Briefing 345 Gesellschaft: Verkehrswende, Beschleunigungsverfahren, Umwelt und Klima, Schiene, Straße, Radweg
Autobahnen, Schienennetz, Radwege, Maut, Tempo 30: Was hat Priorität?
Aktuell hat Civey eine relativ komplizierte Umfrage aufgesetzt. Es geht nicht um „ja“, „ja, aber“, „unentschieden“ usw., sondern unter einem ganzen Maßnahmenbündel für die Verkehrspolitik, das die Ampelregierung jetzt beschlossen hat, die wichtigste Maßnahme herauszufinden. Hier zunächst die Umfrage.
Begleittext aus dem Civey-Newsletter
Der Bundestag beschloss am letzten Freitag weitreichende Reformen im Verkehrsbereich, welche die Ampelregierung lange Zeit verhandelt hatte. Der Tagesschau zufolge soll etwa das „Planungsbeschleunigungsgesetz” dafür sorgen, dass der Bau von Schienen, Autobahnen, Wasserwegen sowie die Sanierung von Brücken oder Autobahnabschnitten schneller genehmigt wird. Zudem sollen mehr Busspuren, Rad- und Fußgängerüberwege geschaffen werden. Durch eine Änderung des Straßenverkehrsgesetzes können Kommunen außerdem künftig leichter Tempo-30-Zonen einrichten, berichtete die Welt.
Die Ausweitung der Lkw-Maut auf Bundesstraßen und Autobahnen ist der ARD nach ebenfalls Bestandteil der Reformen. Demnach soll die Mautpflicht ab dem 1. Juli 2024 schon für kleinere Transporter gelten, die mehr als 3,5 Tonnen wiegen. Bisher greift die Maut erst ab 7,5 Tonnen. Davon ausgenommen bleiben sollen aber Fahrten von Handwerksbetrieben. Laut ZDF müssen zudem LKW mit höherem CO2-Ausstoß ab Dezember eine höhere Gebühr zahlen. Die Einnahmen sollen künftig für Investitionen in das Schienennetz genutzt werden.
Die Ampel zeigte sich zufrieden über die Beschlüsse. Grünen-Fraktionsvize Julia Verlinden sprach gegenüber der dpa von einer „historischen Weichenstellung für eine moderne, sichere und klimafreundliche Mobilität”. Der ARD nach kritisieren Umweltverbände dagegen den beschleunigten Autobahnausbau aus Klimaschutzgründen scharf. Der Opposition fehlen der Welt zufolge wichtige Details beim Beschleunigungsgesetz, um die Verfahrensdauer nachhaltig zu verringern. Die Union kritisiert laut dpa zudem die finanzielle Belastung für „Wirtschaft und Verbraucher” durch die Mautpläne.
Zugegeben, wir haben ganz klientelorientiert abgestimmt: Ausbau der Radwege. Nur 8,5 Prozent finden das im Moment am wichtigsten, hingegen wollen immer noch 14 Prozent mehr Autobahnen. Das wird noch ein langer Weg, bis die Menschen endlich verstehen.
Vielleicht ist es aber doch nicht so hoffnungslos: 36 Prozent sprechen sich aktuell dafür aus, dass vor allem dem Schienenwegausbau Vorrang eingeräumt werden soll und fast 30 Prozent haben Angst, durch eine marode Brücke zu krachen. Die Mauterhöhung hingegen ist kein Thema, für das sich die Abstimmenden begeistern können. Auch die vereinfachte Einrichtung von Tempo-30-Zonen für weniger als 5 Prozent der Abstimmenden besonders wertvoll oder wertvoller als all die anderen Maßnahmen.
Wir meinen, man kann das eine nicht gegen das andere aufrechnen. Wären es nicht die Radwege gewesen, hätten wir das Schienennetz oder die Tempo-30-Zonen für am wichtigsten erachtet. Alles zusammen ergibt ein Bild und der beschleunigte Autobahnausbau ist ein ziemlicher Wermutstropfen oder Umweltsündenklecks mitten in diesem Bild.
Ob man es dieses Mal allen recht machen konnte, indem man Verkehrsförderung in jeder Hinsicht betreibt? Wir melden Zweifel an. Die Ampelregierung kann derzeit den Menschen nicht viel recht machen. Uns scheinen die Änderungen überwiegend akzeptabel zu sein, sofern sie in der Praxis tatsächlich eine Beschleunigung bewirken. Das haben wir nun genauso wenig checken können wie die Opposition im Bundestag.
In Berlin geht sogar der Ausbau der Radwege jetzt weiter, nachdem die #Rückschrittskoalition|s-Verkehrssenatorin erst einmal voll auf die Rücktrittbremse getreten hat, nachdem sie ihr Amt angetreten hat. Die Reaktionen waren harsch, weil die Stadtgesellschaft dahinter eine absichtliche und fehlgeleitete verkehrspolitische Strategie vermutet hat.
Man traut den Politiker:innen eben nicht zu, dass sie für die Menschen handeln, und das hat seine Gründe.
Beim Schienenverkehr dürfte das Problem sein, dass große Summen in die Bahnsanierung fließen müssen, damit die DB funktional bleibt. Wie viel Geld dann noch für den Zubau von Strecken bleibt, die vermutlich nicht sehr profitabel sein werden, sondern der guten alten Gemeinwohlverpflichtung, in diesem Fall dem (Wieder-) Anschluss des ländlichen Raums ans Fernnetz, geschuldet sind, muss abgewartet werden. Wenn die Landeier das Angebot nicht annehmen, sondern lieber weiter jeden Meter mit ihren Benzinkutschen zurücklegen, werden wir uns entsprechend äußern, falls wir bis dahin noch unter den Lebenden weilen.
Vielleicht doch ein paar schnelle Tempo-30-Zonen, um die Stadtgesellschaft während der langwierigen Infrastruktur-Ertüchtigungsmaßnahmen bei Laune zu halten? Kostet kaum und befriedet dermaßen den Verkehr. Die Autos gleiten dann wirklich mit 40 bis 50 Km/h dahin und egal, ob man nebenan einen Radweg hat oder nicht, es fühlt sich viel sicherer an als das Gerase, das teilweise auf 50er-Strecken herrscht.
TH
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