Filmfest 1005 Cinema – Die große Rezension
Der kalte, dicke Apfel vs. in mir selbst bin ich verloren
Sue – Eine Frau in New York (Sue) ist ein US-amerikanisches Filmdrama von Amos Kollek aus dem Jahr 1997. Es eröffnete eine Reihe von Filmen des Regisseurs und der Hauptdarstellerin über das Leben von Außenseitern in New York, zu der außer Sue noch Fiona (1998), Fast Food, Fast Women (2000) und Bridget (2002) gehören.
Vermutlich kennen dieses Sozialdrama des Regisseurs Amos Kollek mehr Europäer als Amerikaner – zumindest lässt die Verteilung der wertenden IMDb-Nutzer:innen (1) darauf schließen. Auf jeden Fall ist dies ein New York-Film der anderen Art, der in die optimistische Clinton-Ära, in welcher er entstand, mit ihren vielen Kino- und Realkomödien hineinsticht wie eine kleine, aber böse Nadel.
Der Film ist der erste der New York-Trilogie von Kollek über einsame junge Frauen in der Stadt, der einzige davon, der in Deutschland synchronisiert im Kino lief und seitdem desöfteren von den öffentlich-rechtlichen Sendern ausgestrahlt wurde (2). Er wird innerhalb der Trilogie nicht nur am besten bewertet, sondern ist auch für einen Independent-Film vergleichsweise gut rezipiert worden. Wir rezipieren weiter in der –> Rezension.
Handlung (3)
Sue, eine gutaussehende, intelligente Frau von Ende 30, ist aus einem Provinzort nach New York City gezogen, wo sie allein in einem Apartment in Manhattan wohnt. Sie leidet unter ihrer Einsamkeit, weint oft, führt Selbstgespräche, betrinkt sich. Außerhalb ihrer Wohnung lässt sie sich allerdings nichts anmerken. Sie macht ziellose Ausflüge in die Umgebung und spricht dabei andere Menschen an, vorwiegend Männer. Mit ihrer netten, höflichen Art kommt sie auch gut an. Mit manchen Leuten spricht sie nur kurz und geht dann lächelnd weiter. Mit anderen lässt sie sich länger ein. Manchmal kommt es zu flüchtigen sexuellen Begegnungen, so etwa in einem Kino mit dem Mann auf dem Sitz neben ihr. Sie hat auch ein paar gute Freundinnen, mit denen sie sich manchmal trifft.
Sue ist schon länger arbeitslos und konnte seit Monaten die Miete nicht mehr zahlen, so dass ihr Vermieter droht, ihr die Wohnung zu kündigen. Eine Freundin bietet ihr Geld an, aber sie kann sich nicht wirklich durchringen, diese Hilfe anzunehmen. Sie sucht sich einen Job als Sekretärin in einer Kanzlei, wo ihr allerdings der Chef schon bei der Einstellung sexuelle Avancen macht.
In einem Lokal hat Sue einen attraktiven jungen Mann kennengelernt und ihm ihre Telefonnummer gegeben. Etwas später gehen sie miteinander aus und schlafen schließlich miteinander. Ben ist Reiseschriftsteller und hat viel zu tun. Er ist ernsthaft an Sue interessiert, aber sie hat Mühe zu glauben, dass er ihr auf Dauer treu bleiben könnte. Nach einigen Wochen ruft er sie vom Flugplatz aus an und teilt ihr mit, dass er jetzt sofort ins Ausland muss. Sue fühlt sich in ihren Befürchtungen bestätigt. Nur mit Mühe kann Ben ihr klarmachen, dass er bald zu ihr zurückkommen wird.
Sue beginnt wieder ihre ziellosen Ausflüge und lässt sich erneut auf sexuelle Abenteuer ein. Als sie eines Morgens zur Arbeit kommt, teilt ihr der Chef lapidar mit, dass sie nicht mehr gebraucht wird. Sie findet einen neuen Job als Kellnerin, verdient aber zu wenig, um ihre Wohnung länger halten zu können. Bei der Heimkehr von einem ihrer Ausflüge findet sie ihre Möbel im Flur und die Kündigung außen an der Wohnungstür. Sie zieht in ein billiges Hotel, wo sie tageweise zahlen kann, aber bei Preisen von 50 Dollar pro Nacht ist absehbar, dass sie diese Unterkunft nicht lange wird halten können.
Da kommt Ben von seiner Reise zurück und trifft Sue auf der Straße. Er freut sich aufrichtig über das Wiedersehen und lädt sie für den Abend zum Essen ein.
