Jeder Fünfte war schon einmal auf der Wies’n +++ Exorbitante Preisentwicklung +++ Hendl oder Dirndl? | Briefing 307 | Wirtschaft, Gesellschaft #Wiesn #Oktoberfest

Briefing 307 | Wirtschaft, Gesellschaft, Volksfeste, Münchener Oktoberfest 

Haben Sie auch den Eindruck, dass derzeit viel von Bayern die Rede ist? Zu Recht, denn Bayern ist ein wichtiges Bundesland, außerdem hat es einen Ministerpräsidenten, der sich zu fast allem meldet, was nicht rechtzeitig auf die Bäume kommt. Derzeit steht es eben deshalb im Fokus: Wegen der Politik. Wegen der Freien Wähler, wegen der CDU und ihrer Haltung , zum Beispiel erst vor wenigen Tagen auch bei uns:  https://derwahlberliner.com/2023/09/15/bayernwahl-2023-der-wahl-o-mat-und-wir-ltwby2023-bayernwahl2023-briefing-special-bayernwahl. Wir könnten in den nächsten Wochen auch ein Bayern-Special ansetzen, denn es gibt ja noch mehr.

Landtagswahlen sind nur alle fünf Jahre, aber das Oktoberfest ist wieder jedes Jahr. Wieder? Ja, denn während Corona war es zwei Mal abgesagt worden, 2020 und 2021.

Bevor wir zu den Statistiken des Tages kommen, ein paar Fakten.

  • Gegründet wurde das Münchener Oktoberfest, die Wies’n, 1810.
  • Im Zeitraum 1811 bis 2021 wurde das Oktoberfest 26 Mal abgesagt, zumeist wegen Kriegen, zweimal aber auch wegen der Cholera.[19]
  • Die Wies’n ist das weltweit größte Volksfest; im Jahr 2018 erwirtschaftete es einen Umsatz von 1,2 Milliarden Euro inklusive Übernachtungen.
  • 1910 feierte die Wiesn ihren 100. Geburtstag und es wurden 12.000 HektoliterBier ausgeschenkt. In der Bräurosl, dem damals größten Bierzelt, fanden bereits 12.000 Gäste Platz. Heutigentags ist die Hofbräu-Festhalle mit 10.000 Plätzen das größte Bierzelt auf der Wiesn.
  • Am Abend des 26. September 1980 explodierte am Haupteingang des Festgeländes (Öffentliche Bedürfnisanstalt am Bavariaring) eine Bombe. 13 Menschen starben, über 200 wurden verletzt, 68 davon schwer. Das Attentat gilt als einer der schwersten Terroranschlägeder deutschen Geschichte. 
  • Seit einigen Jahren gibt es einen Trend zur Tracht: viele Wiesnbesucher kommen in LederhosenDirndl. Darauf werden wir im Rahmen der beiden Grafiken noch einmal kommen, die wir zeigen.

Infografik: Jede:r Fünfte war schon auf der Wiesn | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz Creative Commons — Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International — CC BY-ND 4.0 erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Jedes Jahr besuchen zwischen fünf und sieben Millionen Menschen das Oktoberfest, im Volksmund Wiesn genannt, das dieses Jahr vom 16. September bis zum 3. Oktober auf der Theresienwiese in München stattfindet. Wie eine Umfrage von Statista und YouGov zeigt, war jede:r fünfte Befragte schon mal auf dem Oktoberfest.

Der Hamburger Dom, flächenmäßig mit 20 Hektar deutlich kleiner aber dank seiner Ausrichtung drei Mal jährlich insgesamt mit deutlich mehr Besucher:innen pro Jahr, liegt mit 14 Prozent auf dem zweiten Platz. Der Hamburger Hafengeburtstag landet mit zehn Prozent auf dem vierten Rang. Auch Stuttgart ist mit dem Wasen (11 Prozent) und dem Kleinen Wasen (7 Prozent) zwei Mal in der Top 8 vertreten.

Laut einer Studie des Interessenverbands Deutscher Schaustellerbund e.V. aus dem Jahr 2018 gab es in Deutschland zum Erhebungszeitpunkt fast 10.000 Volksfeste unterschiedlicher Größenordnungen, auf denen Besucher:innen laut Hochrechnungen geschätzte fünf Milliarden Euro ausgaben. Neben dem Oktoberfest waren vor Beginn der Pandemie der Freimarkt in Bremen, die Größte Kirmes am Rhein in Düsseldorf und die Cranger Kirmes in Herne die meistbesuchten Volksfeste der Bundesrepublik.

