Bayernwahl 2023: Der Wahl-O-Mat und wir | #ltwby2023 #Bayernwahl2023 | Briefing Special Bayernwahl 1 | PPP | SPD, Grüne, CSU, Freie Wähler, AfD, Die Linke, Die Partei

Briefing Special Bayernwahl 2023 1: Unser Wahl-O-Mat

Am 8. Oktober 2023 finden in Bayern Landtagswahlen statt. Das ist für sich schon interessant, aber gesteigert wurde die bundesweite Aufmerksamkeit durch den Fall eines antisemitischen Flugblatts, das der Chef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, als Schüler mit sich führte. Durch diese Angelegenheit kam es sogar zu einer Verschiebung in den Umfrageergebnissen. Wir platzieren schnell ein paar Fakten und kommen dann zu unserem Wahl-O-Mat-Ergebnis.

  • Bayern ist nach Fläche das mit Abstand größte Bundesland (70.000 km², knapp 20 Prozent der Fläche Deutschlands), auf Rang 2 folgt Niedersachsen (47.000 km²) vor Baden-Württemberg und NRW (beide ca. 35.000 km²).
  • Bayern hat die zweithöchste Einwohnerzahl aller Bundesländer (12.400.000) nach NRW (18.100.000) und vor Baden-Württemberg (11.200.000). Die Einwohnerzahl Bayerns ist die am schnellsten wachsende aller Flächenstaaten, nur die Einwohnerzahl der Stadtstaaten Berlin und Hamburg ist in den letzten Jahren prozentual schneller gewachsen.
  • Bezüglich der Wirtschaftskraft liegt Bayern auf Rang 2 aller Bundesländer (714 Milliarden Euro im Jahr 2022) hinter NRW (793 Milliarden Euro).
  • Die Wirtschaftskraft pro Einwohner (BIP pro Kopf) ist die dritthöchste in Deutschland (54.000 Euro im Jahr 2022) nach Hamburg (76.000 Euro) und Bremen (56.000 Euro), sie ist die höchste in allen Flächenländern vor Baden-Württemberg (51.000 Euro).
  • Sinnvoll ist der Vergleich mit den anderen Flächenstaaten, dort liegt Bayern seit einiger Zeit auf Platz 1 und hat das traditionell führende Baden-Württemberg überholt. Das Gesamt-BIP des Freistaats ist schon beinahe so hoch wie das von NRW, obwohl Nordrhein-Westfalen immer noch fast ein Drittel mehr Einwohner hat.

Alleine die obigen Kenndaten machen klar, wie wichtig die Bayernwahlen für Deutschland sind. Politisch sind alle Wahlen wichtig, aber der Trend in Bayern betrifft nun einmal mehr Menschen als zum Beispiel im Saarland und hat daher stärkere Auswirkungen auf die politische Landschaft in der gesamten BRD, außerdem ist Bayern das einzige Bundesland mit einer abweichenden Parteienlandschaft: Die CDU gibt es dort nicht, sondern nur ihre Schwesterpartei CSU, die wiederum in keinem anderen Bundesland wählbar ist. Mit dieser Aufstellung ist die Union lange Zeit sehr gut gefahren, doch absolute Mehrheiten sind mittlerweile nicht mehr möglich. Bayern war eines der letzten Bundesländer, in denen eine einzelne Partei noch alleine regieren konnte, weil es eine strukturelle konservative Mehrheit gibt, die sich bis zum Auftreten der AfD und der Freien Wähler der CSU zu Mehrheiten von bis zu 65 Prozent verholfen haben.

Aber wie würden wir in Bayern wählen? Traditionell starten wir unsere Berichterstattung zu einer Landtagswahl mit dieser Frage und haben dazu den Wahl-O-Mat zu Hilfe genommen. Dabei  kam es zu einer Überraschung. Noch nie stand diese Partei bisher bei uns ganz vorne:

Immer war vor allem die Linke bei uns stärker, meist auch die Grünen. Eine der drei Parteien würden wir auch wählen, wenn wir in Bayern abstimmen dürften. Vermutlich wäre es sogar die SPD, weil die Linke keine Chance auf Einzug in den Landtag hat und uns die SPD im Moment auch bezüglich der Bundespolitik nähersteht als die Grünen. Wir könnten uns auch vorstellen, „Die Partei“ zu wählen, obwohl auch sie in Bayern kaum die 5-Prozent-Hürde überspringen dürfte. Sie ist für uns aber eine Art Protestträger-Partei, mit deren Wahl man eine Absage an die traditionelle Politik, mit der man Skepsis gegenüber ebenjener traditionellen Politik ausdrücken kann, ohne nach rechts zu driften.