Aber Sue kommt nicht zu diesem Abendessen. Auf einer Bank, auf der sie zuvor oft mit einem weißhaarigen farbigen Mann geredet hat, sitzt sie nun allein, in heruntergekommenem Zustand und sehr schwach. Sie spricht kurz mit einem Jungen, dann legt sie sich zum Schlafen auf die Bank.
Rezension
Winter beherrscht den Big Apple, als wir Sue kennen lernen und etwa 85 Minuten lang verfolgen, wie sie den Anschluss ans Leben verliert. Sie kann sich nicht einlassen auf Beziehungen und verliert ihre Jobs und am Ende sitzt sie leblos auf einer Parkbank, nachdem man sie wegen Mietrückständen aus der Wohnung geworfen hat. Schläft sie noch oder ist sie schon tot?
Anna Thomson ist keine Mainstream-Schönheit, wie dieser Film kein Mainstream-Kino ist. Dennoch ist sie so attraktiv, dass man sich weigern möchte, daran zu glauben, dass sie einfach untergeht. Man denkt, da muss noch jemand kommen und sie retten. Im Verlauf des Films trifft Sue in der Tat immer wieder Menschen, die auf die eine oder andere Weise eine Wendung einleiten könnten. Manche sind böse, vor allem die Personaler, aber viele andere lassen New York geradezu warm wirken. Da gibt es Ben (Matthew Powers), den Reisejournalisten, ein hübscher Kerl, der ernsthaft eine Beziehung mit ihr möchte. Oder Linda (Tracee Ellis Ross) die Barfrau, die Sue nur von wenigen Begegnungen kennt und doch spontan bereit ist, ihre Mietschulden zu übernehmen.
Doch Sue findet keinen Halt bei diesen Menschen. Sie macht es uns als Zuschauern nicht leicht, weil wir beinahe mit ihr verzweifeln an ihrer Unfähigkeit, die Dinge beim Schopf zu packen, an ihrer Unfähigkeit, sich einzulassen. Es ist nicht und ist doch nicht das System, das einen Menschen wie Sue zerstört, denn das Selbstzerstörerische ist in ihr ganz persönlich angelegt. Der Film vertritt keineswegs die Ansicht, für verletzliche Naturen sei kein Platz in dieser Welt, sondern zeichnet das ganz individuelle Porträt einer Verlorenen.
Fraglos ist Sue eine Ausnahmeerscheinung im harten, schnellen New York. Das macht Amos Kollek deutlich, indem er eine Gefühlsextremistin zeigt, die zwischen verschwenderischer Hingabe und der Unfähigkeit zu tiefer Bindung Achterbahn fährt, dass dem Zuschauer Angst und Bange wird. Eine Frau, die sich annähern will, aber in einer traurigen Soziophobie verharrt.
Keine Action und keine Kompromisse. Die Handlung ist unspektakulär und wird durch die Anneinanderreihung von alltäglichen Ereignissen zum Psychogramm einer Persönlichkeit verdichtet, die uns von Anna Thomson mit ihrem schonungslosen Spiel sehr nahe gebracht wird, ohne dass wir sie komplett verstehen. Wir verstehen uns selbst auch nicht immer, sofern wir nicht ganz monolithisch angelegt sind und glauben, wir würden uns und die Welt verstehen – und das macht den Film so wahrhaftig und beängstigend, besonders dann, wenn er uns spiegelt.
Das Zerbrechen sozialer Netzwerke muss hier nicht thematisiert werden. Sue kommt allein nach New York und bleibt letztlich allein. In einer kleinen Stadt wie derjenigen, aus der sie stammt, gibt es etwas wie eine natürliche Einbindung, ob man mag oder nicht, wenn man dort aufgewachsen ist. Nicht so im Big Apple im Winter. Wer hier nicht fähig ist, sich ein Netz zu weben, eine kleine Welt mit Sozialkontakten zu schaffen, sich ein Nest zu bauen und anderen zu vertrauen, wird gnadenlos auf sich selbst zurückgeworfen und bleibt unbehaust und verliert seine vier Wände.
Dabei kann man nicht einmal einen Vorwurf an die Stadt oder an das ökonomische System erkennen, nach dem Menschen bewertet werden. Zwar spielen Schulden eine Rolle und die Abschätzigkeit, mit der Personaler an Bewerber herangehen, die ein wenig anders wirken als das taffe Durchschnitts-Großstadtmenschenmodell. Doch mit den Kränkungen fertigzuwerden, die daraus erwachsen, das allein ist es nicht, was Sue zerstört. Da ist etwas in ihr angelegt, das sie vielleicht erst nach New York getrieben hat. Etwas, das genau diese Anonymität erst schafft, für die Sue nicht geeignet, nicht hart genug ist. Im Original heißt der Film schlicht „Sue“, dort wird also kein Bezug zur Stadt schon im Titel hergestellt, der eine Korrelation zwischen dem Schicksal und dem Wesen dieser Stadt suggerieren könnte.
