Abseitsfalle – Polizeiruf 110 Episode 247 #Crimetime 1189 #Polizeiruf #Polizeiruf110 #Offenbach #Dreyer #Reeding #Schlosser #HR #Abseitsfalle

Crimetime 1189 – Titelfoto © HR

Abseitsfalle ist ein Kriminalfilm des HR von Marc Hertel aus dem Jahr 2003 und erschien als 247. Folge der Filmreihe Polizeiruf 110. Es ist für das Ermittlertrio Schlosser (Dieter Montag), Reeding (Dennenesch Zoudé) und Dreyer (Barbara Rudnik) der letzte Fall, den sie ermitteln. Die Offenbacher Kriminalbeamten haben den Tod eines Fußballfans aufzuklären. Ihre Ermittlungen führen in die Reihen der Vereinsmitglieder.

Mir fehlt leider der zwischen „Bis unter die Haut“ und „Abseitsfalle“ liegende Polizeiruf „Grauzone“, der ebenfalls kürzlich gezeigt wurde, ich musste ihn vom Media-Receiver entfernen und zwecks Rezension downloaden, weil wir wieder einmal einen Überhang an Filmmaterial zum Sichten haben, daher kann ich heute nicht darüber schreiben, wie der Übergang von Grosche zu Dreyer gelaufen ist, ob Reeding traumatisiert wirkte. Jedenfalls ist sie in „Abseitsfalle“ sehr präsent und dominiert bezüglich ihrer Reaktionen und Ideen sogar die erfahrene Kollegin Dreyer. Der Traumatisierte ist dieses Mal jedenfalls Schlosser, der eine Tatverdächtige auf der Flucht – versehentlich – erschossen hat. Außerdem handelt es sich bei „Abseitsfalle“ um einen Sportkrimi, und Sportkrimis sind nach Ansicht vieler Fans der Reihen Tatort und Polizeiruf 110 ziemlich speziell. Mehr zum Speziellen und zum Allgemeineren steht in der –> Rezension.

Handlung

Gerade als die Beziehung zwischen Robert Grosche und seiner Kollegin Carol Reeding endlich in harmonischen Bahnen läuft, wird Grosche von einem Unbekannten erschossen. Zur Untersuchung des Falls erscheint Simone Dreyer, eine Kollegin aus Köln. Schlosser und Reeding sind misstrauisch, weil sie den Fall lieber allein lösen würden, doch nach den Vorschriften der Polizei muss ein unabhängiger Ermittler hinzugezogen werden. Dreyer kommt ihr neuer Einsatzort sehr gelegen, denn ihr Bruder befindet sich in einer psychiatrischen Klinik in Offenbach und sie kann ihn so regelmäßig besuchen.

Carol Reeding wird aus heiterem Himmel von ihrem Vater, der die Familie vor 20 Jahren verlassen hatte und nach Amerika gegangen war, angerufen. Er ist in Offenbach und möchte seine Tochter gern sehen, um ihr etwas zu erklären. Schon am nächsten Tag treffen sie sich und sie erfährt, dass ihr Vater auf einer US-Airbase stationiert und dort in Schmuggelgeschäfte geraten war. Jetzt wird er deswegen erpresst und soll den so genannten „Ameisenpfad“ aktivieren und auf diesem Wege diskret etwas von Deutschland nach Amerika bringen. John Reeding hält es für möglich, dass der Mord an Grosche eventuell etwas mit seiner Geschichte zu tun haben könnte und man dadurch noch mehr Druck auf ihn ausüben wollte.

Derweil recherchiert Dreyer über Grosche und findet heraus, dass er vorhatte, Carol und ihrem Kind zuliebe den Polizeidienst zu beenden und in der Sicherheitsfirma seines Ex-Kollegen Mertens mitzuarbeiten. Mertens wiederum arbeitet nicht unbedingt loyal seinen Kunden gegenüber, was Grosche erfahren hatte und öffentlich machen wollte. Er entwendete Mertens eine Akte, die dessen schmutzige Geschäfte beweisen konnte und wegen der er letztendlich sterben musste, weil er nicht bereit war, sie zurückzugeben. Um Mertens aus der Reserve zu locken, schickt Dreyer einen Lockvogel, der ihm die Akte zum „Kauf“ anbietet. So gelingt es Rainer, Mertens Handlanger und Killer, festzunehmen und ihn selber zu überführen.

