Shakespeare in Love (USA, GB 1998) #Filmfest 1022 #Top250

Filmfest 1022 Cinema – Concept IMDb Top 250 of All Time (135)

Wie es wirklich zwischen Theaterstückschreibern und Theatermachern zugeht. Nicht.

Shakespeare in Love ist ein US-amerikanischbritischer Liebesfilm von John Madden aus dem Jahr 1998. Erzählt wird eine fiktive Liebesgeschichte zwischen William Shakespeare und einer jungen Adligen, die den englischen Dramatiker zu seiner berühmten Tragödie Romeo und Julia inspiriert. In den Hauptrollen sind Joseph Fiennes und Gwyneth Paltrow zu sehen. Der Film erhielt sehr positive Kritiken und war an den Kinokassen mit Einnahmen von mehr als 289 Millionen Dollar der weltweit 9. erfolgreichste Film des Jahres.[1] Er wurde neben zahlreichen anderen Preisen mit sieben Oscars ausgezeichnet, unter anderem in den Kategorien Bester FilmBestes Originaldrehbuch und Beste Hauptdarstellerin. Ein auf dem Drehbuch basierendes Theaterstück wurde erstmals 2014 in London aufgeführt.

Wir hatten uns so gefreut darauf, endlich Einblicke in das Leben von William Shakespeare nehmen zu können. Und dann war doch alles fiktiv. Niemand wird uns vermutlich je erklären können, wie Shakespeare all die vielen Dramen verfasst hat, die ihm zugeschrieben werden. Dafür fanden wir die Zuschreibung einer Liebesgeschichte sehr schön, und das muss bei einer Rom-Com auch sein, die „Shakespeare in Love“ natürlich ebenso ist wie ein pseudohistorischer Film, der aber trotzdem über die Zeitumstände das eine oder andere verrät, was wohl der Wirklichkeit mindestens nahekommt. Mit diesem Film ging auch langsam das Zeitalter der „Romanzen in Gold“ zu  Ende, wie wir die vielen Romantikkomödien nennen, die in den 1990ern in betont warmen Farben gedreht wurden. Mehr dazu steht in der –> Rezension.

Handlung (1)

London, Ende des 16. Jahrhunderts: Philip Henslowe, Besitzer des Rose Theaters, hat Schulden bei Hugh Fennyman. Um sie abzubezahlen, will er ein neues Stück von William Shakespeare spielen: „Romeo und Ethel, die Piratentochter“. Es soll eine Komödie werden, in der für jeden etwas dabei ist: Verwechslungen, ein Schiffbruch, ein Piratenkönig, ein Hund spielt mit, und die Liebe triumphiert. Shakespeare, ein junger Schriftsteller, hat jedoch im Moment sowohl Geld- als auch Inspirationsprobleme. Er hat nämlich außer Henslowe noch anderen Leuten Stücke versprochen, von denen nur der Titel existiert. Vor der Auswahl der Schauspieler für das nicht existierende Stück hilft Christopher Marlowe,

Shakespeares Konkurrent, ihm ein bisschen auf die Sprünge, so dass Shakespeare zumindest eine ungefähre Idee vom Anfang des Stücks bekommt. Bei der Auswahl fällt Shakespeare ein junger Schauspieler namens Thomas Kent auf. Dieser flüchtet jedoch in ein vornehmes Herrenhaus, als Shakespeare ihn auffordert, seinen Hut abzunehmen. Als in diesem Haus am gleichen Abend ein Fest stattfindet, schleicht sich Shakespeare als Musiker ein und verliebt sich auf den ersten Blick in Viola De Lesseps, die Tochter des Besitzers. Diese jedoch ist bereits Lord Wessex aus rein finanziellen Gründen „versprochen“ oder verkauft worden. Dieser nimmt Shakespeare beiseite und macht ihm brutal klar, dass Viola ihm gehöre und dass Shakespeare die Finger von ihr lassen solle. Als Wessex Shakespeare nach seinem Namen fragt, nennt Shakespeare den erstbesten, der ihm in den Sinn kommt: Christopher Marlowe.

