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Briefing Special 5 Bayernwahl, Hessenwahl 2023 | Vorläufiges Endergebnis für Bayern

10.10.2023, Update 4: Nachdem wir gestern abschließend die Bayernwahl besprochen haben, ist heute die Hessenwahl an der Reihe und damit schließen wir unsere Wahlberichterstattung endgültig. Das vorläufige amtliche Endergebnis finden Sie eingebettet in die Umfrage, die wir wiederum in einen Kommentar einbetten und die Civey heute gestellt hat:

Begleittext aus dem Civey-Newsletter von heute:

Vorgestern fanden in Bayern und Hessen Landtagswahlen statt. Dem vorläufigen Ergebnis des Statistikamtes zufolge ging in Hessen die CDU mit 34,6 Prozent als Wahlsieger hervor. Auf Platz zwei und drei liegen AfD (18,4 %) und SPD (15,1 %). Die Grünen landeten mit 14,8 Prozent auf dem vierten Platz, gefolgt von der FDP (5 %) und den Freien Wählern (3,5 %). Die Wahlen gelten laut Spiegel auch bundespolitisch als Stimmungstest.

FDP-Vize Wolfgang Kubicki bezeichnete das Ergebnis in der Funke Mediengruppe als „desaströs” und klares Signal an die Ampel, endlich im Sinne des Volkes zu handeln. Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) verteidigte seine Partei und versicherte der Zeit zufolge: „Wir sind besser als unser Ruf.” Bundesinnenministerin Faeser, die als SPD-Spitzenkandidatin angetreten war, wird laut dpa teils für das historisch schlechte Ergebnis der SPD verantwortlich gemacht, einige fordern sogar ihren Rücktritt. SPD-Co-Chef Lars Klingbeil lobte in der ARD indes ihre „großen Erfolge” in der Migrationspolitik und versicherte ihr den Rückhalt der SPD. 

CDU-Chef Friedrich Merz sprach auf der Plattform X von einem „sensationellen Ergebnis” und zeigte sich zuversichtlich, dass seine Partei das „Ampel-Chaos” spätestens bei der nächsten Bundestagswahl 2025 beenden wird. Zufrieden zeigte sich auch die AfD. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann, kommentierte die starken Wahlergebnisse seiner Partei in der ARD mit den Worten: „Der Wind ändert sich in Deutschland, der geht von links nach rechts.” Die CDU bezeichnete er dabei als „Fähnchen im Wind”.

Wie tendieren die Menschen bei dieser Abstimmung im Moment? Fast 50 Prozent sind der Meinung, dass dieses Ergebnis der AfD am meisten nützt, darunter auch wir, weitere 40 Prozent sehen die CDU als größte Profiteurin der Hessenwahl. Logischer geht’s ja eigentlich auch nicht: Die Wahlgewinner profitieren, die Verlierer nicht.

Die ohnehin schwierige Ampelkoalition hat nur noch wenig Zukunft, das sehen wir auch so. Obwohl sie FDP in so vielen Punkten immer wieder gegen bessere Sozialpolitik durchsetzt, zuletzt bei der Kindergrundsicherung, fühlt sie sich unterrpräsentiert mit ihren Themen und fährt so schlechte Ergebnisse ein, dass sie wohl künftig ein noch unangenehmerer Koalitionspartner sein wird. Schon bei vergangenen Wahlen war auch zu sehen, dass FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai so tut, als sei die FDP gar nicht Teil der Bundesregierung. Die FDP-Politik, die in der Bundesregierung immer wieder für Spannungen sorgt, zahlt sich in der Tat nicht aus, da hat Kubicki recht. Aber dass die Grünen einfach sagen „Wir sind besser als unser Ruf“? Es gab Zeiten, da hielten wir Cem Özdemir für einen Hoffnungsträger und für insgesamt recht gut aufgestellt. Da wählten wir die Grünen aber auch noch. Mittlerweile sind wir davon ein gutes Stück abgerückt, der Landwirtschaftsminister ist Teil einer underperformenden Grünen-Ministerriege in der Bundesregierung und fällt bloß weniger auf als Habeck und Baerbock, die extrem im Fokus stehen, seit diese Regierung ihre Arbeit aufgenommen hat. 

Wirkliche Sorgen machen wir uns um die SPD. Ob man jetzt Nancy Faeser opfern muss, nur, weil sie in  Hessen keine Chance hatte, auch als Person nicht? Da hätte die SPD früher jemand anderen finden müssen, der sich diese vorhersehbare Schlappe antut, aber die SPD ist für eine Partei dieser Größenordnung mittlerweile erschreckend schwach besetzt. Es gibt, wenn man von Kevin Kühnert absieht, in der Generation 30-40 kaum jemanden, der überhaupt von sich reden macht, und nur jemand in dem Alter kann in Hessen den Neuaufbau der SPD glaubwürdig verkörpern. Faser war u. E. hingegen eine Notlösung, das merkten die Wähler:innen und vermerkten es übel. Nein, Kanzler Scholz ist nicht der schlechteste Kanzler aller Zeiten, weil die SPD derzeit so schlecht aussieht. Die Grünen und die FDP haben insgesamt mehr Anteile an den Problemen der Ampelkoalition und Scholz führt. Allerdings: Er moderiert mehr, als nach außen aufzutreten, und da schadet der Wahrnehmung seiner Partei. Vielleicht muss man es in diesen Krisenzeiten doch anders machen, markiger. 

Um der schlechteste Kanzler zu sein, hatte er aber noch gar keine Zeit. Zwei Jahre  unter den heutigen Umständen sind zu wenig, um das schon beurteilen zu können, zumal er von einem Team umgeben ist, das es ihm so schwer macht. Einfluss hat er nur auf die Besetzung der SPD-Ministerium, aber trotz der allgemein als gelungen geltenden Neubesetzung des Postens des Verteidigungsministers mit Boris Pistorius (kaum noch jemand erinnert sich an den Namen seiner Vorgängerin) profitiert die SPD nicht, sondern die stabil indolenten Grünwähler:innen sorgen dafür, dass die Grünen in Umfragen wohl bald vor der SPD liegen werden, obwohl sie so viel zur erschreckend schwachen Regierungs-Halbzeitbilanz beigetragen haben und weiter beitragen werden. Wirtschafts- und Außenministerium von anderen Personen führen zu lassen, als es derzeit der Fall ist, wäre viel dringender, als Nancy Faeser abzulösen, nur, weil sie einen kleinen Skandal zu verantworten hat oder im Wesentlichen deswegen. Es ist hingegen richtig, dass sie sich nicht dazu verführen lässt, die Innenpolitik ruckartig auf AfD-Linie zu bringen. Dafür darf die SPD niemals stehen und viele fanden den jetzigen Asylkompromiss auf EU-Ebene, wo sich die FDP wiederum gegen die Grünen durchsetzen musste, schon einschränkend genug im Sinne der Humanität. Wer rechts will, muss rechts wählen, die SPD darf nicht ihre letzten sozialdemokratischen Grundsätze fallen lassen, im heillosen Durcheinander dieser Tage. 

