Crimetime 1166 – Titelfoto © Fernsehen der DDR / ARD
Die letzte Fahrt ist ein deutscher Kriminalfilm von Manfred Mosblech aus dem Jahr 1979 Der Fernsehfilm erschien als 62. Folge der Filmreihe Polizeiruf 110.
Um es ohne Umschweife zu schreiben: Ich mag die Polizeirufe, die Manfred Mosblech inszeniert hat, sie zählen zu den interessantesten und emotionalsten Werken der Reihe aus der DDR-Zeit. Dieses Mal hat er sich auf einen Kahn begeben und da sprudeln die Assoziationen, insbesondere zum Binnenschiffer-Subgenre der Abteilung Beziehungsdrama. Dies mit einem Verbrechen zu verknüpfen, liegt nicht so nah, wie man denken sollte, aber vielleicht funktioniert es. Ob das beim 62. Polizeiruf der Fall ist, klären wir in der –> Rezension.
Handlung (1)
Auf verschneiter Straße in dünnbesiedelter Gegend läuft Familie Zimmermann am frühen Morgen ein Mann vor den Wagen. Zunächst vermuten sie, dass er betrunken ist, doch bricht der Mann reglos zusammen. Beide alarmieren Polizei und Krankenwagen. Oberleutnant Jürgen Hübner ist wenig begeistert, bei Kälte und Schnee am frühen Morgen zu einem Einsatz gerufen zu werden. Er lässt sich von Leutnant Woltersdorf warme Kleidung an den Tatort bringen. Der Notarzt stellt fest, dass der Mann, der keine Papiere bei sich hatte, stark betrunken ist. Zunächst scheint kein Ermittlungsfall vorzuliegen. Jürgen Hübner folgt den Schneespuren des Mannes und steht bald darauf vor dem anscheinend verlassenen, im Eis festgefahrenen Motorgüterschiff Hohen Luckow. Musik spielt auf dem Schiff, die Tische zeugen von einem exzessiven Gelage. Auf dem Eis vor dem Schiff liegt eine Leiche.
Der Tote wird als Hubert Göpfert identifiziert, der auf der Straße gefundene Mann als Ernst Klamroth. Beide gehörten zur Schiffsbesatzung. Uwe Wiechert, Schiffsführer der Hohen Luckow, ist hingegen flüchtig. Es stellt sich heraus, dass er seine Frau im Krankenhaus besucht, die gerade einen Sohn auf die Welt gebracht hat. Uwe gesteht seiner Frau, Hubert auf dem Gewissen zu haben. Die Obduktion ergibt, dass Hubert an einem Schlag auf den Kopf gestorben ist, der ein Blutgerinnsel im Hirn verursachte. Das Tatwerkzeug, ein zum Flaschenöffner umfunktionierter Schiffsnagel, findet sich unter Huberts Bett. Ernst Klamroth, der mit 3 Promille ins Krankenhaus eingeliefert wird, hat Huberts Blut an seiner Hand, kann sich jedoch an nichts erinnern. Zwei Frauen waren an Bord: Ernsts Geliebte Waltraud Stoll ist bereits vor dem Festfahren von Bord gegangen. Sie hatte sich mit Ernst gestritten. Als Jürgen Hübner sie vernehmen will, erfährt er, dass sie einen Nervenzusammenbruch hatte und nicht vernommen werden darf. Zudem hatte Hubert die Kellnerin Loni Fielenz an Bord geholt, was zum Streit zwischen Hubert und Ernst führte. Loni hat einen Kratzer an der Hand, den sie bei einer Rangelei erhalten habe. Die Fahndung nach Uwe wird eingeleitet. Die Polizei verhaftet ihn schließlich, als er erneut seine Frau im Krankenhaus aufsucht.
