewerbes, wie in den … genau, in diesen Filmen entwickelt mit dem Mehrpersonen-Trick. Einer klaut, gibt die Beute aber direkt an einen anderen weiter und der sicherheitshalber noch an einen Dritten, damit der eigentliche Dieb in aller Ruhe stehenbleiben und sich möglicherweise verhören lassen kann. Auf diese Weise kann man wohl recht lange als kleine Bande arbeiten, ohne dass dem geschickten Langfinger Nr. 1 das Handwerk gelegt wird, selbst wenn er verdächtig oft im Umfeld eines Straßen-Trickdiebstahls anzutreffen ist. Und, komisch, Hans Albers macht mit seiner Physiognomie in dieser Rolle eine ausnehmend gute Figur, unterstützt durch einen kleinen Oberlippenbart, den er später nicht mehr trug. Er taugt zum Halunken, wie man im Jahr darauf auch noch in „Der blaue Engel“ sehen durfte, aber dann wendete sich sein Karriereblatt, er wurde ganz blond und ein deutscher Held. Er hat hier nur eine kleine Rolle, aber eine, die sein Potenzial zeigt. Gustav Fröhlich, der junge Polizist, der eigentlich während des ganzen Films nie fröhlich ist, außer in der Verführungsszene, wo er vor dem großen Kuss lächelt, war damals hingegen schon ein bekannter Hauptdarsteller, vermutlich im Star-Ranking knapp hinter Willy Fritsch angesiedelt.
„In Asphalt spielt Gustav fröhlich einen Polizisten, der einer Abenteuerin ins Garn geht, gespielt von einer hinreisend schönen Schauspielerin, die Betty Amann hieß. Da wird die Staatsgewalt erfreulich korrumpiert durch Eleganz, durch Pelz, durch gleißende Stoffe, durch samtene Atmosphäre in einem Boudoir und Blicke unter künstlichen Wimpern. Man spürt: Es sind die Augen, die verführt werden. Für die bürgerliche Innerlichkeit muss das Kino, wenigstens in seinen Anfängen, eine ernste Gefahr gewesen sein“ (Frieda Grafe / Enno Patalas: Nicht nur Nick & Pabst, in „Filmkritiken“, 1969). Der letzte Stummfilm von Joe May, einem der fruchtbarsten Temperamente der ganzen Epoche und zudem „wahrscheinlich der merkwürdigste Mann Berlins: was in dem durcheinander wirbelt und durcheinander tust, zur Verzweiflung von 100 Schauspielern und zehn Bankdirektoren….“ (Willi Haas). „Wie ‚Piccadilly‘ von E. A. Dupont und ‚Die Liebe der Jeanne Ney‘ von Pabst bezeugt ‚Asphalt‘ die außerordentliche technische Meisterschaft, zu der der deutsche Film gegen Ende des Stummfilms gelangt war, nach der expressionistischen Paranthese. Es lässt sich nichts Moderneres denken als die verblüffende Lebendigkeit der Straßenszenen, die Kamera beherrscht alles, wählt aus, isoliert, sie arbeitet wie das menschliche Auge, ist von einer immensen Wachheit. Aber auch die Verführungsszene ist ein wahres Lehrstück des Kinos. 1927 hatte der Stummfilm seinen großen klassischen Stil gefunden. Keine leeren Stellen mehr, kein Theater mehr: das Kino war zu allem fähig „(Borde / Bouache / Courtade „Le cinéma réaliste Allemand“, 1965).[4]
Auch der zweite Dieb, der eigentlich nur kurz durchhuscht, wird prominent verköpert, nämlich von Paul Hörbiger. Wenn man so will, war der Film bis in die kleinsten Sprechrollen hinein exzellent besetzt, inklusive Albert Steinrück als braver Vater des braven Sohnes Holk und Hans Adalbert Schlettow als Großverbrecher, der schon 1929 als falscher Konsul lieber von Paris nach Berlin fliegt, anstatt sich langwierigen Zugfahrten auszusetzen, auf denen alles Mögliche geschehen konnte, während man mit dem Flugzeug damals nur recht häufig abstürzte.