Was die SPD allerdings nicht tun sollte: Wie Saskia Esken es gerade getan hat, behaupten, in Wirklichkeit ginge es gar nicht um Migration, sondern dahinter verberge sich ominöses Anderes. Das ist Unsinn, wie wir ihn von ihr schon länger nicht mehr gehört haben und kann die SPD bei den nächsten Wahlen weitere Stimmen kosten. Die Kommunkation von Scholz ist eh für die aktuellen Verhältnisse zu dezent, aber dazu dürfen sich nicht Fehler wie diese Aussage gesellen, wenn die SPD noch eine Chance auf baldige Erholung haben will.

Und natürlich nützt der Wahlsieg der Union in Hessen auch der Union auf Bundesebene? Ein ein paar Monaten wird niemand mehr danach fragen, wie er  zustandekam. Nämlich unter anderem damit, dass Hessen-Miinisterpräsident Boris Rhein sich von Bundes-CDU-Chef Friedrich Merz mehrfach diestanziert hat. Vor allem aber, das sehen wir wie 50 Prozent der Abstimmenden, nützt das Ergebnis der AfD. In einem westdeutschen Bundesland auf Platz 2 einzulaufen, ist ein Booster auch für den Osten. Es ist doch ganz einfach: Es wird immer mehr salonfähig, die AfD zu wählen und es wird uns Wessis immer schwerer fallen, die Ossis zu blamen, weil sie AfD wählen, wenn es in hochdemokratischen westlichen Bundesländern auch schon fast jede:r fünfte tut. Dieses „Das macht man nicht!“ gilt natürlich für uns persönlich, aber die Normalisierung der AfD halten wir damit ganz sicher nicht auf. 

Außerdem dürfte es immer schwieriger werden, sie verbieten zu lassen, wenn ihre Erfolge anhalten. Eine Partei zu verbieten, die bundesweit mit mehr als 20 Prozent der Stimmen ausgestattet wäre, wäre jetzt Bundestagswahl, auf gerichtlichem Weg auzuschalten, das gab es in Deutschland noch nie und wir haben bereits mehrfach beschrieben, dass alles, was nun kommen wird, auf jeden Fall die Demokratie beschädigen wird. Weitere Erfolge ebenso wie das Verbot einer Partei, die auf diesem Niveau angekommen ist. 

Wir sind sehr gespannt auf die nächsten Umfragen zur Sonntagsfrage Bund. Was wird sich nach den beiden Wahlen verschieben? Ganz sicher wird nicht plötzlich ein Boom für die Ampelparteien einsetzen, weil die Menschen sich Sorgen  machen, dass die Demokratie ohne deren Stärkung kippen könnte. So ist die Stimmung im Moment nicht, so ticken viele da draußen im Land nicht. Und die Zeit wird jetzt schon knapp, das Blatt bis zu den nächsten tatsächlichen Wahlen 2025 zu wenden. 

Noch wichtiger als das oben angesprochen Thema (Im-) Migration war den Menschen aber das Thema Wirtschaft, sowohl in Bayern als auch in Hessen, obwohl dort die Wirtschaft noch vergleichsweise gut läuft. Dummerweise geht alles bei diesem Thema ebenfalls zu Lasten der Ampel, denn Deutschland ist aktuell das einzige westliche Industrieland, das 2023 wohl einen Rückgang der Wirtschaftsleistung zu erwarten hat, und da sind, besonders in der EU, ja auch Staaten dabei, bei denen es jahrelang ebenfalls nicht gut lief. Das hat sehr wohl mit der Politik der Bundesregierung zu tun. Allerdings nicht nur der aktuellen, wie wir vielfach dargestellt haben. Gerade auf dem Gebiet ist das Blaming der Ampel auch ein bisschen ungerecht, weil die Ursachen für die Wachstumsschwäche viel früher gesetzt wurden. Aber diese Ursachen und aktuelle Fehler wirken eben so zusammen, dass das Land eine ausnehmend schlechte Performance zeigt.  Die zugrundeliegenden Problem kann man nicht von heute auf morgen lösen, deswegen sind wir auch skeptisch für den Erfolg der Ampel in zwei Jahren. Scholz persönlich ist mehr Wirtschaftsfachmann, als Angela Merkel es war, trotzdem dilettiert die Ampel mit Stückwerk vor sich hin, anstatt dass Scholz, still und ruhig, wie es seine Art ist, direkt nach dem Regierungswechsel angefangen hätte, strategische Wirtschaftspolitik zu betreiben. Und aus dem Grund, nicht wegen ihrer Haltung zur Ukraine im Generellen oder ihrer Absage an eine ultrarechte Migrationspolitik, hat sie es im Grunde auch verdient, abgewählt zu werden.

Es wird danach nicht besser werden für die Mehrheit der Menschen im Land und vor allem die finanziell Schwächeren werden weiter marginalisiert werden, noch offener und mit noch primitiveren Parolen als derzeit. Wir sehen zu und empfangen die Strafe dafür, dass wir nicht dafür sorgen konnten, dass es eine Ablösung von Links wird geben können. Was nicht bedeutet, dass wir uns persönlich für verantwortlich halten, wir tun unseren Teil seit Jahren, um links zu stärken.  Ach ja, links. 0,5 Prozent der Abstimmenden finden tatsächlich, die Hessenwahl hätte der Linken genützt, die sich fast halbiert hat und aus dem Landtag geflogen ist. Das müssen ja schöne Spaßvögel gewesen sein.

TH

09.10.2023, Update 3: Die CSU in Bayern konnte ihr Ergebnis von 2018 gestern beinahe behaupten. Bei einer überraschend leicht höheren Wahlbeteiligung (+1 Prozent) gegenüber 2018. Am Mittag war eine wesentlich niedrigere Wahlbeteiligung prognostiziert worden, obwohl bekannt war, dass viel mehr Menschen als vor fünf Jahren per Brief abgestimmt haben. So ganz verstehen wir diesen massiven Trend zur aufwendigen Briefwahl nicht, für uns ist das Pilgern zum Wahllokal immer noch eine Art Hochamt der demokratischen Betätigung. Mag aber sein, dass die Betrachtung des Aufwands sich auf dem Land anders darstellt. Auf dem Land, das ist dort, wo in Bayern die Freien Wähler und die AfD besonders stark wurden. (Quelle: Statista)

Die Stimmenanteile von CSU und SPD lagen bei den letzten beiden Landtagswahlen in Bayern deutlich unter den Werten der Vorjahre. Das zeigt die Statista-Grafik auf Basis von Daten der Landeswahlleitungen. Gleichwohl bleibt die CSU laut vorläufigem Ergebnis der gestrigen Wahl mit 37,0 Prozent klar stärkste Kraft. Die Sozialdemokraten erzielten hingegen mit 8,4 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis bei Landtagswahlen in Bayern seit 1946.