Uwe berichtet von den Vorkommnissen: Er sollte kurz vor Weihnachten einen Eiltransport übernehmen. An Bord holte er nicht nur Hubert, sondern auch Ernst, der seiner Freundin verspricht, dass es die letzte Fahrt ist. Er überredet sie, als Badegast mitzukommen, um das Leben an Bord einmal selbst zu erleben. Beide planen zu heiraten. Die Tour wird schwierig, weil die Fahrtrinne immer wieder zufriert. Als der Kahn im Eis stecken bleibt, gelingt es Ernst, den Kahn durch ruckartiges Manövrieren freizubekommen. Obwohl Hubert unbedingt am Anlegeplatz bei Kellnerin Lonis Kneipe halten will, um einen zu trinken, gibt Uwe die Anweisung, durchzufahren, weil alle Weihnachten zu Hause sein wollen. Kurz vor der Anlegestelle erfährt Uwe, dass er Vater geworden ist. Uwe, Ernst und Waltraut trinken unter Deck auf sein Wohl. Unterdessen stoppt Hubert den Kahn und holt Loni an Bord. Er ist in Loni verliebt, die jedoch schon lange eine Wochenendbeziehung zu Ernst pflegt. Hubert will ihr die Augen öffnen, damit sie sich von Ernst trennt und seine Freundin wird. Es kommt zum Eklat, als beide Frauen in Ernsts Kabine aufeinandertreffen. Waltraut verlässt das Schiff, während Ernst Loni hinauswirft. Anschließend betrinkt er sich mit Hochprozentigem. Wenig später verlässt auch Loni, die aus Huberts Kabine kommt, den Kahn. Zwischen Ernst und Hubert kommt er zu einer Rangelei an Deck, doch ist Ernst zu betrunken für einen Streit. Hubert blutet am Kopf, tut dies jedoch vor Uwe als unwichtig ab. Uwe bringt den Kahn übermüdet zum Laufen. Er schläft am Steuer ein und erwacht erst, als das Schiff festfährt. Ernst kann nicht helfen, weil er volltrunken ist. Hubert geht es nicht gut, doch versucht er mit Uwe zusammen das Schiff freizubekommen. Mit einem Bootshaken will Hubert die Schiffsschraube freikriegen, doch reagiert er nicht auf Uwes Anweisungen. Als Uwe die Dieselmotoren anwirft, wird Hubert über den in der Schraube verklemmten Bootshaken vom Schiff katapultiert und liegt tot auf dem Eis, als Uwe nach ihm sieht. Die Ermittler berichten ihm, dass nicht der Sturz den Tod verursacht hat, sondern das Blutgerinnsel infolge eines Schlages.
Aus Uwes Erzählung schließen die Ermittler, dass die Kopfwunde niemand der Besatzung verursacht hat. Sie befragen Loni, die ihnen berichtet, dass sie nach der Entdeckung von Ernsts Doppelspiel verzweifelt war und von Hubert etwas zu trinken erhalten habe. In der Kabine wurde er zudringlich und versuchte, sie zu vergewaltigen. Daraufhin schlug sie ihn mit dem Schiffsnagel. Er habe danach normal gewirkt und sie sei gegangen. Jürgen Hübner stellt fest, dass die Folgen eines solchen Schlags teilweise erst einige Zeit später sichtbar werden – wie bei Hubert Göpfert.
Rezension
Zunächst finde ich es interessant, dass es mehr als zwei Jahre gedauert hat, bis ich den Film rezensieren konnte. Im März 2019 haben wir „Crimetime“ um die Polizeiruf-110-Reihe erweitert, aber bis August 2021 mussten wir auf die Ausstrahlung von „Die letzte Fahrt“ warten. Das ist ungewöhnlich, aber ich sehe keinen inhaltlichen oder ideologischen Grund dafür, den Film so lange ruhe zu lassen. Er hat ein paar kritische Untertöne, aber ob man die als staatskritisch ansieht, ist eben Ansichtssache, zumindest sind sie nicht stärker ausgeprägt als in Mosblechs übrigen Filmen und auch als in weiteren der Reihe, in denen Regisseure Subtext untergebracht haben. Eines sollten wir bei dem Film allerdings berücksichtigen: Oft haben die Regisseure auch die Drehbücher verfasst, das gilt auch für Manfred Mosblech. Hier aber hat er ein Skript von Gerhard Stube inszeniert. Schon während des Anschauens hatte ich mich über den Stil gewundert, aber darin könnte die Begründung liegen.
„Die letzte Fahrt“ ist nämlich ein Stück „härter“ als die meisten Mosblech-Polizeirufe, die sehr viel Einfühlung in die Figuren zeigen und gerne besondere Themen, sogenannte heiße Eisen, behandeln. Das Binnenschiffer-Milieu hingegen hat eine wunderschöne Tradition und man sieht die „L’Atalante“ von Jean Vigo vorbeiziehen, fährt mit Helmut Käutner unter den Brücken hindurch, wartet darauf, dass der Rotfuchs an der Anlegestelle wartet und darauf, dass Manfred Krugs Filmfreundin das Geschir zerdeppert, weil sie nicht will, dass er weiter umherzieht, sondern dass sein Schiff ein festliegender Restaurant-Dampfer wird. Alle Filme dieser Art haben eines gemeinsam: Frauen bringen Unordnung in die Männerwirtschaft, die bisher prächtig funktioniert hat. In Wirklichkeit sind auf Lastkähnen oft Familien unterwegs, aber nicht im Film, denn da muss die Männerfreundschaft sich bewähren, wenn eine Frau oder, wie in „Die letzte Fahrt“ gleich drei Frauen das Equilibrium stören.