Für mich nicht ganz einfach, zuzuordnen, welchem Stil der Film zuzuordnen ist. Die Hochzeit des Expressionismus im deutschen Film war 1929 vorbei, als bewussten Gegenakzent setzte man ab etwa 1925 die neue Sachlichkeit. Ich meine aber, die Zuschreibung passt zu diesem Reißer, den der Film im Grunde darstellt, nicht so recht, und er hat sehr wohl Anklänge an die expressionistische Bildsprache der frühen 1920er vorzuweisen, wenn die Bildwinkel aus den Fugen gehen und Schatten dräuend die Wände bevölkern – andererseits sind diese Elemente im Weltfilm verankert worden, eben durch jenen Expressionismus, Künstler wie Alfred Hitchcock nahmen sie mit in den angloamerikanischen Raum, ebenso die späteren Exilanten, ohne dass die besonders in den Films noirs weiterentwickelten und gleichermaßen gedämpften expressionistischen Stilkomponenten deswegen gleich zur Einordnung eines Films als Expressionismus in bewegten Bildern geführt hätte. Beim Expressionismus muss eigentlich auch das Thema und dessen Bearbeitung stimmen, und das hat man sogar bei Robert Wienes „Das Cabinet des Dr. Caligari“ in Zweifel gezogen. Ich meine, Joe May hat sich alles, was der deutsche Film konnte, für eine Unterhaltungsshow mit tollen Emotionen und viel Mimik verwendet, die aus einem im Grunde furchtbaren Verstrickungsfilm ein Vergnügen machen, das zwar nicht nach einem Happy End schreit, das war damals auch im deutschen Film wohl nicht ohne Weiteres möglich, wenn es um eine Quasi-Berufsverbrecherin oder Helferin und Mitwisserin eines Berufsverbrechers geht, aber es kann ja doch wegen guter Führung sein, dass sie freikommt. Allerdings wird Holk-Darsteller Gustav Fröhlich fröhlich in Deutschland bleiben und dort, das habe ich nachgeschaut, tatsächlich neben Fritsch, Albers, Rühmann, die vom Nazi-Film nicht lassen konnten, sich aber nicht alle in gleichem Maße verstrickten, zu den führenden Darstellern zählen, während seine Filmpartnerin ausgetrocknet wurde und woanders ihr Auskommen suchen musste.
Und es war nicht immer Notwehr, oder? Im Film allerdings schon, das kam mir sogleich in den Sinn, als der bedrängte Holk den Feuerhaken gegen „Konsul Langen“ einsetzt, wobei er allerdings als geschulter Polizist wissen sollte, dass ein Hieb damit tödlich enden kann. Doch in diesem äußeren und inneren Aufruhr! Wird man da einen Notwehrexzess belegen wollen, falls es ihn damals überhaupt schon als Rechtsfigur gab? Dass es Notwehr war, kann hingegen nur die Frau bezeugen, deren Zeugnis sicherlich nicht das einer besonders vertrauenswürdigen Person ist. Sei’s drum, vielleicht ist doch auch der Polizistenstand des Jungen noch ein Kriterium, das hilft, ihn nicht weiter zu quälen.
In Siegfried Kracauers Von Caligari zu Hitler (1947) wird der bildliche Einsatz des Asphalt-, Pflaster- und Straßenmotivs in „Straßenfilmen“ der Zeit und insbesondere in Asphalt hervorgehoben: „Der Vorspann dieses Films illustriert in der Art eines Dokumentarfilms, wie Asphalt hergestellt wird und wie er gierig das offene Land verschlingt, um den Weg für den Stadtverkehr zu bahnen –: dieses donnernde Chaos, das […] durch die magischen Gesten des Polizisten gemeistert wird. Aufnahmen, die die Einheit von Asphalt und Verkehr betonen, bilden auch den Abspann zur eigentlichen Handlung. Der Nachdruck, der auf den Asphalt gelegt wird, geht Hand in Hand mit Einschüben von Straßenbildern an jedem dramatischen Höhepunkt.“[3][5]
Siegfried Kracauer hat ja den deutschen Film geradezu als das glatte Zelluloid beschreiben, auf dem man in den NS-Staat rutschen konnte, man hat demnach alles kommen sehen, hier angedeutet, dort exemplifiziert. Aber in diesem Fall erklärt er uns leider nicht, was die Asphalt-Metapher bedeutet, die den Vorspann doch – sic! – expressionistisch wirken lässt. Ein Stampfen von Asphalt, das heute von Dampfwalzen erledigt wird, Buchstabe für Buchtsabe eine Bewegung, reingehauen das Weiche, noch Heiße, ins Straßenbett, bis zum „t“.