Die Freien Wähler schnitten dagegen mit 15,8 Prozent der Gesamtstimmenanteile gestern historisch stark ab. Gleiches gilt für die AfD, die im Vergleich zur 2018er-Wahl mehr als vier Prozentpunkte hinzugewonnen hat. Sie zog 2018 zum ersten Mal in den bayerischen Landtag ein.

Die FDP ist gestern mit drei Prozent an der 5-Prozent-Hürde gescheitert – seit 2003 zum dritten Mal. Die Linkspartei konnte 5-Prozent-Hürde sogar noch nie überwinden. Von 1946 bis 1970 musste eine Partei in wenigstens einem Wahlkreis mindestens zehn Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen, um in den Landtag einziehen zu können. Erst seit 1974 gilt eine landesweite Fünf-Prozent-Sperrklausel. Scheitert eine Partei daran, erhalten auch siegreiche Stimmkreiskandidaten kein Mandat. Dieses fällt an den Bewerber mit der nächsthöchsten Stimmzahl.

Was für die SPD oben geschrieben wird und was auch für die CSU gilt: Fast bei jeder Wahl der vergangen 20 Jahre konnte man schreiben „schlechtestes Ergebnis seit 1946“. Bei der CSU gibt es allerdings eine  historische Ausnahme: Im Jahr 1950 kam sie nur auf 27 Prozent und lag damit sogar knapp  hinter der SPD. Der Grund lässt sich aus den Säulengrafiken ablesen: Die Bayernpartei war gegründet worden und schon einmal lief die CSU Gefahr, eingequetscht zu werden. Heute spielt die Bayernpartei keine Rolle mehr,  aber im Jahr 1950 waren 18 Prozent der Wähler:innen der Ansicht, Bayern solle sich von Deutschland unabhängig machen und drückten das in ihrem Votum für die damaligen Blauen aus. Dies, obwohl Bayern 1950 noch ein relativ armes Bundesland war und wirtschaftlich eindeutig vom Anschluss an die junge Bundesrepublik mit ihren damaligen Kraftzentren im Westen und Südwesten profitierte. Außerdem kam der Bund der Heimatvertriebenen, der bei diesen Wahlen erstmals als Partei antrat, auf über 12 Prozent. Als politische Partei gab es den Vertriebenenbund nur bis 1961.

Zurück zur Wirtschaft. Es dauerte fast 40 Jahre lang, bis Bayern zum Geberland wurde, erstmals war das 1989 der Fall, verstärkt natürlich nach der Wiedervereinigung, weil sich die Gewichtung zulasten der Westländer verschoben hatte. Mittlerweile hat der Länderfinanzausgleich fragwürdige Ausmaße angenommen, Bayern wurde im Jahr 2022 mit 10 Milliarden Euro belastet, schultert damit mehr als die Hälfte des gesamten Ausgleichs und hat im historischen Verlauf auch Baden-Württemberg als einst größtes Geberland überholt. (Quelle) An dritter Stelle steht übrigens Hessen, wo gestern auch gewählt wurde,  Wie Baden-Württemberg war Hessen immer auf der Geberseite (bis auf einige „Null-Jahre“ in der Frühzeit der BRD).

In jener  Frühzeit war NRW das Land gewesen, das am meisten eingezahlt hatte. Lang, lang ist’s her.

Ein weiterer hochinteressanter Fall ist das Nachbarland Hessens, Rheinland-Pfalz. Es zählte immer zu den Nehmerländern, weil es auch einige strukturschache bzw. recht wenige sehr strukturstarke Gebiete hat. Plötzlich und aktuell aber sehen wir einen Wechsel auf die Geberseite. Ist SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer nach vielen Jahren ohne Besonderheiten sozusagen über den wirtschaftlichen Stein der Weisen gestolpert? Das könnte man nur sagen, wenn sie die Förderung von Biotechnik persönlich initiiert hätte. Trotzdem hätte sie damit eher einen Glücksgriff getan, weil man die Pandemie nicht vorhersehen konnte. Der Boom ist nämlich einem einzigen Unternehmen zu verdanken: Dem Corona-Impfstoffhersteller BionTech, ansässig in Mainz, dessen Umsätze und Gewinne 2021 einen steilen Auftrieb genommen hatten.

Da ist die bayerische Wirtschaft schon etwas breiter aufgestellt. Viele, viele Jahre strikter Amigoismus, auch zulasten anderer Bundesländer, war notwendig, um diese Aufstellung zu erreichen, und der Trend geht weiter.

Ein Beispiel, das die beiden Länder betrifft, in denen gestern gewählt wurde, ist die IAA, die nach dem Zweiten Weltkrieg von Berlin nach Frankfurt kam, 70 Jahre lang dort stattfand, aber 2021 nach München umzog. Solche großen Ausstellungen und Messen sind ein Wirtschaftsfaktor und haben außerdem aufgrund ihrer Beachtung in der Öffentlichkeit und der internationalen Fachwelt Signalwirkung.

Das größte Nehmerland ist, seit es am Finanzausgleich teilnimmt (seit 1995), Berlin, aber mit stagnierender Tendenz, der Zuschuss liegt aktuell bei weniger als 1.000 Euro pro Jahr und Einwohner:in. Derweil hat Sachsen in den letzten Jahren derart aufgeholt, dass es bald das Land sein könnte, das die meisten Ausgleichszahlungen erhält. Wir glauben ja, dass die Bayern ihr (nicht) sau(r)er (als anderswo) verdientes Geld auch lieber dorthin transferieren, sozusagen von Freitstaat zu Freistaat, von Nachbar zu Nachbar, als in die chaotische Hauptstadt, während sonstwo im Westen viele denken (könnten, falls sie in einem Geberland wohnen): „Wir werden zur Ader gelassen für diese ******-Ossis, die ******-Nazis wählen“. Spaß beiseite, zumal die AfD gestern auch im Westen in bedenkliche Höhen geklettert ist: Fast jede:r fünfte Wähler:in in Hessen hat dieser Partei ihre Stimme gegeben, und in Bayern gibt es rechts von der Partei, die Franz-Josef Strauß 1987 in Sachen rechte Politik für unüberholbar erklärt hatte, 30 Prozent Wähler:innenzuspruch.

Die Entwicklung der Ausgleichszahlungen in den letzten  Jahren ist leider ein Beleg dafür, dass der Osten bei der wirtschaftlichen Aufholjagd nicht mehr vorankommt, und das ist eine von vielen bedenklichen Entwicklungen, welche die deutsche Wirtschaft aktuell zeigt.

