Erdüberlastungstag dieses Jahr am 2. August | Briefing 261| Klima / Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft

Briefing 261| Erdüberlastungstag immer früher – mit einer Ausnahme

Am vergangenen Wochenende hatten wir noch über einen Artikel nachgedacht, in dem es um die „posttraumatische Belastungsstörung“ der hiesigen Gesellschaft aufgrund der Dauerkrisensituation ging.

Eigentlich ist diese Figur aus der Psychologie auf einzelne traumatische Situationen zugeschnitten, nicht auf das, was sich derzeit abspielt. Es begann ja längst vor Corona und es ändert sich nach Corona – nicht viel. Lediglich hat sich gezeigt, dass die Pandemie aufgrund nachlassender Wirtschaftstätigkeit den Weltüberlastungstag um ein paar Tage nach hinten verschoben hat. Nun aber ist dieser Rückgang schon 2023 mehr als „ausgeglichen“ worden und was uns vor allem erstaunt hat: Dass der relativ geringe Zuwachs an „Überlastungsprozenten“ zwischen 2010 und 2015 offenbar in der Nach-Corona-Aufholjagd der Weltwirtschaft deutlich übertroffen werden wird. Dabei läuft es ja im Moment gar nicht überall rund, was wäre also, wenn die Weltwirtschaft ungebremst, frei von Sondersituationen, weiterwachsen würde?

Infografik: Erdüberlastungstag wieder im August | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz  erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Der Tag, an dem die Menschheit ihr Budget an natürlichen Ressourcen für das Jahr aufgebraucht hat, wird 2023 voraussichtlich am 02. August erreicht sein. Damit liegt der sogenannte „Earth Overshoot Day“ zwar wieder einen Tag später als im Vorjahr, Grund zur Erleichterung ist das jedoch nicht. Der tatsächlichen Fortschritt macht weniger als einen Tag aus, die restliche Verschiebung ist durch die Integration verbesserter Datensätze bis zum Jahr 2022 zu erklären. Nach dem Erdüberlastungstag werden noch etwa 42 Prozent des Jahres übrig sein, für die die weltweiten Ressourcen theoretisch hätten gespart werden sollen.

Das Datum des Erdüberlastungstags ist laut Global Footprint Network in den letzten 20 Jahren um knapp zwei Monate vorgerückt. Nur das Jahr 2020 war eine leichte Zäsur im Trend. Die weltweit heruntergefahrene Wirtschaft und der damit einhergehende geringere Energieverbrauch haben dazu geführt, dass zum Erdüberlastungstag am 16. August noch rund 37,5 Prozent des Jahres übrig waren – zuletzt trat der Tag 2005 so spät ein. Einigermaßen im Einklang standen Angebot und Nachfrage zuletzt Anfang der 70er. Schuld sind vor allem die westlichen Industrienationen, wie eine weitere Statista-Grafik zeigt. Würden alle Menschen so leben wie in den USA, bräuchten wir fünf Erden. Für den deutschen Lebensstil bräuchte es hochgerechnet drei Erden.

Mittlerweile steht der ökologische Fußabdruck in der Diskussion, weil er die Menschen auf eine Weise unter Druck setzt, die ihnen nicht möglicherweise nicht gerecht wird, favorisiert wird von Kritikern das neue Maß des „Handabdrucks“, der wirklich das persönliche Leben eines Menschen misst. Wir haben das mal für uns durchgerechnet. Es war absolut deprimierend, zu sehen, dass wir trotz unserer wirklich bescheidenen Lebensweise immer noch einen Verbrauch von weit mehr als zwei Erden pro Jahr haben. Wie konnte das passieren?

Der Grund ist einfach. Wer in Deutschland lebt, kann im Grunde gar nicht ökologisch korrekt handeln. Das Land ist hoch industrialisiert, die Industrie hat trotz der Einbrüche der letzten Zeit immer noch hohe, energie- und rohstoffintensive Kapazitäten und natürlich ist damit der Gesamt-Fußabdruck der Bevölkerung höher als in Ländern, die weitgehend deindustrialisiert sind, dadurch aber auch nichts herstellen, was überall in der Welt ge- und verbraucht wird. Beim Energiemix kann Deutschland erheblich weiter Boden gutmachen und sollte es auch, aber eine komplette Deindustrialisierung, um möglichst einen ähnlichen Grund-Fußabdruck hinzubekommen wie die Menschen in den ärmsten Staaten der Erde, halten wir nicht für eine wirklich gute Idee. Um wieder in den grünen Bereich zu kommen, muss es kluge, grüne Lösungen geben, dystopische Szenarien sind hingegen nichts, womit man die Bevölkerung hierzulande zu weiteren Sparanstrengungen ermuntern kann. Es gäbe eine Möglichkeit, sehr viel einzusparen. Die drei Erden sind ja nicht gleichmäßig verteilt, sondern es gibt Menschen, die sich im zwei Erden begnügen, wovon das Wenigste auf ihren persönlichen Verbrauch geht, das ist die Mehrzahl. Es gibt aber auch einige, die locker 10, 20 Erden pro Jahr konsumieren. Wenn man die Ungleichheit endlich bremsen würde und eine kooperativere und daher unausweichlich genügsamere Wirtschaftsform etablieren würde, käme man auf mehr Ersparnis, als wenn man anstatt acht nur noch drei Minuten am Tag duscht (die sogenannte Habeck-Variante zur Einsparung von Erden).

