Immer so viel Jahr am Ende des Haushalts: Sondervermögen Innere Sicherheit + Aufhebung Schuldenbremse für Investitionen? (2 Umfragen + Kommentar) | Briefing 349 | Wirtschaft, Gesellschaft

Briefing 348 Wirtschaft, Gesellschaft, Innere Sicherheit, Sondervermögen, Schuldenberg, Schuldenbremse, Investitionen, Bildung, Subventionen

Money, Money, Money … und es reicht doch nie. Eine neue Idee kommt diesbezüglich aus dem Bereich der Inneren Sicherheit und der Wirtschaftsförderung.

Civey-Umfrage: Sollte die Bundesregierung Ihrer Meinung nach ein Sondervermögen zur Aufrechterhaltung der Inneren Sicherheit bereitstellen? – Civey

Begleittext von Civey aus dem Newsletter:

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat ein Sondervermögen für die Innere Sicherheit gefordert. In einem öffentlichen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte der GdP-Vorsitzende Jochen Kopelke, dass die Sicherheitsbehörden ihrem Auftrag derzeit nicht gerecht werden, Gefahren für Menschen abzuwehren. Grund sei die gegenwärtige Haushaltsplanung, berichtete die WiWo am Sonntag. Unterfinanziert seien dadurch etwa die Terrorismusbekämpfung und die Vorkehrungen zur Abwehr hybrider Angriffe in Deutschland. 

Angesichts der aktuellen Sicherheitslage forderte auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mehr Bundesmittel für die Polizei. Er verwies letzte Woche gegenüber der dpa auf den Krieg in Gaza, der auch hierzulande zu Auseinandersetzungen auf deutschen Straßen führe. Herrmann vermute ferner, dass daher auch die Gefahr islamistischer Anschläge in Deutschland steige. Zudem würde der Unmut aufgrund der Flüchtlingsproblematik steigen. 

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) lehnt ein Sondervermögen für die Innere Sicherheit ab. Die Sicherheitsbehörden wurden in den letzten Jahren bereits finanziell gestärkt, argumentierte er am Sonntag in der ARD. Er mahnte stattdessen eine bessere Zusammenarbeit von Bund und Ländern beim Schutz von jüdischen Einrichtungen an. Damit Strafverfolgungsbehörden aktiv werden könnten, sei dem FPD-Chef zufolge auch eine gute Polizeitaktik vor Ort nötig, um schnell festzustellen, wer Gewalt verherrliche oder Antisemitismus propagiere.

Man sollte es nicht für möglich halten: Schlappe 43 Prozent der Abstimmenden sind, kurz nach dem Aufsetzen dieser Umfrage, tatsächlich dafür, dass ein solches Sondervermögen eingerichtet wird. Nicht weniger als 13 Prozent sind latent dafür. Man sollte es nicht für möglich halten: Wir sind ausnahmsweise auf der Seite von Christian Lindner. Wenigstens ist er einmal konsequent und wehrt auch Ansprüche aus dem Repressionsapparat ab. Nach der äußeren Sicherheit mit schlappen 100 Milliarden Euro jetzt auch noch Sonderschulden für die Innere Sicherheit zu machen, ist schlichtweg Irrsinn.

Das einzige Sondervermögen, das wirklich notwendig ist und das wir befürworten würden, wäre ein Sondervermögen Bildung.

Die langfristige Wirkung wäre unter anderem, dass nicht mehr fast 55 Prozent der Abstimmenden, unter denen bestimmt viele Staatskritiker sind, dem Staat unter dem Deckmäntelchen von allen möglichen aktuellen Anforderungen noch mehr Möglichkeiten zum Durchgriff auf die Bürger:innen geben wollen. Die Verbrechensbekämpfung ist in der Tat ein Problem, das würde oder sollte niemand abstreiten, der z. B. in Berlin mit offenen Augen unterwegs ist. Hier besser zu werden, ist keine Frage der Mittel, sondern der Gewichtung des Einsatzes der Mittel, vor allem des politischen Willens, durch bessere Verbrechensbekämpfung für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Gerade dies ist nicht gewünscht, daran wird auch die neue #Rückschrittskoalition mit dem einhergehenden rechteren Gepräge der Politik nichts ändern. Wir werden weiterhin unverhältnismäßig viel Polizei inklusive unverhältnismäßig rigiden Einsatzmethoden bei sozialen Protesten sehen, falls es überhaupt noch welche geben wird, und unverhältnismäßig wenig und freundliche Begleitung bei rechten Aufmärschen. Darauf können wir jetzt schon wetten. Die Steuerfahndung und ähnliche wichtige Instrumente zur Ertüchtigung des Staates hingegen werden, gerade von den Liberalen, bewusst geschliffen.