TH

22:05 / 00:10, 01:03 am 09.10. Gerade kommt noch einmal eine Hochrechnung für Bayern, für Hessen gibt es gegen 1 Uhr morgens noch ein Ergebnis, nur zwei Wahlkreise sind noch nicht ausgezählt:

  • In Bayern verliert die CSU 0,5 Prozent auf 36,7, die FW gewinnen 4,1, die AfD 5,5 Prozent hinzu. Auf ohnehin hohem Niveau wird der rechte Block damit noch einmal um ca. 9 Prozent stärker  und hat eine Zweidrittelmehrheit. Wie einstmals die CSU? Nein, das ist nicht das Gleiche, denn auch zu Strauß‘ Zeiten war die CSU nicht so weit rechts wie die AfD. FJS sagte damals, rechts von der CSU ist kein Platz in Bayern. Der Platz ist aber nicht dadurch entstanden, dass die CSU wesentlich nach links gerückt wäre, sondern dadurch, dass das rechtsextreme Wählerpotenzial seit Strauß‘ Zeiten gestiegen ist. 
  • Die FW haben im Verlaufe des Abends in Bayern noch erheblich  zugelegt und  laufen derzeit mit 15,7 Prozent hauchdünn vor der AfD ein (15,6 Prozent). Die Grünen liegen bei 14,1 Prozent.
  • In Hessen wird die AfD von Hochrechnung zu Hochrechnung stärker und liegt nun als klar zweitstärkste Kraft bei 18,4 Prozent. Das ist das beste Ergebnis, das sie je in einem westdeutschen Bundesland erzielt hat.
  • Nancy Faeser als prominentester SPD-Politikerin, die in Hessen zur Wahl stand, ist es nicht gelungen, ihren eigenen Wahlkreis zu erobern. Nicht nur das: Die SPD hat in Hessen keinen einzigen Wahlkreis mehr gewinnen können.
  • Hubert Aiwanger in Landshut und ein weiterer FW-Kandidat haben erstmals für die Freien Wähler in Bayern Direktmandate geholt. 
  • In Hessen gewinnt die rechte Seite 13 Prozent hinzu (CDU +7,6, AfD +5,5), in etwa gleichem Maße verlieren die Ampel-Parteien.  

Treten wir ein paar Schritte zurück. Treten wir noch ein paar Schritte zurück. Schauen wir uns die Vergangenheit aus der Distanz an. Es war fast zu allen Zeiten üblich, dass die Partei, die gerade im Bund regierte, früher war es ja meist nur eine größere mit einem FDP-Zünglein an der Waage als Koalitionspartner, dann auch mit den Grünen, von den Wählern abgewatscht wurde bei Landtagswahlen, um es in der Sprache eines der beiden undesländer zu schreiben, in denen heute gewählt wurde. Insofern nichts Neues, könnte man denken. Trotzdem sind die Dimensionen bemerkenswert, und vor allem: Der Rechtstrend war noch nie so stark in Deutschland, seit es nach dem Zweiten Weltkrieg eine Demokratie werden durfte. Und das gilt heute, wohlgemerkt, für  Westdeutschland. Wenn dieser Trend anhält, kann die AfD im Osten tatsächlich Werte über 30 Prozent erreichen. Natürlich kann man ohne eine Partei regieren, die 30 Prozent erreicht, aber wie schwierig das werden wird, weil die Unvereinbaren dann zusammenarbeiten müssen, ist schon absehbar. 

In Bayern und Hessen hingegen wurden die bisherigen Regierungen bestätigt, teilweise sogar eindrucksvoll, wenn man den CDU-Erfolg in Hessen als Maßstab nimmt. Kann der Rechtstrend wirklich nur auf der Migrationsfrage beruhen? Nehmen wir an, das Thema würde radikal im Sinne der AfD abgeräumt. Käme dann nicht ein nächstes auf die Revisions-Tagesordnung, wie die Unterstützung der Bundesregierung für die Ukraine und / oder die wirtschaftlichen Probleme inklusive der Nachhaltigkeit gegen den Klimawandel? Wenn die Rechten erst einmal die Bundespolitik komplett vor sich hertreiben, wird es kein Halten mehr geben, so unsere Befürchtung. Fast jeder Standard kann gesenkt werden. Bis auch die Regierung nicht mehr verfassungsmäßig handelt oder das Verfassungsrecht so ausgelegt werden muss, dass es gerade noch passt. Und die anderen stehen  noch weiter rechts. Deutschland wäre nicht das erste demokratische Land, das diesen Weg geht. Aber gerade in Deutschland darf das aus naheliegenden Gründen nicht passieren. Wie es sich verhindern lässt? Die Bundesregierung hat nur die Wahl, selbst nach rechts zu gehen oderden Rechten das Feld zu überlassen. Wir möchten nicht in der Haut von Kanzler Scholz stecken, der außerdem noch die furchtbaren SPD-Ergebnisse der gestrigen Wahl mitverantworten muss. 

21:15 Jetzt haben wir uns die Berliner Runde angeschaut. Ganz klar, die Grünen werden ihr aufnahmefreundliches Konzept in Sachen Migration nicht aufrechterhalten können, wenn nicht  auch soziale Tatbestände endlich verbessert werden. Und die SPD? Auch wenn SPD-General Kevin Kühnert sich sehr geschickt, wie immer, rhetorisch über die Kernfragen stellt., Kanzler Scholz muss die Richtlinien vorgeben, von uns aus gerne leise, wie in der Ukraine-Politik, wo wir seine affirmativ-vorsichtige Linie unterstützen. Dieses Thema hat heute überhaupt keine Rolle gespielt, es ist aber nicht nur bundespolitisch relevant, denn  wenn es um die Bewältigung der Immigration in den Kommunen geht, gilt: Die mit großem Abstand stärksten Zugänge nach Deutschland kommen seit dem Frühjahr 2022 aus der Ukraine, Immigrant:innen von dort müssen nach wie vor keine Asylanträge stellen, 1,1 Millionen Menschen, deren menschenwürdige Unterbringung und Versorgung eine herausragende logistische Leistung darstellt, die wir in diesem Land aufgrund von Versäumnissen der Vergangenheit kaum noch erbringen können.

