Briefing 390 Gesellschaft, Alkoholkonsum, Gesundheit, Wirtschaft, Steuer auf alkoholische Getränke
Überall fehlt Geld. Vor allem in der Staatskasse. Da kann man doch mal checken, ob es nicht an der Zeit wäre, die Steuern auf bestimmte Verbrauchsgüter zu erhöhen. Zum Beispiel diejenige auf alkoholische Getränke. Dazu heute eine aktuelle Umfrage, im Anschluss mehr Infos und unser Kommentar:
Civey-Umfrage: Wie sollten alkoholische Getränke zukünftig besteuert werden? – Civey
Begleittext aus dem Civey-Newsletter:
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordert höhere Steuern auf Alkohol. Jährlich würden der WHO nach über zehn Millionen Menschen durch Alkoholkonsum oder ungesunde Ernährung sterben. Die WHO kritisierte speziell den europäischen Umgang mit Wein. In vielen Ländern wie Deutschland oder Italien wird darauf bspw. keine Verbrauchersteuer erhoben. Anfang Dezember veröffentlichte die WHO daher ein Handbuch (…) mit praktischen Tipps zur Einführung von höheren Alkoholsteuern, berichtete der Spiegel.
Darin erklärt die WHO mit dem Verweis auf aktuelle Studien, dass höhere Steuern nachweislich zu niedrigerem Konsum führen. Zudem werden Todes- und Verletzungsfälle im Straßenverkehr verhindert sowie das Risiko für Krebs- und Herzerkrankungen sowie Diabetes reduziert. Hersteller hätten darüber hinaus einen Anreiz, gesündere Produkte zu entwickeln. „Steuern, die den Preis von Alkohol um 50 Prozent erhöhen, helfen über 50 Jahre, 21 Millionen Todesfälle zu verhindern”, heißt es konkret in dem Buch. Im gleichen Zeitraum würden so 15,7 Billionen Euro zusätzliche Steuereinnahmen generiert.
Die Grünen scheiterten bereits 2020 mit ihrer Forderung nach einer Steuererhöhung auf Alkohol. Die vorherige Bundesregierung aus SPD und Union argumentierte laut FAZ damals, dass die Steuern auf Bier, Spirituosen und Schaumwein erst im Jahr 2001 erhöht wurden. Die große Koalition wollte zudem auf Aufklärung, statt auf höhere Steuern setzen. Dass dieses Konzept Erfolg habe, würde der Rückgang des Alkoholkonsums unter Minderjährigen und des „Pro-Kopf-Verbrauch[s] von Reinalkohol” zeigen.
Dieses Mal stellen wir das aktuelle Zwischenergebnis voran. Wir sind positiv überrascht davon, dass wir mit unserer Abstimmung für „eine deutlich höhere Steuer“ bei der größten Gruppe sind und sogar bei der absoluten Mehrheit, wenn man diejenigen einbezieht, die „eher höher als jetzt“ gestimmt haben. Hingegen kommen diejenigen, die sagen „eher niedriger“ oder „deutlich niedriger als jetzt“ zusammen nicht einmal auf 15 Prozent. Wir haben einmal die „Kohorten“ angeschaut: Männer stehen etwas mehr als Frauen auf dem Standpunkt, dass es am besten wäre, die Abgaben zu belassen, wie sie sind – vor allem aber gibt es einen deutlichen Unterschied bei den Altersgruppen: Besonders Menschen, die 50 Jahre oder älter sind, sind eher auf der Bewahrungsposition angesiedelt, Jüngere hingegen stimmen eher für eine Steuererhöhung. Das deckt sich mit im Folgenden beschriebenen Entwicklungen.
