Wie es kommt, dass es nie zu einer guten Wohnungspolitik kommt | Housing 10 Wohnreport | #Mietenwahnsinn, Gesellschaft, Wirtschaft, Berlin

Housing 10 Wohnreport | Die ideologische Vorbereitung neoliberaler, klassistischer Wohnungspolitik in Deutschland

 Haben Sie heute ein ein paar Minuten und den Nerv, mit uns eine  Zeitreise zu machen? Gestern haben wir über die aktuellen Mietpreise einen kurzen Artikel geschrieben, heute liefern wir etwas Unterbau nach. Dafür gehen wir ziemlich genau fünf Jahre zurück, in den Sommer 2018. Damals war der neue Wahlberliner erst drei Monate alt und wir hatten noch keine Kontakte zur Mietenbewegung.

Aber das Thema Wohnen interessierte uns bereits und wir sammelten Material für eine größere Darstellung, die wir hier veröffentlicht haben: „Wie der Staat am Immobilienboom kräftig mitverdient“ – Wahlberliner-Baureport Teil 2. Mittlerweile heißen die Artikel zum Thema „Wohnreport“, denn der Gewerbebau interessiert uns weniger, da er kein Element der Daseinsvorsorge für uns alle darstellt, andererseits geht es nicht nur ums Bauen. Wenn wir es so sehen würden, würden wir in die Falle der „Bauen, bauen, bauen“-Lobby treten, die behauptet, bauen, egal was, hilft gegen die Wohnungsnot und der Markt wird es richten. Viele Jahre Fehlbauen sind seit dem Sommer 2018 vergangen.

Dabei war es eine hoffnungsvolle Zeit. Die Regierung Rot-Rot-Grün hatte in Berlin übernommen und die Bausenatorin war die streitbare Katrin Lompscher (Die Linke). Über die Mietenkämpfe in den folgenden beiden Jahren haben wir geschrieben, heute geht es um ein Schlaglicht. Es geht darum, wie die Lobbys und ihre wirtschaftswissenschaftlichen Helfershelfer versuchen, das Allerletzte aus den Mietenden herauszuquetschen und dafür auch die Bundesregierung mit Pamphleten bombardieren, die sich Gutachten nennen. Damals war die Bundesregierung Schwarz-Rot und der Wirtschaftsminister, der im Folgenden erwähnt wird, hieß Peter Altmaier, der bekanntlich immer ein offenes Ohr für die Lobbys der Mächtigen hatte. Nein, nicht zwei offene Ohren. Denn bei ihm ging nicht zum einen Ohr rein und zum anderen raus, was die Lobbys ihm flüsterten, sondern setzte sich gut fest und wurde vielfach Politik. So etwa bei der Energiewende, für deren Einbremsung Altmaier persönlich verantwortlich war.

Beim Bauen wurde zwar das Schlimmste verhindert, die Mietpreisbremse wurde nicht, wie in dem „Gutachten“ empfohlen, zurückgenommen, aber in einem hatten die Ersteller leider Recht: Sie war weitgehend wirkungslos. Daraus konnte man vernünftigerweise nur den Schluss ziehen, sie durch ein stärkeres Instrument zu ersetzen, anstatt sie aufzugeben. Warum eigentlich aufgeben, wenn man sie als wirkungslos ansieht? Dann schadet sie doch der Renditetreiberei nicht. Nun ja, man wollte suggerieren, dass man irgendetwas getan hatte, aber das verstehen die ganz harten Neoliberalen natürlich nicht, weil es ein politisches Placebo ist. Eines, das aber deren Pfründe absichern hilft, unter anderem und vor allem die immer weitere Renditetreiberei, die bis heute anhält.

Was also geschah seitdem? Unter anderem haben die Immobilienlobbyisten und deren Verlängerung im Bundestag, die Abgeordneten der Union und der FDP, es im Verein mit einer fragwürdigen Rechtsprechung des BVerfG geschafft, den Berliner Mietendeckel zu kippen, also jenes Instrument, das tatsächlich eine mietpreisdämpfende Wirkung hätte entfalten können. Im Grunde war alles mit Ansage, denn wo das Geld ist, da wird die Politik gemacht. Das kann man sich  umso leichter vorstellen, wenn man die nachfolgende Quelle liest.

