Der Pferdeflüsterer (The Horse Whisperer, USA 1998) #Filmfest 1017

Filmfest 1017 Cinema

Der Pferdeflüsterer ist ein US-amerikanischer Spielfilm aus dem Jahr 1998 von Robert Redford, der neben Kristin Scott Thomas und Scarlett Johansson als Hauptdarstellerinnen, auch die männliche Hauptrolle übernahm. Die Handlung basiert auf dem gleichnamigen Roman von Nicholas Evans.

Es gibt sicher weltweit keinen Pferdefreund und vor allem keine Pferdefreundin, welche diesen Film nicht kennt und jedes Mal beim Anschauen aufpassen muss, dass das Sofa nicht aus dem Wohnzimmer geschwemmt wird. Was wir sahen war, dass Pferdeflüsterer und Frauenversteher genau gleich ticken. Sie arbeiten mit Tricks, von denen man sich eine Menge abschauen kann. Allerdings reicht es in der Realität nicht aus, vom Land zu kommen und mit dem klaren Blick des Präriebewohners in die Herzen traumatisierter Städter und ihrer innerlich und äußerlich verletzten Tiere zu schauen. Was aber ist zu empfehlen, um komplett zu werden? Dies und mehr klären wir in der –> Rezension.

Handlung (1)

In aller Frühe an einem schönen Wintermorgen satteln die dreizehnjährige Grace MacLean und ihre Freundin Judith ihre Pferde, reiten hinaus in die Dämmerung und genießen die glitzernde Schneelandschaft. Beim Überqueren eines Berges verlieren die Pferde an einer vereisten Stelle plötzlich den Halt und rutschen einen Abhang hinunter auf eine Straße. Die beiden Mädchen können einem herannahenden Truck nicht mehr ausweichen und kollidieren mit dem riesigen Fahrzeug. Judith und ihr Pferd werden sofort getötet, Grace und ihr Pferd Pilgrim überleben schwer verletzt. Grace verliert ein Bein und ist seit dem Unfall, genau wie Pilgrim, schwer traumatisiert. Das Pferd duldet keine menschliche Annäherung mehr, was Grace psychisch in ein noch tieferes Loch fallen lässt. Ihrer Mutter Annie wird nahegelegt, Pilgrim einschläfern zu lassen.

Annie MacLean, eine sehr erfolgreiche Zeitschriftenredakteurin, ist mit der neuen Situation im Grunde überfordert, packt das Problem jedoch beherzt an. Um ihrer deprimierten Tochter wieder neuen Lebensmut zu schenken, weigert sie sich, Pilgrim einfach aufzugeben, sondern macht sich, entschlossen und intensiv wie bei einer ihrer beruflichen Recherchen, auf die Suche nach Lösungsmöglichkeiten. Als sie von dem Pferdeflüsterer Tom Booker in Montana hört, nimmt sie Kontakt zu ihm auf und bittet ihn, nach New York zu kommen und sich Pilgrim anzusehen. Der lehnt zunächst jedoch ab, obwohl die Auftraggeberin für alle Kosten einschließlich Flug und Unterkunft aufkommen will.

In ihrer Verzweiflung packt Annie kurzerhand ihre Tochter in ihr Auto und Pilgrim in einen Anhänger und fährt mit ihnen den weiten Weg quer über den Kontinent nach Westen zu Tom Bookers Ranch. Dieser erklärt sich, nachdem er Pferd und Tochter in Augenschein genommen und die Dringlichkeit des Falles eingesehen hat, schließlich doch noch bereit, mit dem Tier zu arbeiten, auch wenn er Annie und Grace wenig Hoffnung macht.

Mit der Zeit entwickelt Pilgrim Vertrauen zu Tom Booker. Doch die eigentliche Herausforderung für den raubeinigen Rancher besteht darin, das Mädchen Grace aus ihrer Depression und ihrem pubertären Schneckenhaus herauszuholen. Denn nur mit Graces Hilfe, so macht er ihr psychologisch geschickt klar, kann das Pferd wieder gesund werden. (…) 

Rezension

Jahrelange Erfahrung als Psychologe ist eine besonders wichtige Voraussetzungen, so zu werden wie Tom Booker alias Robert Redford. Ersatzweise das Aufwachsen in einer Familie von Sozialpädagogen, die in den Ferien ihre Kinder immer auf Bauernhöfe schickt, damit sie die Natur und ihre Geschöpfe kennenlernen.

