Last Man Standing / Gundwon / Welcome to Jericho (USA 1996) #Filmfest 962

Filmfest 962 Cinema

Last Man Standing (im Original auch: Welcome to Jericho oder Gundown) ist ein US-amerikanischer Film des Regisseurs Walter Hill mit Elementen von ThrillerActionfilmWesternGangsterfilm und Drama. Er ist eine Neuverfilmung von Akira Kurosawas Yojimbo – Der Leibwächter beziehungsweise Sergio Leones Für eine Handvoll Dollar und kam am 20. September 1996 in die US-amerikanischen Kinos.[2][3]

Regisseur Walter Hill hat an einigen interessanten Projekten mitgewirkt, unter anderem als Drehbuchautor für mehrere Filme der Alien-Reihe, interessante Regiearbeiten sind sicher „The Driver“ (1978) und „48 Hours“ (1982), den wir für den Wahlberliner rezensiert haben, ebenso wie „Straßen in Flammen“ (1984). Wir sind zwölf Jahre weiter und haben oben gelesen, dass „Last Man Standing“ sehr berühmte Vorbilder hat. Wird er ihnen gerecht? Es steht in der –> Rezension.

Handlung (1)

Der abgehalfterte Revolverheld John Smith kommt in die fast verlassene Kleinstadt Jericho. Dort wird sein Auto von Kleinstadtgangstern demoliert, weil er auf die schöne Mexikanerin Felina einen Blick geworfen hat. Diese ist die unfreiwillige Geliebte von Doyle – einem der zwei Gangsterbosse der Kleinstadt – der sie beim Pokerspiel gewonnen hat. Smith übt Rache an den Übeltätern und merkt schnell, dass er es nur mit Kleinstadtganoven zu tun hat. Er versucht, die beiden Schnaps schmuggelnden Gangs von Doyle und dessen Rivalen Strozzi gegeneinander auszuspielen. Dazu wechselt Smith mehrfach die Seiten und versucht auf diese Weise möglichst viel Geld zu verdienen.

Smith befreit Doyles Geliebte Felina und schickt sie zurück zu ihrer Familie nach Mexiko. Dabei tötet er acht Männer und schiebt die Tat der Gang von Strozzi in die Schuhe. Doch nach kurzer Zeit findet Doyle heraus, dass nicht Strozzi, sondern Smith die Frau befreit hat. Daraufhin wird Smith gefangen genommen und gefoltert. Er kann fliehen und wird vom örtlichen Sheriff aus der Stadt gebracht. Unterwegs werden sie Zeuge, wie Doyle und seine Männer Strozzi und dessen gesamte Gang, die sich in einem Haus außerhalb der Stadt aufhalten, töten. Der Sheriff versteckt Smith in einer alten Kirche. Dort wird er von dem Saloonbesitzer Joe durch täglich gelieferte Wasser- und Nahrungsrationen wieder aufgepäppelt.

Doch schon bald wird Joe von Doyles Männern bei einer seiner Lieferungen abgefangen und eingesperrt. Daraufhin befreit Smith ihn und es kommt zu einer großen Schießerei, wobei Smith die Gang von Doyle erledigt. Im Finale kommt es schließlich zum Aufeinandertreffen von Smith, Hickey – Doyles rechter Hand – und Doyle. Doyle wird von Joe aus dem Hinterhalt erschossen. Hickey wird von Smith niedergestreckt. Der Sheriff und Joe, die letzten beiden Überlebenden, verlassen ihre Stadt und auch Smith setzt seinen Weg aus der Geisterstadt Jericho in Richtung Mexiko fort. 

Rezension 

Von Hills Arbeiten der 1990er haben wir bis jetzt „Geronimo“ (1993) besprochen und hatten schon bei diesem Film den Eindruck, dass die in Goldgelb gehaltenen Bilder weitaus mächtiger waren als der Inhalt eines Kinostücks, das doch immerhin von einer amerikanischen Legende handelt. Alle Filme von Walter Hill sind für ihre Zeit überdurchschnittlich gewaltdurchzogen gewesen und mit „Last Man Standing“ hat er in dieser Hinsicht einen (weiteren) Höhepunkt erreicht. In seiner Düsterkeit fällt der Film ohnehin etwas aus der sonnigen Clinton-Ära und wirkt, als habe sich ein Filmemacher, der aufgrund eines 9/11-Traumas endgültig zum Zyniker wurde, nachdem er immer schon dazu neigte, Gewalt stylisch zu inszenieren, per Zeitmaschine ein paar Jahre zurückbewegt.

Wir mögen Bruce Willis, der „Last Man Standing“ schauspielerisch fast allein tragen muss, zum Beispiel in dem ein Jahr nach diesem Film entstandenen „The Fifth Element“ und gehören auch zu der Fraktion, die jenen kontrovers diskutierten, schrill gestylten SF-Thriller gut finden, unter anderem wegen Bruce Willis. Mittlerweile (zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Textes im Jahr 2023) haben wir auch die „Die Hard“-Reihe gesichtet. Die Filme hätten gut und gerne von Walter Hill sein können, trotzdem ist Willis einer der sympathischsten Actionhelden ever und gibt den Filmen dadurch etwas Menschliches.