Berater des Wirtschaftsministeriums: Gutachten fordert Stopp des Sozialen Wohnungsbaus (tagesspiegel.de)

Das berüchtigte „Bauen, bauen, bauen“ war schon dem Ersteller des Artikels bekannt. Es wurde zum Symbol für eine verfehlte Baupolitik.

Mittlerweile haben wir eine andere Bundesregierung, aber die hat weder die Zeit, noch den Willen, sich um die Wohnungsnot zu kümmern, die heute noch gravierender ist als im Jahr 2018, weil nach wie vor viel zu wenig sozial gebaut wird und weil die Bevölkerung schneller wächst, als man das immer wieder prognostiziert hat. 2018, das war noch vor der Corona-Krise, vor dem Ukrainekrieg, vor der aktuellen, stark steigenden Zuwanderung im Ganzen. Es war eigentlich ein vergleichsweise ruhiges Jahr. Damals hätte man die Weichen gut stellen können, auch, weil Berlin nicht mehr so stark wuchs wie in den Jahren zuvor. Hingegen wurde aus dem Wohnungswesen der #Mietenwahnsinn herausdestilliert, über den wir vielfach berichtet haben. Jede Maßnahme zugunsten von Mietern wurde zu einer harten Konfrontation, die manchmal, aber nicht überwiegend mit einem Sieg der Mietenden und ihrer politischen Unterstützer:innen endete. Mittlerweile gibt es eine Rechtsprechung die auch die damals nicht so seltene Anwendung des bezirklichen Vorkaufsrechts zur Abwehr von „Investoren“ nicht mehr in bisheriger Form zulässt und daher ein weiteres konkret wirksames Schutzinstrument weitgehend zerstört hat. Es geht immer darum, dem Kapital zum Durchgriff zu verhelfen, und das Mindset, das im obigen Artikel des Berliner Tagesspiegels beschrieben ist, darf man dabei nicht außer Acht lassen. Wir könnten täglich darüber berichten, wie der Lobbyismus das Vertrauen der Menschen in die Demokratie angreift, aber er hat auch Facetten, die nicht auf den ersten Blick sichtbar sind, weil die ideologische Vorbereitung des noch härteren Neoliberalismus nicht direkt von Interessenverbänden oder ruchlosen Politikern an die Öffentlichkeit lanciert wird, sondern eben an die „Adressen“ in der Politik, die man für wichtig hält.

Ein konkreter Anlass , um eine seinerzeit aktuelle Verrknüpfung zur praktischen Umsetzung der neoliberalen Agenda herzustellen:

 Das war zu einer Zeit, als man in Berlin längst die Verscherbelung von mehr als 200.000 Wohnungen in den 2000ern an Private als Fehler erkannt hat und versucht hat, mit verschiedenen Mitteln, auch dem oben beschriebenen, kleinere Korrekturen vorzunehmen. Zu viel höheren Preisen natürlich, als die seinerzeitige Verscherbelung eingebracht hatte. Damit ist längst wieder Schluss, die #Rückschrittskoalition Schwarz-Rot in Berlin wird die Mietenden noch mehr im Stich lassen, als einige, die persönlich betroffen waren von Verdrängung, es seinerzeit schon Rot-Rot-Grün vorgeworfen hatten. Es war auch eine Zeit, als man noch nicht den Eindruck hatte,  man sieht doppelt, wenn man sich die Linke anschaut. Internes Wissen von damals half natürlich dabei, von der heutigen Entwicklung und Schwächung des linken Lagers nicht zu überrascht zu sein, aber in Berlin war das nicht so wichtig, weil es doch wirkte, als ob überwiegend an einem Strang gezogen würde:

Empfehlung zum sozialen Wohnungsbau-Stopp: Haben wir eine Gaga-Regierung?

