„BSW“: Der Anfang der Wagenknecht-Partei ist gemacht – Chancen, Risiken, Kritik, Bedenken (Leitkommentar) | Briefing 341 | PPP (Politik, Personen, Parteien) #Wagenknecht #BSW

Briefing 341 PPP, Sahra Wagenknecht, Parteigründung, BSW, Bewertung von Chancen, Risken, Kritik und Bedenken: langfristige Wirkung

20.09.2023: Es ist soweit. Mit „BSW“ startet Sahra Wagenknecht eine eigene Partei. Wir haben es mehrfach vorhergesagt und dazu nicht die BILD gebraucht, sondern konnten es aus dem Verhalten einiger besonders enger politischer Freunde  von ihr schließen, die wir persönlich kennen.

In diesem Artikel haben wir mehrere Entwicklungen in der Linken zusammengefasst:

BREAKING UPDATE 2: Die Wagenknecht-Partei kommt noch 2023 +++ Linke 2025 im Bundestag? +++ Dietmar Bartsch zieht sich zurück – Ende einer Ära für die Linke, Anzeichen für die Wagenknecht-Partei mehren sich (Leitkommentar)

Aber lassen wir Sahra Wagenknecht anhand ihres brandaktuellen Newsletters erst einmal selbst zu Wort kommen:

„In den letzten Monaten habe ich viel Post bekommen von Menschen, die mich ermutigt haben, eine neue Partei zu gründen – sei es aus Entsetzen und Wut über die Politik der Ampel, aus Enttäuschung über DIE LINKE oder aus Besorgnis angesichts der Wahlerfolge rechter Parteien. Ich bitte um Verständnis, dass ich nur einen Bruchteil dieser Mails persönlich beantworten konnte – auch weil ich nicht voreilig Hoffnungen wecken wollte. Mir fällt die Entscheidung nicht leicht. Doch nach dem katastrophalen Abschneiden von SPD und LINKE bei den letzten Landtagswahlen ist klar: Es braucht dringend eine politische Kraft, die der Ampel seriöse, durchdachte Konzepte entgegensetzt. Die Druck auf die Regierung ausübt, damit sich die Politik verändert. Eine politische Kraft, die für soziale Gerechtigkeit und eine wirtschaftliche Vernunft kämpft und sich für Frieden und Diplomatie einsetzt. Die für Aufklärung und Meinungsvielfalt einsteht – in einer Zeit, in der der öffentliche Raum für kritische Stimmen immer enger wird. 

Wie geht es nun konkret weiter, wird es eine solche politische Kraft geben und wie kann man sie unterstützen? Was hat es mit dem Verein BSW – für Vernunft und Gerechtigkeit auf sich? Diese Fragen beantworten wir am nächsten Montag um 10 Uhr in der Bundespressekonferenz, die ihr hier im Livestream verfolgen könnt: https://www.youtube.com/live/Q3xfPEnPNc0?feature=shared.“

Ansonsten äußert sich Wagenknecht im gestrigen Newsletter nur noch zur Gewalt in Nahost und Sie werden vermutlich schon ahnen, in welcher Weise: Das Muster ähnelt ihrer Stellung im Russland-Ukraine-Konflikt und liegt nahe an einer Täter-Opfer-Umkehr bezüglich der aktuellen Gewaltausbrüche und wird ihr Antisemitismusvorwürfe einbringen. Wir haben uns im letzten Trend-Newsletter nun zum dritten Mal zu diesem Konflikt geäußert, inklusive Beschuss des Krankenhauses im Gaza-Streifen. Wir können uns schlicht nicht vorstellen, dass er von Israel ausgegangen ist, denn das würde diejenigen befeuern, die an der Täter-Opfer-Umkehr im konkreten Fall arbeiten. Sicher ist natürlich nichts, aber manchmal hilft auch Logik, gerade wenn man in Kategorien wie „Cui bono“ denkt und meint, es gebe nur Absprachen, die auch wirklich funktionieren und nicht dumme Zufälle und menschliches Missgeschick aus Unfähigkeit.