Rezension

Nach und nach kommt heraus, wie viele Fußballkrimis es in den Reihen Polizeiruf 110 und Tatort bereits gegeben hat, obwohl Fans immer wieder mit den Augen rollen, denn vielfach sind diejenigen, welche Krimis schauen, identisch mit jenen, die sich für Fußball interessieren und bekanntlich sind alle Fußballinteressierten viel bessere Expert:innen als Drehbuchautor:innen, die doch bloß versuchen, den  Sportfans entgegenzukommen, denn in der Tat, Milieukenner:innen sind sie meist nicht und werden deshalb auch beraten, wenn sie ein Verbrechen im Sport konstruieren.

Ich kann damit leben, dass der Fußball etwas anders dargestellt wird, als ich ihn wahrnehmen würde, wäre ich ein solcher Experte. Aber es gibt in diesem Film doch etwas, das mich ziemlich getriggert hat: der Tatort ist ein Lost Place in Form eines stillgelegten öffentlichen Freibades. Mit einem solchen Platz, nicht in Offenbach, bin ich selbst sehr verbunden und finde es furchtbar, wie große öffentliche Investitionen, die erst in den 1970ern getätigt wurden, nach nur 30-40 Jahren dem neoliberalen Raid auf die Infrastruktur zum Opfer fielen. Sicher sind öffentliche Bäder defizitär, wenn man die Eintrittspreise einigermaßen sozial hält, anders als in Berlin, übrigens, wo die Preise geradezu präventiv gestaltet sind und man offenbar froh ist, wenn die Bäder leer bleiben. Aber sie sind auch demokratisch, weil sie Freizeitvergnügen für umzählige Menschen und nicht nur für eine dünne Oberschicht bedeuten. Mit dem langsam zuwachsenden Offenbacher Freibad, das, anders als mein Lost Place, noch ohne Graffiti und sonstige Beschädigungen zu sehen ist und mit etwas Reinigungs- und Reparaturaufwand reaktiviert werden könnte, wird bereits ein zumindest für mich ziemlich melancholischer Grundton gesetzt. Auch an anderer Stelle wird erwähnt, dass die frühen 2000er nicht gerade eine Zeit des Aufbruchs waren, sondern der Stagnation und, wie wir heute wissen, des massiven Sozialabbaus, der tiefe Schneisen in die Gesellschaft gezogen hat.

Dazu passt irgendwie die Abschiedsvorstellung des Teams. Es wirkt zwar nicht, als ob sie geplant sei, aber der zerfallende Marmorkuchen ist doch etwas wie ein Ausstand in einer Zeit der zerfallenden Pracht von einst. Und die Kickers aus Offenbach müssen sich mühen, wenigstens die zweite Liga wieder zu erreichen. Auch wenn anderes behauptet wird, die Ränge sind eher spärlich besetzt, das Stadion wirkt auch nicht gerade wie ein Fußballtempel heutiger Prägung, aber mittendrin erblühen Talente. Und dann kommt ein Spiel, das alles kaputt macht und darauf wird eine Motivation aufgebaut, die zumindest mich nicht überzeugt hat.

Im Grunde ist der Film kein Whodunit und kein Howcatchem, sondern etwas dazwischen, weil Fans versuchen, den Täter zu schützen, der einen ehemaligen Mitspieler ermordet hat. Der das frühe Karriereende nicht verkraftet hat, den Weg beendet, der ihn hätte nach Dortmund, in die Champions League, führen sollen. Den Vertrag hatte er schon, als er so gefoult wurde, dass er nie wieder professionell kicken kann. Trotzdem wird am Ende gehampert und konstruiert und noch schnell eine Freundin mit dem Motiv Eifersucht eingebaut, damit diese im Grunde unverständliche Mordtat, die sich im Schwimmbad zuträgt, ohne schaurige Wasserleiche wenigstens, einigermaßen nachvollziehbar erscheint. Ist sie aber nicht, weil dieses Dreiecksverhältnis überhaupt nicht beleuchtet wird und weil die Sportkonkurrenz, die zuvor herrschte, ebenfalls kaum illustriert wird. In diesem Fall hätte man mit Rückblenden arbeiten dürfen, zumal Rückblenden einst eine Spezialität des Polizeirufs waren. Dann wäre aber die hochwertige Fußballkunst der Jungprofis zu zeigen gewesen, damit es authentisch wirkt, und das ist nicht so einfach, wenn man nicht Fußballspieler als Darsteller verpflichtet und hofft, dass sie einigermaßen gut durch den Film kommen. Ich kenne keinen Sportkrimi, in dem man diese Variante gewagt hat. Die zeitweiligen Kurzauftritte realer Sportgrößen sorgten beim Publikum regelmäßig für Spott, legendär ist in diesem Zusammenhang ein Auftritt des damaligen Bundestrainers Berti Vogts in einem Tatort.