Von klein auf wurde Sue von jedem Menschen verletzt, das sagt sie selbst, und es reicht am Ende, um sie zu entschlüsseln. Die Quintessenz: Warum sich immer wieder auf ander einlassen und wieder dieses Risiko eingehen?
Ein Moment des Lichts
Schließlich geht sie das Riskio ein. Ben tritt in ihr Leben. Eine Zufallsbekanntschaft, die sie während eines Restaurantbesuchs schließt. Er ist kein Mann, der an Zufälle glaubt und sie verletzt ihn wiederum mit ihrem Geplapper vom großen, gut aussehenden und gut küssenden Zufall. Doch er bemüht sich weiterhin und es entsteht tatsächlich eine Zweisamkeit. Er ist es, der diese Beziehung steuert. Die Farben des Films werden wärmer, die Musik wird freundlich, ja optimistisch. Dann aber nimmt er kurzfristig einen Auslandsjob an – und das ist für Sue bereits eine Kränkung, die sie nicht verwindet. Nichts spricht gegen ein Wiedersehen, bis auf Sues mentale Disposition.
Gleichzeitig verliert sie den Job in einer Anwaltskanzlei, den sie sich so schwer erkämpft hat, und der Abstieg ist vorpgrogrammiert. Ja, es ist blöd, wenn man sich verliebt, ein paar Tage miteinander verbringt und dann gleich für einen Monat getrennt wird. Aber jemand mit einem Freundeskreis wird das überstehen, jemand, der eine erfüllende Aufgabe im Leben hat, ebenfalls. Es gibt Momente, in denen wir Sue schütteln möchten und wissen doch – da ist etwas in ihr, das früh zerbrochen wurde und niemals hat jemand ernsthaft den Versuch gemacht, es zu heilen, ihr wirklich zu helfen. Schon gar nicht holt sie selbst sich die professionelle Hilfe, die dringend erforderlich wäre, sie kann nicht einmal dies. Sie flieht vor sich und den Menschen. Die Idee einer Therapie taucht im Film nicht auf, ein Plan, ein Konzept, das typisch amerikanische Stehaufmännchenprinzip verweigert Sue sich selbst. Das ist bitter und kalt und daher ist das Ende im kalten Central Park, wo sie zitternd und mit blaugefrorenen Lippen sitzt und einschläft, konsequent.
Wo es herkommt und wo es hinführt
Wir waren geradezu schockeirt, als plötzlich Sues Mutter gezeigt wird, wir empfanden es als Verletzung eines Kokons um Sue in ihrer Wirklichkeit in New York, der zuvor aufgebaut wurde. Mit der Mutter wird auch die bisherige, rein subjektive Perspektive aufgehoben.
Richtigerweise werden Leute, mit denen Sue telefoniert, deswegen nicht gezeigt, man hört über die Perspektive der Einsamen hinaus nicht einmal ihre Stimmen aus dem Hörer. Was sie sagen, erfährt man nur durch Sues Reaktion. Das ist ein gängiges Stilmittel, doch mit einem Mal wird die offensichtlich demente Mutter gezeigt, als sei es notwendig zu erklären, warum die Kommunikation so einseitig ist. Dabei hat man vorher schon verstanden, dass Sue sich ausgerechnet an jemanden klammert, der emotional gar nicht zur Verfügung steht, hingegen diejenigen außer Acht lässt, die ihr Halt geben könnten und eine Idee davon bekommen, warum das so ist.
Da war etwas in ihrer Kindheit, das wird wohl damit angedeutet, hingegen nicht erklärt und wir sind auch d’acccord damit, dass dies nicht getan wird. Sues Verhalten ist zwar extrem, aber auch exemplarisch für eine Gattung von Menschen, die einen Gefühlsstau entwickeln, der jede Balance verhindert. Die Dimension dieser Verwerfung ist bei Sue besonders groß, aber wäre sie das nicht und wäre alles etwas relativer, dann würde der Charakter dieser Frau seine Wirkung verfehlen. In ihr ist eine rote Linie des Scheiterns angelegt. Eine Zeitlang hält sie sich über Wasser, doch die Verkettung einiger Widrigkeiten – von Katastrophen kann man nicht sprechen – reicht aus, um diese Frau, die keine gute Lebensschwimmerin ist, ermatten und im Strom des Lebens untergehen zu lassen.