Etwas mehr Personal war notwendig, damit man einen vernünftigen Whodunit konstruieren konnte, und da Horst Weinheimer häufig als Strolch besetzt wurde, glaubt man natürlich, dass er die Amnesie bezüglich des Tathergangs vorspielt. Dem ist aber nicht so, wie sich noch herausstellen wird. Ich habe auch ein wenig darüber gerätselt, ob Mosblech dieser Fall so richtig Spaß gemacht hat. Er ist sehr pittoresk und dieser Regisseur versteht es gut, die Natur in seine Szenarien einzuarbeiten. Dass man eine reale Vereisung der Flüsse, die schon damals eher selten war, einbauen konnte, gibt dem Ganzen natürlich seinen sehr authentischen Touch und sorgt für zusätzliche Spannung. Produktionstechnisch nimmt sich das so aus:
Geplant waren die Dreharbeiten auf einem einzigen Schiff des VEB Binnenreederei Berlin, dem Motorschiff Luckau[3], welcher im Film dann eigentlich während der gesamten Drehzeit durch permanente Abänderung der letzten beiden Buchstaben „Luckow“ heißen sollte. Bedingt durch den schweren Wintereinbruch war es dem Trägerbetrieb jedoch nicht mehr möglich dieses Motorschiff für den Dreh bereit zu stellen. Daher mussten die Dreharbeiten nunmehr auf drei verschiedenen Motorgüterschiffen durchgeführt werden. Da diese aber teilweise längere Schiffsnamen hatten, musste zur Abdeckung der originalen Schiffsnamen (nunmehr mittels austauschbarer Plane) auch der Schiffsname im Film verlängert werden, was dann zum Filmnamen „Hohen Luckow“ führte. Die Verwendung vom drei Motorschiffen führte zu einem erheblichen Mehraufwand bei den Dreharbeiten.[4]
Interessant ist die Figur des Genossen Reederei-Managers, Reeder im eigentlichen Sinne ist er ja nicht. Zunächst gibt er den besonders Beflissenen und macht seine Mannschaft runter, um vor den Staatsorganen nicht als jemand dazustehen, der sozialistisches Eigentum fahrlässig behandelt, aber im Verlauf lobt er die drei Schiffer, welche die Standardbesatzung eines solchen Frachtkahns bilden, immer mehr über den grünen Klee („eine unserer besten Mannschaften“), obwohl sich längst herausgestellt hat, dass Dinge nicht vorschriftsmäßig abgelaufen sind. Das Mitnehmen von Frauen und schon gar nicht das Verlassen des Schiffes, um zu schauen, ob das Kind glücklich zur Welt gekommen ist, können ohne Folgen bleiben. „Von dem, was Sie [bezüglich des Schiffes und der Fracht] angerichtet haben, kann ich Sie nicht freisprechen“, sagt OL Hübner zum Kapitän, „aber am Tod Ihres Kollegen sind Sie nicht schuld“. Das stimmt, das ist er nicht, weder kausal, daher auch nicht bezüglich der gesamten strafrechtlichen Bewertung. Allerdings trifft das auch auf den Herrn Klamroth zu, mit dem es nur eine Prügelei gab, da war jener Kollege Göpfert schon verletzt. Und wodurch? Weil er unbedingt eine Frau haben wollte, die sich nur mit einem zum Dosenöffner umfunktionierten Schiffsnagel zu wehren wusste. Sie trottet zwar am Ende hinter den beiden K-Leuten Hübner und Woltersdorf drein, aber gehandelt hat sie wohl in Notwehr und es handelt sich auch nicht um einen Exzess, denn es war kein anderer Gegenstand greifbar, der geeignet gewesen wäre, den Angreifer zum Ablassen zu bewegen.