Es gibt diese Pferdeflüsterer, von denen Tom Booker sicher das kinoreifste Exemplar ist, tatsächlich, und es ist sicher eine große Kunst, Tiere und Menschen mit einer Mischung aus amerikanischem Cowboytum und buddhistischer Grundweisheit wieder ins Positive zu drehen – oder überhaupt ins Positive, wie Annie, die New Yorker Stadtneurotikerin, die neben dem Hengst Pilgrim und ihrer verständlicherweise durch den schweren Unfall traumatisierten Tochter Grace gleich mit kuriert wird. So heftig fällt die Kur aus, dass sie beinahe im Sanatorium und der riesigen Seelen-Wellnesslandschaft drum herum bleiben will. Auch das ist nicht unwahrscheinlich, vor allem, wenn man sich in den Chefarzt verguckt hat.

Positive ist sicher diese schwelgerische Optik des Films, die schon klar auf die 2000er hindeutet, die nicht nur alles auf Hochglanz bringt, sondern auch emotionale Momente optisch bis zum Exzess dehnt. Der Film ist so stylisch, da bleibt für Realismus andererseits nur wenig Platz. Die ausgefeilste Stilistik lässt ihn bedeutungsvoller wirken, als er tatsächlich ist. Da ist, bis auf die Tatsache, dass ein Pferd die Handlung klammert, nichts, was es nicht in Melodramen  zuvor schon gegeben hätte. Wenn nicht das Ende kein Happy End für Tom und Annie wäre, könnte man von einem Sirk-Film unter Einbindung eines Tieres sprechen, wobei die Botschaft allerdings viel problematischer ist als die humanistischen Ansätze, die Sirks Kleinstadtdramen und die „Americanas“ anderer Regisseure der 1950er und frühen 1960er allemal hatten. Es war aber auch die edle Optik, die uns an jene älteren Filme erinnert hat, die für ihre Zeit ebenfalls erlesen visualisiert waren und schon dadurch ein wenig das Wort „Edelkitsch“ rechtfertigten.

Die Problematik liegt darin, dass man, auch wenn es der literarischen Vorlage entspricht und das Ende sogar zurückgenommen wurde, wieder den uralten Gegensatz zwischen Stadt und Land auf eine Weise thematisiert, welche die Stadt ganz schlecht aussehen lässt. Da werden Leute nur hippelig, wippen also ständig mit den Füßen, werden hart und unsympathisch, so, wie Annie anfangs rüberkommt; auch Grace hat keine Gelegenheit, uns vor dem Unfall für sich einzunehmen, und danach scheint es erst einmal, als sei der Tod ihrer besten Freundin Judith überhaupt kein Thema, sondern nur die schwere Verletzung ihres Pferdes Pilgrim. Erst gegen Ende erinnert sich der Film wieder an diesen menschlichen Verlust.

Ganz dumm ist es nicht gemacht, dass man sich dies so erschließen darf, dass Grace darüber bis zu dem Moment, in dem sie Tom in die Arme fällt, nicht über diesen Teil des Traumas sprechen konnte. Es wirkt dennoch ein wenig verschoben und es dauert auch zu lang, bis Tom die Geschichte des Unfalls ausforscht. Es versteht sich, wenn man wirklich so in die Psyche von Menschen und  Tieren einsteigen will, wie es hier geschieht, dass man zunächst einiges über den Auslöser der Probleme wissen muss. Vielleicht ist das aber auch ein westlicher Ansatz, der dem, was wir oben kurz als buddhistisches Grundwissen apostrophiert haben, zuwiderläuft. Letztlich ist für die Analyse und gleichermaßen für die Erlösung aber das Wissen einerseits und das Vertrauen in denjenigen, dem man das Wissen weitergibt andererseits unabdingbar.