Vor allem die hybriden Angriffe haben uns wirklich schmunzeln lassen. Die einzige Hybris, die wir in diesem Zusammenhang erkennen, ist diejenige von Politiker:innen, die wirklich jede Gelegenheit nutzen wollen, um die Demokratie ein wenig mehr zu beschädigen und in Richtung des  gläsern-autoritären Staates zu verschieben. Aber auch der Kampf gegen den Terror wird ja immer gerne mal als Vehikel für mehr Durchgriff verwendet. Das beste Mittel dagegen ist aber eine vernünftige und, ganz neues Zitat, aber uralter Content: unbedingter Einsatz für Menschenrechte für alle als einzige unabdingbare Lehre aus dem Holocaust.

Wir freuen uns geradezu, dass wir eine Umfrage, die seit vorgestern läuft, zwei Tage haben liegen lassen, denn sie passt gut zur vorherigen:

Civey-Umfrage: Sollte die Bundesregierung Ihrer Meinung nach die Schuldenbremse lockern, um die deutsche Industrie stärker staatlich fördern zu können? – Civey

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) stellte letzten Mittwoch ein Strategie-Papier zur Stärkung der Industrie vor. Die dafür angekündigten staatlichen Subventionen sollen die Wirtschaft und den Zusammenhalt der Gesellschaft stärken, berichtete der Stern. Das Geld soll dem Industriestrompreis, dem Ausbau von Stromnetzen, erneuerbarer Energien und der Wasserstoffindustrie dienen. Außerdem soll die Sanierung der Infrastruktur unterstützt und steuerliche Anreize für Investitionen gegeben werden. Zur Finanzierung hält er eine Aufweichung der Schuldenbremse für nötig. 

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) wollen indes an der Schuldenbremse festhalten. „Die Zeit der krisenbedingten Mehrausgaben ist vorbei.” Andernfalls gefährde man „dauerhaft die Stabilität unseres Gemeinwesens”. So verteidigte Lindner jüngst seinen geplanten Sparkurs für den Haushalt 2024, berichtete die Zeit im September. Die Bekämpfung der Inflation, die derzeit vor allem für unsoziale Entwicklungen verantwortlich sei, habe nun Priorität für ihn.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich spricht sich für eine Aufhebung der Schuldenbremse aus. Als Begründung verwies er jüngst in der Rheinischen Post auf notwendige Investitionen für die Energieversorgung und den Klimaschutz. Auch um den globalen Krisen zu begegnen, hält er eine grundlegende Reform der Schuldenbremse für angebracht. Ähnlich äußerten sich auch SPD-Co-Chefin Saskia Esken und Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang der SZ zufolge.

Die „Aufweichung“ oder Aufhebung der Schuldenbremse hat, das sieht man auf den ersten Blick, einen Vorteil gegenüber den „Sondervermögen“ = Sonderschulden. Sie ist ehrlicher. Ein höheres Haushaltsdefizit fällt sofort auf und wird dem Staatsschuldenbestand zugebucht, wohingegen „Sondervermögen“ dort gar nicht auftauchen. Den Anfang damit machten die massiven Sonderschuldenberge, die nach der Finanzkrise gebildet wurden, auch „Bad Banks“ genannt, in diese hatte man versucht, alles auszulagern, was sich in der Bankenkrise als Schrott erwiesen hatte. Sondervermögen gibt es auch auf Länderebene, etwa das Berliner Schulbauprojekt, für das von der ersten rot-rot-grünen Koalition außerplanmäßige Mittel lockergemacht wurden. Sie wissen spätestens seit unserer betr. Anmerkung zur obigen Umfrage Sicherheits-Sondervermögen, was wir über Bildungsinvestitionen denken: wenn Sonderausgaben, dann mit hoher Priorisierung dort. Aber auch dies nicht, um vorzugaukeln, man hielte die Schuldenbremse ein, sondern, wenn es wirklich gute Gründe für dieses Vorgehen gibt. Kein guter Grund: mit dem Geld eine ÖPP zu organisieren, die für den Staat am Ende eine Milchmädchenrechnung sein wird.

Schuldenbremse lockern ist der ehrlichere Weg, der Versäumnisse der Vergangenheit besser offenlegt , im Vergleich zur Bildung von Sonderschuldenbergen.

Es ist wirklich zum Schreien. Hier votiert fast eine absolute Mehrheit dezidiert oder latent dagegen, zusammen etwa 46 Prozent. Wir schreiten zum Zwischenfazit: Repression ja, Zukunftssicherung nein. Genau so sieht eine Gesellschaft aus, die sich selbst abschafft, nicht etwa eine solche, die Zuwanderung erlaubt.