Denn, siehe dazu auch weiter unten, die Merkel-Regierung hat über Jahre wichtige Daseinsvorsorgemodule wie die Gesundheitsversorgung, die Bildung, die Wohungspolitik schleifen lassen und gegen die Mehrheit gehandelt, auch gegen die Mehrheit der Migrant:innen, die die Kanzlerin 2015 willkommen hieß. Insofern hat Tobias  Bank, der Generalsekretär der Linken, recht, dass man die Migrationsfrage nicht einfach durch Restriktion beantworten kann, bei der Humanität nur noch ein Lippenbekenntnis ist, dessen Hohlheit auf uns selbst zurückfallen wird, vor allem auf diejenigen, die jetzt so ängstlich sind und sich schwach fühlen. Das Land wäre durchaus in der Lage, mehr für alle zu tun, wenn der neoliberale Durchmarsch der letzten Jahrzehnte, der alle Lasten den ohnehin Strapzierten aufbürdet, endlich begrenzt würde. Das hätte der Linke-Politiker klarer hervorheben dürfen, hatte aber auch, gemäß der geringen Bedeutung seiner Partei in Relation zu derjenigen der anderen, die in der Runde vertreten waren, wenig Redezeit. Und wer hat dafür gesorgt, dass links trotz vielfacher linkes Handeln geradezu zwingend erforderlich machender Politikthemen keine Bedeutung hat? Wieder ein Thema, das wir hier nicht vertiefen können.

Kevin Kühnert und der FDP-General Bijan Djir-Sarai tragen Deutschland-Israel-Stickeram Revers,  Friedrich Merz und Carsten Linnemann waren am Pariser Platz auf der Israel-Soli-Demo. Am Abend zuvor wurde in Neukölln der Angriff von Hamas und Hisbollah auf Israel gefeiert. Natürlich muss eine Demokratie unterschiedliche Meinungen aushalten, natürlich hat Israel unzweifelhaft Anteile an der niemals zur Ruhe kommenden Situation im Nahen Osten und wir sind erstaunt, dass die ARD es gewagt hat, im an die Berliner Runde und die Tagesschau anschließenden Israel-Brennpunkt den bekannten Historiker Moshe Zimmermann zu Wort kommen zu lassen, der dem expansiven Siedlungs-Zionismus allgemein und dem konkreten, seiner ansicht nach falschen Vorgehen der rechtsextremen israelischen Regierung bei der Landessicherung eine Mitschuld an der aktuellen Situation, besonders der Tatsache, dass die israelische Armee so überrascht war, gibt. Auch dieses Thema ist also kompliziert, wenn man es aus gebotener neutraler Distanz betrachtet.

Dennoch: Hier geht es um Terror gegen Unschuldige und Terror-Unterstützung und es geht, da müssen wir leider jenen, die den Einfluss radikaler Hetzer auch in migrantischen Milieus zustimmen, darum, dass es in Deutschland Menschen gibt, die hierherkamen, um auf die verfassungsmäßige demokratische Ordnung, deutlich geschrieben, zu scheißen, inklusive hemmungslosem Antisemitismus, und die in vieler Hinsicht dem Terror  oder dessen Befürwortung nahestehen. Das ist vermutlich kein Massenphänomen, aber ein zuweilen sichtbares und ein gefährliches, wenn es zu antisemitischer Gewalt kommt.

Wir warnen seit Längerem vor allem in gesellschaftspolitischen Zusammenhängen vor einer retardierten, undemokratischen, grundgestzwidrigen Haltung, die nicht nur bei den Rechtsextremen vorhanden ist. Wenn man in Berlin lebt, muss man dieses Problem auch sehen, wenn man die Augen einigermaßen offen hat. Wie soll man dieses Problem aber in den Griff bekommen, nach vieljähriger Indolenz?  Es gibt keine einfachen Lösungen, so viel steht fest, und populistischer Quatsch, der zu neuen Enttäuschungen und Frust über die Handlungsfähigkeit der Demokratie führen wird, sollte sich gerade bei diesem Thema verbieten. Die Versuchung ist jedoch groß, es zu instrumentalisieren, und die Angst der Ampel-Regierung, wenn sie dem Druck von rechts nicht nachgibt, noch mehr an Zuspruch zu verlieren, ebenfalls, zumal sie noch viele andere Baustellen hat. Wir werden hier sicher keine Ideen aus einem Wahlabend-Kommentar heraus generieren, denn wir wollen ja selbst immer auf dem Boden der Verfassung, der Grund- und Menschenrechte stehen und dabei ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Humanität, Machbarkeit, Sicherheit und Demokratie bewahren. Dieses Quadrat oder diese politische Matrix in der Balance und funktionabel zu halten, ist in einer so unruhigen Welt eine Aufgabe, der sich Demokrat:innen jeden Tag neu stellen müssen.

Eines kann sich die Union jedenfalls abschminken: Dass sie für den Rechtsdrall keine Verantwortung hat und ihn der Ampel zuschieben will, die ihn jetzt in der Tat ausbaden muss, wenn man sich die Wahlergebnisse anschaut. Die Menschen vergessen zu schnell. Zum Beispiel, dass Angela Merkel, als sie sagte „Wir schaffen das“, vergessen hatte, die Infrastruktur des Landes so zu stärken und Extremismus so deutlich anzugehen, dass es wirklich langfristig funktionieren kann. Im Gegenteil, vieles wurde kaputtgespart und die täglichen, unabwendbaren Aufgaben wurden an viele hilfsbereite Menschen in der Zivilgesellschaft delegiert, die alles waren, aber keine Analyseprofis in Sachen politische Einstellung mit zugehöriger professioneller Abstinenz. Wenn es diese Menschen nicht gegeben hätte, wäre aber Frau Merkel mit ihrem Spruch, verbunden mit dem für uns unvergesslichen „Ich selbst würde keine Geflüchteten aufnehmen, dafür gibt es andere Stellen“  (sinngemäß wiedergegeben) krachend gescheitert. Im Grunde kann man noch viel weiter zurückgehen, wenn man die heutigen Fehlstellungen ursachenseitig erforschen will.

Was wir jetzt bekommen, ist, dass die Rechten die Versäumnisse der Bürgerlichen bei der Zukunftsausrichtung des Landes ausnutzen. Leider ist an diesem Abend noch kein Journalist, keine Journalistin bis zu diesem Punkt vorgedrungen. Die Linke, deren Aufgabe es wäre, Humanismus mit sozialem Kontext herauszustellen, ist zu paralyisiert, um mit Kraft auf diese zentral wichtige Ebene zu verweisen, wenn es darum geht, wie die Probleme von heute entstanden sind. Es ist alles mal wieder nur auf den hektischen Moment ausgerichtet, was wir sehen und lesen, nicht auf die für die Zukunft wichtige Analyse der Ursachen 

Uns wundert nicht, dass ein verwegener Kommentator in der Taz vorgeschlagen hat, die Landtagswahlen alle zusammen an einem einzigen Tag stattfinden zu lassen, am besten zusammen mit der Bundestagswahl, damit nicht ständig irgendwo  im Land Wahlkampfgetöse mit populitischer Grundstimmung anstelle von besonnenem, lösungsorientiertem Handeln vorherrscht.  In Berlin war das übrigens 2021 so, die Wahl zum Abgeordnetenhaus fand am selben Tag statt wie die Bundestagswahl und zeigte doch stadtspezifische, deutliche Abweichungen.