Wenn man also eine populäre Steuererhöhung einrichten will, warum nicht hier? Zumal die WHO grundsätzlich vollkommen recht hat. Schwierig wird es für uns, wenn dann versucht wird, Effekte einer höheren Steuer zu quantifiizeren. Da zeigt sich die Janusköpfigkeit der WHO und ihre manipulative Ader: Es ist nach unserer Ansicht unmöglich, exakt zu prognostizieren, was eine Erhöhung um so und so viel Prozent über einen epischen Zeitraum hinweg genau bewirken würde. In letzter Zeit wird zum Beispiel unter jungen Menschen wieder mehr geraucht, obwohl die Zigaretten ständig teurer werden.
15,7 Billionen Mehreinnahmen klingt wahnsinnig viel, muss aber durch 50 Jahre und durch 27 EU-Staaten geteilt werden. Wenn die Steuererhöhungen in allen EU-Staaten im gleichen Umfang stattfänden, wäre das angesichts der Tatsache, dass Deutschland etwa 20 Prozent der EU-Bevölkerung stellt und unter der Annahme, dass die Steuererhöhung in Deutschland pro Kopf die im EU-Durchschnitt liegenden Auswirkungen hätte, Mehreinnahmen von etwa 6 Milliarden Europ pro Jahr. Keine Marginalie, aber aktuelle Haushaltslöcher ließen sich damit zum Beispiel kaum stopfen. Das ergibt sich auch aus dieser Darstellung, die nur von 2,2 Milliarden Euro Steuern auf Spirituosen spricht, die jährlich in Deutschland eingenommen werden. Die kursiv gesetzte Darstellung stammt von ChatGPT:
Der Steueranteil am Preis alkoholischer Getränke in Deutschland variiert je nach Art des Getränks. Laut Statista1, wird für Spirituosen in Deutschland eine Steuer von 13,03 Euro pro Liter reinen Alkohols erhoben. Im Jahr 2022 nahm der deutsche Staat rund 2,2 Milliarden Euro durch die Alkoholsteuer ein2. Damit hält sie den größten Anteil an den alkoholbezogenen Steuern in Deutschland2.
Weitere Informationen zum Verbrauch alkoholischer Getränke in Deutschland finden Sie auf der Website des Statistischen Bundesamts3.
3: 3 Statistisches Bundesamt. (2023). Annähernder Verbrauch alkoholischer Getränke in Deutschland. https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Steuern/Verbrauchsteuern/Tabellen/alkoholische-getraenke.html 1: 1 Statista. (2023). Steuersätze für Spirituosen in den EU-Ländern. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/166425/umfrage/steuersaetze-fuer-spirituosen/ 2: 2 Statista. (2022). Alkoholsteuer: Steuersätze in den EU-Ländern 2022. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/166425/umfrage/steuersaetze-fuer-spirituosen/
Deswegen sollte man den Gedanken an die Vermeidung von Folgeschäden in den Vordergrund stellen. Arbeitsausfälle, Behandlungen, Therapien etc., die man einsparen könnte. Außerdem ist nicht benannt, ob ein aufgrund höherer Steuern rückläufiger Konsum nicht die obige Rechnung stark verändern würde.
Grundsätzlich aber hat ein niedrigerer Alkoholkonsum nur Vorteile, sowohl gesellschaftlich wie für die Gesundheit des oder der Einzelnen. Wer Alkohol in Maßen trinkt, wird durch eine höhere Steuer wohl nicht das Haushaltsbudget überschreiten und man könnte sogar über eine Differenzierung nachdenken. Wir stammen beispielswiese aus einer (erweiterten) Weinregion und das Glas Riesling zum Sonntagsmahl war zu Hause Tradition. Außerdem ist unverkennbar, dass der Alkoholkonsum in Europa schon seit langer Zeit rückläufig ist. In Deutschland sinken seit den 1990ern sowohl der Pro-Kopf-Verbrauch als auch der Anteil der regelmäßigen Alkoholkonsument:innen an der Bevölkerung: Alkoholkonsum – Wikipedia.