Letzteres tun andere zur Genüge. Nach aktuellen Umfragen können sowohl die AfD als auch die Freien Wähler mit zweistelligen Ergebnissen rechnen. Dies belegt die Aussage, dass die strukturelle rechte Mehrheit in Bayern weiterhin besteht, sich nun aber drei Parteien dieses größte Stück des Gesamt-Wählerkuchens teilen müssen. Den Freien Wählern hat die Causa Aiwanger geholfen, sie legen in Umfragen um bis zu fünf Prozent zu, seit die Süddeutsche Zeitung aus München die Flugblattangelegenheit publik machte. Die Logik liegt auf der Hand: Wer antisemitisch hetzt oder antisemitische Hetzschriften verbreitet, darf sich eines gesteigerten Wählerzuspruchs erfreuen. Das werden sich andere Rechte genau angeschaut haben und die bewussten Tabubrüche werden weiter zunehmen.

Dass die SPD bei uns vorne liegt, obwohl bei anderen Wahl-O-Maten oft zwischen dieser Partei und dem Spitzenergebnis bis zu 15 Prozent Unterschied lagen, hat aber einen Grund, der durchaus logisch erscheint: In Bayern ist die SPD schon relativ weit links angesiedelt, wirklich linke Themen wie in Berlin die Enteignungsdiskussion oder wenigstens einen Mietendeckel gibt es hingegen gemäß Wahl-O-Mat kaum, bei denen sich Parteien wie Die Linke besser profilieren und von der SPD absetzen könnten. Die Sozialwohnungsquote ist hingegen eher ein NTH, ein Nice-to-Have, denn jeder, der sich mit dem Thema befasst, weiß, dass eine neue Gemeinnützigkeit mit dauerhafter Preisbindung eingeführt werden müsste, damit solche Quoten langfristig günstiges Wohnen mit sich bringen. Zwar ist die Kaufkraft in Bayern höher als in Berlin, aber die Mieten sind besonders in München ebenfalls (immer noch) höher und fressen diesen Vorteil des höheren verfügbaren Einkommens vor regelmäßigen Ausgaben auf. 

Hier großflächtige Änderungen vorzunehmen, würde den Menschen wirklich  helfen, und zwar, ohne dass es die Inflation weiter antreibt und ohne eine Subjektförderng, die letztlich in den Taschen der Reichen landet. Ansonsten sind wir uns mit der SPD  und den Grünen in allen Punkten einig, in denen es wenigstens kleine finanzielle Verbesserungen für die Menschen geben soll, ebenso sind die gesellschaftspolitischen Fragestellungen kein Spaltpilz gewesen.

Trotz des eher mittigen Gesamtlayouts aller Themen hat die SPD teilweise Umfrageergebnisse, die befürchten lassen, sie könnte erstmals aus einem Landesparlament fliegen. Das wird wohl 2023 noch nicht passieren, aber es ist ein Zeichen dafür, wie stark sich die politische Landschaft eben doch in den letzten Jahren verändert hat.  

Ein paar Eckpunkte unseres Abstimmungsverhaltens im Wahl-O-Mat möchten wir erläutern. Wie immer war es bei Landtagswahlen nicht möglich, dass wir auf Zustimmungswerte von mehr als 85 Prozent kommen. Das liegt unter anderem daran, dass wir uns in bestimmten Fragen neutral verhalten. Dieses Mal war die Neutralität aber nicht dem Motto „wir kennen uns mit diesem Regionalthema  nicht aus und haben keine Zeit, uns konsequent einzuarbeiten“ geschuldet, sondern tatsächlich einer neutralen Haltung trotz einer Idee, was gemeint sein könnte, denn die bayerischen Themen sind alle recht einfach in politische Grundhaltungen zu überführen, auch wenn sie regional eine besondere Rolle im Wahlkampf spielen. Wir haben zum Beispiel, sogar mit doppelter Gewichtung, dafür gestimmt, dass alle bayerischen Staatsstraßen, die neu gebaut werden, mit Radwegen versehen werden sollen. In solchen Fragen kann man auch urteilen, wenn man nicht in dem Bundesland wohnt, in dem bald gewählt werden wird.

Wir haben uns mit den doppelten Gewichtungen aber zurückgehalten und nur ein paar Themen herausgegriffen, die wir mit „grün“, also mit Zustimmung markiert haben, keine Ablehnungen (rot) und logischerweise auch keine neutralen Punkte (schwarz), denn neutral bedeutet in der Regel  auch, dass das Thema für uns keine hohe Priorität bei uns genießt. Falls wir von etwas gar keine Ahnung haben, aber es uns erscheint, als ob es sich hier um etwas Wichtiges handeln könnte, informieren wir uns auch mal im Wege der Wahl-O-Mat-Abstimmung, wie vor einiger Zeit in Bremen, sodass wir zur Vertiefung der Außenweser mit etwas Kenntnis abstimmen konnten. Und dann spielte das Brötchenticket die wichtigere Rolle, von dem wir nie zuvor etwas gehört hatten und das auch im Wahl-O-Mat nicht verortet war. An unseren Präferenzen hätte eine diesbezügliche Frage in diesem Abstimmungsmodul aber nicht viel geändert.