Einige Polizeirufe kann man schon bis zu einem gewissen Grad als frauenfeindlich bezeichnen, hier ist es tricky. Die Art, wie Männer und Frauen sich verhalten, wirkt ziemlich roh, wenn man vom Kapitän und seiner Ehefrau absieht, für einen Mosblech-Film eben sehr rudimentär. Das heißt nicht, dass der Plot auch an den Haaren herbeigezogen wirkt. Konflikte wie der, den wir in „Die letzte Fahrt“ sehen, können schon dadurch hochkochen, dass jemand zu gutmütig ist und sein Regiment, seine Führung einiges zulässt, was man angesichts der beteiligten Charaktere nicht tun sollte. Vor allem hätte er die Rivalität zwischen seinen beiden Schiffern, wenn schon nicht die zwischen zwei Frauen, besser im Blick haben dürfen. Allerdings begibt sich eine davon selbstständig an Bord und macht Zoff und wir sehen wieder einmal, einige Kerle kriegen sie alle, andere kriegen nichts und das führt konsequenterweise dazu, dass sie sogar ihr Leben verlieren. Scherz, muss auch mal sein, es gibt natürlich viele Plots, in denen es Drehbuchautoren den Hallodris dieser Welt mal so richtig heimzahlen.
Finale
Eines ist dann doch wieder typisch für die bedachte Art, wie Manfred Mosblech seine Filme wirken ließ: Es gibt keine einfachen Lösungen, keine klare Schuldzuweisung im moralischen Sinn und deshalb am Ende keinen Mord, sondern nur eine Verkettung unglücklicher Umstände, die zum Tod eines Besatzungsmitglieds der „Hohen Luckow“ geführt haben. Das mag vielen Krimisehern nicht sehr befriedigend vorkommen, aber im Grunde ist Mosblech damit sogar konsequent staatserhaltend: Im 62. Polizeiruf kommt kein richtiger Verbrecher vor, sondern es werden lediglich Menschen gezeigt, deren Fehler sich zu einem tragischen Ereignis summieren. Damit folgt er zumindest vordergründig der Losung, dass es in einem sozialistischen Staat keine Kapitalverbrechen mehr geben sollte, zumindest keine absichtlich begangenen Tötungshandlungen. Meist ergeben sich Todesfälle aus Körperverletzungen, als ungewollte schwere Folge, der „Mördertyp“ gemäß § 211 StGB ist äußerst selten anzutreffen, wohl aber häufig der gewerbsmäßige Dieb, und übe er diese Tätigkeit als Mitglied einer Arbeitsbrigade aus, weil er als solches an das Material kommt.
Die Erwähnung des volkswirtschaftlichen Schadens, der durch die festliegende Fracht verursacht wird, findet eher pflichtgemäß statt, zumal die Filmemacher sehr wohl wussten, dass „Just in Time“ in der DDR eher ein Wunschtraum als die wirtschaftliche Realität war, wie man unschwer aus vielen Polizeirufen ersehen kann, die ohne Blatt vorm Mund die Mangelwirtschaft thematisieren.
Doch offenbar hat die „Hohen Luckow“ Kohle geladen, und wenn der Brennstoff in diesem extrem kalten Winter fehlt, dann ist das ein besonders schwieriger Fall von Materialknappheit. Sogar Hübner, der unausgeschlafen im Trenchcoat anrückt, lässt sich wärmere Sachen bringen, weil er mit dem aktuellen Temperatursturz nicht gerechnet hat. Es ist ein ziemlich kalter Film, auch menschlich, zumindest zeitweise. Doch er wird recht gut ausbalanciert durch den jungen Leutnant Woltersdorf und seine moderne, nette, geradezu fürsorgliche Art, ihm scheint das Menschliche nicht fremd zu sein. Schade, dass sie ihn bald wieder entlassen haben. Ein weiterer emotionaler – sic! – Anker ist die aufrichtig wirkende, nicht motivseitig hinterlegte, aber tränenreiche Liebe zwischen dem Kapitän Wiechert und seiner Frau. Für das Milieu und die tolle Winteratmosphäre gibt es einen Extrapunkt, zumal solche weißen, Eisschollen gebärenden Winter immer seltener werden. Wann müssen heute auf deutschen Flüssen noch Eisbrecher eingesetzt werden, damit die Binnenschifffahrt nicht zum Erliegen kommt? Eher wachsen die Sorgen wegen Niedrigwasser. Ansonsten liegt der Film im Mosblech-Mittelfeld.
7,5/10
© 2021 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
(1) und kursiv: Wikipedia
| Regie | Manfred Mosblech |
| Drehbuch | Gerhard Stübe |
| Produktion | Heinz Herrmann |
| Musik | Hartmut Behrsing |
| Kamera | Günter Eisinger |
| Schnitt | Ilona Thiel |
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