Es gab eine Grafik, die wir zumindest besprechen müssen: Es geht um die wirtschaftlichen Erwartungen der Menschen.  Die größten Sorgen machen sich AfD-Wähler:innen, es gibt also sehr wohl eine soziale Komponente in diesen Wahlergebnissen – die geringsten Sorgen bestehen auf Seiten der Grün-Wähler:innen. Ganz klar, die jungen staatslästernden Typ:innen von einst haben sich vielfach in besonders sicheren Positionen festgesetzt, die sie  mit linksliberalem Wording ausgestattet haben, von wo sie die den Lauf der Dinge aus einer etwas abgehobenen Position heraus betrachten. Von dieser Position aus wirken die Sorgen der Bevölkerungsmehrheit klein und vernachlässigbar. Wir kritisieren diese ignorante, in dem Teil von Berlin, in dem wir wohnen, besonders verbreitete Haltung schon lange, dafür musste nicht erst die AfD so stark werden wie jetzt. Andererseits ist die ökonomische Angst bei den AfD-Wähler:innen wirklich sehr stark überproportional ausgeprägt, bei keiner anderen Partei zeigt die Anhängerschaft auch nur annährend so massiv einen wirtschaftlichen Pessimismus, so viel Existenzangst. Da ist auch etwas Hysterisches drin, ohne Frage. Eine grundsätzliche Wahrnehmungsstörung würden wir es dennoch nicht nennen wollen, dafür haben wir über Mängel in der Wirtschaftspolitik zu oft berichtet, die das Land in Krisen schlechter aussehen lassen als vergleichbare Staaten.

Was aber immer fehlt, ist der progressive, zupackende Ansatz, es geht nur um Abschottung und Einigelung. So werden wir die Zukunft sicher nicht gewinnen.

Für uns ist dies dennoch schwierig zu kommentieren: Wir warnten lange vor den jetzigen Krisen davor, dass in Deutschland die Weichen für die Zukunft nicht in gebotenem Tempo gestellt werden, und zwar gleichzeitig auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit und auf dem Gebiet der industriellen Absicherung gegen unfaire Konkurrenz und Diversifizierung. Der eine Aspekt ist klar grün und zielt in Richtung Klimawandel, der andere ist gegen den Neoliberalismus gerichtet und damit insofern nicht grün, als die Grünen keine wirtschaftspolitisch linke, soziale Ausrichtung mehr haben, sondern in weiten Teilen neoliberal geworden sind. Anhand der Hessen-Grünen haben wir das in unserem Wahl-O-Mat-Hessen-Artikel aufgezeigt, weil wir erstaunt über die auffällig geringe Übereinstimmung unserer Positionen mit jenen der Grünen waren.

Kein Wunder, dass sich auch CDU-Anhänger:innen am liebsten eine Fortsetzung der gegenwärtigen Koalition Schwarz-Grün wünschen. Die Grünen tragen dort nicht besonders auf oder stören durch soziale Ansätze. Da darf als Ministerpräsident Boris Rhein gerne weiter „sanft modernisieren“ im Sinne der weiteren sanften, nicht im söderschen Sinne populistischen, sondern  unauffälligen Wegbereitung klassistischer,  neoliberaler Tatsachen. Da kann  auchdie FDP gerne aus dem Landtag fliegen, sie wird für ihre eigenen Positionen nicht gebraucht, weil diese gemeinsam von der CDU und den Grünen gehalten werden.

Die Hochrechnungen verändern sich schon gegen 19 Uhr nicht mehr viel. In Hessen wird die AfD zweitstärkste Partei werden, in Bayern auf Rang 3 knapp hinter den Grünen einlaufen. Die CSU konnte sich behaupten, die CDU in Hessen deutlich, fast 8 Prozent, hinzugewinnen. Die Ampelparteien verlieren durchweg, teilweise dramatisch, die FDP wird aus dem bayerischen Landtag fliegen und steht in Hessen auf der Kippe, die SPD fährt historische Niederlagen ein, die Grünen verlieren auf hohem Niveau jeweils ein paar Prozent, die Linke in Hessen geht aufgrund des Wagenknecht-Desasters endgültig in die Knie, derRechtstrend bestätigt sich. 

Die Hochrechnungen haben also die Prognosen fast exakt bestätigt, bisher jedenfalls. Sehr bemerkenswert die Quasi-Rede von CDU-General Linnemann im ZDF, der gar nicht groß auf den Hessen-Wahlkampf eingeht, sondern nur über das Migrationsthema spricht und der Ampelregierung Zusammenarbeit in dem Sinne anbietet, dass hier die Zahlen gesenkt werden sollen. Was wir wissen, ist, dass in Berlin die Zahl der Zugänge von Monat zu Monat steigt, und dass mittlerweile doch vermehrt auf Sammelunterkünfte zurückgegriffen werden muss, dass teilweise neue Unterkünfte erstellt werden müssen, weil der Wohnungsmarkt komplett dicht ist. Das sah, als die ersten Geflüchteten aus der Ukraine ankamen, im Frühjahr 2022, noch anders aus. Dies korreliert damit, dass gemäß Darstellungen im ZDF die Stimmung, ob das Land die Migration bewältigen kann, packt, sich gedreht hat. 

In Bayern wird die SPD wohl das niedrigste Ergebnis in einem Flächenland einfahren, das sie jemals hatte.  

In Hessen ist Die Linke nicht mehr im Landtag vertreten.

Die CDU und die CSU haben in beiden Bundesländern viele Stimmen von den Grünen und der SPD bekommen, hingegen an die AfD bzw. an die AfD und die Freien Wähler verloren. Sind die Unionsparteien dadurch mittiger geworden? Natürlich nicht, sondern die Einstellung vieler Wähler:innen passt im Moment besser zur CDU, hingegen wurde der rechte Rand gestärkt, weil vielen die Union noch nicht rechts genug ist, obwohl sie auf Bundesebene deutliche Akzente nach rechts gesetzt hat, vor allem durch Friedrich Merz selbst, aber auch durch  Generalsekretär Carsten Linnemann.

In Hessen ist der Drops wohl gelutscht: Die AfD wird zweitstärkste Partei werden, erstmals in einem westlichen Bundesland, das wird gerade durch die erste Hochrechnung bestätigt. +1,6 Prozent Abstand zur SPD und +1,3 vor den Grünen. Es gibt vielleicht kleine Hoffnungen in Richtung Verschiebung um jeweils ein paar Zehntel, aber darauf kommt es eigentlich nicht an, denn allein, dass diese drei Parteien fast gleichauf sind, ist eine tektonische Verschiebung im politischen Gefüge, die vor allem Fragen an die SPD stellt., was sie mit ihren potenziellen Wähler:innen gemacht hat. Sogar die Frage, ob die SPD nach dem kleinen Zwischenhoch bei der Bundestagswahl 2021 langsam auserzählt ist, muss erlaubt sein. Wir sind gespannt, wie es in den Bundesländern bei den nächsten Wahlen laufen wird, in denen es noch SPD-Ministerpräsidentinnen gibt (Rheinland-Pfalz, Saarland, Mecklenburg-Vorpommern). 

