Hat Elon Musks Kauf von Twitter Hassrede-Beschwerden beeinflusst? (Statista + Kommentar) | Briefing 340 | Gesellschaft, Internet, Soziale Medien, Hassrede, Beschwerden

Briefing 340 Gesellschaft, Society, Hate Speech, Social Media, X = Twitter, Elon Musk, Beschwerden, Complaints

Nachdem wir uns heute schon mit Tesla befasst haben, machen wir einen Elon-Musk-Tag, weil Statista noch eine Grafik ins Netz gestellt hat, die sich mit seinen Aktivitäten befasst.

Dieses Mal geht es um den Kauf von Twitter durch Elon Musk, das er jetzt in X umbenannt hat. Es klingt nicht mehr so fröhlich, sondern spaciger und mächtiger, fast geheimnisvoll, das große X. Ähnlich, wie Facebook und Co. nun auch unter Meta firmieren. Allerdings ist Meta nur das Ganze, die Einzelmarken bleiben vorerst bestehen. Anders bei X, das Twitter komplett ersetzt hat und außerdem sehr plötzlich kam. Wir haben schon einige Beschwerden auch über Musk und dessen eigene Äußerungen mitbekommen – wie aber steht es insgesamt mit den Hassreden im Netz?

Infografik: Hat Elon Musks Kauf von Twitter Hassrede-Beschwerden beeinflusst? | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons  erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Mit der Einführung des Netzdurchsetzungsgesetzes (NetzDG), das seit 2017 den Umgang mit Social-Media-Inhalten, die gegen deutsches Strafrecht verstoßen, explizit regelt, ist Hassrede auf Twitter laut einer quantitativen Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung deutlich zurückgegangen. Der Kauf von Twitter durch Tesla-Chef Elon Musk im Oktober 2022 und die zunehmende Verstärkung rechter Stimmen auf der Plattform könnte jedoch auf lange Sicht dazu führen, dass sich dieser Trend wieder umkehrt. Aufgrund vermehrter antisemitischer Inhalte hatte sich beispielsweise die Antidiskriminierungsstelle des Bundes am 11. Oktober dazu entschlossen, ihre Präsenz auf Twitter zu beenden.

Erste Anzeichen für die erwähnte mögliche Trendwende zeigen sich in den halbjährlichen Transparenzberichten der Plattform. Zwischen Januar und Juni 2023 gingen rund 1,1 Millionen Beschwerden auf Basis des NetzDG bei Twitter ein, ein Großteil davon wurde von Einzelpersonen eingereicht. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum handelt es sich dabei um eine Steigerung von 32 Prozent, verglichen mit dem vorherigen Halbjahr nahm die Anzahl der Beschwerden um 16 Prozent zu. Der Großteil der im aktuellen Analysezeitraum eingegangenen Meldungen bezog sich auf die Straftatsbestände der Volksverhetzung (192.027), der Beleidigung (162.038) und der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten (142.106).

Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass auch der Prozentsatz der Beschwerden, gegen die Maßnahmen ergriffen wurden, deutlich zugenommen hat. Im ersten Halbjahr 2023 lag dieser bei knapp 24 Prozent, im vorherigen Zeitraum bei 16 Prozent. Die Übernahme Twitters durch Musk dürfte nicht der alleinige Grund sein, Maßnahmen wie der Abbau von Stellen in den Bereichen Trust & Safety und Moderation könnten aber zumindest zum erhöhten Meldeaufkommen und damit auch der höheren Wahrscheinlichkeit des Auftretens von NetzDG-relevanten Inhalten beigetragen haben.

Das NetzDG ist nicht unumstritten:

Das NetzDG ist ein deutsches Gesetz, das 2017 in Kraft getreten ist und vor allem Hass und Falschnachrichten in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder YouTube bekämpfen soll. Das Gesetz verpflichtet die Anbieter von Online-Netzwerken, rechtswidrige Inhalte zu löschen. Das NetzDG ist umstritten, weil es Kritik an der Meinungsfreiheit, der Privatisierung der Rechtsdurchsetzung und der mangelnden Transparenz und Kontrolle der Löschpraxis gibt12

Aufgrund der hohen Zahlen von gemeldeten Fällen muss erst einmal betont werden, dass es sich also um ein deutsches Gesetz handelt, die Zahlen sich also nicht etwa auf ganz Europa beziehen. Wir gehören zu den Skeptikern, allerdings auch im Zusammenhang mit der DSGVO, die gerade eingeführt wurde, als die zweite Generation des Wahlberliners gestartet ist und deren Freischaltung um einen ganzen Monat verzögert hat. Viel Lärm um nichts im Textbereich, könnte man bisher sagen, aber bei den Fotos, die wichtig waren, als wir noch viel Life-Berichterstattung gemacht haben, sieht es anders aus, da sind kleine Medien wie wir eindeutig benachteiligt worden. Hatespeech ist aber eine andere Kategorie und es wird gemunkelt, dass seit dem Einstieg von Elon Musk bei Twtitter die Zensur zurückgegangen sei. Allerdings sind es vor allem Rechte, die sich darüber freuen, weil Musk aufgrund seiner eigenen politischen Haltung deren Postings leichter durchlässt. Ist das eine Erzählung oder würde es sich nachweisen lassen? Jedenfalls steigt die Zahl der gemeldeten und auch der bearbeiteten Fälle seit einiger Zeit an und wir vermissten mittlerweile einige geschätzte Accounts bzw. die Personen dahinter, die uns wichtig waren.