Dieser wieder einmal typisch amerikanisch herausragend pointierte Stadt-Land-Gegensatz, der die Pilgerreise des Pferdes Pilgrim und seiner Menschen begleitet, ist uns persönlich zu simpel. Wir kennen beide Lebensformen und uns würde in der einen immer etwas von der anderen fehlen, wenn wir nicht die Gelegenheit hätten, hin und wieder zwischen ihnen zu wechseln. Das mag für Menschen nicht so sein, die nur das Land kennen, aber dass sich ein Typ wie die dynamische Annie nicht mit den Typen in Montana irgendwann langweilen würde, halten wir für eine romantische Illusion. Deswegen ist es letztlich auch richtig, dass sie sich gegen Tom und für ihren Mann entscheidet, obwohl in New York kein Job mehr auf sie wartet. Allerdings wird das allgemein mehr als eine Abwägung zwischen Verantwortung für die Familie und romantischer Leidenschaft verkauft.

Die Leidenschaft Annies für Tom ist zwar spürbar, aber offenbar hat das Buch weitaus mehr sexuellen Impetus als der Film, was sicher auch dazu geführt hat, dass wir uns das Werk auf dem Disney Channel anschauen konnten. Wir wissen nicht, wie die Sexualität im Buch sich ausdrückt, aber die Tatsache, dass für manche Frauen das Verhältnis zu diesen starken und zuverlässigen Pferden etwas Erotisches hat, liegt für uns auf der Hand.

Dass man das auf einen Pferdetrainer übertragen kann, ebenfalls, und Klischees in dieser Richtung gibt es haufenweise, ohne dass wir sagen könnten, da ist nichts dran. Letztlich geht es um Emotionen, nicht um die Ratio, ums Abenteuer und um Aspekte unserer archaischen Empfindungen im Allgemeinen. Und was soll man sagen, Robert Redford, auch wenn er im Grunde zehn Jahre zu alt für diese Rolle ist, hat sich selbst erstmalig auch als Regisseur inszeniert und haargenau den Typ getroffen, den er ohnehin darstellt, als Frauenschwarm der 1970er, der schon in den 1980ern seine eigene Legende darstellte („Jenseits von Afrika“, 1985). Außerdem evoziert er als Person alles, was Marlboro Country zu bieten hat, bis hin zum riesigen weißen Cowboyhut, in den 1990ern natürlich ex Zigaretten. Der Zugang zu dieser Welt ist sicher ein weiteres Plus von „Der Pferdeflüsterer“.

Finale

Irgendwie ist der Film ziemlich schwülstig geraten, sehr lang, sehr manipulativ natürlich auch, aber in Hollywood sind Gefühle für Tiere und Menschen eben recht gut zu synchronisieren, das weiß jeder Film- und Tierfan spätestens seit „Lassie“.  Das Melodram jenseits der Tiergeschichte ist in „Der Pferdeflüsterer“ sehr konventionell geraten, angereicht durch die Geschichte des Teenagers Grace, die von Scarlett Johannson eindringlich verkörpert wird – der daraufhin auch der Sprung vom Ruhm, den sie durch dieses Werk erlangt hat, zum Erwachsenen-Star gut gelungen ist. Der Film lässt sich, das ist sicher ein Vorteil seiner Langsamkeit und seiner Länge, Zeit für seine Figuren und geht ihnen so weit auf den Grund, wie die koventionelle Plotanlage es zulässt. Ob alle Pferdefans das Verhältnis zwischen den Szenen mit Pilgrim und den rein menschlichen Interaktionen okay finden, können wir nicht eruieren, als Nicht-Pferdeliebhaber fanden wir’s aber okay und ob alles, was bei der Heilung von Pilgrim dargestellt wird, pferdetherapeutisch State oft he Art ist, können wir nicht beurteilen.

70/100

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie Robert Redford
Drehbuch Eric Roth,
Richard LaGravenese
Produktion Patrick Markey,
Robert Redford
Musik Thomas Newman
Kamera Robert Richardson
Schnitt Hank Corwin,
Freeman A. Davies,
Tom Rolf
Besetzung

 

 

 

 


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