Gerade Sahra Wagenknecht ist hingegen diejenige, die die Unfähigkeit der aktuellen deutschen Bundesregierung besonders hart geißelt.

Über die Gründung einer Partei habe sie schon einige Monate nachgedacht, wollte jedoch nichts überstürzen, sagte Wagenknecht. „Es dauerte so lange, weil man eine Partei nicht alleine gründen kann.“ Es brauche Mitstreiter, ein gutes Team. „Man darf ja sowas nicht leichtfertig auf den Weg bringen. Wenn, muss es so gut sein, dass es ein Erfolg werden kann. Und das hoffe ich jetzt.“ Die Linke sei nicht ihr politischer Gegner. „Ich bedauere, dass die Partei jetzt in diesem Zustand ist.“

Wagenknecht-Partei soll Bundesregierung unter Druck setzen

Die Lesung aus ihrem Buch „Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt“ war ihr erster Auftritt nachdem bekannt wurde, dass die Politikerin am kommenden Montag das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ präsentieren will. Zunächst soll ein Verein dieses Namens offiziell vorgestellt werden. Geplant ist ein Auftritt mit mehreren Mitstreitern am Montagvormittag (10.00 Uhr) in der Bundespressekonferenz.

Sarah Wagenknecht: „Es sei an der Zeit, Neues zu schaffen“ | WEB.DE

Wir sind sehr gespannt darauf, wer mit ihr in der BPK am kommenden Montag sitzen wird., denn damit gibt es auch einen Fingerzeig, wer aus der Linken und möglicherweise aus der Bundestagsfraktion der Linken austreten und diese damit spalten und – nun ja, vernichten wird. Denn drei Mitglieder weniger ,und die Linke verliert ihren Fraktionsstatus und gilt nur noch als Gruppe. Das hat weitreichende Folgen für ihre Möglichkeiten der politischen Mitwirkung und Finanzierung. Ohnehin hat die Linke den Einzug in den Bundestag bei den Wahlen im Herbst 2021 in Fraktionsstärke nur geschafft, weil sie im Osten der Republik drei Direktmandate geholt hat, zwei in Berlin und eines in Leipzig, ansonsten verfehlte sie knapp die 5-Prozent-Hürde.

Und hier ein aktueller Link nachgereicht; in dem Artikel von heute befasst man sich ebenfalls mit Chancen und Risiken – und nennt konkrete Personen, die sich der Partei, die wir im Folgenden erst einmal „BSW“ nennen werden, anschließen oder sie unterstützen könnten. Zumindest bezüglich der wechselbereiten Bundestagsabgeordneten kommen wir später noch auf das Problem, das auch in diesem Artikel dargestellt wird: Bündnis Sahra Wagenknecht: Linken-Chefin Janine Wissler übt scharfe Kritik (t-online.de).

Wir erläutern nun unsere Ansichten zu Fragen, die mit dem BSW unweigerlich aufkommen werden:

  • Wird Wagenknecht den Aufstieg der AfD stoppen? Die AfD hat jüngst in einer Umfrage erstmals 23 Prozent Zustimmung bundesweit bekommen („Sonntagsfrage“), noch aktueller ist eine Berlin-Umfrage, die ihr erstmals in der Hauptstadt einen Stimmenanteil von 15 Prozent zuschreibt, sofern jetzt wieder Abgeordnetenhauswahlen wären.
  • Viele Kommentatoren sehen es ähnlich wie wir, allerdings haben wir neue Landtagswahlergebnisse zur Verfügung, die seitdem eingelaufen sind: Die Union verliert im Moment nicht mehr an Zustimmung, was die AfD jetzt dazukriegt, kommt von Nichtwähler:innen und geht zulasten der Bundesregierung, vor allem der SPD. Der Rechtstrend beschleunigt sich damit sogar, denn bisher hat die AfD auch am Potenzial der Unionsparteien gezogen.
  • Diese Tendenz ist nach unserer Ansicht tatsächlich kurzfristig nur mit dieser Neugründung zu drehen, wie immer man auch zu ihr stehen mag. Die Bundesregierung hat keine Antwort auf den Rechtstrend, sondern fängt an, ihm hinterherzulaufen, vor allem zulasten der Grünen. Wagenknecht hat hingegen den Vorteil, dass sie ihre Positionen durchziehen kann, die sie schon länger vertritt und die durchaus rechte Ansichten inkludieren.
  • Der immer schneller rotierende Rechtsdrall im Land könnte damit zumindest eine Aufspaltung erfahren. Dem BSW oder wie immer sich die Partei nennen wird, wenn sie denn wirklich steht, trauen wir ohne Weiteres bundesweit einen Stimmenanteil zu, der sie sofort in den Bundestag bringen wird. Für möglich, abhängig von den allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der nächsten Zeit, halten wir sogar die Zweistelligkeit. Damit würde Sahra Wagenknecht das gute, aber für manche doch enttäuschende Ergebnis übertreffen, das sie 2017 als Spitzenkandidatin für die Linke erzielt hat (9,2 Prozent). 
  • Was wird aus der Linken werden? Zunächst, siehe oben, wird sie ihren Fraktionsstatus im Bundestag verlieren. Es wird einen Aderlass in den Landesverbänden geben, was vor allem dort relevant ist, wo sie in den Parlamenten vertreten ist, und damit auch in Berlin. Hier wird sie allerdings nicht in Gefahr geraten, ebenfalls nicht mehr Fraktion zu sein, dazu ist sie mit zuletzt 12,2 Prozent der Stimmen bei der Wahl 2023 zu stark gewesen.
  • Natürlich gibt es viel weitreichendere Folgen. Es ist tapfer, logisch und richtig, sich von Wagenknecht befreit zu fühlen, wenn sie die Partei nicht mehr von innen spalten kann. Und es gibt einige Menschen, die ihr ohne Wagenknecht mehr Sympathie entgegenbringen werden als bisher, zum Beispiel aus dem Spektrum, das zwischen links und grün changiert. Aus dem Bereich könnte die Linke Stimmen holen, wenn die Grünen sich bei ihrem Paradepferd, der offenen Migrationspolitik immer mehr Beulen holen, in der Ampelregierung und sonst weiterhin so schlecht performen wie bisher. Ob das reicht, um 2025 wieder in den Bundestag einzuziehen? Für uns ist das offen, aber es wird auf jeden Fall knapp werden. Wir halten die Linke dort für notwendig. Eine gesellschaftslinke und gleichermaßen soziale Partei bräuchte es in Deutschland. Die Grünen stehen nicht für Letzteres, Das BS Wagenknecht wird nicht für Ersteres stehen. Da gibt es durchaus einen fortwährenden Bedarf für linke Politik dieser Art, zumal die Linke immer noch ein recht breites Spektrum vereinen wird. Fraglich ist allerdings, was aus Gruppierungen werden wird, die Wagenknecht nahestehen, aber wohl kaum ins BSW wechseln werden, wie der kommunistischen Plattform.
  • Auflösungserscheinungen in der verbleibenden Linken sind also nicht ausgeschlossen und damit wäre eine Marginalisierung der Partei sicher. Keine einzelne Gruppierung ist so stark, dass sie eine bundestagsfähige Partei im Alleingang bilden könnte.
  • „Nicht meine Feinde“: Ob Wagenknecht das selbst glaubt? Jedenfalls traktiert sie die Linke von innen heraus seit Jahren damit, dass sie sich nicht an Parteitagsbeschlüsse hält und von innen heraus opponiert und grundsätzlich die Arbeit der Parteivorsitzenden öffentlich infrage stellt, gleich, wer die handelnden Personen sind.