Kirmes heißen die Volksfeste dort, wo wir herstammen, ebenfalls. Und es gab sie wirklich in fast jedem Dorf, in unserer Kinderzeit. Aber da konnte man für das, was heute auf dem Münchener Oktoberfest eine Maß Bier kostet, einen ganzen Tag genießen, inklusive Besuch einiger Fahrgeschäfte. Hier sind die aktuellen Bierpreise für das Oktoberfest 2023:

Der Bierpreis für das Oktoberfest 2023 beträgt je nach Zelt zwischen 12,60 Euro und 14,90 Euro1. Hier sind die Bierpreise einiger großer Zelte im Detail:

  • Armbrustschützen-Festzelt: 14,40 Euro (2022: 13,50 Euro)
  • Augustiner-Festhalle: 13,50 Euro (2022: 12,80 Euro)
  • Bräurosl: 14,30 Euro (2022: 13,40 Euro)
  • Fischer-Vroni: 13,70 Euro (2022: 12,90 Euro)
  • Hacker-Festzelt: 14,40 Euro (2022: 13,40 Euro)
  • Hofbräuhaus-Festzelt: 14,50 Euro (2022: 13,60 Euro)
  • Käfer Wiesn-Schänke: 14,50 Euro (2022: 13,70 Euro)
  • Löwenbräu-Festzelt: 14,50 Euro (2022: 13,60 Euro)
  • Marstall: 14,50 Euro (2022: 13,70 Euro)
  • Ochsenbraterei: 14,50 Euro (2022: 13,50 Euro)
  • Paulaner-Festzelt: 14,50 Euro (2022: 13,50 Euro)
  • Schottenhamel-Festhalle: 14,50 Euro (2022: 13,60 Euro)
  • Schützen-Festzelt: 14,50 Euro (2022: 13,70 Euro)
  • Weinzelt (Weißbier): 17,40 Euro (2022: 16,80 Euro)

Bitte beachten Sie, dass der Bierpreis nicht von der Landeshauptstadt München festgelegt wird, sondern von den Gastronomen1.

Wir erinnern uns noch gut daran, wie heiß diskutiert wurde, ob die Maß über 10 Euro gehen darf. Alle Hemmungen wurden pulverisiert im Inflationsrausch der letzten Jahre und natürlich in der Tatsache, dass das Oktoberfest eine riesige Touristenattraktion ist, bei deren Gästen es auf den einen oder anderen Euro mehr nicht ankommt. Wie man sieht, sind die Preise ziemlich einheitlich und der Vergleich mit 2022 zeigt, wie auch das Oktoberfest an der allgemeinen Teuerung teilnimmt – ziemlich genau in dem Maß … pardon, Maße, wie die allgemeine Inflation zuletzt gelegen hat, zwischen 6 und 7 Prozent.

Hier sehen Sie die Preisentwicklung des wichtigsten Oktoberfest-Indikators ab 1971: Entwicklung des Bierpreises auf dem Oktoberfest in München bis 2023 | Statista. Niemals gab es also einen Rückgang, immer nur Anstiege. Wir wollten der Sache mal etwas auf den Grund gehen, weil wir der Information von ChatGPT nicht getraut haben, dass der Bierpreis von 1971 bis 2023 (+ 187 Prozent) stärker gestiegen sein soll als die allgemeine Inflation (laut Berechnung von ChatGPT). Es würde mit dieser Zahl nämlich nicht stimmen, woran man wieder sieht, wie subjektiv vieles wahrgenommen wird: 1.000 Euro, natürlich auf DM umgerechnet, die man im Jahr 1971 zur Verfügung hatte, waren Ende 2022 nur noch 256 Euro wert. Inflationsrechner – Inflation und Kaufkraft berechnen (finanzen-rechner.net).

Der Preisanstieg auf der Wiesn ist also geradezu niedlich im Vergleich mit der allgemeinen Inflation? Nein, ist er nicht. Während die Kaufkraft im Allgemeinen sich geviertelt hat, auf einen Euro gerechnet, sind die Preise nämlich gemäß obiger Statista-Langfristbalkengrafik um das 10-fache gestiegen (2,95 DM = ca. 1,50 Euro im Jahr 1971 in der Spitze auf 14,90 Euro im Jahr 2023). Anders ausgedrückt. Die Wies’n-Maß ist heute real doppelt so teuer wie 1971 und hat sich mit der Zeit immer mehr von den allgemeinen Preisen in der Gastronomie entfernt. Kein Wunder, dass ein Standplatz auf dem Oktoberfest als eine Goldgrube gilt, um die sogar Mord und Totschlag stattgefunden haben – zumindest in Tatorten aus München.