Wir haben selbst eine Art Halbkonsequenz gezogen und sind zusätzlich bei Mastodon zu finden, das nach unserer Ansicht aber vom Gepräge eher Facebook als dem von Twitter ähnelt und viel weniger offen und luftig wirkt. Früher war Twitter das soziale Medium für die pointierte Auseinandersetzung, weil man sich kurz fassen musste und das einzige soziale Medium, auf dem über Posts von uns wirklich diskutiert wurde.

Vom Hatespeech sind wir bisher weder in der einen, noch in der anderen Richtung betroffen gewesen. Wenn überhaupt, dann wurden wir eher persönlich angegriffen, als dass wir jemanden angegriffen hätten, aber das ist alles schon eine Zeit her. Wir verstehen den Wunsch, soziale Medien cleaner zu machen, aber wir sind skeptisch bezüglich der Einschränkung der Meinungsfreiheit. Allzu schnell wird es dabei sehr subjektiv, gerade in Zeiten wie diesen. Die Corona-Pandemie war schon ein Thema, das erstaunliche Eingriffe produziert hat, der Israel-Palästina-Konflikt eignet sich dazu ebenfalls gut.

Deswegen ist unsere Linie, dass nur das verfolgt werden darf, was auch bei Äußerung auf anderem Weg strafrechtliche Tatbestände erfüllt: Beleidigung, Verleumdung, Aufruf zum Verbrechen, Holocaust-Leugnung, Volksverhetzung. Die Maßstäbe müssen im Netz dieselben sein wie bei dem, was in der Zeitung steht oder mündlich geäußert wurde. Ob hingegen eine Meinung wissenschaftlich fundiert ist oder gerade ins Stimmungsbild passt, darf keine Rolle spielen, solange nicht einer der oben genannten Tatbestände hinzutritt.

Schon der Begriff Desinformation ist in dieser Hinsicht sehr problematisch, denn schnell ist es passiert, dass nur noch das nicht als Desinformation gilt, was offizielle Meinung ist und von Medien verbreitet wird, die der offiziellen Meinung immer sehr nahstehen. Aber eine Meinung ist eine Meinung und selbst wissenschaftliche Ergebnisse müssen diskutiert werden dürfen. Das war während Corona zum Beispiel ganz wichtig, wo sich alle aufgrund der Novität des Gegenstands erst einmal bilden, darüber forschen, Wissen austauschen und unterschiedliche Ansätze besprechen mussten.

Auch wir hatten uns recht schnell, vielleicht etwas vorschnell, in dieser Sache auf eine Linie festgelegt, aber wir wären nicht auf die Idee gekommen, von den Anhängern der Gegenansicht zu fordern, dass sie ihre Postings aus den Sozialen Netzwerken entfernen. Manche Menschen tun das aber. Deswegen sehen wir es lieber, wenn das NetzDG und andere Normen, mit denen man das Internet regulieren kann, defensiv angewendet werden, nämlich wie oben besprochen nur dann, wenn ein Tatbestand erfüllt ist, der auch dann geahndet werden kann, wenn er nicht nur in den Sozialen Medien, sondern bei jedwedem Verbreitungsweg geahndet werden kann.

Wie tickt dabei Elon Musk, der Eigner von X? Sicher nicht neutral, und das ist natürlich eine Gefahr. Ganz fix werden sich bei ihm diejenigen auf der Watchlist finden, die andere gerne auf die Watchlist setzen und ihre Postings möglichst verbieten wollen würden. Die sozialen Medien dürfen kein Spielzeug für Meinungsterror sein, insofern hat das NetzDG sich nach unserer Meinung anderen Normen unterzuordnen. Wenn es so gehandhabt wird, entfaltet es auch Wirkung und wird überwiegend akzeptiert. Bei geschmäcklerischer, weit ausgreifender Löschungsaktivität hingegen wird es höchstens dazu kommen, dass andere Plattformen, die nicht für alle zugänglich sind, verstärkt genutzt werden – und damit im Verborgenen gedeiht und zur Blase wird, was sich zuvor immerhin noch öffentlich zur Diskussion gestellt hat.

Wir plädieren daher mit einem maßvollen Umgang mit dem NetzDG. Die sehr hohe Zahl von gemeldeten und auch von sanktionierten Fällen legt hingegen eher die Vermutung nah, dass man das Gesetz als Instrument für die Durchsetzung im Streit um die Meinungshoheit ansieht. Diese Befürchtung haben wir schon geäußert, als das NetzDG und die DSGVO eingeführt wurden und die Zahlen sprechen nicht dafür, dass wir uns geirrt haben. Deswegen tut eine Kanonisierung, Objektivierung und Normdurchsetzung durch die Öffentliche Hand Not, um das NetzDG seinem wirklichen Zweck zuzuführen, nämlich vor schweren, unzulässigen Angriffen auf andere zu schützen.

Ob hingegen der Kauf von Twitter durch Musk einen Einfluss auf die Zahl der Beschwerden hatte, lässt sich aus der Grafik nicht sicher herauslesen. Einen Anstieg gab es nämlich schon vorher, insofern könnte es sich aktuell um eine Fortsetzung dieses Trends (im Wesentlichen) unabhängig von der Übernahme der Plattform durch Elon Musk handeln.

TH


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