Filmfest 999 Cinema
Die spacige Welt der Halbleiter, von innen betrachtet
Tron ist ein US-amerikanischer Spielfilm der Disney-Studios von 1982. Er entstand unter der Regie von Steven Lisberger, der Mitwirkung von Jeff Bridges, Bruce Boxleitner und David Warner in den Hauptrollen und der Musik von Wendy Carlos. 2010 erschien die Fortsetzung Tron: Legacy.
1982 war ein wichtiges Jahr für die Computerbranche. Damals wurde der Commodore C64 vorgestellt, der erste Heimcomputer, der eine große, weltweite Verbreitung fand. Alle Commodores, die in der Folgezeit entstanden, bis zu den letzten Amiga-Versionen, waren sehr spielelastig konzipiert und damit hätte „Tron“ der perfekte Film für die neue Spezies der Computernerds gewesen sein müssen, die sich in jenen Jahren millionenfach als eine Art durch die Anwendung von technischen Möglichkeiten erschaffener Mutation des Menschen zeigte und die heute neben den Normalmenschen, die auch mal nach draußen gehen, einen festen Platz unter den Humanoiden erobert hat. Die weitere Ausbreitung des CN erfolgte dann durchs Internet, doch dies ist schon eine andere Geschichte, die von einer anderen Generation erzählt. Weiter lesen Sie in der –> Rezension.
Handlung (1)
Ein Mann namens Ed Dillinger hat sich durch Softwarentwicklungen bis in den Chefsessel der Computerfilmra ENCOM heraufgearbeitet. Diese sind jedoch von einem Entwickler namens Kevin Flynn (Jeff Bridges) geklaut, der alles versucht, um Dillinger den Datenklau nachzuweisen.
Jedoch hat dieser mittlerweile ein MCP (Master Control Program) installiert, das alle Hacker abwehrt und außerdem Allmachtsfantasien zu entwickeln beginnt. Zwei Kumpels von Flynn, die noch für ENCOM arbeiten, versuchen mit einem Trick, ihm Zugang zum Zentralcomputer zu verschaffen, doch das MCP bemerkt dies, entmaterialisiert Flynn und der darf sich dann als User mit Programmen anderer User treffen, um an Ausscheidungsspielen teilzunehmen, die das MCP kreiert hat. Dabei trifft er auch auf TRON, ein Trackingprogramm, das geeignet ist, Dillingers Diebstahl nachzuweisen. Flynn und Tron versuchen zusammen, das MCP auszuschalten, was ihnen nach vielen rasanten Jagden durchs Halbleitersystem des Computers gelingt.
Rezension
Wenn auch nicht ganz realistisch, wird die Art, wie Datenklau funktioniert, recht instruktiv und vor allem grafisch auch für heutige Verhältnisse in einmaliger Manier aufbereitet. Dabei war der Film noch gar nicht durch CGI geschaffen, sondern durch spezielle Belichtungstechniken, kombiniert mit klassischer Animation. Wieso auch nicht, der Film stammt aus Walt Disneys Trickwerkstatt.
Er ist auch heute noch very stylisch. Nie wieder gab es ein Kinowerk, das mit diesen Techniken generiert wurde, die sehr teuer waren – wenngleich die CGI das offensichtlich auch ist, wenn man die verblüffend hohen Budgets von Filmen betrachtet, die keine Settings brauchen, keine teuren menschlichen Stars bezahlen müssen, die niemals ein Team on Location benötigen usw. usw.
Wer SF liebt und außerdem dem Innenleben von Computern nachspüren will, der sollte sich Tron wirklich ansehen. Er vermittelt viel von der Faszination, die am Beginn des volkstümlichen Computerzeitalters herrschte, zeigt aber auch echten SF. Die Firma ENCOM hat einen standesgemäßen Zentralcomputer, der eine ganze Halle füllt, wie eben damals die Großrechenwerke beschaffen waren, das wirkt weder rückständig noch visionär. Die Spielewelt war damals auch gerade im Entstehen, und wenn man sieht, wie Flynn an einer Art Flipper mit seinem eigenen Programm „Space Paranoid“ spielt, das ihm ENCOM-Chef Dillinger abgeluchst hat, wird man sehr an frühe Computerspiele erinnert – die allerdings schon eine Dreidimensionalität hatten und eine Geschwindigkeit suggerieren, die es in dem Jahr, in dem mit dem C64 die passende Basis für rudimentären Spielespaß wie „Pacman“ geschaffen wurde, doch sehr weit fortgeschritten wirken. Selbstverständlich, denn die Zuschauer sollten ja mit Things to come unterhalten werden.
Dass es in Computern ganz schön emotional zugehen werden, dass dort Motorradrennen abgehalten werden, Freundschaften geschlossen und Feindschaften gepflegt und dass es einen Mastermind gibt, das wird einen heutigen CN nicht überraschen, wenn er sich Tron anschaut. Er hat es eh gewusst, schließlich lebt er mit seinem und liebt seinen Computer wie ein menschliches Wesen, zuvor hatte nur das Auto als technisches Werkzeug einen ähnlichen Status erreicht, der bis zur Vermenschlichung ging.