Was wir noch am Rande mitnehmen: Vorsicht, wenn es darum geht, der KI Berechnungen anzuvertrauen. Inspirieren lassen ist gut, selbst nachprüfen im Moment noch absolut notwendig. Es stimmt, die Bierpreise auf der Wies’n haben erheblich über der allgemeinen Teuerung angezogen, aber eben nicht mit +187 Prozent, sondern um fast 1.000 Prozent.

Was aber ist der Kern des Oktoberfests für die Besucher, die sich die Maß Bier bzw. mehrere leisten können und wollen und vielleicht ein fesches Dirndl für die Dame? Nicht, wenn man der Überschrift dieser weiteren Statista-Grafik glaubt:

Infografik: Was sind die beliebtesten Aktivitäten auf dem Oktoberfest? | Statista

Lizenzierung wie oben.

Im Jahr 2022 fand das Oktoberfest zum ersten Mal nach zweijähriger Corona-Pause wieder auf der Theresienwiese in München statt. Von den insgesamt 5,7 Millionen Besucher:innen wurden während des zweiwöchigen Volksfests etwa 5,6 Millionen Maß Bier konsumiert, was einem deutlichen Rückgang des Pro-Kopf-Bierkonsums im Vergleich zu 2019 entspricht. Nicht-alkoholische bayerische Spezialitäten zu probieren steht bei den Deutschen bei einem Oktoberfestbesuch dagegen hoch im Kurs.

Laut einer gemeinsamen Umfrage von Statista und YouGov würden 27 Prozent der Befragten bei einem Wiesnbesuch auf jeden Fall bayerische Kulinarik wie Weißwurst, Brezen und Kartoffelsalat probieren wollen, 40 Prozent würden selbiges eher tun. Auch der Festzeltbesuch stünde bei 55 Prozent der Umfrageteilnehmer:innen eher oder definitiv auf dem Programm. Immerhin 46 Prozent könnten sich vorstellen, eine Maß zu trinken, während das Fahren mit Fahrgeschäften, ein elementarer Bestandteil der meisten Volksfeste, noch von 42 Prozent in Betracht gezogen wird. Das Tragen traditionaller Tracht wie eines Dirndls ist hingegen für einen Großteil der Befragten kein Thema. 19 Prozent würden darüber nachdenken und nur 12 Prozent definitiv entsprechende Kleidung beim Besuch der Wiesn tragen. (…)

Tja, was stimmt nun, die Wikipedia-Angaben zur Tracht oder das, was in der Grafik steht? Beides ist möglich bzw. schließt einander nicht aus. Vielleicht waren vor 10 Jahren bloß 7 oder 8 Prozent trachtenaffin, beispielsweise. Oder man verfolgt unterschiedliche Ziele und die Veranstalter würden selbstverständlich gerne mehr Menschen in schicker Tracht sehen. Ob Krachlederne schick sind, ist wohl Ansichtssache, aber schöne Dirndlkleider sind Hingucker und Folklore und bewertungsmäßig nicht mit Alltagsklamotten zu vergleichen. Der Trachtenjanker der Männer hingegen ist in Bayern auch im Alltag noch immer eine Option zur Anzugsjacke oder Weste. Es ist wie bei den meisten Sachen, an gutaussehenden Menschen sieht alles irgendwie gut aus. Aber weiter oben wird es doch etwas kurios: Angeblich wollen mehr Menschen in ein Festzelt gehen, als dort eine Maß Bier zu trinken. Also gucken, anstatt das tun, wozu die Festzelte gedacht sind? Und im Sinne des zuvor Geschriebenen finden wir, dass Tracht tragen weniger aufträgt als kalorienreiche, fleischlastige „Bayerische Spezialitäten“, denn das ist es, was die höchsten Prozentzahlen erreicht: Der Verzehr von ebensolchen Spezialitäten.

Wir gehören zu den 80 Prozent der Befragten bzw. würden zu ihnen gehören, wenn wir befragt worden wären, die noch nie auf dem Oktoberfest waren. Dabei wäre das doch eine schöne Gelegenheit, sich mit Freunden zu treffen, die im Freitstaat leben. Es gibt ja noch ein Jahr 2024 und ein paar weitere Jahre. Hoffentlich.

TH

 

 

 

 

 

 

 

 

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