Das Stück entwickelt sich. Thomas Kent bekommt die Rolle des Romeo, ein junger Schauspieler namens Sam die seiner Geliebten. Der eingebildete Schauspieler Ned und seine Truppe „Admirals Men“ willigen ein, im Stück mitzuspielen, nachdem Shakespeare Ned von dessen Rolle „Mercutio“ erzählt und dass das Stück „Mercutio“ heißen würde. Nach einigen Proben findet Shakespeare heraus, dass Thomas Kent und Viola die gleiche Person sind, als er sich mit Thomas über Viola unterhält. Shakespeare und Viola sind nun hoffnungslos verliebt. Jeden Abend schleicht sich Shakespeare in das Schlafgemach Violas. Violas Amme ist ihre engste Vertraute und weiß von der „Affäre“. Immer wieder werden Parallelen zwischen ihrem Liebesleben und Romeo und Julia gezogen. 

Anni und Tom über „Shakespeare in Love”

ANNI: Was für ein grandioser Trick. Weil man heute solche Worte nicht mehr sprechen und solche Gefühle nicht mehr zeigen kann, verlegt man die Handlung ins elisabethanische Zeitalter und plötzlich geht alles wieder. Sogar Shakespeares Sonette. Ich bin schwer begeistert von dem Film.

TOM: Es gab durchaus eine Diskussion darüber, ob es richtig war, ihm sieben Oscars zu schenken und ihn damit unter anderem über „Saving Private Ryan“ zu stellen. Wenn man heute in die IMDb schaut, wird „Saving Private Ryan“ mit 8,6/10, „Shakespeare in Love“ mit 7,2/10 bewertet. Da liegt eine Welt dazwischen.

ANNI: Nicht wirklich, oder? So groß ist der Unterschied nicht. Es sind zwei wirklich verschiedene Sachen, und was den Oscar für die weibliche Hauptrolle angeht, den Gwyneth Paltrow für ihre Viola in „Shakespeare“ gewonnen hat – Cate Blanchett war in „Elizabeth“ sicher genauso gut, aber ob besser, ist Ansichtssache. Sehr enge Kiste, für mich. Leider kennen wir nicht alle Filme und Darsteller, die da konkurriert haben.

TOM: Wir haben ja schon mal die 1990er als den Höhepunkt der romantischen Komödie definiert, und trotz des Nicht-Happy-Endings ist „Shakespeare“ ja eine Komödie. Außerdem war England sehr in, egal ob in Jetztzeit-Filmen wie „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ oder historisch. Dass im selben Jahr zwei Filme gemacht wurden, die im elisabethanischen Zeitalter spielen, sagt wohl einiges, denn der Aufwand für die Sets und Kostüme ist für solche Filme riesig. Vielleicht ist es der Wandel der Zeiten, der einen Kriegsfilm wie „Saving Private Ryan“ heute beim Publikum so viel besser dastehen lässt. Viele dieser wunderbaren Komödien aus den 1990ern scheinen den Menschen heute unpassend vorzukommen.

ANNI: Oder sie haben keine Ahnung von Shakespeare. Ich bin keine Spezialistin, aber wir haben in der Schule eines seiner Dramen gelesen … ich glaube, es war Macbeth, und dabei ist es bei mir nicht geblieben.

TOM: Ich hab sogar einige privat auf Englisch gelesen, die Penguin-Taschenbücher, und das war wirklich nicht leicht, weil selbst für die Engländer die Sprache des früheren Zeitalters in einem riesigen Glossar erklärt werden musste. Aber leider war Romeo und Julia nicht dabei. Außerdem ist das so lange her, dass ich nicht mehr sagen könnte, was da jetzt wie verwendet wurde, im Film. Aber wie die Zeit rübergebracht wird, das ist in der Tat gnadenlos gut. Und die Musik, die Kamera, endlich war man in den 1990ern so weit, dass man alles so gut trimmen konnte, dass es authentisch wirkt. Von dem seltsamen Wechsel zwischen Kurzhaarfrisur und blonder Mähne bei Viola abgesehen.

ANNI: Das war natürlich ein Gag. Sicher musste sich Gwyneth Paltrow für die Kurzhaarfrisur die echten blonden Haare abschneiden und dieser Part, in dem sie Thomas Dent spielt, wurde komplett am Ende gedreht. Ich weiß nicht, ob ich eine gute Schauspielleistung hinbekäme, wenn ich nicht chronologisch meine Figur sozsuagen mit dem Fortschritt der Handlung entwickeln könnte – ich bewundere die Filmschauspieler schon sehr dafür, dass es ihnen egal ist, in welcher Reihenfolge sie die Szenen abdrehen.