Die Computer-Aufbruchstimmung der 1980er gab es noch einmal, als etwa zehn Jahre später das Internet startete und Ende der 1990er Allgemeingut wurde. Seitdem herrscht Flaute, daran ändern auch Tablets, Smartphones etc. nichts, die keine grundsätzlich neuen Möglichkeiten darstellen, sondern nur mehr Mobilität und schickes Design für den Abruf grundsätzlich bekannter Angebote bedeuten und das Daddeln jetzt auch zur im öffentlichen Raum zu beobachtenden Sucht machen. Der Mobil-CN sozusagen als Erweiterungsmodul des Heim-CN. Manchmal hat man allerdings den Eindruck, dass viele Mobil-CNs den Schritt vom Heim-CN dorthin ausgelassen haben und mit einem Film wie „Tron“ vermutlich gar nicht so viel anfangen können, denn hier geht es ums Herz der digitalen Welt, das einen durchschnittlichen Smartphone-Nutzer kaum interessieren dürfte. Sicher sind seit 1982 die Funktionen und Speicher verbessert, vergrößert worden, ist Multimedia langsam wirklich ein Begriff, der einen Sinn bekommt, aber die Faszination für den Computer, die „Tron“ belegt, ist mittlerweile doch einem eher pragmatisch-übertriebenen Umgang gewichen.
Auf gleich zwei anderen Gebieten ist der Film mehr zukunftsweisend als bezüglich seiner Technik, die zwar digital wirkt, es aber im Wesentlichen nicht ist und heute durch eine CGI ersetzt wird, die viele Möglichkeiten, aber auch eine gewisse Einheitlichkeit mit sich bringt – schon wegen der notwendigen 3D-Kompatibilität der Animationsfilmgegenstände.
Es geht zum einen um die Welt des Datenklaus, die wohl jedem mittlerweile einen Schauer über den Rücken jagt, wenn mal wieder die Viren und Trojaner unterwegs sind und Milliarden von Passwörtern geknackt werden und in Konten, Unternehmen und gar Staatsorganisationen eingedrungen wird. Offensichtlich gibt es kein hinreichendes MCP, und trotz aller Schäden ist das vielleicht gut so, denn wer weiß, ob es nicht mit den Generälen im Pentagon und den Bankern an der Wall Strett umspringen würde wie das MCP im Film mit Dillinger, den es schon für ein Auslaufmodell erklärt, weil es sich selbst immer mehr verbessert und demgemäß mehr kann als ein Mensch können kann.
In vielen Filmen wird diese Karte gespielt, von „2001“ angefangen. Bisher ist nichts dergleichen passiert, aber der inidivduelle und der organisierte Datenklau inklusive der in „Tron“ damit angedeuteten Möglichkeit der Wirtschaftsspionage ist unbestreitbar Realität geworden. Damit ist dies der erste Disney-Film, der einen visionären Touch hat.
Allerdings deutet er eine weitere Entwicklung an, die weniger erfreulich ist. Zugunsten megalomanischer Effekte und einer überschäumenden Rasanz wird die Story ziemlich an den Rand gedrängt, werden gute Schauspieler mehr oder weniger einer Handlung untergeordnet, die zwar halbwegs nachvollziehbar, aber nicht besonders hochwertig konstruiert ist und schon gar keine Literarizität besitzt, die man mit einer entsprechenden Inszenierung steigern könnte. Es gibt auch sehr philosophische, manchmal auch kryptische SF-Filme, wieder sei „2001“ als herausragendes Beispiel genannt, aber diese metaphysische Ebene erreicht „Tron“ nicht, der Protagonist Flynn hat genug damit zu tun, die üblichen physikalischen Gesetze in der digitalen Welt zu manipulieren.
Trotz seiner einmaligen Optik und dem Schauplatz in einem Computer ist „Tron“ noch ein menschennaher Film – weil es Menschen beziehungsweise deren Programme in diesen Computer verschlägt. Gut und Böse liefern sich dort einen Kampf, der so traditionell ist, als sei dies ein Western oder ein Krimi, nur die Mittel des Kampfes unterscheiden sich ein wenig und wir haben als Mittler zwischen der Realwelt und der von „Tron“ ja die „Star Wars“-Filme, von denen es 1982 immerhin schon zwei gab. Eins fußt doch immer ein wenig auf dem anderen, Neues kann nicht ohne Vorhandenes gedacht und umgesetzt werden. Manchmal entstehen dabei aber Werke, die auf ihre Art einmalig bleiben – und von denen gibt es gerade im SF-Genre, das so viele Möglichkeiten bietet, neue Welten zu erschaffen, eine ganz hübsche Anzahl.