  • Wie wichtig und wie nachhaltig ist das BSW langfristig? Darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Wagenknecht und ihr Mann Oskar Lafontaine sind keine Teamplayer und eigentlich auch keine Konstruktivisten. Wo immer jemand anderer Ansicht ist, handeln sie nicht gerne demokratisch. Wagenknecht wird Anhänger und Helfer brauchen, aber keine Mitstreiter im gleichberechtigen Sinne dulden. Das heißt, es wird vermutlich auch nicht zum Aufbau einer Nachfolge kommen und nicht zu einem sehr starken Unterbau. Zumindest vorerst nicht. Organisatorisch wird die Partei besser funktionieren, als manche in der Linken denken oder hoffen, denn die Fähigen, die sich ganz auf Wagenknecht einschwören lassen, die gibt es sehr wohl.
  • Einige von ihnen könnten auch von den Gegenden, in denen das BSW von Beginn an stark sein wird, wie etwa in Berlin, in andere Regionen wechseln und dort die Aufbauarbeit machen. Die AfD hat als Gründung von einigen politisch unerfahrenen Professoren nur wenige Jahre gebraucht, um zu einer schlagkräftigen rechten Partei zu werden. Dem BSW werden auch begeisterte Anhänger von Wagenknecht zulaufen, die bisher nicht in der Linken waren. Daran denken verkopfte Strategen wie Gregor Gysi offenbar nicht, die ironischerweise genauso Kadergewächse der Linken sind wie Sahra Wagenknecht. Die Linke war aber nach der Wende nie eine populäre Zuwachspartei, kein Modul zur Mobilisierung, wie das BSW eines werden könnte, sondern musste schon als PDS eher um ihren Mitgliederbestand kämpfen.
  • Für uns ist der kurzfristige Erfolg des BSW so gut wie sicher, der mittelfristige offen. Bei der Beurteilung des mittelfristigen Erfolges können wir auf eine Beobachtung aus dem Jahr 2018 zurückgreifen, wo ihre missglückte „Aufstehen“-Bewegung 140.000 Interessent:innen eingesammelt hatte. Eine solche Interessiertheit ist keine Parteimitgliedschaft, aber wäre „Aufstehen“ damals Partei geworden, hätte es heute 100.000 Mitglieder, also fast doppelt so viele wie die Linke und dreimal so viele wie die AfD, davon sind wir überzeugt. Deswegen haben wir seinerzeit auch geschrieben, diese Sache wird nichts bringen, wenn Wagenknecht nicht wählbar ist. Fünf quälende Jahre hat es nun gedauert, bis diese Erkenntnis zu ihr selbst durchgedrungen ist.
  • Wirklich? Wir glauben, dass die Abspaltung nicht erst seit ein paar Monaten geplant wird, wie man gerne aus der Wagenknecht-Ecke kolportiert. Richtig hingegen ist, dass sie nicht wartet, bis sie aus der Linken ausgeschlossen wird und damit in die Opferrolle schlüpfen kann. Das wäre wirklich infam gewesen, denn es sind nicht nur die anderen schuldig am Zerwürfnis. Gleich, wie die Vorsitzenden der Linken gerade heißen und aus welcher politischen Ecke sie kommen, Wagenknecht kann nie mit ihnen. Das geht schon so, seit wir die Linke beobachten. Die Medien stellen diesen Streit sowohl inhaltlich-persönlich wie auch oft viel zu verkürzt dar, weil sie, mit Verlaub, nicht die Einblicke zu haben scheinen, die wir in die Linke nehmen konnten.