In all diesen Filmen gibt es allerdings etwas, das „Last Man Standing“ wirklich nicht kennt: Humor. Ironie. Satire, wenn man sie hineindeuten will. So viel Trash muss ironisch hinterlegt sein, um kultig zu wirken. Manchmal hat man in „Last Man Standing“ auch das Gefühl, Willis wäre gerne humorvoll oder ironisch, seine sympathische Mimik scheint das hin und wieder auszudrücken. Willis ist ein ausgewiesener Actionspezialist und vielleicht der der erfreulichste unter den Stars dieses Genres, deswegen war seine Besetzung als Revolvermann, der „leider ohne Gewissen auf die Welt gekommen ist“, wie er selbst sagt, sicher nicht unlogisch. Aber ausgerechnet er wirkt in dieser furchtbar staubigen und tristen Welt einer Art Westernstadt, die von Gangstern des Jahres 1931 bevölkert ist, wie der einzig mögliche emotionale Anker fürs Publikum und macht diesem Publikum das Ankern schwer, weil er einen so deprimierenden Charakter spielen muss.

Seine Anwesenheit hat nicht ausgereicht, um den Film in den USA zum Erfolg werden zu lassen. Bei 67 Millionen Dollar Produktionskosten, 1996 ein ziemlich hohes Budget, spielte er nur 18 Millionen im eigenen Land ein, weltweit nur 33 Millionen. Erst die Videoauswertung hat ihn letztlich in die Gewinnzone geführt. Anders ausgedrückt: In den USA hat „Last Man Standing“ bei der Erstauswertung gerade einmal die Gage von 15,5 Millionen Dollar eingebracht, die Bruce Willis für seinen Einsatz erhalten hat.

Diese Gage finden wir okay, die 1990er waren eben das Jahrzehnt der enormen Gagensteigerungen, und wenn man bedenkt, was Willis als John Smith alles an Gefahren für Leib und Leben in diesem kurzen Film durchlebt und wie er am Ende ausschaut, kann man nicht sagen, er hat sein Geld nicht redlich verdient. Redlicher jedenfalls, als irgendein Gangster oder Wandler zwischen den Gangsterlagern in der fiktiven texanischen Stadt mit dem sinnfälligen Namen „Jericho“ sein Geld verdient.

Die Macher haben sich hohe Vorbilder herausgesucht: „Yojimbo“ (1961) von Akira Kurosawa, dem deshalb auch der Credit am Buch eingeräumt wird – man kann auch sagen, mit Kurosawa wird hier gewuchert. Oder aber der bereits auf diesem Film fußende „Für eine Handvoll Dollar“ (1966), der erste Film der legendären Dollar-Trilogie, die Sergio Leone, Ennio Morricone und Clint Eastwood berühmt gemacht hat. Leider haben wir Kurosawas Film noch nicht gesehen, aber die Anklänge an „Eine Handvoll Dollar“ sind offensichtlich, das Szenario ist beinahe gleich. Ein wenig klingt in der Art, wie die Stadt gezeigt wird, „Django“ (1967) von Sergio Corbucci an.

Auch die Figur des Kopfgeldjägers oder Informanten, in Leones Werk nur „Der Fremde“genannt, ähnelt der von „John Smith“. Was die Handlungsweise angeht. Nicht aber bezüglich seiner Inszenierung. Clint Eastwood spielt seinen Typ so, dass er gewissenlos wirkt und immer wieder mal ein partikularer Humanismus durchblickt. Wie im Dollar-Opener drückt sich auch in „Last Man Standing“ dieser Humanismus gegenüber Frauen aus, die von Mob-Bossen schlecht behandelt und quasi gefangen gehalten werden. Das allein reicht aus, um eine gewisse Sympathie für den Mann zu erzeugen, nebst der Tatsache, dass er ja nur Leute gegeneinander hetzt, die ohnehin miese Gestalten sind, aus einer Parallelwelt den Rahm abschöpft. Sein Verhalten ist nicht moralisch, aber wirkt auch nicht so übel, als wenn eine Gang unschuldige Bürger terrorisiert.

Das Lakonische und Obercoole ist der damals neue, für hohe Wellen sorgende Style dieses Vorbild-Western, das einige Genres seit New Hollywood stark beeinflusst hat, aber Willis verkörpert nicht nur an sich, sondern auch in diesem Film einen anderen, weniger knallharten Typ. Dass er überhaupt einen Namen hat, und sei er noch so falsch, ist bereits ein Stilbruch, zudem sind die Dialoge länger als in „Eine Handvoll Dollar“ und vor allem, das ist der Hauptunterschied, fungiert Smith auch als Narrator. Jemand, der aus dem Nichts kommt, an nichts glaubt, ins Nichts geht, erklärt sich umfänglich selbst, und das ist eine Fehlkonstruktion, die etwas romanhaft Erzählendes ins Spiel bringt, was aber insofern fragwürdig ist, als das Drehbuch nicht auf einem Roman fußt, nicht aber die Hermetik, ohne die ein Film wie dieser schwerlich funktioniert.