Wenn jede Annäherung einen inneren Kampf darstellt, jedes Bemühen um Normalität so viel Kraft kostet wie es bei ihr der Fall ist, dann hält ein normales Maß an Kraft nicht sehr lange vor – oder: Sie hat wenig Kraft im Vergleich zu jemandem, der mit einem gesunden Urvertrauen in die Welt gestartet ist. Etwas hat immer an ihr gezehrt und zehrt sie in diesem kalten New Yorker Winter binnen weniger Wochen endgültig auf.
Rein physisch ist Anna Thomson für diese Rolle prädestiniert. Nicht nur ihr intensives Spiel, sondern auch diese grazile Figur mit den vergleichsweise zu großen Brüsten und Lippen spiegelt ihre Mentalität auf verstörende Art. Sie ist ein sexuell aktiver, lustvoller Mensch, ihr großer Mund steht für Sinnlichkeit und Lebenszugewandtheit, ihre Brüste wären Symbole für Mütterlichkeit und Lust am Leben und an der Liebe – doch sie hängen an einem Körper, der wirkt, als könne er sie kaum tragen, als gehörten sie nicht wirklich zu ihm. Die Lust am Leben, an dem sie sich doch immer wieder verbrennt, ist zu viel für Sue.
Andere Menschen mit emotionalen Defiziten, wie Sue sie aufweist, schützen sich, indem sie zu kargen, zurückgezogenen Existenzen werden, die ihre Emotionen sterben lassen und möglicherweise kleine, fitzelige Bürokraten werden, die in penibler Ordnung ihr Heil suchen, um eine unübersichtliche und verletzende Welt soweit zu beherrschen und zu strukturieren, dass ein Überleben darin möglich ist. Diesen Schutzmechanismus besitzt Sue nicht. Der schmale, von hinten betrachtet aufs Notwendige reduzierte, aus der Frontperspektive unharmonische Körper wirkt, als sei Sue gehalten, ihre Kräfte zu schonen, doch ihr sinnlicher Mund und die Brüste, die sich wildfremden Männern entgegenrecken, lassen dies nicht zu und so kommt es zur unvermeidlichen Tragödie.
Augen auf den Film gerichtet
Was Amos Kollek uns hier zeigt, ist schmerzlich, manchmal schwer zu ertragen. Sicher muss man eine Ader für verlorene Seelen haben, um diesen Film und diese verstört verstörende Frau namens Sue berührend zu finden. Je sicherer man sich selbst und seiner Beziehungen ist, desto weniger Bezug wird man dazu entwickeln können. Zudem meinen wir, es ist ein Film ausschließlich für Erwachsene. Damit meinen wir Menschen mit Lebenserfahrung, die vielleicht schon einige Höhen und Tiefen gesehen haben und die auch bereit waren, das Risiko einzugehen, das Höhen und Tiefen erzeugen kann.
Filmisch wird das alles nur wenig kommentierend dargeboten. Die Bilder unterstützen das Schauspiel von Anna Thomson nur bedingt. Es gibt zwar Großaufnahmen von ihrem Gesicht, doch manchmal hat der Film auch etwas Dokumentarisches, das auf den ersten Blick distanziert daherkommt. Wir denken, dass Amos Kollek vor allem darauf abzielte, jedwede Effekthascherei, wie sie im Hochglanz-Mainstreamkino jener Zeit in Mode gekommen war, zu vermeiden und seiner Schauspielerin alle Aufmerksamkeit zu widmen. Es ging darum, Sues Figur ins Zentrum zu stellen, ohne durch filmische Mittel zu sehr Partei für sie zu ergreifen und er stellt auch andere Figuren nicht so dar, dass die Sympathien des Zuschauers für Sue bereits aus deren Verhalten erwachsen können.
Finale
„Sue“ ist gewiss kein Film, den man sich immer wieder anschauen kann oder sollte, aber es ein Mal zu tun, kann nicht schaden. Auch denjenigen nicht, die sich in vermeintlich sicheren Positionen befinden und es weit von sich weisen würden, irgendwelche Eigenschaften mit dieser Frau zu teilen. Es gibt sehr unterschiedliche Menschen und alle gehören zu dieser Welt, selbst wenn sie nicht darin bestehen können.
In Deutschland wäre es vielleicht anders gelaufen, mit Sue. Aber nur, falls sie sich aufgerafft und Unterstützung beantragt hätte. Dann hätte sie zum Beispiel ihre Wohnung nicht verloren und es wären zwangläufig Kontakte zu offiziellen Stellen entstanden. So sehr wir die Art, wie von diesen Stellen mit Menschen umgegangen wird, kritisch sehen, das hiesige System ist dem amerikanischen immer dann überlegen, wenn es darum geht, auch Personen mitzunehmen, die es schwer haben mit sich und der Wirklichkeit. Dafür reglementiert dieses System stärker und produziert dadurch die eine oder andere Ungerechtigkeit – weil es insgesamt den Menschen gerechter werden will.