TOM: Du bist eben mehr theaterhaft veranlagt, und da bleibt die Frisur intakt. Grundsätzlich kann man in Stücken natürlich auch mit Rückblenden arbeiten. Aber „Shakespeare“ ist komplett chronologisch gefilmt. Keine Mätzchen bei der Dramaturgie, ganz der Art und Weise verpflichtet, wie auch zu Shakespeares Zeiten, von diesem oder vom erwähnten Robert Marlowe Theater gemacht wurde. Und es ist sehr sinnlich, oder?

ANNI: Absolut. Es ist derb und romantisch, intrigant, frech und prall, alle haben Geldsorgen, also wie im richtigen Leben, außer natürlich die Queen. Die wird von der Frau gespielt (Judi Dench), die bei James Bond mittlerweile den bzw. die „M“ gibt. Hätte ich aber nicht wiedererkannt. Aber Shakespeare hat nicht wirklich ein eigenes Erlebnis zur Grundlage von „Romeo und Julia“ gemacht.

TOM: Nein. Das ist eine Fiktion-Fiktion. Wäre das toll, wenn man aus dem eigenen Leben solche Stücke herausschälen könnte. Aber es gab schon eine Vorlage, einen Versband, daraus hab Shakespeare das Stück gemacht. Und, nein, es gab keine Viola in seinem Leben.

ANNI: Und wie schade das ist. Aber mir gefällt die Vorstellung. Wenn du etwas selbst erlebt hast, weißt du wenigstens, worüber du schreibst – es sei denn, du gehörst zu den 99,9 % aller Menschen, die es nicht in bestsellerfähige Worte fassen können.

TOM: Oder zu den 99,9 % aller Menschen, deren Leben zu banal ist.

ANNI: Kein Leben ist banal. Naja, kaum eines. Also, es gibt auch welche, die nicht banal sind.

TOM: Womit wir schon fast wieder beim Vergleich sind. Das Leben im Krieg gilt immer als so exzeptionell, wegen der Grenzerfahrungen, der Bewährung, der Lebensgefahr. Aber solch ein Leben haben wir hier in Europa alle nicht mehr, glücklicherweise. Dass trotzdem Kriegsfilme so gut gehen, sagt einiges. Vielleicht bräuchten einige Leute mal wieder einen Krieg, damit sie zur Besinnung kommen. Aber „Shakespeare“ ist ein Frauenfilm, „Private Ryan“ ein Männerfilm. Ich hab mir nochmal die Demografie der IMDb-Wertungen angeschaut, bei den Frauen liegen beide Filme viel dichter beieinander als bei Männern.

ANNI: Ihr seid eben doch waffenhörige Machos und wir sind romantisch. Kein Wunder, dass wir einander nie richtig verstehen.

TOM: Ich bin auch immer sehr vorsichtig damit, Kriegsfilme als „Antikriegsfilme“ zu deklarieren, weil sie den Krieg nicht gerade in den allerschönsten Farben malen, sondern immerhin mitteilen, dass man darin sterben kann. Aber politisch? Gut, zurück  zu unserem Thema. Ich fand Ralph Fiennes als Shakespeare gut, aber nicht herausragend. Gilt für alle anderen männlichen Darsteller ebenso. Aber ich kann den Oscar für Gwyneth Paltrow nachvollziehen. Sie IST das Shakespeare-Girl, und ich glaube, die ist auch im wirklichen Leben ein wenig so gestrickt wie die Figur, zumindest lässt ihre berühmte, ewig lange und tränenreiche Oscar-Dankesrede im Jahr nach dem Film darauf schließen. Cate Blanchett hat sicher eine größere Bandbreite, aber diese Viola-Julia-Rolle, die sitzt der Platrow wie eines von diesen engen Männerkleidern, die man als Frau nur tragen und ernsthaft die Idee haben kann, niemand bemerkt das wahre Geschlecht, wenn man nicht zu viel Vorbau hat.