Natürlich ist es auch ein Anklang an viele Films noirs mit ihren Hauptfiguren, die über sich und ihr Schicksal sprechen und damit an die sehr subjektive Sichtweise, die jenen Filmen eignet und sie dadurch spannend macht, ihre Figuren selbst als Antihelden dem Zuschauer sehr nahe bringt. Insofern wäre also „Last Man Standing“ ein Neo-Noir.

Nur: Smith hat kein Schicksal. Da ist nicht die Tragik der Vorherbestimmung, der Unausweichlichkeit, die in den Top-Noirs oft dadurch symbolisiert wird, dass jemand von einem bestimmten Punkt of no Return in seinem Leben aus berichtet, wie es dazu kommen konnte. Die dazu notwendige Rahmenhandlung hat „Last Man Standing“ nicht vorzuweisen, er ist ganz schlicht chronologisch gefilmt.

Während die großen Noir-Filme von guten Figuren wimmeln, legt er außerdem keinen Wert auf irgendwen außer auf John Smith. Die Gangsterbosse und ihre Adjutanten sind Klischee-Typen als schmieriger Italiener oder irische Choleriker, die Möglichkeit, einen Bösebuben-Spezialisten wie Christopher Walken als echten Herausforderer für Smith in Erscheinung treten zu lassen, wird weitgehend vergeben. Auch der echte Showdown zwischen unerbittlichen Feinden, der dem Western als einem der hier zitierten Genres doch so eignet und zur Stilisierung der Gewalt in Hills Werk passen würde, wird nicht zünftig inszeniert.

Zwar ist Walkens Figur der letzte Gangster, der dran glauben muss, aber seine Erschießung ist kein Häuserkampf, kein Duell, sondern wirkt lapidar, wie alle Gewaltexzesse in diesem Film. Zudem leidet der Film unter Plotholes, die gut inszenierte Schießorgien erst ermöglichen: Die Gegner des Helden sind immer mal wieder zu skrupulös, ihn einfach umzulegen, wenn sie ihn in ihre Finger bekommen, und man fragt sich, was um Himmels Willen sie davon abhält, so, wie sie doch allgemein gestrickt sind. Stattdessen misshandeln sie ihn nur, was natürlich ein schwerer Fehler ist, ebenso wie die Neigung von Verbrechern, im entscheidenden Moment Erklärungen abzugeben, anstatt so schnell wie möglich zu reagieren. 

Finale

Auch sehr gewaltreiche Filme haben oft einen inneren Kern, eine Botschaft, eine Raison d’être, die man verkaufen kann und die sich gut beschreiben lässt. Doch welche Idee hinter „Last Man Standing“ stecken soll, hat sich uns nicht erschlossen. Für ein amerikanisches Remake von „Yojimbo“, ähnlich dem von „Die glorreichen Sieben“, das aus „Die sieben Samurai“ hervorging und seine eigenen Qualitäten hat, ist er zu flach geraten und offenbart keinen philosophischen oder gesellschaftspolitischen Hintergrund. Als Neuinterpretation von „Eine Handvoll Dollar“ versucht er, die innere Kälte der Beteiligten, die Unwirtlichkeit des Seins im tristen amerikanisch-mexikanischen Grenzgebiet, den Mix aus Reduktion und plötzlicher Aktion durch eine stilisierte Form der permanenten Gewalt zu ersetzen, die im Formalen steckenbleibt. Für ein Gangsterepos fehlt ihm der lange Atem und für einen Actionfilm die Varianz in ebenjenen gezeigten Aktionen.

Was bleibt, ist, dass Bruce Willis sich selbst und freiwillig einen unglaublich anstrengenden Job in einer echt verstaubten Gegend organisiert hat und nicht einmal eines der beiden Mädels bekommt, die er aus den Fängen der Mobster rettet. Deshalb erzählt er uns am Ende auch, dass er ebenso mit leeren Taschen aus Jericho fortfährt in seinem Ford, wie er reingefahren ist. Offenbar hat man ihm die mehreren tausend Dollar, die er zwischenzeitlich bei den beiden örtlichen Gangsterbanden erwirtschaftet hat, geklaut, ohne dass wir’s mitbekamen. Da war Clint Eastwood schlauer. Allerdings verlor dieser die Fähigkeit, die Rechte zu bewegen, mit welcher er so schnell ziehen und so präzise schießen konnte. Willis‘ zerschundenes Gesicht war hingegen bald wieder heil, wie sich ein Jahr später in „Das fünfte Element“ zeigen sollte und in Wirklichkeit war dieser Job sehr einträglich – siehe oben, Gage.

 52/100

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)

(1), kursiv und tabellarisch: Wikipedia

Regie Walter Hill
Drehbuch Walter Hill
Akira Kurosawa
Ryuzo Kikushima
Produktion Arthur M. Sarkissian
Walter Hill
Musik Ry Cooder
Kamera Lloyd Ahern II
Schnitt Freeman Davies
Besetzung

 

 

 

 

 


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