Wer nach einer Ausrichtung für den eigenen Lebensstil sucht, sollte Faktoren ausklammern, die er kaum beeinflussen kann, sonst macht er sich nur den Tag kaputt, ohne dass der Verbrauch auch nur irgendwie sinkt. Oder er zieht in einen Staat um, der noch im grünen Bereich liegt (das ökologische Reservat ist größer als der Verbrauch). In Europa kann dieser Staat allerdings nicht angesiedelt sein, denn hier kommt es zu einem Verbrauch von durchschnittlich drei Erden pro Jahr. Deutschland liegt da ziemlich genau im Trend bzw. im Mittelfeld und nicht schlechter als beispielsweise Frankreich, was uns erstaunt hat, denn die deutsche Industrie ist energieintensiver und größer und es wird mehr mit Kohle und weniger mit CO2-armem Atomstrom operiert. Der private Verbrauch aber ist in Deutschland, Autoland hin oder her, gar nicht so exorbitant, auch wenn man ihn nicht mit dem der US-Amerikaner:innen als Maßstab abgleichen sollte, die im Jahr etwa fünf Erden verbrauchen und bei denen der private Verbrauch in manchen Bereichen um ein Mehrfaches höher ist als bei uns (z. B. der Wasserverbrauch pro Kopf).

Wir glauben schon, dass es möglich ist, in Deutschland zu einer etwa 1:1-Situation zurückzukehren, sogar ohne Produktivitätsverlust. Das zeigt die Entwicklung über Jahrzehnte, die durchaus eine Rohstoff- und Energie-Effizienzsteigerung erkennen lässt. Es muss natürlich schneller gehen als bisher, aber wieder einmal handelt es sich um eine gesamtgesellschaftlich-ökonomische Aufgabe, nicht um etwa, das Verbraucher alleine wuppen können, indem sie Energiesparlampen benutzen, sich über weniger Strom mit Klasse-„A“-Geräten freuen und gleichzeitig auf Elektroautos umsteigen, die den persönlichen Stromverbrauch explodieren lassen. Wenn das überhaupt einen Sinn ergeben soll, dann nur, wenn aus der Steckdose, die angezapft wird, ausschließlich eindeutig CO2-neutraler Ökkotrom kommt. Das ist es, was wir persönlich beeinflussen können, vereinfacht beschrieben. Der große Rest ist Verkehrssteuerung, ist Umrüstung der Industrie und Förderung von Investitionen in das Richtige anstatt Subventionierung des Falschen und die Wiederankurbelung der Energiewende.

Selbstverständlich werden wir uns freuen, wenn der Erdüberlastungstag wieder an Weihnachten ist, wie im Jahr 1970, noch mehr, wenn es gelingen sollte, eine Reserve aufzubauen. Aber es gibt viele Faktoren, die Skepsis angebracht sein lassen. Schauen Sie sich an, wie sich die Zahlen Asiens verändert haben, von 1961 bis heute. Und diese Entwicklung ist noch nicht gebremst und sie bezieht sich auf einen Kontinent, der zehn Mal mehr Einwohner hat als Europa. Das ist alles nicht gerecht, denn die Menschen dort wollen zu Recht auch mal ein wenig mehr Spaß am Leben haben als bisher und sie verbrauchen pro Kopf immer noch viel weniger Erden als Europäer oder gar Amerikaner. Aber die schiere Zahl lässt erkennen, dass der Hebel eher dort angesetzt werden muss als im alten Europa mit seiner Stagnation in fast jeder Hinsicht. Hier ist es viel einfacher, von drei auf zwei Erden oder weniger zu kommen, als es in Asien ist, auch nur einen kleinen Rückgang zu organisieren, etwa von 1,5 auf 1,4 Erden pro Kopf. 1,5 Erden, gerechnet auf 5 Milliarden Menschen (0,5 Erden zu viel pro Kopf und Jahr), sind aber nun einmal der 2,5-fache Überschuss im Vergleich zu 3 Erden, auf 500 Millionen Menschen gerechnet (2 Erden Überschuss pro Kopf und Jahr), und die Divergenz wächst rapide. Zahlen natürlich der Plastizität der Darstellung wegen gerundet.

TH

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