Höher gewichtet haben wir dieses Mal folgende Themen:

  • Präferenz der Förderung ökologischer Landwirtschaft,
  • ein Mindestanteil an Sozialwohnungen bei Neubauten im Mietwohnungsbau; wer uns schon länger liest, weiß, wie sichtig uns das Wohnungsthema ist und wenn es möglich gewesen wäre, hätten wir es fünffach gewichtet, unabhängig davon, dass wir die Forderung nicht als ausreichend erachten, siehe oben,
  • die Radwege an Staatsstraßen,
  • die gute Erreichbarkeit aller Ortschaften im Land per ÖPNV. Das war uns auch wichtiger als das 29-Euro-Ticket. Umfassende Anbindung für alle ist in diesem sehr flächigen Land nicht zum Null- oder Kleintarif zu haben, viele Busse werden nicht voll besetzt sein, wenn sie durch dünn besiedelte Gegenden fahren, sind aber trotzdem wichtig. Bei Wahlen in einem Stadtstaat hätten wir das 29-Euro-Ticket sicher auch akzentuiert.

Hier nun unser Abstimmungsverhalten im Detail.

Wir sind froh für die Möglichkeit, uns neutral stellen zu dürfen, sonst hätten wir uns beispielsweise in der Migrationsfrage für oder gegen konsequente Abschiebungen entscheiden müssen. Das wäre uns zu pauschal gewesen, es kommt nach unserer Ansicht auf den Einzelfall an. Bei Mehrfachstraftätern / dem Vorliegen schwerer Straftaten würden wir eine konsequente Abschiebung bejahen, ohne einen solchen Grund in der Regel ablehnen. Allerdings müssen wir uns jetzt im Verlauf korrigieren: Wir dachten, mindestens die Grünen weichen etwas von unserer Haltung ab, sie würden lieber die Gefängnisse füllen als Straftäter rückzuführen, das stimmt aber nicht, sowohl sie als auch die SPD stellen sich in der Frage neutral. Überhaupt sind Grüne und SPD quasi über alle 38 Fragen hinweg deckungsgleich. Ein paar Abstriche von 100 könnte es z. B. dadurch gegeben haben, dass wir uns bezüglich des Einsatzes des Freistaats für Waffenhilfe an die Ukraine neutral gestellt haben, SPD und Grüne aber vom Wahl-O-Mat-Team als demgegenüber positiv eingestellt angesehen werden.

Für uns ist das keine Ländersache und auch keine Sache des Außenministeriums, sondern Kanzler-Angelegenheit und bei Olaf Scholz auch in vernünftigen Händen und bei einem Kopf angesiedelt, der zwar auf anderen Gebieten nicht progressiv und aktiv genug wirkt, diese langweilige Zurückhaltung ist aber bei diesem eminent wichtigen und sensiblen Thema ein Vorteil. Dieses Verhalten des Kanzlers hat sogar unsere Haltung zur SPD im Ganzen positiv beeinflusst, obwohl wir die vielen anderen, auch von der SPD zu verantwortenden Mängel der Ampelkoalition in Berlin und Fragwürdiges bei Scholz selbst sehr wohl auf dem Schirm haben. Es sind aber die Zeiten, in denen wir leben, in denen sich Prioritäten verschoben haben. Leider. Wir würden uns gerne mehr auf Zukunftsthemen konzentrieren und das auch von der Politik fordern.

Die „besonderen Zeiten, in denen wir leben“ spielen aber bei der Bayernwahl erkennbar eine geringe Rolle, zumindest, wenn man dem Wahl-O-Mat glaubt, sie äußern sich auf direkte Weise nur in der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine. Unter diesem Radar der offiziellen 38 Fragen wird selbstverständlich auch die große Politik eine Rolle spielen, wenn die Menschen am 8. Oktober zu den Wahlurnen gehen oder vorher schon per Brief wählen. Es wird Wählende geben, die zum Beispiel   anders abstimmen werden, als sie es nach der Beantwortung der 38 Fragen tun müssten, wenn sie ihr persönliches Ergebnis zum hauptsächlichen Maßstab ihres Abstimmungsverhaltens erhoben hätten. Es gibt außerdem genug Themen, die auf allen politischen Ebenen diskutiert werden, davon finden sich einige im Wahl-O-Mat.

TH


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