  • Langfristig ist der Erfolg des BSW für uns erst recht offen. Eine Bewegungspartei, und das ist das BSW, auch wenn Wagenknecht gegenüber zivilgesellschaftlichen Bewegungen einge grundfeindlich Einstellung zeigt, ist so sehr mit ihrer Person verknüpft. Eine Bewegungspartei ist das BSW auch deshalb, weil nicht ein langfristiger Kaderaufbau die Basis ist, sondern eine auf eine Person bezogene Fankultur; zivilrechtliche Bewegungen sind hingegen themengebundene Sammlungen, die mit ähnlicher Leidenschaft das Thema in den Vordergrund rücken, wie Wagenknechts Fans sie unterstützten wollen.
  • Risiken gibt es viele. Zum Beispiel muss Wagenknecht durchhaltefähig sein, sie muss eisene Nerven beweisen, beim Organisieren, bei der Fernhaltung von Extremisten, wenn Menschen daherkommen, die nicht exakt ihrer Meinung sind. Das alles ist nicht Wagenknechts Stärke. Vor allem darf es in dem Zusammenhang  nicht geschehen, dass sie noch einmal einen Burnout bekommt, wie 2019, als sie vom Fraktionsvorsitz der Linken zurücktrat; noch, dass sie sonst gesundheitlich irgendwelche Probleme entwickelt. Es wird vorerst keine Nummer zwei geben.
  • Jeder, der sich einen Deut zu viel hervortut, wird von ihr selbst und ihrem Mann, diesen beiden narzisstischen Persönlichkeiten, gebasht werden. Diese Zuschreibung klingt hart, ist es aber im Grunde gar nicht. Es geht nicht um Pathologisierung, sondern um den Stil der beiden, und der ist ziemlich klar zu erkennen, bei Lafontaine schon sehr lange, und sie bestärken sich gegenseitig darin. Das kann bei einer unangefochtenen Stellung von SW im BSW zu viel Drive führen, zu einem hochtourigen Engagement ihrerseits,aber birgt auch große Risiken für den langfristigen Erfolg. Wähler:innen, die etwas nachdenklicher sind, werden sich überlegen, ob sie eine mögliche neue Enttäuschung für sich und andere wählen werden.
  • Die fernere Zukunft stellen wir uns nur dann konkret vor, wenn das BSW hält, erfolgreich ist, Verbündete sammeln und Wagenknecht in eine Regierungsposition bringen kann. Dann wird etwas gefragt sein, was sie bisher nie zeigen musste: Kompromissfähigkeit und Netzwerken. Sie hat selbst kürzlich, ob ironisch oder ernst gemeint, gesagt, sie kann gar nicht organisieren, vermutlich bezogen auf Gregor Gysis diesbezügliche Aussage. Sicher, sie kann das auch in einer Regierungsposition wieder anderen übergeben, aber organisieren hat ja dann auch eine inhaltliche Komponente, nämlich ein Programm als Vision für die  Zukunft verkaufen, mnithin die Stimmung organisieren, die das Land zukunftsfähiger macht. Wir sind gerade auf dem Gebiet nach wie vor skeptisch, Wagenknecht betreffend.
  • Wir sehen eine große Gefahr, dass sie nicht nur die Bundesregierung und die AfD unter Druck setzen, sondern längerfristig auch die Demokratie (noch mehr) beschädigen wird, wenn sie ihre Fans enttäuscht. Dieser Effekt ist bei einer politischen Kraft, die auf eine Person zugeschnitten ist, die alles tragen muss und das letztlich nicht zur Zufriedenheit ihrer Anhängerschaft hinkriegt, viel ausgeprägter als bei breit aufgestellten Kaderparteien. Bei der AfD ist es genau umgekehrt: Wer auch immer wen gerade absägt und was es intern für Reibereien gibt, den Wähler:innen dieser Partei st das ziemlich egal, weil sie den Protest wählen und / oder das rechte Gepräge der Partei begrüßen, nicht einer glanzvollen Führungsfigur hinterherrennen. Im Grunde ist das sogar eine demokratischere oder auch unabhängigere Haltung, als eine Partei zu wählen, weil sie von einer vermeintlichen Erlöserperson geführt wird.