Die ersten Prognosen sind da: In Bayern hält die CDU mit 37 Prozent fast ihr Ergebnis vom letzten Mal, die AfD ist der Wahlgewinner mit 15 Prozent (+4,8), Grüne und SPD verlieren jeweils leicht, die SPD auf unfassbar niedrigem Niveau (jetzt 8,5 Prozent), die FW liegen bei 14 Prozent, also doch etwas niedriger, als nach dem jüngsten Auftrieb möglich schien.

In Hessen: Die CDU gewinnt fast sensationell 8,5 Prozentpunkte (jetzt 35,5), Grüne und SPD verlieren jeweils ca. 4 Prozentpunkte, die AfD legt auf 16 Prozent zu, gleichauf mit der SPD, was bedeutet, dass sie zweitstärkste Kraft werden könnte. Die FDP steht auf der Kippe.

In beiden Ländern gehen die aktuellen Regierungskoalitionen nach dieser ersten Prognose gestärkt aus den Wahlen 2023 hervor, allerdings mit unterschiedlicher Akzentuierung: In Hessen gewinnt die ohnehin stärkste Partei hinzu, in Bayern werden die FW in Relation zur CSU etwas stärker.

Sehr interessant sind schon die Grafiken, die Jörg Schönenbohm in der ARD schon um 17:48 erklärt, die schon zur Analyse der 18 Uhr-Prognose beitragen können.

Bayern: Klimawandel, Kriminalität und Migration liegen in beiden Ländern als wichtige Kernthemen mit 64 bis 60 Prozent der Befragten, denen das wichtig ist, fast gleichauf. Auf den ersten, spontanen Blick also ein grünes und zwei rechte Themen. Der Hammer, kann man fast sagen, kommt im nächsten Schaubild: 80 Prozent der Befragten in Hessen und Bayern sagen, es braucht Maßnahmen, um die Immigration zu dämpfen, nur 15 Prozent sagen nein. Bei der Kompetenz auf diesem Gebiet ist die CDU gleich geblieben, die AfD legt erheblich zu, die freien Wähler ein bisschen, Rot und Grün sinken auf ohnehin niedriger Basis. Und seit Jahren verliert die CSU im in Bayern wichtigen ländlichen Raum Lösungskompetenzzuschreibung an die Freien Wähler, die Grafik, die das belegt, reicht bis 2008  zurück und beide Parteien liegen dort jetzt fast gleichauf. Lassen wir uns daraus eine Vorprognose-Spekulation machen: Die Freien Wähler hätten wohl auch ohne den beflügelnden Flugblatt-Skandal dort zugelegt.

Hessen: Wir sehen, dass der bundespolitisch zur Zeit seines Amtsantritts vor eineinhalb Jahren noch relativ unbekannte Boris Rhein persönlich sukzessive in der Wählergunst zulegen konnte, während vor allem SPD-Kandidatin und Bundesinnenministerin Nancy Faeser einen immer schwereren Stand hat. Auch ihre Partei bekommt immer schlechter Kompetenzzuschreibungen dort, wo sie punkten sollte, z. B. bei der Sozialen Gerechtigkeit. Die Hess:innen sind mit ihrer eigenen Landesregierung deutlich zufriedener als mit der Bundesregierung, obwohl eine der beiden Regierungsparteien auch in der Ampelkoalition in Berlin tätig ist. Wir haben aber in unserem Wahl-O-Mat-Artikel darauf hingewiesen, wie konservativ der Landesverband Hessen der Grünen tickt. Darauf wurden wir aufgrund unseres sehr geringen Übereinstimmungswertes mit den Grünen aufmerksam (nur 51,1 Prozent, der niedrigste Wert, seit wir die Wahl-O-Mate ausfüllen).

Es ist so weit. Der wichtigste Wahltag des Jahres steht in Deutschland an. Die Nr. 2 und die Nr. 5 unter den Bundesländern, Bayern und Hessen, werden neue Landtage wählen. Sie stehen für fast ein Viertel der wahlberechtigten Bevölkerung in Deutschland und für ca.  27 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes. Hessen und Bayern wählen: Diese Folgen könnten die Wahlen für Deutschland haben | Politik | BILD.de

Die Amtsinhaber von CSU und CDU, Markus Söder und Boris Rhein, werden wohl im Amt bestätigt werden, in der Tat ist aber die Frage: Wie gut werden sie bzw. ihre Parteien abschneiden? In Hessen wird ein Aufwind für die CDU gegenüber 2018 vorausgesagt, in Bayern steht es jedoch auf der Kippe. Vor fünf Jahren  holte die CDU mit 37,2 Prozent mit Söder ohnehin ein ausnehmend schlechtes Ergebnis, die Frage, ob er das nun überbieten kann oder nicht, ist durchaus nicht unwichtig. Sollte es höchstens zu geringen Verlusten kommen, entscheidet dies aber u. E. nicht negativ über die Kanzlerkandidatur von Söder im Jahr 2025, da sind wir anderer Ansicht als die oben verlinkte Quelle.

Die Freien Wähler hatten einen unerwarteten Auftrieb, weil antisemitische Flugblätter in rechten Kreisen fancy sind und die AfD niederzuhalten, ist derzeit überall schwierig. Unmöglich, unter diesen Umständen wieder auf die absoluten Mehrheiten von früher zu kommen und sehr schwierig, die 40-Prozent-Marke zu überspringen, das weiß man in der gesamten Union. Aber eines scheint klar zu sein, der rechte Block aus CSU, FW und AfD wird zulegen, alle links davon stehenden Parteien werden wohl verlieren. Das ist der Haupttrend in Bayern.

In Hessen sieht es nicht viel anders aus. Die AfD wird ihr ohnehin für ein westdeutsches Bundesland hohes Ergebnis von 13,1 Prozent im Jahr 2018 wohl noch verbessern können, die CDU wird ebenfalls zulegen, die SPD wird vermutlich weiter verlieren, die Grünen zumindest nichts hinzugewinnen, die Linke wird möglicherweise nicht wieder in den Landtag einziehen.

Es ist also festzuhalten, dass der Rechtstrend auch in Westdeutschland spürbar ist. Zwar ist er hier noch nicht demokratiegefährdend. Wir müssen nicht weit schauen, um zu erspüren, was er bedeutet. In Berlin  haben wir nun ebenfalls eine Koalition von CDU und SPD an der Backe, die bereits beginnt, neoliberal-rechte, u. a. mieterfeindliche Akzente zu setzen. In Bayern und Hessen wird sich natürlich weniger ändern, weil die Regierungskonstellationen nach der Wahl vermutlich die von vor der Wahl sein werden. In Bayern etwas sicherer als in Hessen, wo die CDU vermutlich auch mit der SPD, anstatt bisher mit den Grünen, zusammengehen könnte, während in Bayern alles andere als eine Fortsetzung der Koalition CSU / Freie Wähler eine große Überraschung wäre.