War es das? Die Vorwegnahme der Hitze, die in der Verführungsszene deutlich wird? Der Asphalt auf der Straße, auf welcher der junge Polizist auf seinem Inselchen steht und den Verkehr reguliert, ist erkennbar nicht durch dieses Stampfen zuwege gebracht worden, sondern im Studio simuliert. Schade eigentlich, echte Berlin-Aufnahmen hätten den Film auch zu einem der vielen Berlin-Filme der 1920er gemacht, so wird die Stadt nicht benannt. Wie komme ich zu der Behauptung, der falsche Konsul sei Paris-Berlin geflogen? Weil man aus der Luft, aus einem Blickwinkel, kurz vor der Ankunft natürlich doch das sieht, was zur Identifikation des Schauplatzes führt, mit dem Berliner Dom prominent ins Bild gesetzt. Welche faszinierende, pulsierende Stadt hätte es sonst sein sollen? Wofür steht also der Asphalt, in einem Film, der keine einzige Baustelle zeigt, vom Vorspann abgesehen?
Für die gefährliche Straße an sich. Beinahe geht der kleine Schupo ja schon zu Anfang dahin, obwohl ihm das Mädchen im Cabrio beinahe die Füße abfährt. Sie kriegt nicht einmal eine richtige Standpauke, sie darf weiterfahren und er rückt noch den Riesenteddy zurecht, der neben ihr sitzt und durch den kleinen Aufprall oder das Auffahren auf die Standfläche des Polizisten mit dem gewaltigen Kopf gegen das Armaturenbrett gestoßen wurde. Ein früher Crashtest-Dummy, sozusagen. Allein, die Geschwindigkeit beim Aufkommen war bescheiden, wie bei allen Autos, die wir sehen. Das geht im Studio auch nicht anders und man ist schon erstaunt, wie viele unterschiedliche Modelle hier im wörtlichen Sinne zusammengekarrt wurden, um einen lebendigen Straßenverkehrseindruck zu erzeugen. Die Ufa war halt immer noch die Ufa, obwohl sie gerade durch unruhige Zeiten ging, auch dank des ebenfalls verkehrstechnisch sehr ambitionierten Prestigeprojekts „Metropolis“ des Kollegen Lang, von dem man sich heute gar nicht mehr vorzustellen vermag, dass es so floppte, dass die größte Filmfirma Europas daran quasi pleiteging und durch einen Notkredit gerettet werden musste und durch den Einstieg von Bankier Hugenberg, der sie dann schön nach rechts trieb, sodass sie nahtlos ins NS-Reichsfilmgetriebe integriert werden konnte.
Und wer spielt die Hauptrolle in „Metropolis“, neben der unvergleichlichen Brigitte Helm natürlich? Richtig, es ist Gustav Fröhlich. Seinem Spiel hat man das Kassengiftproblem aber wohl nicht zugerechnet.
Sehr klar hat sich mir der Asphaltmetaphorismus also nicht erschlossen, aber ganz sicher ist er die Apotheose des Begrifflichen, das sich über so viele Filme hinweg herausgebildet hatte, die sich mit dem Moloch Großstadt befassten, beginnend etwa mit „Die Straße“ (Karl Grune, 1920) und weiterführt über die Ackerstraße, die freundlose Gasse, die Hintertreppe in der Seitenstraße und die ins Abstrakte getriebenen Wegelinien in „Berlin – Sinfonie einer Großstadt“, am Ende muss es bei diesem heißen Liebes-Kriminaldrama der heiße Asphalt sein.