ANNI: Wir sind in der Fiktion, ja? In der Wirklichkeit hätte jeder gemerkt, dass Thomas Dent kein hübscher Junge ist, sondern eine Frau. Aber dieses Spiel mit den Identitäten funktioniert ganz gut, zumal es ja wohl wirklich so war, dass damals im Theater keine Frauen auftreten konnten und ihre Rollen von Männern gespielt werden mussten. Gruselig. Wie soll da Romantik auf der Bühne aufkommen?

TOM: Im Film wird „Romeo und Julia“ auch als eine der ersten richtigen Romantik-Tragödien dargestellt, und das wohl aus gutem Grund. Shakespeare hat ja auch weit mehr historische Persönlichkeiten porträtiert als Liebespaare.

ANNI: Oder er hat das Ganze so düster gemacht wie in „Othello“ und alles, was Liebe sein kann, ins Negative gedreht. Allerdings kenne ich dazu auch nur den Film mit Orson Welles.

TOM: Sehr eindrucksvolle Verfilmung, lange nicht mehr gesehen. Wäre schön, wenn die mal wieder gebracht würde.

ANNI: Schade, dass wir im Moment ziemlich Druck haben, wegen der vielen Filme, die uns mal wieder fluten, ich hätt gerne noch etwas Faktenhuberei mit dir betrieben … so, meine Punkte. Ich geb 9/10. Ich finde, das ist einer der besten Filme seiner Art in den letzten Jahrzehnten. Und eine Art von Kino, die du bei uns nicht machen kannst. Einfach unmöglich, diese Verbindung von Humor, Drama und Gefühl. Bei uns sind Filme aus so alter Zeit immer furchtbar ernst und meist ohne jede Inspiration gedreht, die haben keinen eigenen Spirit, im Gegensatz zu „Shakespeare in Love“.

TOM: Inklusive der europäischen Groß- und Co-Produktionen, die überhaupt keinen nationalen Charakter aufweisen. „Shakespeare“ ist zwar ein US-Film, aber klar mit englischem Akzent bei der Art des Humors, in England gedreht und natürlich mit englischen Darstellern der ersten Garde gespickt. Jetzt haben wir allerdings ein Problem, nicht zum ersten Mal: Ich geb 8,5/10. Und wir landen in dieser Mitte, die es hier nicht gibt.

ANNI: Das heißt, wir müssen wieder auf die niedrigere Wertung gehen. Ein Jammer. Ich hätte 9,5 geben sollen.

TOM: Naja, 9 Punkte, die kriegen doch nur die ganz großen Filme, und ich weiß nicht so recht, ob er in diese Gilde gehört. Aber eine echte Empfehlung für alle, die sich mal von einer großen Liebe trennen mussten. Die können damit eindeutig was anfangen.

ANNI: Vor allem, wenn sie sagen, es ist schön, dass es war. Und so hab ich den Film hinterher auch empfunden.

Anmerkung anlässlich der  Veröffentlichung des Textes im Jahr 2023: Da wir beim „neuen“ Wahlberliner mit dem 100-Punkte-Schema arbeiten, können wir die Durchschnittswertung jetzt fast exakt abbilden. Zu diesem Zeitpunkt liegt die IMDb-Wertung nur noch bei 7,1/10. Der Film fiel bereits im Jahr 2002 aus den Top 250, obwohl er im März 1999 auf Rang 16 einstieg. Ein klassisches Beispiel für einen Film, der ursprünglich sehr geliebt wurde, aber nach Publikumsmeinung den Test der Zeit nicht gut bestanden hat. Ganz sicher hat dabei eine Rolle gespielt, wie sich vor allem nach 9/11 die Akzente im Kino verschoben haben. Ob sich diese Entwicklung allein daraus erklären lässt, ist eine andere Frage, und wir erwähnen sie, weil der Film immerhin der Haupt-Oscargewinner des Jahres 1999 war.

87/100

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2016)

(1), kursiv und tabellarisch: Wikipedia

Regie John Madden
Drehbuch Marc Norman,
Tom Stoppard
Produktion Harvey Weinstein,
Donna Gigliotti,
Edward Zwick,
Marc Norman,
David Parfitt
Musik Stephen Warbeck
Kamera Richard Greatrex
Schnitt David Gamble
Besetzung

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