Man kann es aber drehen und wenden, wie man will: Das BSW ist die wichtigste politische Neuerung in Deutschland seit der Gründung der AfD. Diese fand vor zehn Jahren statt und erhielt damals bei Weitem nicht die Beachtung, wie Wagenknecht sie genießt, weil sie bereits bekannt ist. Das ist ein riesiger Startvorteil und der kurzfristige Erfolg ist beinahe unausweichlich, wenn sie keine groben Fehler macht. Wir glauben auch nicht, dass sie durch die Vorlage eines Programms, also durch Konkretisierung, Probleme bekommen wird. Das AfD-Programm und eigentlich alle Parteiprogramme werden selten gelesen und die Parteien von Menschen gewählt,  die  damit ihre eigenen Interessen verraten. Kritische Gedankengänge, wie wir sie oben dargelegt haben, werden ihre Wähler:innen, also ihre Fans, ohnehin vorerst nicht teilen.

Wir sind generell keine Fan-Typen, und das unterschiedet uns von vielen Menschen im Land, die es hinkriegen, Personen mit all ihren Widersprüchen hemmungslos zu glorifizieren, anstatt die Erwartungen maßvoll zu halten und die Selbstverantwortung für das politische Geschehen immer mitzudenken.

Die Lage im Land und in der Welt wird sich hingegen kurzfristig nicht so dramatisch verbessern, dass diese neue Kraft in den Augen potenzieller Wähler:innen obsolet würde, die in diesem Sinne ist, was man auch der AfD noch teilweise zuschreibt, nämlich eine Protestpartei. Eine Partei, mit deren Wahl man gegen das „Establishment“ protestieren zu können meint. Zudem ist Wagenknecht ist ein Popstar der Politik – vielleicht sogar der einzige verbliebene in Deutschland. Das sagt natürlich viel über die Langweiligkeit der anderen aus und leider ist Kanzler Scholz ein Symbol dafür, der jetzt die Menschen mitnehmen anstatt weiter verscholzen müsste.

In jeder Talkshow wird Wagenknecht gnadenlos majorisiert und oft auch mit guten Argumenten widerlegt, aber das schadet ihr gar nicht.  Eher im Gegenteil, weil sie so einsam tapfer wirkt, wie sich auch die Protestwähler oft fühlen, was bis zur Selbstwahrnehmung als Held:in gehen kann. Nachdem SW diese Wirkung ihrer Person nun hinreichend getestet hat und dabei nicht ärmer geworden ist, nachdem sie von der Stabilität ihrer Anhängerschaft überzeugt sein darf, kann sie mit ziemlicher Zuversicht die Parteigründung angehen. Wir hingegen sind zuversichtlich, dass wir noch viel zu berichten und nachzudenken haben.  Am Horizont sehen wir nach den letzten Landtagswahlen nämlich ein Problem auftauchen, das auch unser persönliches Wahlverhalten betrifft und eine Änderung bewirken könnte.

Was wäre, wenn?

Wir sind bei der Überlegung angelangt, wie es wäre, wenn nur durch die Wahl der Wagenknecht-Partei der Durchmarsch der ganz Rechten zusammen mit der Union noch gestoppt werden könnte, während eine Stimme für die Linke oder die SPD in diesem Zusammenhang verschenkt wäre, erst recht die Stimme für eine linke Kleinpartei. Bisher haben wir Überzeugung und Taktik ganz gut in Einklang bringen können, aber es wird immer schwieriger, selbst im Westen und vielleicht auch bei den nächsten Berlin-Wahlen. Wir waren schockiert, als wir die neueste Umfrage gesehen haben, die die AfD nun auch in Berlin auf einem Allzeit-Hoch bei 15 Prozent sieht. Wer sagt uns, dass die Brandmauer noch lange halten wird und die CDU nicht nach einer kommenden Wahl mit der AfD zusammen eine Stadtregierung bildet, während das linke Potenzial weitgehend ausgeschöpft ist, das wir bisher hatten? Wir lagen auch bezüglich CDU und Giffey-SPD als neue Koalitionspartner richtig, die nun die Rechtsverschiebung bereits einleiten. Einen Keil in diese Entwicklung könnte man vielleicht nur durch die Wahl der Wagenknecht-Partei treiben, die weder mit der CDU noch mit der AfD zusammengehen wird, wenn sie glaubwürdig sein will. Das ist alles höchst unbefriedigend und nicht die linke Progression, nicht die moderne, zukunftsorientierte Politik, die wir uns vorstellen, aber wir haben leider auch schon diese Mentalität aufgesaugt, die da heißt: wir wählen etwas nicht Befriedigendes, damit es nicht noch schlimmer wird. Wir müssen eben leider anerkennen, dass unsere Überzeugungen nicht von einer größeren Partei gespiegelt werden, die Einfluss auf das poliische Geshehen nehmen kann. Im Prinzip war das auch schon bei der Zustimmung für die Linke in den  letzten Jahren der Fall, dass wir nicht mehr wirklich überzeugt waren, aber trotzdem unser(e) Kreuz(e) bei ihr gemacht haben.