Finale
In Kay Wenigers Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben heißt es: Mays Asphalt war „sein sozial engagiertester und von der Kritik als qualitativ wertvollste May-Produktion bezeichneter Film. ‚Asphalt‘ überzeugte als intelligent gemachtes Sozialstück aus dem Berliner Kleine-Leute-‚Milljöh‘, ein wenig in der Tradition von Zille, Jutzi und Döblin.“[4]
Das Lexikon des Internationalen Films meint: „Als das ‚erste Beispiel des deutschen Realismus‘ wurde dieser Film von dem französischen Filmhistoriker Charles Ford bezeichnet. […] Ein Stummfilm-Melodram, das durch überzeugende Darstellung und hervorragende Kameraarbeit seinen Kolportagecharakter verliert.“[5]
Reclams Filmführer erwähnt: „Besser als das etwas klobige ‚bürgerliche Trauerspiel‘ mit Happy-End gelangen dem Film Beobachtungen am Rande, Straßenszenen und die Zeichnung skurriler Typen. Auch die Kamera verdient Beachtung.“[6]
Buchers Enzyklopädie des Films behauptet, Asphalt zeige „einen oberflächlichen Einfluß sowohl des Expressionismus als auch der Straßenfilme.“[7]
Im Filmführer Deutsche Spielfilme von den Anfängen bis 1933 schreibt Michael Hanisch euphorisch: „Der Film läßt die hohe technische Meisterschaft des Regisseurs und seines Kameramannes erkennen. Günther Rittaus Lichtgestaltung, die Lebendigkeit der Spielszenen, die Kunst der Montage, die Leistung der Schauspieler, die mit einer Geste, einer Mundbewegung das auszudrücken verstanden, wozu ihre Kollegen einige Monate später, in der beginnenden Tonfilmepoche, mehrere Sätze brauchten – all das weist Asphalt als ein Kunstwerk aus, das die hohe Kunst des Stummfilms in seiner Endphase dokumentiert.“[8] / [6]
Es stimmt fast alles, wobei ich meine, der Straßenfilm als Anknüpfungspunkt ist ebenso oberflächlich wie die Anknüpfung an den Expressionismus, denn das Milieu wird ja im Grunde nicht vertieft, sondern stellt höchstens eine Voraussetzung für Ehrlichkeit und Naivität, die auf Verführungskunst und gar nicht so subtile Raffinesse treffen, dar. Das Kleine-Leute-Drama wird hier ebenso wenig in den Mittelpunkt gerückt wie die große Welt oder hier doch eher Halbwelt und das große Verbrechen. Ein bisschen ist es trotz der viel reduzierteren Handlung schon wie bei Fritz Lang, Milieus werden eher exploitiert als psychologisch ausgeleuchtet, was es Lang ja auch erlaubte, so großartig über alle Untiefen der Handlungen hinwegzufilmen, die seine Frau Thea von Harbou sich ausdachte, um den in ihr manifesten Hang zum Kolportageroman durch das Filmkönnen ihres Mannes zu veredeln. Kühner waren die Entwürfe allerdings schon, eine Handlung wie die von „Asphalt“ hätte von Harbou zwischen Zwölf und Mittag auf einer flugs vom Ring befreiten Serviette skizziert.
Wenn man es wirklich genau nimmt, haben fast alle diese großartigen Weimarer Filme ihre Banalitäten und stereotypen Zuschreibungen, das Kino hatte schlicht noch einen Weg zu gehen, um sich ganz außerhalb von Klischees und Anlehnungen ans sehr Alltägliche oder was man sich unter dem Alltäglichen und Nicht-Alltäglichen so vorstellte, zu bewegen. Das ist ja auch sehr logisch. Ein reines Cineastenpublikum begann sich erst ab den 1950ern zu entwickeln und es gab auch noch keine Filmförderung, die es letztlich egal werden ließ, ob jemand ein Produkt auch wirklich sehen wollte, das sich ganz seiner eigenen künstlerischen Verfassung widmete und nur für Menschen geeignet war und heute noch ist, die vor allem eines nicht sind: Im Alltagskampf zu sehr gefangen. Intellektuelle Höhen erfordern einen freien Kopf und viel Luft zum Atmen.