Und eine Firma, in der Computerspiele entwickelt werden, die aber auch an Materietransmittern à la „Star Treck“ arbeitet, die gibt es bis heute nicht, weil sich das Ent- und Rematerialisieren bis jetzt trotz vieler in Hollywood gezeigter Versuche nicht hat machen lassen. Damit bleibt dem Film ein wichtiger utopischer Teil und so einen Schreibtisch wie Dillinger mit einer eingebauten und in wundervollem Orange hinterleuchteten Touchscreen-Tastatur hätten wir auch gerne. Denn, ganz ehrlich, das ist ein ortsfester, hochglänzender Luxus, von dem nach Abschalten nichts bleibt als die Möglichkeit, ihn zu haben. Damit kann ein irgendwo herumliegender Tablet nicht konkurrieren, Touchscreen hin oder her.
Finale
Wir fanden den Film keine Sekunde langweilig, obwohl wir das digitale Angebot wirklich nur in einer Funktion als User verwenden, die nicht mit derjenigen im Film identisch ist. Dort werden nämlich User und Programmierer miteinander verwechselt, und vor Letzteren haben wir gehörigen Respekt, weil sie sich in einer Welt bewegen, die wir nicht verstehen und von der wir immer nur hoffen, sie liefert uns funktionsfähige, gutartige Ergebnisse, die uns den Alltag in etwa so viel erleichtern, wie es notwendig ist, um die frei werdende Zeit für die Befassung mit jener Technik in der Art und Weise eines richtigen, konsumierenden Users einzusetzen.
Ein klassisches Beispiel ist der Laptop, an dem wir jetzt schreiben. Qualitativ und von der Bedienbarkeit der Tastatur ist er in keiner Weise mehr mit einer Schreibmaschine zu vergleichen, aber die fielen Vehler, die das schnelle und unkonzentrierte Arbeiten produziert, das der Computer generell mit sich bringt, die gleicht er gerade noch damit aus, dass man immer mal wieder etwas rückgängig machen kann. Für CNs: Ironie!
Wir bewerten „Tron“ mit spacigen 80/100, weil er so klasse gestaltet ist, weil er auch heute Relevanz hat und weil er einfach Spaß gemacht hat.
Nachsatz anlässlich der Veröffentlichung der Rezension im Jahr 2023: Vielleicht sollten wir uns den Film noch einmal anschauen, unter dem KI-Aspekt. Jahrelang tat sich ja, wenn wir ehrlich sind, in der IT nicht wirklich viel, außer, dass die Leistung der Systeme stieg und die Smartphones noch etwas smarter wurden. Aber jetzt scheint wieder Bewegung in die Sache gekommen zu sein. Die Wahrheit ist wohl eher, dass wir es jetzt als Anwender, oben User genannt, mitbekommen, weil man uns mit KI-Modulen beglückt, während sie zuvor nur Profis zugänglich war; ähnlich wie einst die Vorgänger des Internets, die den Weg für die Allgemeinverwendbarkeit des WWW ebneten. Wie weitsichtig der Film ist, merkt man schon daran, dass Begriffe wie „Tracking“, „Hacker“ und „Datendiebstahl“ darin eine Rolle spielen, lange, bevor das Internet die Relevanz für die Allgemeinheit mit sich brachte.
„Der erste US-Spielfilm, der versucht, eine banal-oberflächliche Computerstory in eine adäquate Bildform zu verpacken […]. Ein grellbuntes Spektakel, das teilweise brillant mit Mitteln der Computeranimation, der herkömmlichen Zeichentricktechnik, eines futuristischen Dekors und verfremdender Lichteffekte operiert. Demonstration und Werbung gleichzeitig für die Möglichkeiten des computergestützten Zeichnens.“ – Lexikon des internationalen Films[4]
„Außergewöhnlich an diesem ersten computeranimierten Spielfilm sind die Art der Herstellung und die dadurch entstandenen phantastisch anmutenden Bilder.“ – Frankfurter Allgemeine Zeitung
Ein sehr interessanter Artikel ist über den Film in Telepolis im Jahr 2022 veröffentlicht worden.
Darin findet sich nicht nur viel zum Film selbst, sondern auch zur Entwicklung der Popkultur, der IT, der Vorbilder für den Film, der Hollywood-Studiowelt an der Schwelle zum heutigen Blockbuster-Kino. „Tron“ war zunächst einmal ein Anti-Blockbuster und half nicht unbedingt dabei, das damals konservative Gepräge der Disney-Studios aufzubrechen. Heute wird dem Film Kultstatus zugeschrieben, in der durchschnittlichen Nutzerwertung spiegelt sich das nicht unbedingt wieder (6,7/10), wie haben das Potenzial 2014 aber durchaus (an-) erkannt. Zur Erinnerung:
80/100
© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | Steven Lisberger |
|---|---|
| Drehbuch | Steven Lisberger, Bonnie MacBird |
| Produktion | Donald Kushner |
| Musik | Wendy Carlos |
| Kamera | Bruce Logan |
| Schnitt | Jeff Gourson |
| Besetzung | |
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