Aber es gab auch Sport-Tatorte, die sich mehr um die Hintergründe des Sports gekümmert haben. Dieses Mal war dazu nicht genug Spielzeit, weil Schlosser mit seinem Problem ebenfalls Aufmerksamkeit erhalten musste und weil vier Fußballfans im Mittelpunkt standen, besonders einer, die als Typen ganz gut angelegt sind, sich aber, bis auf Stefan Klein (Guido Schick), nicht so recht entfalten dürfen. Diese Figur ist gut gespielt, die beste im Film, nach meiner Ansicht. Auch gut: Dreyer und Reeding als nahezu perfekt harmonierendes Frauenteam. Geht also auch, man muss nicht immer künstlich Zoff inszenieren. Sicher wirkt der Film dadurch auf der Seite etwas glatt, die beiden müssen sich nicht eingrooven, sondern wirken, als wenn sie schon länger zusammenarbeiten würden. Einen sehr empathischen Moment gibt es, als der angeschlagene Schlosser zu Dreyer sagt, man müssen nun dies und jenes auf den Weg bringen, in Sachen Ermittlung, sie oder Reeding das längst getan haben, sie reibt es Schlosser aber nicht unter die Nase. Das geht ein wenig unter, man muss zu genau hinschauen, um kleine Lichter wie diese in einem überwiegend tristen Film zu entdecken.

Finale

Obwohl Regisseur Marc Hertel nicht mehr, wie in „Bis unter die Haut“ in Sepia filmt und auch nicht als Avantgardist bei der Verwendung des heute üblichen ausgewaschenen Grau-Grün agiert, sondern in „Normalfarben“ filmen lässt, weht durch den Film einen Hauch von Vergänglichkeit. Sicher, ich wusste, dass das Team danach „beendet“ wurde, weil der HR sich von der Reihe verabschiedete. Wie es dazu kam, ob die vielen Wechsel zu einer mangelhaften Akzeptanz seitens des Publikums geführt hatten, ob man nur strategisch pro Tatort dachte, diese Hintergründe habe ich bis jetzt nicht ausgeleuchtet. Vielleicht werde ich das tun, wenn ich „Grauzone“ rezensiere. Dann hätten wir beim Wahlberliner auch die Offenbach-Schiene des Polizeirufs komplett, deren Existenz ich vor einiger Zeit noch gar nicht im Blick hatte. Ich finde die West-Polizeirufe durchaus gelungen, die in den 1990ern gemacht wurden, sie waren für die produzierenden Sender eine Art – sic! – Spielfeld, auf dem man neue Züge einüben konnte, die man sich in den Tatorten nicht getraut noch nicht zutraute. Dazu zählte auch das progressiv aufgestellte Team Offenbach mit drei gleichgestellt wirkenden Cops und der ersten Person of Color als Ermittlerin in einem deutschen Fernsehkrimi, die innerhalb von sechs Fällen von zwei verschiedenen Darstellerinnen verköpert wurde.

Rainer Tittelbach von tittelbach.tv meint, der Film ist: „nicht mehr als eine sonntägliche Mördersuche nach Schema F. Die üblichen Verdächtigen, ein bisschen halbherzige Gesellschaftskritik. Nach dem Krimi ist vor dem Krimi. Wo es an stofflicher Substanz fehlt, muss der Regisseur ran. Und der inszenierte nach dem Motto: Wenn Polizisten-Mienen Trauer tragen. Da weiß man dann nie genau, ob der Missmut, mit dem die Kommissare am Ermitteln sind, Absicht ist, oder ob die gefrustete Tonlage, die sich durch den Film zieht, nicht auch ein wenig mit der nicht optimalen Chemie zwischen Zoudé, Sonntag und Rudnik während der Dreharbeiten zu tun hatte.“[1]

Von der mangelhaften Chemie wusste ich nichts, als ich mir den Film anschaute. Ob sie auch durch die Tatsache gestört war, dass die Schiene beendet werden sollte, ist mir demnach ebenfalls nicht bekannt, oben schrieb ich, dass Dreyer und Reeding ziemlich reibungslos miteinander arbeitend wirken. Inhaltlich stimme ich der zitierten Kritik zu. Da sieht man wieder, dass Teams vor und hinter der Kamera funktionieren müssen, damit legendäre Ermittlerkarrieren entstehen können, wie in der Reihe Tatort die Duos Batic und Leitmayr (München) und Ballauf und Schenk (Köln).

6/10

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2021)

(1), kursiv und als Zitat: Wikipedia

Regie Marc Hertel
Drehbuch Arne Sommer
Musik Stefan Ziethen
Kamera Armin Alker
Dominik Schunk
Schnitt Stefan Blau
Besetzung


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