Allerdings scheint mittlerweile ein Punkt erreicht, an dem die Abnahme des Konsums zum Stillstand gekommen ist, vielleicht unter dem Einfluss der Corona-Pandemie, ganz aktuelle Zahlen sind im oben verlinkten Artikel noch nicht eingearbeitet. Außerdem wirkt der stärkere Rückgang des Anteils an Alkoholkonsumenten in Relation zum Pro-Kopf-Verbrauch der letzten Jahre, als ob Fälle von schwerem Alkoholismus eher nicht rückläufig sind, denn der Verbrauch verteilt sich auf weniger Menschen (junge Altersgruppen, siehe wiederum den verlinkten Wiki-Artikel). Wir haben zusätzlich ChatGPT noch einmal befragt:
Der Pro-Kopf-Verbrauch von Alkohol in Deutschland ist seit den 1950er Jahren rückläufig. Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen DHS konsumierte ein deutscher Verbraucher (ab dem Alter von 15 Jahren) im Jahr 2020 im Schnitt rund zehn Liter reinen Alkohol1. Im Vergleich zum Jahr 1970 sank der Konsum des berechneten reinen Alkohols um etwa ein Drittel1.
In den vergangenen Jahren ist bei den populärsten Alkoholika wie Bier, Wein und Schaumwein sowie Spirituosen ein Rückgang des Pro-Kopf-Konsums alkoholischer Getränke zu verzeichnen123. Auch bei dem beliebtesten alkoholischen Getränk Bier ist ein stetiger Rückgang des Verbrauchs zu erkennen3.
Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass der übermäßige Konsum und der Missbrauch von Alkohol ein großes gesellschaftliches und gesundheitsgefährdendes Problem darstellt1. Das Suchtpotenzial von Alkohol wird von vielen Konsumenten oft unterschätzt. Häufige gesundheitliche Folgen eines übermäßigen Alkoholkonsums sind Leberkrankheiten, Schäden im Gehirn sowie die Erhöhung des allgemeinen Krebsrisikos1.
1: 1 Statista. (2023). Durchschnittlicher Konsum reinen Alkohols. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/5382/umfrage/alkoholverbrauch-je-einwohner-an-reinem-alkohol/ 2: 2 Statista. (2022). Pro-Kopf-Konsum von Spirituosen in Deutschland. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/77490/umfrage/pro-kopf-verbrauch-an-spirituosen-in-deutschland-seit-1960/ 3: 3 Statista. (2022). Bierkonsum in Deutschland pro Kopf. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/4628/umfrage/entwicklung-des-bierverbrauchs-pro-kopf-in-deutschland-seit-2000/
In der Tat hat sich für das Jahr 2022 wieder ein leichter Anstieg ergeben, wie oben vermutet. Per se ist das nicht dramatisch oder auch, es hätte schlimmer kommen können. Aber der Chatbot unserer Wahl ist auch ein eifriger Warner vor den negativen Folgen des Alkohols und hat mehr geliefert, als wir abgefragt haben (Frage: „Wie hat sich der Alkoholkonsum in Deutschland seit 1950 entwickelt?“). Wir lassen die Antwort so stehen, weil Alkohol nun einmal nach wie vor die gefährlichste Volksdroge und sein Konsum merkwürdig billig ist, vor allem im Vergleich zu den exzessiv gestiegenen Kosten für Tabakwaren. Wir halten es für eine Fehlleitung des Konsums, dass alkoholische Getränke oft niedrigpreisiger sind als gesunde nichtalkoholische, vor allem in der Gastronomie ist das auffällig. Aber deren Geschäft besteht ja auch teilweise darin, Menschen zum Saufen von Alkohol zu animieren.
