Die wachstumsstärksten Volkswirtschaften 2023 (Statista + Kommentar) | Briefing 380 | Wirtschaft

Briefing 380 Wirtschaft, Volkswirtschaften, Macau, Guayana, Wirtschaftswachstum, BIP pro Kopf

Deutschland gehört bekanntlich zu den Ländern, die 2023 eine der weltweit schwächsten Wirtschaftsentwicklungen zu verzeichnen haben. Aber wer liegt am anderen Ende der Skala?

Es sind ausschließlich kleine bis sehr kleine Volkswirtschaften, die ein geradezu sprunghaftes Wachstum verzeichnen.

Infografik: Die wachstumsstärksten Volkswirtschaften 2023 | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Guyana, an der nordöstlichen Küste Südamerikas gelegen, hat sich zu einer wirtschaftlichen Kraft entwickelt. Laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) wird das reale BIP dieses Landes mit einer Bevölkerung von 800.000 Einwohner:innen im Jahr 2023 voraussichtlich um etwa 38,4% wachsen (Stand: Oktober 2023). Kein anderes Land verzeichnet in diesem Jahr eine höhere Wachstumsrate. Die treibende Kraft hinter dieser Entwicklung ist die Ölproduktion. Im Jahr 2015 entdeckte das Öl- und Gasunternehmen ExxonMobil bedeutende Ölvorkommen vor der Küste von Guyana. Der sogenannte Stabroek Block hat ein geschätztes Gesamtvolumen von bis zu zehn Milliarden Barrel Öl. Die Ölfelder spielen eine zentrale Rolle im aktuell aufflammenden Konflikt mit Venezuela, da das Nachbarland die Region westlich des Essequibo-Flusses und damit auch den Großteil der Gewässer vor der Küste Guyanas beansprucht.

Der einzige Wirtschaftsraum, der Guyanas wirtschaftlichen Aufschwung im Jahr 2023 übertrifft, ist die chinesische Sonderverwaltungszone Macau. Bekannt als das „Las Vegas von Asien“ hat sich Macau zu einem lebendigen Zentrum für Handel und Unterhaltung entwickelt. Das BIP-Wachstum von über 74% wird hauptsächlich von Branchen wie Tourismus, Glücksspiel und Immobilien vorangetrieben. Regierungsinitiativen zur Diversifizierung der Wirtschaft und zur Stärkung internationaler Partnerschaften haben zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums beigetragen. Obwohl Macau ähnliche viele Einwohner:innen wie Guyana hat, sind die Volkswirtschaften aufgrund der Größe nur bedingt vergleichbar.

Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ist ein wichtiger Indikator für den wirtschaftlichen Fortschritt eines Landes. Der Blick auf die weltweiten IMF-Prognosen zeigt, dass die meisten Ländern nach den Einbrüchen aus dem letzten Jahr wieder ein schwaches Wachstum vorweisen. Nur für wenige Länder rechnen die Expert:innen mit einer Rezession, darunter auch Deutschland.

Grundsätzlich sollte man sich für jedes Land freuen, das wirtschaftlich vorankommt – solange es nicht so groß ist, dass dadurch Weltmachtfantasien befördert werden, wie in China. Macau ist so ein Gegenbeispiel. Es war immer der arme Nachbar von Hongkong, das sich seit der Eingliederung ins chinesische Staatsterritorium nicht mehr so gut entwickelt hat wie einige Städte in chinesischen Sonderwirtschaftszonen, beispielsweise. Eine solche Sonderverwaltungszone stellt auch Macau dar, es wurde 1999, zwei Jahre nach Hongkong, an China zurückgegeben. Im Jahr 2002 erfolgte eine Liberalisierung des Glücksspiels, die vor allem amerikanische Konzerne der Branche anzog, mittlerweile gilt Macau als das „Monte Carlo“ oder „Las Vegas“ Asiens. Möglicherweise ist letztere Bezeichnung neuer, weil in der Tat US-Konzerne versuchen, dort den berühmten Las-Vegas-Strip nachzubauen und das Modell dieser Massenglücksspielerstadt zu exportieren, während Monte Carlo nach wie vor ein High-End-Standort ist. Öl oder Glücksspiel. Das sind Sonderfaktoren, die man hierzulande nicht nachbilden kann oder sollte, außerdem ist gerade der Ölreichtum oft Fluch und Segen zugleich. Segen für eine kleine, besitzende Minderheit, inklusive ausländischer Konzerne und Fluch für die Massen an oft ausländischen Arbeiter:innen, die durch den Boom angeworben werden müssen, um ihn baulich und serviceseitig zu bewältigen. Wenn zum Beispiel Guayana weiter so wächst, werden die nur etwas mehr als 700.000 Einwohner (etwa die Bevölkerung Luxemburgs) nicht ausreichen, um das Land zu bewirtschaften. Sie werden aber die herrschende Klasse darstellen, wie in allen Ländern, die auf diese Weise zu Reichtum gekommen sind:

Ab dem Jahr 2015 wurden vor der Küste Guyanas unter Führung des US-Ölkonzerns ExxonMobil 13 Ölfelder mit einem geschätzten Gesamtvolumen von 5 bis 10 Milliarden Barrel Öl entdeckt. Diese Mengen sind seit 20 Jahren die weltweit größten neu entdeckten Ölvorkommen. Seit 2020 exportiert Guyana Erdöl.[45] Experten gehen davon aus, dass Guyana mit diesem Vorkommen zum viertgrößten Ölproduzenten Lateinamerikas aufsteigen und mehr Öl produzieren kann als Venezuela und Mexiko. Die Regierung von Irfaan Ali erteilte ExxonMobil Förderkonzessionen für vier Erdölfelder im sogenannten Stabroek Block: Liza One, Liza Two, Payara und Yellowtail.[46] Angesichts des plötzlichen Ölreichtums gab es allerdings auch kritische Stimmen, die darauf hinwiesen, dass Guyana in keiner Weise über die Expertise und die rechtlichen und regulatorischen Voraussetzungen verfüge, um mit einem solchen plötzlichen Reichtum sinnvoll umzugehen. Es drohe die Gefahr, dass der Reichtum zu Korruption führen und die demokratischen Institutionen unterhöhlen könne. Das Land könne somit auf einen ähnlichen Pfad in Richtung Petro-Staat wie Venezuela geraten.[47][48] (Guyana – Wikipedia)

Das Ende des Öls wurde in den 1970ern schon für die 2000er prognostiziert, man hatte dabei nicht mit den immer wieder neuen Funden gerechnet, die seitdem getätigt wurden. Insofern ist der Umstieg auf nicht-fossile Rohstoffe für die Wärme- und Krafterzeugung heute tatsächlich eine Klima-Angelegenheit, nicht mehr eine von in naher Zukunft zu erwartender Knappheit.

Guayana liegt bei den verschiedenen Indizes zu Freiheit und Demokratie im oberen oder unteren Mittelfeld des Weltvergleichs, aber schon jetzt auffällig schlecht in Sachen Korruption (40/100). Im Jahr 2022 hatte sich die Wirtschaftsleistung sogar fast verdoppelt, sodass gegenwärtig von einer Abschwächung auf allerhöchstem Niveau zu sprechen ist. Ab einem bestimmten Level kann eine Wirtschaft auch nicht mehr mit Raten von bis zu 100 Prozent jährlich wachsen. Nicht einmal durch Ölvorkommen.

Es gab einen ölgetriebenen Boom dieser Art schon einmal. Das war in den 1950er Jahren. Damals wurde das Öl Arabiens entdeckt und kleine, bis dahin arme Scheichtümer schossen bezüglich des Pro-Kopf-BIP an allen etablierten Industriestaaten vorbei. Das saudische Königshaus gilt heute als reichste Familie der Welt, mit einem kaum vorstellbaren Vermögen von über einer Billion Dollar.

Aber was hat der Wanderarbeiter in Katar, der zu sklavenähnlichen Bedingungen Fußballstadien für eine WM baut, von diesem Reichtum der Scheichs, Emire, Könige? Und genau das ist das Problem, dass eine Klasse von Besitzenden, die nie wirklich arbeiten mussten, in diesen oft auch hochgradig undemokratischen und zum Teil den Terror finanzierenden Ländern sich alles herausnehmen können. Dies gilt auch für deren Auftreten in der internationalen Politik, nun vermehrt durch die Disparitäten zwischen dem Westen und anderen Staaten, die in letzter Zeit ein besorgniserregendes Ausmaß angenommen haben.

Einen solchen Einfluss wird Guayana wohl nie bekommen, aber es bleibt festzuhalten, dass eine starke Wirtschaft nur dann wirklich stark ist, wenn sie der Bevölkerungsmehrheit zugutekommt. Man muss es nicht so schlecht machen wie Deutschland im Moment. Beeindruckend finden wir diese leicht erklärbaren explosionsartigen Anstiege des BIP nicht, weil sie vor allem die Ungleichheit auf der Welt weiter fördern, ebenso wie fragwürdige Wirtschaftsbranchen, Gesellschaftssysteme und Begleiterscheinungen eines Wachstums, das nicht wirklich „gewachsen“ ist. Es ist vor allem nicht zukunftsweisend in irgendeiner Form und verschärft damit die globalen Probleme. Mögen die Staaten auch klein sein, um die es geht, sie zählen zu den Territorien, die im Verhältnis zu ihrer Größe unverhältnismäßig viel Schaden im Sinne von Justice und Sustainability, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, anrichten können.

Die einzige größere Volkswirtschaft, die ein zweistelliges Wachstum zu verzeichnen hat, ist die Libyens. Sie erholt sich damit aber lediglich ein wenig von den existenziellen Zerstörungen, die dort durch die Intervention des Westens angerichtet wurden, weil man Diktator Ghadaffi unbedingt weghaben wollte. Absichtlich oder nicht, man hat dadurch einen Failed State produziert, eines der dramatischsten Beispiele für die Unfähigkeit der USA und ihrer Verbündeten, im 21. Jahrhundert Frieden und Fortschritt auf der Welt zu sichern oder gar zu schaffen.

TH

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