Die verlorene Ehre der Katharina Blum (DE 1975) #Filmfest 1034

Filmfest 1034 Cinema

Die verlorene Ehre der Katharina Blum wurde 1975 von Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta gedreht. Der Film basiert auf der gleichnamigen Erzählung von Heinrich Böll.

Laut Lexikon des internationalen Films bezieht sich der „handwerklich routinierte Film […] – wie Bölls Buch – auf aktuelle Streitfragen im Zusammenhang mit der Terrorismus-Debatte der 70er Jahre: Verfilzung staatlicher Institutionen mit privater wirtschaftlicher Macht; Möglichkeiten der Manipulation auflagenstarker Boulevard-Zeitungen im Dienste politischer Restauration; Machtlosigkeit des einzelnen gegenüber einer zur Massenhysterie angeheizten öffentlichen Meinung. Der Verzicht auf Differenzierung, die traktathafte Vereinfachung der Handlung, die Überzeichnung der Figuren sowie der polemische Inszenierungsstil ergänzen sich zu einer effektvollen Inszenierung, die zur Diskussion herausfordert.“[2]

Das Autorenfilmer-Paar Schlöndorff und von Trotta beweise hier, so Filmkritiker Roger Ebert, das gleiche Einfühlungsvermögen für weibliche Figuren wie schon in Strohfeuer (A free Woman, 1972). Katharina Blum, von Angela Winkler mit einer raffinierten Mischung aus Schüchternheit und Feuer gespielt (played with a subtle mixture of shyness and fire), erfährt als Frau auf vielfache Weise eine andere Behandlung als ein Mann. Die sensible Charakterentwicklung des Films werde aber überschattet, und die im Kern menschliche Geschichte von Schlöndorff und von Trotta begraben durch Heinrich Bölls überdeutliche Botschaft (then the big, important Heinrich Boll message comes marching along). Ein intelligenter, wenn auch letztlich nicht überzeugender Film (an intelligent, if finally unconvincing film).[3]

Die 1970er Jahre, das mag für manche die Zeit des Terrorismus gewesen sein. Das ist natürlich eine Einstellung, die auf etwas anderes hinweist: nämlich auf die heutige Zeit. Auf eine Zeit, in der die traditionelle Boulevardpresse, namentlich die BILD, vielleicht als Printmedium an Einfluss verliert, aber durch viele rechte Online-Publikationen und durch die unüberschaubare Zahl von Social-Media-Einlassungen zu jedem Thema mitbestimmt wird. Wir sind heute mehr auf eine seriöse Berichterstattung und Leitmedien angewiesen als in den 1970ern. Warum? Weil man damals ziemlich genau wusste, welches Medium für Qualität und Zivilisation stand und welches für das Gegenteil. Die Guten sind schlechter geworden, die Schlechten weniger einflussreich, aber sie haben sich vervielfältigt und es gibt unendlich viele Grautöne zwischen Topjournalismus und Schund. Das heißt auch, dass den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten heute eine noch größere Verantwortung zukommt, als das in den 1970ern der Fall war, weil sie uns als letzte Instanz in der Medienkakophonie dienen müssen. 

Die Schlacht um die Persönlichkeitsrechte Einzelner hingegen, die in „Katharina Blum“ thematisiert wird, scheint nicht mehr das Hauptthema zu sein. Das mag auf die Printmedien zutreffen, aber wer noch keinen Shitstorm erlebt hat, keinen Angriff in den sozialen Netzwerken, der ist im Grunde nicht relevant. Der Terrorismus hat der aufsteigenden Zivilisation in der BRD einen Bärendienst erwiesen, das ist klar, aber er ist nicht ursächlich dafür, wie sehr es in den letzten Jahren und jetzt beschleunigt daran geht, sogenannte zivilisatorische Brandmauern niederzureißen. Heutige Probleme gesellschaftlicher Art werden durch die sozialen Medien geechot und verschärft, man braucht einander sozusagen, um Hate Speech zu produzieren und daran wiederum Alltagsdenken und Alltagshandeln auszurichten. Man nimmt diese Nachfolgeschaft der klassischen Sensationsmedien noch immer nicht ernst genug.

Darf man deshalb Zensur ausüben? Wir meinen: ja. Aber nicht delegiert an private Plattformbetreiber, sondern transparent bei einer staatlichen Stelle angesiedelt, deren Handeln jederzeit an Kriterien ausgerichtet ist, die für jedermann einsehbar sind, diskutiert und mit nachvollziehbarer Idee dahinter angepasst werden können. Es handelt sich hier um einen Bestandteil der Rechtsetzung und -ausübung, der an Private ausgelagert wurde. Das kann nicht gutgehen, wie sich besonders auf „X“ („Twitter“) seit der Übernahme durch Elon Musk deutlich zeigt.

© 2023, 1989 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Kursiv und tabellarisch: Wikipedia

Regie Volker Schlöndorff
Margarethe von Trotta
Drehbuch Heinrich Böll
Volker Schlöndorff
Margarethe von Trotta
Produktion Willi Benninger
Musik Hans Werner Henze
Kamera Jost Vacano
Schnitt Peter Przygodda
Besetzung

 

 

 

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