Man sollte meinen, dass jeder halbwegs vernunftbegabte Mensch angesichts explodierender Mieten und Wohnungsnot den Schluss zieht, dass hier von Seiten der Politik endlich gehandelt werden muss. Ganz entscheidend sollte dabei sein: Mieten begrenzen und sozialen Wohnungsbau ausbauen! Doch die Berater des Wirtschaftsministeriums haben in der zurückliegenden Woche das genaue Gegenteil davon empfohlen: Mietpreisbremse stoppen und sozialen Wohnungsbau zurückfahren!

Leider handelt es sich dabei nur auf den ersten Blick um einen Gaga-Vorschlag. Es ist statt dessen nur besonders deutlich auf den Punkt gebracht, wie die Bundesregierung auch in anderen Bereichen handelt:

  • Wenn Löhne nicht zum Leben reichen, setzt sie weitere Ausnahmen beim Mindestlohn um.
  • Wenn Altersarmut um sich greift, treibt sie die Privatisierung der gesetzlichen Rente voran.
  • Wenn Schulen und Brücken vermodern, beschließt sie eine Schuldenbremse und setzt bei Infrastruktur-Investitionen den Rotstift an.
  • Wenn immer mehr Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden, dann exportiert sie weiter Waffen selbst an die übelsten Regime, was noch mehr Regionen destabilisiert.

Diese Liste ließe sich noch weiter fortsetzen. Sie zeigt, dass die Politik der Bundesregierung sehr überlegt ist: es geht ihr um die Interessen von Superreichen und Konzernen – nicht um die Interessen von uns allen. Und genau deshalb brauchen wir endlich einen politischen Wechsel hin zu einer sozialen und friedlichen Politik. Für Menschen nicht für Profite. Für die Millionen, nicht für Milliardäre!

Was Du tun kannst:

  • Die Beratung des Wirtschaftsministeriums ist ein Offenbarungseid der unsozialen Politik der Großen Koalition. Wer sich solche Berater leistet, der gehört schnellstmöglich abgewählt. Nutze das Thema, um mit Freunden und Bekannten darüber zu sprechen, wie unsozial die Politik der Großen Koalition ist und dass wir einen Wechsel brauchen.
  • Setze meine oben begonnene Liste fort. Überlege Dir, welche Entscheidungen der Großen Koalition in der letzten Zeit für Dich besonders absurd anmuteten. Du kannst dazu zum Beispiel einen Beitrag bei Twitter oder Facebook schreiben und so zur Aufklärung beitragen.

Wir haben auch die Textteile abgebildet, die sich nicht direkt mit dem Wohnen befassen, um zu zeigen, welche Probleme außerdem seit damals nicht gelöst wurden, sondern sich verschärft haben. Wir haben auch die Anleitung mitgepostet, weil wir sie irgendwie niedlich finden, als habe damals gerade das politische Erwachen des Menschen begonnen und es sei angezeigt, bei den ersten Orientierungsversuchen im politischen Raum zu helfen.

Dem ist natürlich nicht so, die Mietenkämpfe in Berlin dauern an seit den späten 1960ern, mal härter ausgefochten, mal war etwas mehr Ruhe. Jetzt bräuchte es dringend wieder Aktivismus; was wir derzeit sehen, sind aber vor allem Debatten unter ohnehin Überzeugten. Corona ist vorbei, man könnte wieder Straße! Nicht warten, bis die nächste Krisensau durch die Stadt getrieben wird, die wieder alle Aufmerksamkeit von den sozialen Problemen abzieht. 

Haben Sie den Stil des Textes erkannt? Von wem könnte er stammen? Richtig, er ist aus einem Newsletter von Sahra Wagenknecht. Heute gibt es diese Aufforderungen darin nicht mehr, vielmehr wird man mit unzähligen Medieneinlassungen von SW konfrontiert, die sich hinter Bezahlschranken verstecken und das Soziale ist gegenüber zweifelhaften Einstellungen zu aktuellen außenpolitischen Themen zwar nicht vollständig zurückgetreten, muss sich diese aber mit ebenjenen neueren Themen teilen. Insofern Inhalte und Vermittlungsweise derselben kongruent.