Deswegen haben wir heute bei einer Umfrage unser Abstimmungsverhalten geändert. Wir haben bezüglich des Wählens einer Wagenknecht-Partei nicht mehr mit „eindeutig nein“, sondern  mit „eher nein“ gestimmt. Es ist uns auch klar, dass dabei der psychologische Effekt eine Rolle gespielt hat, dass es diese Partei tatsächlich geben wird. Wir gingen schon bisher davon aus, aber es ist anders, wenn die Person, um die sich alles dreht, inklusive sie selbst, es auch selbst sagt, nachdem sie die Leute so lange genervt oder erwartungsvoll gestimmt hat oder was immer, um die Spannung hochzuhalten und vielleicht auch tatsächlich, weil alles erst einmal im Hintergrund – sic! – organisiert werden musste. Wenn wir auch nur den Hauch einer Chance sehen würden, dass eine kleinere Linkspartei massentauglich wird oder die Linke sich so erholt, dass sie wieder wichtig wird, würden wir diese Überlegungen nicht anstellen. Aber so ist die Realität nicht. Und wenn wir die  Realitätsverweigerung vieler Menschen kritisieren, können wir nicht mit schlechtem Beispiel vorangehen und uns dieser politischen Realität verschließen.

Dieses Realität verändert sich jeden Tag und die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber die Landtagswahlen in Hessen und Bayern waren ein klares Signal dafür, dass jede Chance genutzt werden muss, um den rechtskonservativ-rechtsextremen Durchmarsch irgendwie zu verhindern, auch wenn die Chance sich aus einer sehr durchwachsenen Mischung aus sozialdemokratischer Sozialpolitik und national-pragmatischer Außen- und Migrationspolitik zeigt. Vor allem auf dem Feld der Außenpolitik allerdings, das betonen wir auch in diesem Beitrag noch einmal, wird Wagenknecht noch viel zurückstecken müssen, wenn sie im Gefüge der BRD Realpolitik machen will. Das müsste sie eigentlich wissen und sollte aufhören, ihren Anhänger:innen diesbezüglich eine quasi ganz neue Orientierung, eine Pax Wagenknecht, zu versprechen. Innen- und sozialpolitisch sehen wir eher Chancen, dass sie ein bisschen was bewegen kann, und sei es durch den angesprochenen Druck auf die aktuelle Regierung in sozialpolitischen Fragen. Ein wichtiger Test wird für uns sein, ob sie es schafft, endlich für eine gerechtere Vermögensverteilung zu sorgen und den Ungleichheitstrend zulasten der Mehrheit und damit auch die Abkehr vom Leistungsprinzip, stoppen zu helfen. Damit kann man bei uns viele Punkte machen, denn es gibt aktuell keine relevante Partei, die dieses Grundproblem der Gerechtigkeit auch nur anzufassen wagt.

Also müssen wir uns nun entscheiden, ob wir mit diesem Mix leben können, wenn es wieder zur Wahlurne geht. Immer noch eher nein, aber im Fall einer drohenden weiteren Rechtsverschiebung vielleicht doch. Gut, dass wir erst einmal nicht gefordert sind, sondern dass die nächsten Wahlen im Osten stattfinden werden. Da wird sich einiges verschieben, wenn BSW dann schon dabei ist, und das sollte ja wohl das Ziel von SW sein: Wo das Potenzial für sie am größten ist, gleich Marksteine zu setzen. 

TH

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