Wir haben allerdings auch ein wenig nachdenken müssen, denn wieder geht es um die konkreten Maßnahmen. Wir haben zwischen „eher ja“ (unter bestimmten Bedingungen) oder „eindeutig ja“ geschwankt. Die Frage ist für uns, trotz des eindeutigen „Ja“, für das wir uns entschieden haben, was wird genau mit dem Geld gemacht. Höchst ungünstig außerdem: Während der fetten Jahre der Nullzinspolitik, wo Verschulden so leicht gemacht wurde, hat man in Deutschland genau das Gegenteil getan, nämlich die Schwarze Null favorisiert, zulasten der Infrastruktur. Jetzt, wo es an allen Ecken und Enden so sichtbar geworden ist, dass es nicht weitergehen kann wie bisher, wird es wesentlich teurer werden, neue Staatsschulden aufzunehmen. Kein Wunder, dass die Apologeten des Neoliberalismus auch darüber witzeln, dass der Staat als Investor einfach inkompetent ist. In Wirklichkeit ist es genau andersherum: jahrelang verhindert neoliberale Politik Zukunftsgestaltung und dann wird der ungünstige Zeitpunkt für die dringend notwendige Kehrtwende kritisiert.

Wir weisen seit Jahren darauf hin, dass eine bessere Wirtschaftspolitik vonnöten ist. Was auch wir so nicht voraussehen konnten, wie es kam: Wie massiv andere Länder einen Subventionswettlauf entfacht haben, allen voran die USA. Darauf zu reagieren, ist nicht einfach, schon wegen der Größenordnung des sogenannten IRA und weil in den USA zwar alle paar Monate ein Drama um die Erweiterung des Staatsschuldenrahmens veranstaltet wird, die Zustimmung der notwendigen Mehrheiten zur Erweiterung ein Gegenstand kleinerer oder größerer politischer Erpressungen sind, aber die Erweiterung kommt immer und der Schuldenberg der USA ist gigantisch. Allerdings steht ihm auch ein gigantisches Volksvermögen mit voller Konzentration auf das obere Ende der Pyramide entgegen.

Wir sind bis zu einem Zeitpunkt um 2018-2019 herum davon ausgegangen, dass die Wirtschaftspolitik vor allem anders lenken muss, aber nicht, dass ohne massive Subventionen der Wettlauf um den Industriestandort Deutschland vermutlich verlorengehen wird. Letzteres kam durch Trumps eigensinnige Politik und dann durch die Schäden an der Wirtschaft, die durch die Pandemie verursacht wurden, verstärkt in unseren Fokus. Was wir immer schon befürwortet haben: gezielte, auch staatlich begleitete oder angeschobene Investitionen in Zukunftstechnologien, in denen eine erhebliche Wertschöpfung erzielt werden kann, nicht die wahllose Förderung von Bullshit-Business-Startups.

Selbstverständlich sehen wir das Problem der Subventionitis, die übrigens klar belegt, dass die freie Marktwirtschaft nicht funktioniert, wenn alle Industriestaaten immer mehr Zuschüsse geben müssen, damit der Laden am Laufen bleibt, wahlweise sich als Steueroasen betätigen. Das ist die andere Möglichkeit, sich gut in Stellung zu bringen und andere Volkswirtschaften, auch die von engen Partnerländern, zu schädigen. Wenn es so weitergeht, finanzieren die Steuerzahler:innen ihre eigenen Arbeitsplätze oder die anderer Menschen mit einem immer höheren Anteil und die Unternehmen machen horrende Gewinne, die in die Tasche weniger Betuchter und Superreicher fließen. Denn selbstverständlich müssen später die meisten staatlichen Anschubhilfen nicht zurückgezahlt werden, egal, wie gut es läuft.

Sehr interessant auch, dass sich beide Seiten auf die Stabilität und den Zusammenhalt der Gesellschaft berufen. Die Gemeinschaft ist es ja jetzt, der Begriff findet wieder vermehrt Verwendung. Klingt aus den Mündern von Neoliberalen voll unecht und ist es auch.

Deswegen halten wir gut gemanagte sozialisierte Unternehmen klar für die zukunftsträchtigere Idee. Nicht in allen Bereichen, aber in denen, in denen es um eine kohärente und tatsächlich gemeinschaftsorientierte Strategie, nicht um Egotrips weniger geht, die man bis zu einem gewissen Grad verkraften kann.

Was die ganz aktuellen Anforderungen betrifft: Im Wirtschaftsbereich ist guter Rat nun teuer, weil man jahrelang zu wenig gemacht hat. Angesichts der sich rasch ändernden Lage in der Welt ist nicht einmal sicher, ob sich Investitionen, die jetzt getätigt werden, so auszahlen würden, wie es bei jenen der Fall gewesen wäre, die ihren Return on Investment in sicheren Zeiten hätten starten können. Aber jetzt die Taschen zuzumachen, erinnert daran, wie 1930 versucht wurde, in Deutschland die Weltwirtschaftskrise durch Sparpolitik zu meistern. Gründlicher kann es nicht schiefgehen, als es damals gelaufen ist. Die Neoliberalen lernen aber entweder nichts hinzu  oder sie wollen es genau so: Dass sich die Spannungen im Abstiegskampf verschärfen und der Rechtsruck nicht zum Stillstand kommt, sondern sich beschleunigt.

TH


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