Die Linke und linke Politik verlieren dadurch an Schlagkraft und in Berlin gab es seitdem zwei Wahlen zum Abgeordnetenhaus, in denen die Linke jeweils verloren hat. Sie ist hier nicht tot, aber nicht mehr in der Regierung und hat nicht die Möglichkeit, sozialere Wohnungspolitik umzusetzen. Aus der Opposition heraus schimpfen ist in diesen Zeiten aber zu wenig, gerade in diesen Zeiten. In Zeiten, in denen es auch an Großaktionen der Mietenbewegung mangelt.

Wem man das vorwerfen kann, ist Ansichtssache, aber eines ist Fakt: Das letzte große Ding, „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, wurde von der Politik über Jahre immer wieder ausgebremst und nach dem positiven Volksentscheid kümmert sich ebenjene Politik einen feuchten Kehricht um die Mehrheitsmeinung der Berliner:innen. Auch aus dieser Richtung der drohenden Enteignung von Großwohnkonzernen kann also derzeit keinerlei Druck aufgebaut werden.

In Berlin ist die Situation auf dem Wohnungsmarkt immer noch das größte politische Ding, aber es geht natürlich unter im Sturm weltweiter oder regionaler Krisen und Kriege. Ein Schelm, wer bei der ewigen Prolongierung dieser Krisen und Kriege und der Entfachung immer neuer Brandherde folgende Frage stellt: Wem nützt dies alles? Den Rechten, den Nationalisten natürlich, überall auf der Welt. Und wem sind diese nützlich? Dem Kapital, das die Menschen niemals über die Grenzen hinweg, also wirkungsvoll, einig darin sehen möchte, die Interessen des Kapitals auf legitime Weise gegen jene der Bevölkerung aufzuwiegen und dabei wenigstens einen Mittelweg zu finden, wenn man sich schon an linke Politik nicht herantraut, zu der auch eine Umsetzung von „DWenteignen“ gehören würde. 

Wir sind weiter weg als viele Jahre zuvor, was die sozialen Belange angeht, insbesondere die Daseinsvorsorge im Wohnungsbereich, viel weiter weg von einer progressiven Politik, als zu der Zeit, in welcher wir das oben zur Anschau gestellte Material gesammelt haben. Dies trotz einer Ampelregierung, die etwas mehr für die Menschen tun wollte als die Merkel-Regierung zuvor. Aber kann eine Regierung, in der die FDP zugange ist, das tun? Oder eine durchgeschüttelte SPD oder Grüne, die gleichermaßen chaotische Wirtschaftspolitik wie fragwürdige Außenpolitik machen? Wir meinen, das wird nicht der Fall sein. Was wir in zwei Jahren kriegen werden, ist nach aller Wahrscheinlichkeit ein rechtskonservativer Rollback. Wird es dann besser werden? Nein, wird es natürlich nicht. Im Gegenteil. Unter diesen Umständen bekommt Merkels böser Kampfbegriff „Alternativlosigkeit“ seine wahre Bedeutung. Es scheint keine Alternative zu diesem Desaster zu geben, vor dem tatsächliche Experten dringendst warnen: Dem weiteren Auftrieb der Wohnungsmieten, der immer mehr Haushalte an die Grenze des Machbaren führt und darüber hinaus.

Es wird allerhöchstens, damit nicht millionenfache Wohnungslosigkeit entsteht, zu erhöhter Subjektförderung kommen. Das bedeutet nichts anderes, als dass immer mehr Haushalte Mietzuschüsse vom Staat erhalten werden. Das bedeute im Weiteren nichts anderes, als dass der Staat die Raffgier der privaten Vermietenden bedient, mit Steuergeldern. Das könnte man ganz, ganz anders haben, wenn man es politisch nur wollte. Warum die Politik zu schwach und zu sehr der Seite der Gierigen zugeneigt ist, geht unter anderem aus dem verlinkten Tagesspiegel-Artikel hervor, deshalb gehört er zu unserer Sammlung wichtiger Grundlagen für die Beurteilung der deutschen Wohnungspolitik, die zu den schlechtesten in ganz Europa zählt.

TH


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