Eine Ausnahme muss man für die Hauptphase des Expressionismus setzen, die Filme waren teilweise wirkich schwere Kost, düster, tragisch, ausweglos,und kamen demgemäß beim Publikum nicht so gut an, wie man heute aufgrund ihrer Stellung als Ikonen der Filmgeschichte vermuten könnte. Die technische Meisterschaft, die sich gemäß obigen Ansichten in den 1920ern entwickelte, ging durchaus einher mit einer entstehenden Meisterschaft des Erzählkinos, das vielleicht nicht nur, aber auch unterhaltsam und zeigefreudig sein will. Gerade das Jahr 1929 war ein Spitzenjahr solcher Filme, wie z. B. auch die beiden berühmten Louise-Books-Streifen „Die Büchse der Pandora“ und „Tagebuch einer Verlorenen“ bezeugen.
Der Weimarer Film hingegen war meist auch sensationell und publikumsgeneigt, selbst, wenn es böse ausging, und das war in ihm nicht so selten der Fall. In „Asphalt“ ist vor allem das Hochziehen eines schlichten Plots zu einer asphaltdampfenden Emotionalität und visueller Könnerschaft sensationell. Die IMDb-Nutzer:innen geben dem Film auf der Basis von derzeit etwa 1.700 Stimmen zu Recht eine für einen Film dieser Epoche sehr ansehnliche Durchschnittsbewertung von 7,4/10. Dem kann ich mich anschließen.
76/100
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
[1] Asphalt (1929) – Wikipedia
[2] Asphalt (1929) – Wikipedia, weitere Handlung: Der ältere Juwelier ist immer noch von der jungen Frau angetan, die ihm unter Tränen schildert, dass sie den Stein aus Not gestohlen habe und sie von einem Zeitungsbericht über einen solchen Diebstahl inspiriert worden sei. Der Juwelier bittet den Polizisten, auf eine Strafverfolgung zu verzichten, da das Geschäft ja nicht geschädigt worden sei. Holk verweist auf seinen Status als Beamter und verhaftet die Frau wegen Juwelendiebstahls. Während sie in einem Polizeiwagen weggefahren wird, machen sich die beiden Straßendiebe über sie lustig und betonen den Unterschied zwischen ‚alten Fachleuten und einer Anfängerin‘.
Im Polizeiwagen versucht die Frau bei dem Polizisten tränenreich Mitleid zu erwecken: Sie verweist auf Mietschulden, die drohende Räumung ihrer Wohnung und ihrer Angst vor der Obdachlosigkeit. Vor dem Revier angekommen, fleht sie den Polizisten an, dass sie wenigstens ihre Papiere in der nahegelegenen Wohnung holen darf. Er lässt sich überreden, als sie ihm vorschlägt, sie in ihre Wohnung zu begleiten. Dort verführt Else Holk nach allen Regeln der Kunst.
Holk wird schwach, lässt die Anzeige gegen sie fallen und entlässt sie in die Freiheit. Diese Entscheidung soll er bald bitter bereuen. Holk ist der schönen Fremden rasch verfallen und sucht sie tags darauf wieder auf. Else gesteht ihm, dass ihr Freund ein steckbrieflich gesuchter Verbrecher ist. Plötzlich kommt dieser Mann, der sich hochtrabend Konsul Langen nennt, hinzu und attackiert den Wachtmeister. In dem anschließenden Handgemenge schlägt der junge Holk den Schurken so unglücklich nieder, dass dieser dabei zu Tode kommt.
Holk gesteht seinem Vater, einem altgedienten Hauptwachtmeister, den Unglücksfall mit Todesfolge. Dessen Pflichtbewusstsein nötigt ihn dazu, den nunmehr des Mordes verdächtigen Holk junior, seinen eigenen Sohn, zu verhaften. Doch da meldet sich Elses Gewissen. Sie stellt sich der Polizei und bestätigt die Version des jungen Holk, dass dieser in Notwehr gehandelt habe. Else, die sich inzwischen in Wachtmeister Holk verliebt hat, bestätigt die Identität ihres kriminellen Ex-Geliebten und wird daraufhin als dessen Komplizin verhaftet. Holk erhält seine Freiheit zurück.
[4] (Zitiert nach) Ilona Brennicke, Joe Hembus, Klassiker des deutschen Stummfilms, 1983.
[5] Zitiert nach: Asphalt (1929) – Wikipedia
[6] Asphalt (1929) – Wikipedia
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