Aber die Systembetrachtung steht nicht im Zentrum. Man kann sogar den Verdacht haben, auf hintergründige Weise ist „Sue“ prokapitalistisch. Weil sie so erkennbar nicht an anderen, sondern an sich selbst scheitert, wo andere ihr doch helfen wollen. Deswegen fanden wir es angezeigt, einen Absatz zu den Systemunterschieden zu verfassen. Hierzulande ist Hilfe ein Anspruch, keine Gnade. Das macht einen entscheidenden Unterschied bezüglich der Menschenwürde, die im Artikel 1 des Grundgesetzes unverrückbar festgehalten wurde.
Sue verhält sich zeitweise nicht besonders würdevoll und kann keine Nähe zulassen, wäre daher überall schwer zu integrieren. Und auch hier gibt es immer mehr Menschen, die auf der Straße leben, trotz aller Abfederungen, die ein durch äußere Einflüsse gestresstes soziales System immer noch bietet. Sue lebt in New York, aber man kann sich nicht damit trösten, dass die Verhältnisse bei uns ein wenig anders sind.
Der obige Text wurde Anfang 2014 im „ersten Wahlberliner“ publiziert und wir veröffentlichen ihn im „neuen Wahlberliner“ noch einmal. Mittlerweile haben wir viel Mainstreamkino aus dem Jahr 1997 auf dem Filmfest besprochen und können bestätigen: „Sue“ ist anders, mit keinem dieser Filme auch nur annährend zu vergleichen, so unterschiedlich sie auch sein mögen. Es war auch einer der ersten Filme aus diesem Jahrgang, die wir kennengelernt haben, in einer fast kinolosen Zeit, weil er von den öffentlich-rechtlichen Sendern relativ kurz nach seinem Entstehen gezeigt wurde. Fast zehn Jahre nach der Erstveröffentlichung mussten wir an dem Originaltext kaum etwas ändern, haben nur an wenigen Stellen stilistische Korrekturen vorgenommen, denn er ist weitaus besser und analytisch präzisier geschrieben als viele spätere Rezension, die auf dem großen Filmfest des neuen Wahlberliners veröffentlicht wurden.
Wir meinen allerdings mit fast 10 Jahren Abstand, jemand, der sich gerade in einer Krise befindet oder gar ein generelles Scheitern zu verzeichnen glaubt, das zu viele Assoziationen zur Figur des Films hervorrufen könnte, sollte vorsichtig beim Anschauen des Films sein, es am besten nicht alleine tun. Inspirierend, und sei es nur im Sinne von lösungsorientiert, ist „Sue“ keinesfalls. Zusammenfassend würden wir heute schreiben: Sue hat eine extrem geringe Resilienz und der Film handelt nicht davon, wie man Resilienz erwirbt. Dieser Begriff hat erst in den letzten Jahren Eingang in unseren Sprachschatz gefunden wir denken derzeit auch viel über kollektive Resilienz in Krisenzeiten nach. Sue scheint geradezu ein Role Model geworden zu sein, was sie 1997 noch nicht war.
Dies bedeutet nicht, dass soziale Isolierung, Wohnungs- und Obdachlosigkeit in einen Kontext stellen darf, in dem Sue auch als Erklärungsmodell tauglich ist. Das wäre der falsche Rückschluss aus einem Film, über den man viel nachdenken kann, ohne solchermaßen falsche Zuschreibungen vorzunehmen.
Amos Kollek gewann im Jahr 1998 zwei Preise der Internationalen Filmfestspiele Berlin, darunter den FIPRESCI-Preis. Er wurde 1998 für einen Preis des Deauville Film Festivals nominiert.
Vermutlich wurde er auch wegen der Preise bei den Berliner Filmfestspielen im deutschen Fernsehen relativ schnell ausgestrahlt.
80/100
© 2023, 2014 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
(1) IMDb = International Movie Database
(2) Die weiteren Werke sind „Fiona“ (1998) und „Bridget“ (2002)
(3), kursiv und tabellarisch: Wikipedia
| Regie | Amos Kollek |
|---|---|
| Drehbuch | Amos Kollek |
| Produktion | Amos Kollek, Zack Habakuk, Osnat Shalev |
| Musik | Chico Freeman |
| Kamera | Ed Talavera |
| Schnitt | Elizabeth Gazzara |
| Besetzung | |
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