Natürlich, für uns ist es leicht. Wir vertragen alkoholische Getränke nicht besonders gut, von Sodbrennen bis Kopfschmerzen schon bei geringem Konsum ist alles dabei, was das Leben keineswegs angenehmer macht, während wir ansonsten keine Nahrungsmittelunverträglichkeiten haben. Außerdem sind wir selten mit Ereignissen konfrontiert, die etwas wie einen sozialen Trinkzwang beinhalten. Jedenfalls war das in den letzten Jahren so. Es ist schon klar, dass abstinent sein nicht für alle so einfach ist. Außerdem sind wir grundsätzlich der Ansicht, solange man nicht andere schädigt, hat man ein gewisses Recht auf Drogen. Mit den Folgen des Konsums muss man ohnehin selbst klarkommen. Gerade beim Alkohol gibt es aber Überlegungen, die darüber hinausgehen: Alkoholiker machen auch das Leben für ihre Umgebung oft zur Hölle und sind außerdem Gefährder im Straßenverkehr. Die sozialen Kosten des übermäßigen Alkoholkonsums und, im engeren Sinne, die Kosten für daraus entstehende Krankheiten, tragen wir alle mit. Letzteres gilt natürlich auch für andere Drogen, wenn Menschen an ihnen auf behandlungs- und therapiebedürftige Weise erkranken. Deswegen stehen wir der Cannabisfreigabe nicht nur positiv gegenüber. Wir halten sie nicht für eine Katastrophe und finden, wenn Alkohol legal ist, dann darf Cannabis es auch sein. Aber es gibt durchaus Argumente dagegen, die Zahl legaler Drogen immer mehr zu erweitern, anstatt die Steuerung zu weniger Konsum hin zu organisieren.
Am Ende steht allerdings eine Betrachtung, die für alle Fehlentwicklungen in der Gesellschaft gilt: Schwerer Alkoholismus ist oft eine Folge sozialer Tatbestände, dies gilt auch für andere Drogen. Eine Gesellschaft, die sich so entwickelt wie unsere, kann gar nicht drogenfrei oder auch nur drogenarm sein. Wenn eine Substanz verboten oder verteuert wird, sucht sich die Sucht ein anderes Feld, ein Ventil, man konsumiert Drogen, die noch nicht so reguliert sind und das oft mit hohem Risiko und zu einem Preis, der geradezu klassistisch ist, weil nur wenige sich diese Drogen leisten können.
Deswegen muss man, wie beispielsweise bei der gezielten Verteuerung von CO2-schädlichen Lebensmitteln, auch im Auge haben, dass man nur die Ärmeren wirklich manipulieren kann, weil die Bessergestellten höhere Preise besser bewältigen können.
Leider gibt es diesen Effekt bei der denkbaren und der Nachhaltigkeit wegen sinnvollen Form der Konsumsteuerung durch Steuern: Die größten Sünder sind am resistentesten gegen die Einsicht, einfach deswegen, weil sie es sich leisten können, weiter zu prassen. Viel häufiger als im Bereich des Konsums von Lebens- und Genussmitteln haben wir das beim Wahlberliner anhand großer Autos mit hohem Kraftstoff- und Platzverbrauch dargestellt.
Trotzdem haben wir uns für eindeutig höhere Steuern auf Produkte mit Alkoholgehalt entschieden. Neben den persönlichen Aspekten, den gesundheitlichen und gesellschaftlichen, die wir benannt haben, kommt leider hinzu: Sichtbarer Alkoholkonsum, wie wir ihn an bestimmten Orten in Berlin erleben, weist allzu deutlich auf Fehlentwicklungen hin, wirkt manchmal bedrängend und bedrohlich, versaut die Gegend, verursacht ständig Scherben auf Fahrradwegen und ist schlicht ästhetisch abstoßend. Wer jetzt antworten würde, um Berlin ästhetisch aufzuwerten, bedürfe es mehr als der Einschränkung des öffentlichen Alkohol-„Genusses“, dem würden wir zustimmen, aber das ändert nichts an den benannten Tatsachen oder Zuständen. Um einen weiter oben präsentierten Gedankengang aufzugreifen und zu vervollständigen: falls sich das Konsumverhalten durch höhere Abgaben nicht weiter ermäßigen ließe, anders, als die WHO es in Zahlen fassen zu können glaubt, dann würden wenigstens mehr staatliche Einnahmen generiert, die man u. a. zum Management der Folgeschäden des überhöhten Alkoholkonsums verwenden könnte.
TH
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