Was hätten wir getan, wenn wir in den beiden Bundesländern hätten wählen dürfen? Es steht in diesen beiden Artikeln:

Vor der #ltwHessen2023 #Hessenwahl 2023: Unser Wahl-O-Mat mit Überraschung und Analyse, Historie, NSU 2.0, aktuelle Trends: Bewährungsprobe für die Demokratie | Briefing 328 | PPP (Politik, Personen, Parteien) – DER WAHLBERLINER

Bayernwahl 2023: Der Wahl-O-Mat und wir | #ltwby2023 #Bayernwahl2023 | Briefing Special Bayernwahl 1 | PPP | SPD, Grüne, CSU, Freie Wähler, AfD, Die Linke, Die Partei – DER WAHLBERLINER

Hier noch etwas Grundwissen über das Wählen an sich, damit Sie auch schön eine gültige Stimme abgeben:

Was darf man im Wahllokal und was nicht? So bleibt Ihre Stimme gültig | WEB.DE

Es war gar nicht so einfach, das Logo für den heutigen Artikel zu kreieren. Natürlich, wir hätten einfach beide Flaggen abbilden und das Bild in der Mitte teilen können. Aber wir wollten das Staats- bzw. Landeswappen nicht zerschneiden, denn beide sind ja nicht symmetrisch. Also bilden wir nur die Wappen ab, nach einigen Schwierigkeiten. In welches Verhältnis setzen wir das breite Bayern-Wappen und das normalformatige Hessen-Wappen? So, wie die Größenordnung der Länder ist, nach Quadratkilometern oder Einwohnern? Dann hätte uns das Bayernwappen doch zu sehr dominiert, also haben wir das hessische mit etwas größerer Höhe eingestellt. Das bayerische wirkt trotzdem überproportional, aber es ist ja auch ein Staatswappen, nicht ein schnödes Landeswappen. Warum? Nun, weil Bayern eben ein Freistaat in Deutschland ist. Da muss schon etwas mehr Platz sein, und, ehrlich: Entspricht das nicht auch dem bayerischen Selbstverständnis? Dafür haben wir das hessische Wappen nach links gesetzt, obwohl es vom Alphabet her umgekehrt sein müsste. Denn bei uns, wie überall, wo von links nach rechts gelesen wird, fällt der Blick zuerst nach links. Vielleicht ist es doch einigermaßen ausgeglichen.

Mit einem Augenzwinkern warten wir auf die ersten Ergebnisse. Wir sind nicht schlecht gelaunt, trotz des Rechtstrends, denn richtig Angst haben wir vor diesen Wahlen nicht, auch wenn wir den Rechtstrend bedauerlich finden. Es gehören immer zwei dazu, dass so etwas passiert: Eine starke Rechte und eine schwache Linke. Das wird sich im Osten nächstes Jahr vermutlich ändern, wenn nicht noch etwas Entscheidendes passiert. Da können wir nicht die etwas mittigeren Parteien nicht in gleichem Maße dafür in die Verantwortung nehmen, dass dort immer mehr freigedreht wird. Das ist ein antidemokratischer Selbstläufer geworden. Damit sich diese Woge glättet, müsste der Krieg in der Ukraine auf irgendeine Weise zu Ende gehen und müsste das Migrationsthema komplett im Sinne der Menschenfeinde dort geregelt werden, nämlich alles dichtmachen. Darunter werden sie’s nicht tun und weiter AfD wählen. Dürfen wir das aber? Dazu hat der Verfassungsblog ein kluges Editorial geschrieben, eigentlich Grundwissen, aber vielerorts in Deutschland nicht sehr bekannt: Demokratie ist nicht, wenn eine wildgewordene Mehrheit Minderheiten ohne jedes Gewissen diskriminieren und am Ende auch umbringen darf. Das ist die Diktatur des Mobs oder des Pöbels. Hatten wir schon einmal, erinnern Sie sich? Außerdem wirke, so steht es im Editorial, die Handhabe der Humanität nach außen, also gegenüber Geflüchteten, auch zurück auf die Statur einer Gesellschaft im Inneren. Erst kommen die einen nicht rein, dann werden die Missliebigen, die schon drinnen sind, egal welcher Gruppe sie angehören, bedroht und man wird ihnen gegenüber gewalttätig.  

Schon aus diesem Grund sollten wir dazu aufrufen, auch im Westen nicht die rechten oder ganz rechten Parteien zu wählen, auch nicht jene, die meinen, wohlfeil Menschen, die nicht so mächtig sind, diffamieren zu können, wie das auch in der CDU wieder gang und gäbe ist,  und auch nicht die Grünen, die sich in Hessen an der Vertuschung der Staatsverstrickung in Sachen NSU beteiligen wollen. Siehe dazu oben unserem Artikel zum Wahl-O-Mat Hessen. Zu den freien Wählern und wie der Herr Aiwanger eine journalistische Recherche, die ihn eigentlich Sympathien kosten müsste, sogar zu seinem Nutzen ausschlachten kann, weil, man wird das doch mal sagen, man wird doch mal antisemitisch hetzen dürfen, während Israel gerade angegriffen wird (gut, der zeitliche Zusammenhang ist nicht gegeben, aber Sie wissen, was wir meinen), zu dieser Angelegenheit haben wir uns im Rahmen unseres Bayern-Wahl-O-Mat-Artikels geäußert.

In beiden Bundesländern gibt es also aktuelle Vorgänge, die sehr wohl eine Probe für die Demokratie darstellen, auch wenn diese nicht in Gefahr kommen wird, durch die Wahlen selbst zerstört zu werden. Aushöhlen durch Staatshandeln zulasten der Grundrechte, den Diskurs verschieben, Verstrickungen des Staates in Gewaltterror oder Meinungsterror (siehe auch NSU 2.0) mehr oder weniger als normal ansehen, Justizhandeln, das die Opfer des Holocausts verhöhnt (Wie antisemitisch ist Deutschland? (Statista + Leitkommentar / Gewalt, Meinung, Demo, Justiz) | Briefing 327 | Gesellschaft – DER WAHLBERLINER) überall im Land, das bleibt dennoch nicht ohne Wirkung. Wir geben natürlich keine direkte Wahlempfehlung ab. Wie wir selbst tendieren, steht in den beiden erwähnten Artikeln. Aber wenn Sie Demokrat:in sind, sollten Sie sich gut überlegen, ob Sie diesen Rechtsdrall, den wir haben, wirklich unterstützen möchten. Denn rollt der Stein erst einmal richtig, wird er schwer aufzuhalten sein.

TH

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